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Berliner Sicherheitskonferenz Forum 2: „Turkey – a specific role for Europe’s security“ Beitrag von Staatsminister Werner Hoyer
-- Es gilt das gesprochene Wort --
Lassen Sie mich mit einem scheinbar selbstverständlichen Statement beginnen: Die Türkei ist aus der europäischen Sicherheitsarchitektur nicht wegzudenken. Wir sind seit über 50 Jahren Partner in der NATO, wir stehen gemeinsam auf dem Balkan und in Afghanistan, wo die Türkei mit zu den größten Truppenstellern gehört. Im Vorfeld des NATO-Gipfels in Lissabon arbeiten wir gemeinsam daran, das Bündnis auf die neuen sicherheitspolitischen Gegebenheiten einzustellen.
Umgekehrt sind auch die NATO und die transatlantischen Beziehungen für die Türkei unersetzlich. Sie sind nach wie vor Referenzrahmen und zentraler Bestandteil des türkischen Sicherheitsverständnisses, auch wenn manche Umfragen etwas anderes behaupten. Dies wird bei den vor allem in den USA vermehrt geführten, jedoch allenfalls teilweise nachvollziehbaren „Who lost Turkey“-Debatten leicht übersehen.
Ich teile nicht die These, die Türkei wende sich vom Westen ab, und sehe die neue türkische Außenpolitik, die sich um bessere Beziehungen mit ihren Nachbarländern bemüht, mit Respekt.
Als Beispiel möchte ich nur die Annäherung an Syrien nennen, mit dem die Türkei vor nur 12 Jahren am Rande einer Auseinandersetzung stand. Heute gibt es eine intensive Besuchsdiplomatie, Handel und visafreien Besuchsverkehr zwischen beiden Ländern.
Es scheint mir offensichtlich, dass ein Land in einem so speziellen geopolitischen Umfeld wie die Türkei ein Interesse an gut nachbarschaftlichen Beziehungen auch mit seinen östlichen Nachbarn hat. Und es ist folgerichtig, dass die Türkei Jahrhunderte alte kulturelle und wirtschaftliche Bande im Nahen Osten pflegt und auf eine breitere Grundlage stellen möchte.
Was bedeutet das für uns und die europäische Sicherheit? Meiner Meinung nach kann es die Stabilität in einer für Europa so wichtigen Nachbarregion nur erhöhen, wenn die Menschen des Nahen Ostens in der Türkei einen willkommenen Partner und ein Gesellschaftsmodell mit Vorbildcharakter sehen. Ausgehend von ihrer festen Verankerung in der NATO und als EU-Beitrittskandidat kann die Türkei mit einem „soft power“-Ansatz stabilisierend in ihre östlichen Nachbarregionen hineinwirken. Dies ist letztlich auch zum Nutzen Europas, der USA und unserer gemeinsamen Sicherheit. Insofern kann ich die Frage, die in der Überschrift dieses Panels gestellt wurde, nur bejahen: der Türkei kommt hier eine hervorgehobene Rolle für die europäische Sicherheitsarchitektur zu.
Entscheidend ist jedoch, wie die Türkei diese besondere Rolle ausfüllt. So ist für uns z.B. besonders wichtig, dass die freundschaftlichen Bande zu Israel nicht zerrissen werden. Die Türkei und Israel blicken auf eine jahrzehntelange enge Kooperation zurück. Lassen Sie mich auch daran erinnern, dass die Türkei im 16. Jahrhundert die aus Spanien vertriebenen Juden aufnahm. Die engen Beziehungen werden aber momentan auf eine harte Probe gestellt.
Unser Interesse ist es, dass diese Beziehungen auch unabhängig von den jeweiligen Regierungen Bestand haben. Die Türkei hat mit der Vermittlung indirekter Verhandlungen zwischen Syrien und Israel Ende 2008 gezeigt, dass sie hier gute Dienste leisten kann, wenn sie das Vertrauen beider Seiten genießt. Ein konstruktives Engagement auf dieser Grundlage können wir auch in Zukunft nur unterstützen.
Eine besondere Rolle kommt der Türkei auch als Energietransitland zu. Energievorsorgung ist Teil des neuen Verständnisses von Sicherheit, und wir haben ein gemeinsames Interesse an der Diversifizierung von Energiekorridoren und Lieferländern. Das Gelingen der „Nabucco- Pipeline“ ist daher von zentraler Bedeutung – für die Energieversorgung Europas, aber auch als Beweis, dass über regionale Grenzen und kleinräumig orientierte Interessen hinweg eine konstruktive Zusammenarbeit zum Wohle aller Beteiligten möglich ist.
Die Türkei ist seit über 50 Jahren ein aktiver und verlässlicher Bündnispartner in der NATO. Die Konfliktlinien und die Bedrohungen haben sich mit dem Ende des Kalten Krieges verschoben. Heute sehen wir uns Phänomenen wie dezentral vernetzten Terrorismuszellen, asymmetrischen Bedrohungen durch militante extremistische Gruppen, der Proliferation von Nuklearwaffen sowie der Gefahr von Cyber-Attacken gegenüber.
