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Interview: Westerwelle in der argentinischen Tageszeitung „La Nación“
Welchen Platz nimmt Argentinien unter den politischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland ein?
Einen sehr wichtigen! Wir wollen die Beziehungen zu Argentinien und anderen Partnern in Lateinamerika mit hoher Priorität ausbauen – deshalb besuche ich Ihr Land. Wir haben gemeinsame Werte und Interessen, uns verbindet ein enges kulturelles und historisches Band. Deshalb sind wir natürliche Verbündete und Partner bei der Gestaltung der globalen Ordnung. Gemeinsame Herausforderungen gibt es ja genug: Die Wirtschafts- und Finanzkrise, Klimawandel, aber auch Fragen wie Abrüstung oder Terrorbekämpfung. Auf all diese Themen müssen wir gemeinsame Antworten finden.
Wie würden Sie die bilateralen Beziehungen bezeichnen und aus welchem Grund?
Deutschland und Argentinien sind enge Partner, wir blicken auf mehr als 150 Jahre freundschaftlicher Beziehungen zurück. Das schafft eine ganz besondere Verbindung. Um es konkret zu machen: Denken Sie an die starken Wirtschaftsbeziehungen, an die umfassende Kooperation im Bereich von Wissenschaft und Hochschulen. Daran will ich mit meinem Besuch anknüpfen.
Argentinien hat mehrmals sein Interesse geäußert, die Schulden mit dem Pariser Club begleichen zu wollen, hat aber noch nicht die Zahlungen begonnen. Betrachtet die Bundesrepublik Deutschland die Bezahlung der Schulden dem Pariser Club gegenüber als relevant? Welche Wirkung hätte die Schuldenbegleichung auf deutsche Investitionen in Argentinien?
Natürlich ist das ein wichtiges Thema. Die argentinische Regierung hat im Jahr 2008 angekündigt, ihre Schulden Schritt für Schritt zu begleichen. Wir setzen darauf, dass es in dieser Frage weitere Fortschritte gibt.
Vom deutschen Standpunkt aus gesehen bietet Argentinien heute genügend Sicherheit für die Durchführung von Geschäften? Würde die Bundesregierung deutsche Unternehmer ermutigen, in Argentinien Investitionen zu tätigen?
Argentinien ist für deutsche Firmen als Absatzmarkt wie als Produktionsstandort sehr interessant. Ihr Land hat sich von der internationalen Wirtschaftskrise rasch erholt, die Arbeitskräfte sind gut ausgebildet, nicht zu vergessen die Wachstumsperspektive des Mercosur-Marktes. Potential sehe ich auch im Bereich der erneuerbaren Energien. Natürlich ist auch klar, dass Fortschritte in der Schuldenfrage deutschen Unternehmen den Einstieg sicher erleichtern würden.
Welcher Ländergruppe wird Argentinien bei der Betrachtung der Konstellation der südamerikanischen Regierungen zugeordnet? Wird die argentinische Regierung mit den Regierungen von Brasilien, Uruguay und Chile gleichgestellt oder eher mit Venezuela und Bolivien verglichen?
Ich halte wenig davon, die Beziehungen zwischen Deutschland und Argentinien irgendeinem Vergleichsmaßstab zu unterziehen. Das würde der besonderen Qualität unserer Beziehungen nicht gerecht.
In der globalen Perspektive wird 2010 von den Industrieländern allgemein positiv für das Wirtschaftswachstum eingeschätzt; es besteht der Eindruck, dass die schlimmste Phase der Krise überwunden wurde. Stimmt Deutschland dieser Einschätzung zu?
In Europa, speziell den Mitgliedern der Euro-Währungszone, sind wir in der Tat dieser Meinung. Gleichwohl müssen wir im Umgang mit den Folgen der Krise weiter wachsam sein. Die Europäische Zentralbank sagt für den Euro-Raum in diesem Jahr ein Wachstum voraus, wenngleich auch ein verhaltenes. Jetzt müssen wir – national wie international – alles tun, dass sich dieses Wachstum verstetigt.
Welches ist die Einstellung der Bundesrepublik Deutschland als Mitglied der G-20 bezüglich der Rolle der Entwicklungsländer zur Überwindung der Krise?
Die G20 haben in der Krise gut funktioniert. Es ist gut, dass bei den G20 wichtige Schwellenländer und Vertreter der Entwicklungsländer dabei sind. Globalisierung heißt, dass alle Länder – arm oder reich – Verantwortung tragen – jedes gemäß seiner Leistungskraft.
Stimmt die Bundesrepublik Deutschland dem Vorschlag der Neuformulierung der multilateralen Kreditinstitutionen für eine größere Einflussnahme der kleineren Ländern auf den Beschlussfassungsprozess zu?
Die Bundesregierung unterstützt die laufenden Reformen des Internationalen Währungsfonds und der multilateralen Entwicklungsbanken. Wir sind sehr dafür, Stimme und Repräsentation der Entwicklungsländer, die bisher nicht angemessen vertreten sind, zu verbessern.Klar ist aber auch: Stimme und Repräsentation hängen natürlich auch von der Bereitschaft und Fähigkeit ab, in der jeweiligen Finanzinstitution Verantwortung zu übernehmen.
Welche Möglichkeiten sieht Deutschland, um die auf Eis liegenden Verhandlungen zum Freihandelsabkommen zwischen Mercosur und EU in 2010 wieder in Gang zu bekommen? Wäre Europa für eine Öffnung des Marktzugangs in der Region bereit zu Zugeständnissen im Bereich der Landwirtschaft?
Wir wollen ein ambitioniertes und ausgewogenes Freihandelsabkommen mit dem Mercosur. Es gibt allerdings auch eine wichtige Verbindung zwischen dem Abkommen und der Doha-Runde, durch die der Handel weltweit profitieren soll. Wir wollen einen Erfolg der Doha-Runde. Deshalb ist die EU für einen Abschluss in Vorleistung getreten und hat erhebliche Anstrengungen für einen verbesserten Marktzugang landwirtschaftlicher Produkte unternommen. Jetzt brauchen wir auch Bewegung auf der anderen Seite. Fortschritte bei Doha würden sicherlich auch die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen zwischen EU und Mercosur voranbringen.
Im Vertrag von Lissabon, der als neue Verfassung der Europäischen Union gilt, sind die Falkland- Inseln („Malvinas“) als britisches überseeisches Hoheitsgebiet enthalten, obwohl bezüglich dieses Gebiets ein Souveränitätsstreit mit Großbritannien besteht. Wie beurteilt die Bundesrepublik Deutschland diese Entscheidung?
Ich kann dazu nur sagen: Der Vertrag von Lissabon, der von allen 27 Mitgliedsstaaten ratifiziert wurde, hat in diesem Punkt keine Änderungen zur bisherigen Vertragslage gebracht. Im Übrigen müssen Lösungen in dieser Frage im direkten Dialog gesucht werden.