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Rede von Staatsminister Gernot Erler bei der Konferenz „Rechtsstaat - Eckstein der Entwicklung“, 27. November 2008

27.11.2008 - Rede

-- Es gilt das gesprochene Wort! --

Frau Ministerin, meine Herren Minister,
lieber Botschafter Morel,
Exzellenzen,
meine Damen und Herren,

ich freue mich sehr, Sie im Namen Deutschlands zur heutigen Konferenz willkommen heißen zu dürfen. Gemeinsam mit unseren französischen Freunden haben wir die Aufgabe übernommen, die Rechtsstaatsinitiative der Europäischen Union zu koordinieren; und es ist ein schönes Symbol, dass wir Sie zu dieser Konferenz gemeinsam mit dem Ratsvorsitz Frankreich als deutsch-französisches Tandem einladen können. Dies wäre nicht möglich gewesen ohne die Unterstützung der Europäischen Kommission, für die wir sehr dankbar sind.

Im Juni des vergangenen Jahres, am letzten Tag der deutschen EU-Präsidentschaft, haben wir in Berlin in Anwesenheit der zentralasiatischen Außenminister die „Strategie der Europäischen Union für eine neue Partnerschaft mit Zentralasien“ sozusagen gemeinsam aus der Taufe gehoben. Heute, nach nur anderthalb Jahren, können wir mit Stolz feststellen: das Kind ist gewachsen und hat laufen gelernt. Die Beziehungen zwischen der EU und den Ländern Zentralasiens haben sich auf allen Ebenen sichtbar intensiviert. Zahlreiche hochrangige Besuche, Konferenzen, Begegnungen haben uns einander näher gebracht. Neue gemeinsame Projekte sind auf dem Weg. Und was mir besonders wichtig ist: Das Bewusstsein ist gewachsen, dass beide Regionen - die EU einerseits und die fünf Länder Zentralasiens andererseits - mehr erreichen können, wenn sie in ihren Beziehungen als Regionen zusammenarbeiten, als wenn sie dies nur bilateral zwischen einzelnen Staaten tun.

Der Zweck der Zentralasienstrategie war es, Leitlinien und Schwerpunkte unserer künftigen Zusammenarbeit festzulegen. Zwei dieser Schwerpunkte schienen uns dabei so wichtig, dass wir eine besondere Initiative für sie entwickeln wollten: einerseits die Zusammenarbeit im Bereich der Bildung, andererseits im Bereich des Rechtsstaates. Warum gerade Rechtsstaatlichkeit? Ich denke, hierfür gibt es zwei wesentliche Gründe.

Erstens: Ein funktionierender Rechtsstaat ist die unabdingbare Voraussetzung für unsere Zusammenarbeit in allen anderen Bereichen. Denken Sie an den Handelsaustausch, an Investitionen im Energiebereich, an unseren Dialog zur Stärkung von Demokratie und Menschenrechten: Nichts davon ist möglich ohne einen stabilen rechtlichen Rahmen, eine verlässliche staatliche Verwaltung und die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen vor Gerichten, die professionell und unabhängig entscheiden. Rechtsstaatlichkeit und gute Regierungsführung sind damit letztlich entscheidend für die Schaffung besserer Lebensbedingungen vor dem Hintergrund einer sich globalisierenden Weltwirtschaft. Der Rechtsstaat ist ein Eckstein der Entwicklung.

Zweitens: Europa hat gerade auf diesem Gebiet für Zentralasien mehr anzubieten als wahrscheinlich jeder andere Partner. Die Europäische Union ist - und das lässt sich wohl nirgends besser erleben als in Brüssel - heute eine hochkomplexe Institution, die in fast allen Lebensbereichen aktiv ist. Aber im Kern zusammengehalten wird sie von einer einfachen Idee: einem gemeinsamen Raum des Rechts. Diese Idee hat uns in Europa Frieden, Stabilität und wirtschaftliches Wachstum gebracht.

Die Rechtssysteme in Zentralasien und Europa gründen sich auf dieselben juristischen Traditionen, die auch die deutsche Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts maßgeblich mitgestaltet hat. Europäische Experten arbeiten bereits seit über einem Jahrzehnt mit ihren zentralasiatischen Kollegen zusammen. Hier ist, meine ich, ein besonderes Vertrauensverhältnis entstanden, auf das wir aufbauen können. Das Vertrauen darauf, dass keiner der Partner „versteckte“ Ziele verfolgt, sondern dass es beiden um praktische Ergebnisse geht, ist entscheidend für den Erfolg der Zusammenarbeit in einem Bereich, der so eng mit der Souveränität eines Staates verbunden ist, wie seine Rechtsordnung und Verwaltung.

