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„Europa in der Bewährung“ Außenminister Guido Westerwelle in der F.A.Z.

14.12.2010 - Interview

Europa und der Euro durchleben eine Zeit der Bewährung. Kaum war die Finanzkrise gebannt, musste Griechenland geholfen werden. Es folgte ein so notwendiger wie präzedenzloser Rettungsschirm zum Schutz unserer Währung. Irland musste unter den Schirm und steht vor Neuwahlen.

Wahr ist: Spekulationswellen haben Staaten an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gebracht. Wahr ist aber auch: Solche Spekulationen waren nur möglich, weil die Fundamente sandig geworden waren. Europaweit wurden zu lange zu viele Schulden gemacht.

Die Bürger und Politiker Europas fragen sich, wie es weitergeht. Vor dem Hintergrund ganz unterschiedlicher historischer Erfahrungen und Traditionen wird diese Diskussion lebhaft, mitunter hitzig geführt. Eines dürfen wir jedoch bei aller Dramatik nicht vergessen: Die Europäische Union ist das erfolgreichste Friedensprojekt der Geschichte unseres Kontinents und unsere Wohlstandsversicherung. Kein europäisches Land und auch nicht Deutschland als das stärkste unter ihnen kann die Stürme der Globalisierung allein bestehen.

Wir stehen vor drei Aufgaben. Wir müssen unsere Währung kurzfristig und nachhaltig schützen. Wir müssen die Fundamente der Haushalts- und Wirtschaftspolitik in Europa in Ordnung bringen. Und wir müssen die EU viel klarer als bisher als führenden Akteur in unserer Nachbarschaft und als prägenden Akteur weltweit formen.

Zum Schutz des Euro werden derzeit mit Hochdruck die Grundzüge eines dauerhaften Krisenmechanismus für die Zeit nach 2013 entwickelt, um auf künftige Instabilitäten von Euro-Ländern schnell und wirksam reagieren zu können. Dieser Mechanismus muss die Voraussetzungen für eine vernünftige Einbeziehung privater Gläubiger schaffen, wenn die Insolvenz eines Staates droht. Banken sollen in Zukunft nicht mehr Teil des Problems sein, sondern Teil der Lösung. Wer ein Risiko eingeht und auf Gewinne hofft, muss wissen, dass Verluste nicht automatisch auf die Steuerzahler abgewälzt werden können. Das ist ein notwendiges Grundprinzip der sozialen Marktwirtschaft.

Euro-Bonds (gemeinsame Anleihen) sind kein geeignetes Mittel zur Lösung der Schuldenkrise einzelner Staaten. Wenn alle für alle Schulden haften, gibt es für den Einzelnen keinen Anreiz zur Haushaltsdisziplin. Im Gegenteil: Das könnte die Bemühungen konterkarieren, europaweit zu solider Haushaltspolitik zurückzukehren. Wer dem Einstieg in eine Transferunion das Wort redet, setzt den Rückhalt für Europa vor allem in den Ländern aufs Spiel, welche die Hauptlast dafür tragen müssten. Hilfen für in Zahlungsschwierigkeiten geratene Mitgliedstaaten kann es nur als letztes Mittel unter strikten Auflagen geben.

Klar ist: Auch ein dauerhafter Krisenmechanismus kuriert, so wie der gegenwärtige Rettungsschirm, nur die Symptome. Die Voraussetzung für einen dauerhaft stabilen Euro sind eine gesunde Haushaltspolitik und eine wettbewerbsfähige, abgestimmte Wirtschaftspolitik. Es war höchste Zeit, die Regeln des Stabilitätspakts zu verschärfen. 22 Defizitverfahren in der Euro-Zone haben nie zu einer Sanktionierung geführt. Ohne harte Regeln aber kein harter Euro. Die vom Europäischen Rat angenommenen Vorschläge der Van-Rompuy-Gruppe geben die nötige Richtung vor: Künftig gibt es für Länder, die es an der notwendigen Haushaltsdisziplin fehlen lassen, einen stärker automatisierten Sanktionsmechanismus, der sich politischer Einflussnahme weitgehend entzieht. Gleichzeitig wurden europaweit teilweise drastische Sparhaushalte verabschiedet, um überbordende Schuldenstände zurückzuführen. Europa hat die Wende in der Haushaltspolitik eingeleitet. Wir müssen dafür sorgen, dass der Paradigmenwechsel hin zu solider Haushaltsführung nachhaltig vollzogen wird, damit bei besserer Lage kein Rückfall droht.

Was in Griechenland oder in Irland passiert ist, darf sich nicht wiederholen. So unterschiedlich diese Fälle sind – der Grund für die Fehlentwicklung liegt letztlich auch in einem Strukturfehler des Maastrichter Vertrags: vergemeinschaftete Geldpolitik einerseits, mangelnde Koordinierung der Wirtschafts- und Haushaltspolitik andererseits. Über viele Jahre haben sich weithin unbemerkt bei einzelnen Mitgliedstaaten erhebliche volkswirtschaftliche Ungleichgewichte aufgebaut. Diese können urplötzlich die Stabilität der gesamten Währungsunion gefährden.

Eine Remedur wird nur wirksam sein, wenn sie neben der Verschärfung des Stabilitätspakts auch die Ursachen der Krise bekämpft. Wir brauchen deshalb eine stärkere Abstimmung der Wirtschafts- und Haushaltspolitiken in der EU. Neben der bereits beschlossenen Vorlage und Kontrolle nationaler Haushaltsentwürfe in Brüssel hat die EU-Kommission mit ihren Vorschlägen zur Überwachung wirtschaftlicher Ungleichgewichte den richtigen Weg gewiesen. Die durch die gemeinsame Währung besonders eng verbundenen Länder der Euro-Zone sollten bei der wirtschafts- und haushaltspolitischen Koordinierung Taktgeber für die gesamte EU sein.

Entscheidend dabei ist: Eine engere Koordinierung muss den Schwachen helfen aufzuschließen, sie darf aber nicht die Erfolgreichen knebeln. Wir brauchen Wettbewerb nach oben, nicht nach unten. Ziel muss die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit von Europa insgesamt sein.

Bei aller berechtigten Sorge um uns selbst: Europa darf nicht in eine neue Periode der Nabelschau verfallen. Angesichts von sich im Zeitraffertempo verschiebenden internationalen Gewichten wäre ein Verharren in europäischer Selbstbespiegelung oder eine Renationalisierung fatal. Neue Akteure drängen macht- und kraftvoll auf die globale Bühne. Entweder spielen wir mit, oder europäische Interessen landen im Hinterzimmer der Weltpolitik.

Nach einem Jahrzehnt teilweise ermüdender Selbstdiskussion haben wir mit dem Lissabonner Vertrag und dem Europäischen Auswärtigen Dienst endlich Regelwerk und Werkzeug, um die EU ihrem wirtschaftlichen Gewicht entsprechend als einen führenden internationalen Akteur zu positionieren. Wir müssen diese Instrumente so schnell wie möglich mit Leben erfüllen. Es wäre kurzsichtig, diese strategische Chance nach außen zu vertun, weil uns notwendige Reparaturarbeiten nach innen den Blick dafür verstellen.

Die europäische Einigung ist die Geschichte ihrer Krisen und der aus ihnen gezogenen Lehren. Immer wieder führten krisenhafte Zuspitzungen dazu, dass die Europäer den politischen Willen zu stärkerer Abstimmung und Zusammenarbeit aufbrachten. Europa ist in der Bewährung. Wenn wir die richtigen Lehren ziehen, wird Europa stärker sein als vorher.

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.12.2010 Seite 10

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