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„Scheitelpunkt des Afghanistan-Einsatzes ist erreicht“ (Interview)

02.12.2011 - Interview

Außenminister Guido Westerwelle im Interview zur Bonner Afghanistan-Konferenz. Erschienen in der Rheinischen Post vom 02.12.2011.

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Pakistan gilt als wichtigster Partner für einen Frieden in Afghanistan. Verkommt die Afghanistan-Konferenz in Bonn nach der Absage Pakistans nun zu einer diplomatischen Plauderrunde?

Nein, natürlich nicht. Zunächst einmal empfinde ich Mitgefühl und Verständnis für die Trauer Pakistans angesichts von mehr als 20 getöteten pakistanischen Soldaten. Die Gespräche mit der pakistanischen Regierung werden fortgesetzt. Pakistan ist an den Vorgesprächen zur Konferenz beteiligt. Der Erfolg der Konferenz hängt aber nicht von einem Land ab. Nähme Pakistan nicht an der Konferenz teil, wäre das ein Rückschlag, aber kein Fehlschlag. Es geht um die Perspektive für ein friedliches Afghanistan, von dem keine Gefahr mehr für die Welt ausgeht. Das geht nicht nur die Länder in der Region an, das geht die Weltgemeinschaft als Ganzes an.

Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass sich Pakistan noch anders entscheidet?

Wie gesagt: Wir stehen dazu mit der pakistanischen Regierung in Kontakt.

Was muss das Signal der Afghanistan-Konferenz sein?

Dass die Völkergemeinschaft ein großes Interesse an einem friedlichen, stabilen Afghanistan hat und wir dem Land nicht den Rücken zukehren, wenn die kämpfenden Truppen Ende 2014 abgezogen sein werden. Wie die Welt nach so vielen Jahren gewaltsamer Auseinandersetzungen mit Afghanistan umgeht, könnte beispielhaft für Konfliktlösungen in anderen Teilen der Welt werden.

Entscheidend ist, dass es nur eine politische Lösung gibt. Dazu braucht es gute Regierungsführung, einen inklusiven innerafghanischen Aussöhnungsprozess, aber eben auch das politische und wirtschaftliche Engagement der Völkergemeinschaft.

Mehr als 50 tote deutsche Soldaten. War der Einsatz trotzdem richtig?

Die furchtbaren Terroranschläge auf New York und Washington am 11. September 2001 mit mehreren Tausend Toten waren der Auslöser für den gemeinsamen Kampf gegen den islamistischen Terrorismus und unser militärisches Engagement in Afghanistan. Wir sind damals nicht an der Seite unserer Bündnispartner nach Afghanistan gegangen, um Brunnen zu bohren und Straßen zu bauen, sondern um unsere Sicherheit zu verteidigen. Das war richtig. Die deutschen Soldaten, die in Afghanistan dafür ihr Leben gelassen haben, sind Helden, das ist für mich keine Frage.

Aber der internationale militärische Einsatz darf auch nicht endlos sein. Der Scheitelpunkt ist nun erreicht. Erstmals nach zehn Jahren wird unsere Truppenpräsenz zurückgeführt. Jetzt geht es um eine politische Lösung.

Kann der Zeitplan für den Abzug sich noch ändern?

Jeder Zeitplan steht unter dem Vorbehalt der tatsächlichen Lageentwicklung. Das ist gesunder Menschenverstand. Präsident Karsai hat jetzt bekannt gegeben, welche weitere Regionen in die Sicherheitsverantwortung Afghanistans übernommen werden. Noch in diesem Monat wird etwa die Hälfte des afghanischen Staatsgebietes in der Verantwortung afghanischer Behörden liegen. Das ist ein echter Schritt nach vorne.

Was wird aus Afghanistan nach 2014?

Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, aus Afghanistan eine Art Schweiz Vorderasiens zu machen. Die Kultur, die Traditionen und die politischen Strukturen in dem Land sind andere. Unser Ziel ist eine ausreichend gute Regierungsführung, ein engagierter Kampf gegen den islamistischen Terrorismus und die Achtung fundamentaler Bürger- und Menschenrechte. Damit wäre viel erreicht. Es geht natürlich auch um die Rechte der Frauen. Es freut mich, dass die Delegation von Präsident Karsai zu einem erheblichen Teil mit Frauen besetzt ist.

Und dazu gehört die Aussöhnung mit den Taliban?

Aussöhnung findet nicht zwischen Freunden, sondern zwischen Gegnern statt. Wir müssen jungen Menschen, die sich von einer hasserfüllten Ideologie in die falsche Richtung haben leiten lassen, neue Perspektiven geben. Voraussetzung dafür ist stets Gewaltverzicht, die Niederlegung der Waffen und Akzeptanz der Verfassung. Wir gewinnen so einen Hebel, sie von ihren fundamentalistischen Führern zu trennen.

Wie lange dauert der Prozess der Staatenbildung?

Sicher noch viele Jahre. Ich warne vor übertriebenen Erwartungen. Es ist doch so: Für viele Deutsche ist Afghanistan weit weg. Man sieht die staatlichen Würdenträgern und liest von schrecklicher Gewalt. Für mich bietet Afghanistan nach vielen Besuchen auch ein anderes Bild: Das Bild von Mädchen, die nach ersten Fremdeln mit dem ausländischen Gast vorsichtig lächeln und den Handschlag erwidern. Das Bild von Jungen, die Skateboard fahren lernen und stolz ihre halsbrecherischen Kunststücke vorführen. In ihren Augen spiegelt sich die Hoffnung auf ein unbeschwerteres Leben und ein Ende der Gewalt. Auch darum geht es mit unserem Engagement.

Bleiben deutsche Soldaten auch nach 2014 im Land?

Nach 2014 wird es in Afghanistan keine deutschen kämpfenden Truppen mehr geben. Aber natürlich werden wir nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen und von heute auf morgen Afghanistan vergessen. Im Gegenteil, und das ist auch das Signal der Konferenz von Bonn: Wir werden in enger Absprache mit unseren internationalen Partnern Afghanistan weiter die Hilfe leisten, die es braucht und um die es nachsucht. Das können auch Sicherheitsexperten und Ausbilder sein.

Welche Lehren zieht Deutschland aus dem Afghanistan-Krieg? Wird sich das Verhältnis der Deutschen zum Kriegseinsatz ändern?

Das ist für mich eine entscheidende Frage. Die von mir verfolgte Politik einer Kultur der militärischen Zurückhaltung findet in Deutschland Zustimmung bei einer großen und breiten Mehrheit der Menschen. Militärische Lösungen können immer nur das letzte Mittel sein.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Rheinischen Post. Fragen: Michael Bröcker und Rena Lehmann

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