Wir wollen heute gemeinsam den Startschuss für die Rechtsstaatsinitiative der Europäischen Union für Zentralasien geben. Diese Initiative soll einen Rahmen bilden für die regionalen und bilateralen Projekte der Europäischen Kommission und der Mitgliedsstaaten; sie soll sie in einen kontinuierlichen politischen Dialog einbetten und gleichzeitig unsere konkrete Zusammenarbeit verstärken.

Die Themen, die Sie heute diskutieren werden, geben Beispiele für die Chancen: Unsere Verfassungsgerichte können direkte Kontakte miteinander aufnehmen und Erfahrungen austauschen; wir können gemeinsam daran arbeiten, das Ausbildungssystem für Juristen in Zentralasien zu modernisieren, und Studenten und Dozenten die Möglichkeit zu geben, in der jeweils anderen Region zu lernen und zu unterrichten; Europa kann bei der Weiterentwicklung des Strafverfahrensrechts nach internationalen Standards in Zentralasien seine Beratung anbieten.

Diese Themen, die wir für die heutige Konferenz ausgesucht haben, sind aber nur Beispiele: Das Spektrum einer intensivierten rechtlichen Zusammenarbeit umfasst ebenso das Wirtschaftsrecht, das Verwaltungsrecht und viele andere Bereiche. Entscheidend ist dabei, dass die Europäische Union hierbei nicht einseitig die Prioritäten vorgibt, sondern an den eigenen Reformplänen und Bedürfnissen der Staaten Zentralasiens anknüpft. Im Vordergrund sollen dabei solche Projekte stehen, die gleichermaßen allen fünf Republiken zugute kommen und damit die regionale Zusammenarbeit fördern: Die rechtliche Bewältigung zum Beispiel der Migration oder von Umweltrisiken kann nur in gemeinsamer Anstrengung aller fünf Länder gelingen. Eine wichtige Rolle können dabei die OSZE wie auch der Europarat spielen. Dabei wird es darauf ankommen, dass die rechtliche Expertise, die ODIHR und die Venedig-Kommission kostenlos zur Verfügung stellen, von den zentralasiatischen Gesetzgebern nicht nur angefordert, sondern auch genutzt wird.

Deutschland steht bereit, einen zentralen Beitrag zur Rechtsstaatsinitiative der EU zu leisten. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unterstützt die zentralasiatischen Staaten bereits seit über zehn Jahren bei Rechts- und Justizreformen. Allein seit 2002 wurden 9,5 Millionen Euro für dieses über die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) durchgeführte Programm eingesetzt. Im letzten Jahr konnte hierfür ein eigenes Regionalbüro in Taschkent eröffnet werden. Weitere Projekte sind geplant. Mit der Stiftung für Internationale rechtliche Zusammenarbeit (IRZ) steht eine weitere erfahrene deutsche Institution zur Verfügung, die in Zusammenarbeit mit dem Bundesjustizministerium ein stärkeres Engagement in Zentralasien prüft. Besonders freut es mich, Ihnen heute mitteilen zu können, dass mein Ministerium, das Auswärtige Amt, beabsichtigt ein Programm der Venedig-Kommission zur Umsetzung völkerrechtlicher Standards in allen fünf Ländern Zentralasiens zu finanzieren.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Wunsch aussprechen: Nutzen wir die Gelegenheit, die uns diese Konferenz bietet, nicht nur zu Präsentationen, sondern zu einer echten

Diskussion darüber, wie die Europäische Union und die Länder Zentralasiens bei der Stärkung des Rechtsstaates zusammenarbeiten können, und was von beiden Seiten dafür getan werden muss. Meine Hoffnung ist, dass sich schon hier in Brüssel konkrete Prioritäten und Vorhaben für die nächste Zeit herauskristallisieren, so dass wir rasch an die Umsetzung gehen können.

Ich bin überzeugt: Die Rechtsstaatsinitiative der Europäischen Union für Zentralasien wird zu einem wesentlichen Baustein, einem Eckstein für eine echte Partnerschaft zwischen Europa und Zentralasien werden. In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine interessante und fruchtbare Konferenz.

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