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Interview: Bundesaußenminister Westerwelle in „Adevarul“

25.06.2010 - Interview

Bundesaußenminister Guido Westerwelle im Gespräch mit der rumänischen Tageszeitung „Adevarul“

Deutschland hat sich für Sanktionen gegen die EU-Staaten ausgesprochen, die das Defizit von 3% überschreiten, und zwei Sanktionsmöglichkeiten ins Gespräch gebracht: Das jeweilige Land verliert sein Stimmrecht im Rat oder ihm werden die Strukturfonds gestrichen. Bedeutet dies, dass nur die neuen EU-Mitglieder - einschließlich Rumäniens - zu den Verlierern gehören?

Überhaupt nicht! Was wir wollen, ist, dass die gesamte EU aus der Finanzkrise als Gewinner hervorgeht. Dafür müssen wir jetzt die richtigen Lehren ziehen. Es hat sich gezeigt, dass unsere Instrumente zur Haushaltsüberwachung zu schwach waren. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt wurde nicht so eingehalten, wie das für die nötige Solidität im Euro-Raum nötig gewesen wäre. Deshalb haben wir in dieser Richtung Vorschläge eingebracht. Wir brauchen eine strikte Einhaltung der Konvergenz-Kriterien. Um das zu erreichen, müssen wir den Stabilitäts- und Wachstumspakt um Sanktionsmöglichkeiten ergänzen.

Augenblicklich ist die Wirtschaftslage ziemlich düster. Rumänien hat drastische Sparmaßnahmen getroffen: Renten-, Elterngeld- und Personalkürzungen. Ist dies der richtige Weg aus der Krise?

Der Fall Griechenland hat gezeigt, wohin ein Übermaß an Verschuldung führen kann: Solche Krisensituationen müssen wir in Zukunft mit aller Kraft vermeiden. Wir brauchen in der EU eine neue Stabilitätskultur. Die Verschuldung muss in einem kontrollierbaren Rahmen bleiben, Wachstum auf Pump geht auf lange Sicht nicht. In Deutschland haben wir deshalb als Selbstverpflichtung die „Schuldenbremse“ in das Grundgesetz aufgenommen. Gleichzeitig setzen wir über gezielte staatliche Förderung oder finanzielle Entlastung auch Impulse für nachhaltiges Wachstum.

Der letzte Bericht der Europäischen Kommission spricht weiterhin von mangelhaften Fortschritten im Bereich der Justiz und beim Kampf gegen die Korruption? Befürchten Sie, dass die EU-Gelder – und hier leisten die deutschen Bürger einen großen Beitrag - in dunklen Kanälen verschwinden?

Bei diesem Thema geht es doch in erster Linie um die Interessen der Bürgerinnen und Bürger. Sie haben doch als erste Anspruch darauf, dass die EU-Gelder nach Recht und Gesetz und zum maximalen Nutzen der gesamten Volkswirtschaft eingesetzt werden. Ich vertraue darauf, dass die EU-Kommission als Verwalterin der EU-Mittel sicherstellt, dass die Gelder auch dort ankommen, wo sie hin sollen. Sollte das aufgrund krimineller Machenschaften punktuell nicht der Fall sein, obliegt es dem rumänischen Staat, für Aufklärung zu sorgen und das Strafrecht zur Anwendung zu bringen.

Nach den Polen sind die Rumänen die hauptsächlichen Arbeitsmigranten in Deutschland. Hat Deutschland noch immer Angst vor den ,,guten und billigen Arbeiternehmern„ aus Osteuropa?

Das ist keine Frage der Angst. Es geht um die richtige und sinnvolle Steuerung von Arbeitsmigration in der EU. Als große Volkswirtschaft im Herzen Europas ist Deutschland naturgemäß in besonderem Maße von dieser Migration betroffen. Die Frage, die wir dann zu beantworten haben, lautet: Ist der jeweilige nationale Arbeitsmarkt bereit für die Aufnahme von weiteren ausländischen Arbeitnehmern? Angesichts der Lage am deutschen Arbeitsmarkt hat die Bundesregierung von den vertraglich vorgesehenen Ausnahmeregelungen Gebrauch gemacht.

Hierzu bitte eine Nachfrage: Die Regierung in Berlin hat entschieden, dass Deutschland für rumänische Arbeitnehmer erst 2012 die Pforten öffnet, der im EU-Vertrag genannten Deadline. Wie ist diese Haltung zu begründen und gibt es die Möglichkeit, dass Berlin die Türen früher öffnet?

Die Bundesregierung hat ihre Haltung zur Ausnahmeregelung von der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit noch nicht abschließend festgelegt. Entscheidendes Kriterium für uns ist und bleibt die Lage am deutschen Arbeitsmarkt. Wir sehen derzeit einige Spannungen, durch die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise gehen wir zudem von einer Verschärfung der Lage aus.

Ich möchte aber doch auch darauf hinweisen, dass es bereits jetzt vielfältige Zugangsmöglichkeiten zum deutschen Arbeitsmarkt gibt – etwa für qualifizierte Arbeitnehmer und Akademiker oder auf Grundlage von Absprachen zu Saisonbeschäftigungen.

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