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Afghanistan – Bildung für Frieden. Beitrag von Staatsministerin Pieper in der FAZ

15.03.2010 - Interview

In einer einfachen Klasse im Dorf Shuduj in Nordafghanistan sitzen junge Mädchen im Biologieunterricht. Noch vor wenigen Jahren wäre das undenkbar gewesen, da gab es keinen Unterricht für sie. Doch jetzt können sie wie die Jungen in die Schule gehen und bekommen damit die Chance auf ein besseres Leben.

Das ist möglich, weil Deutschland in Afghanistan Schulen baut, Lehrer fortbildet und und das afghanische Schulsystem unterstützt. An den neuen Schulen lernen die Kinder nicht nur Biologie, sondern auch Geschichte und Literatur – und immer wieder sogar auch Deutsch. Wir haben Klassen mit Computern ausgestattet, Bibliotheken hergerichtet und neu bestückt.

Afghanistan nach mehr als 20 Jahren Krieg und Zerstörung wieder aufzubauen und die Gefahr des Terrorismus einzudämmen – mit diesem Ziel ist die internationale Gemeinschaft seit 8 Jahren in Afghanistan aktiv. Es wird immer klarer: Nur militärisch ist das nicht zu schaffen. Je näher die Übergabe von mehr Verantwortung an die Afghanen rückt, umso drängender stellt sich die Frage, wie wir der jungen Generation in Afghanistan ein Rüstzeug für die Zukunft geben können. Denn in ihren Händen werden schon bald die Geschicke ihres Landes ruhen.

Bildung ist eine der mächtigsten Abwehrkräfte gegen den Terrorismus der Fundamentalisten. Nur über vielfältige Bildung und eine geistige Öffnung, die unterschiedliche Weltsichten verstehbar macht, können wir in Afghanistan den Boden für eine friedliche und stabile Zukunft bereiten. Denn nur wer internationale Wissensstandards teilt, hat auch Zugang zu weltweiten politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen und zu der Vielfalt von Kunst und Kultur. Nur wer mehrdimensionales Wissen besitzt und über den Tellerrand schaut, kann sein Land nach außen öffnen und nach innen einen.

Die Afghanistan-Konferenz in London im Januar 2010 stellte wichtige Weichen: Bildung und Kultur in Afghanistan rücken noch weiter in den Fokus. Deutschland nimmt hier eine Vorreiterrolle ein.

Wir setzen in der Bildung auf Kooperation. In einem Land, in dem seit vielen Jahren gewalttätige Konflikte herrschen, müssen wir an Schulen und Universitäten Grundlagen schaffen für Entwicklung ohne Gewalt. Wir erarbeiten gemeinsam Lehrpläne, bilden afghanische Lehrer fort und bringen behutsam moderne Lehrkonzepte in das afghanische Bildungssystem ein, damit es Anschluss an die internationale Entwicklung finden kann. Seit der Herrschaft der Taliban hat der Alltag an an afghanischen Schulen und Universitäten gewaltige Veränderungen erfahren. Friedenspädagogik und Traumaarbeit sind Teil der Lehrerausbildung geworden. Weiterhin bauen und unterstützen wir spezielle Modellschulen. Mit Hilfe deutscher Experten erproben dort afghanische Nachwuchslehrer ihr an der Hochschule erworbenes Wissen in der Praxis. Durch diese langfristigen Partnerschaften stärken und verbessern wir das afghanische Schulsystem.

Rund 1600 junge Menschen aus Afghanistan konnten seit 2002 mit einem Stipendium nach Deutschland eingeladen werden. Der akademische Aufbau reicht von Kursen zur Weiterbildung afghanischer Dozenten bis hin zur Gründung ganzer Fakultäten. Besonders positiv ist, dass der Frauenanteil in Studium und Lehre inzwischen immerhin 20 Prozent beträgt – unter den Taliban gab es keine einzige Studentin oder Dozentin an afghanischen Universitäten.

Jüngste Umfragen zeigen: Unser Engagement wirkt! Über 70 Prozent der Afghanen blicken optimistisch in die Zukunft, ebenso viele Menschen bewerten die Schulversorgung in ihrem Umfeld positiv. Die klare Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich, dass Mädchen die Schule besuchen können. Die Hoffnungen dieser Menschen ruhen auf uns, denn es wird noch lange dauern, bis sie ihre Träume aus eigener Kraft werden umsetzen können.

Deutschland wird bis 2010 fast 1,6 Milliarden Euro für den zivilen Wiederaufbau in Afghanistan bereitgestellt haben. Wichtigen Anteil daran haben Investitionen in Kultur und Bildung mit über 110 Millionen Euro.

Das ist viel Geld. Aber wir wissen, dass viele Konflikte weltweit auch religiösen und kulturellen Nährboden haben. Hier müssen wir ansetzen, deshalb ist unser Geld für vielfältige, möglichst universelle Bildung in Afghanistan gut angelegt. Das Land braucht militärische Sicherheit; es braucht aber auch Bildung und zivile internationale Partnerschaften, um möglichst bald auf eigenen Beinen stehen zu können. Unsere Bildungs- und Kulturpolitik bietet den Menschen in Krisen und Konflikten somit eine friedliche Perspektive – nicht nur in Afghanistan – und wirkt zeitlich und räumlich weit über unsere Präsenz vor Ort hinaus.

Abgedruckt in der FAZ vom 15.03.2010

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