Gerade auch vor diesem Hintergrund teilen wir nach wie vor gemeinsame Interessen im Bündnis und arbeiten derzeit intensiv an seiner ständigen Weiterentwicklung. Das neue Strategische Konzept, das beim NATO-Gipfel in Lissabon verabschiedet werden soll, wird dies widerspiegeln.
EU und NATO stehen vor den gleichen Herausforderungen für die Sicherheit in Europa. EU und NATO sind komplementär, jede Organisation hat ihren spezifischen Platz im Gefüge der internationalen Gemeinschaft. Die Besonderheit ist aber, dass 21 Staaten Mitglied beider Organisationen sind. Weil beide sich überschneidende Aufgabenspektren haben, ist eine engstmögliche Koordination und Zusammenarbeit erforderlich. Die Zusammenarbeit von EU und NATO unter Berücksichtigung der jeweiligen spezifischen Fähigkeiten kann den entscheidenden Mehrwert bei der Bewältigung einer Krisensituation erbringen.
Dies setzt aber ein Verhältnis voraus, das von Transparenz, gegenseitigem Kooperationswillen und Toleranz geprägt ist. Seit dem EU-Beitritt Zyperns 2004 ist die Zusammenarbeit zwischen der NATO und der EU allerdings permanenten Herausforderungen ausgesetzt. Der Konflikt des geteilten EU- aber nicht NATO-Mitgliedsstaats wirkt sich auf gemeinsame Einsätze wie in Kosovo oder in Afghanistan aus. Hier gibt es sowohl auf Seiten der EU als auch auf NATO-Seite noch starken Nachholbedarf.
Um so mehr ist zu begrüßen, dass die Türkei schon mehrere Male erfolgreich an ESVP-Missionen mitgewirkt hat. Bei der ALTHEA-Mission in Bosnien-Herzegowina ist sie mit 245 beteiligten Soldaten zweitgrößter Truppensteller nach Österreich. 70 türkische Polizisten und zivile Experten nehmen an der Mission EULEX Kosovo und der EU-Polizeimission in Bosnien-Herzegowina teil.
Eine Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Verteidigungsagentur wäre für Deutschland wünschenswert. Wir hoffen, dass das entsprechende Verwaltungsabkommen zwischen der EU und der Türkei – das seit 2006 unterschriftsreif ist - bald finalisiert werden kann.
Die Türkei befindet sich damals wie heute in einer besonders exponierten Stellung. Die Frage der nuklearen
Bewaffnung, und gravierender noch, eines nuklearen Wettlaufs im Nahen und Mittleren Osten, betrifft sie unmittelbar. Wir teilen die Besorgnis mit Blick auf Iran und seine nuklearen Ambitionen. Und wir erkennen die türkischen Bemühungen um eine diplomatische Lösung an sowie den Versuch, Iran zur Zusammenarbeit beim Teheraner Forschungsreaktor zu bewegen. Wir teilen mit der Türkei das Ziel, Iran zum Verhandlungstisch zurückzubewegen, damit Iran die begründeten Zweifel am rein zivilen Charakter seines Nuklearprogramms ausräumen kann. Dies gilt auch, wenn wir hinsichtlich der Mittel manchmal unterschiedlicher Meinung sind.
Wenn ich hier so breit die Probleme, vor allem aber die Chancen der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit mit der Türkei schildere, dann darf natürlich auch ein Hinweis auf den türkischen EU-Beitrittsprozess nicht fehlen. Wir alle kennen die auch innenpolitische Grundsatzdiskussion, die sich an diesem Thema immer wieder entzündet. Erlauben Sie mir daher einige Gedanken dazu: Wir haben mit dem Lissabon-Vertrag die Grundlage dafür gelegt, dass die EU künftig außenpolitisch geeint und handlungsfähig auftritt. Eine Türkei, die sich in einem langwierigen, aber zielgerichteten Reformprozess dem EU-Acquis immer weiter annähert, trägt auch unter diesem Gesichtspunkt zur Festigung europäischer Sicherheit bei.
Wir sollten auch nicht unterschätzen, dass die Türkei als demokratischer, westlichen Werten verpflichteter, dabei dem Islam gegenüber offener Staat in der Region ein nachahmenswertes Beispiel darstellt für Menschen, die unter ganz anderen Bedingungen leben müssen.
Die Türkei hat in den vergangenen neunzig Jahren eine geradezu atemberaubende, wenngleich keineswegs immer geradlinige Entwicklung durchlebt. Wir sollten unserem bewährten Freund und Partner auch künftig offen und mit Vertrauen begegnen. Gerade zwischen Freunden ist aber auch Raum für kritischen Dialog.