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Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier beim Fundraising Dinner der Georg-August Universität Göttingen
Sehr geehrter Herr Präsident von Figura,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Meyer,
lieber Thomas Oppermann,
sehr geehrte Damen und Herren!
Für die Einladung, heute sozusagen nach Vorlesungsende zu Ihnen sprechen zu dürfen, danke ich sehr!
Doch ich fürchte, ich muss meinen heutigen Vortrag mit einem Geständnis beginnen: Der ein oder andere von Ihnen wird vielleicht gekommen sein, weil er in der Zeitung gelesen hat, ich hätte in Göttingen studiert.
So schön das sicherlich gewesen wäre – auch hier stimmt nicht alles, was in der Zeitung steht.
Mein erster Flirt mit der Gänseliesl hat erst in den frühen 90ern stattgefunden und bei genauerer Betrachtung war es auch keine Liesl, sondern Rudolf von Thadden und Ihr damaliger Präsident Professor Schreiber. Und es war auch kein akademisches Kamingespräch, sondern tagelanges hartes Ringen um die Finanzausstattung der Göttinger Uni. Das Thema hat uns durch die Amtszeit von Horst Kern begleitet, aber auch damals schon mit Professor von Figura zusammengeführt – zu Zeiten, als wir wieder nach vorne denken und gemeinsam die Weichen für den Neubau der Biochemie stellen konnten.
Ich freue mich, aus der Zeit all diejenigen wiederzutreffen, die damals hilfreich waren, Andreas Büchting, Prof. Timm uva. Ich habe mich auf diesen Abend wirklich gefreut; ich fühl mich hier nach wie vor zu Hause und der Stadt und der Universität verbunden. Also: trotz guter Erinnerungen und vielfältiger Verbindungen: studiert habe ich hier nicht! Gleichwohl: Unter all den Falschmeldungen, die schon über mich geschrieben worden sind, ist mir diese die liebste. Deshalb hab ich sie auch noch nie förmlich dementieren lassen.
Über Außenpolitik soll ich ein paar Worte sagen: Vielleicht wird dem ein oder anderen hier im Saal aufgefallen sein, dass ich kürzlich als Aufgabe der Außenpolitik am beginnenden 21. Jahrhundert nichts Geringeres als die „Neuvermessung der Welt“ beschrieben habe. Und auch das hat einen ganz eigenen Bezug zu Göttingen!
Eine der schönsten Aufgabenbeschreibungen hat dazu Daniel Kehlmann für den berühmtesten Göttinger Landvermesser und Professor dieser Universität, für Carl Friedrich Gauß gezeichnet, aber natürlich den Berliner Landvermesser - Alexander von Humboldt meine ich - gleich mit gemeint. Diese Aufgabenbeschreibung lautet, ich zitiere sinngemäß:
Mit Maßband, Sextant und Theodolit in lehmigen Stiefeln Methoden finden, um Unheil zu vermeiden.
Ich gebe zu: die Instrumente der Außenpolitik oder der Politik allgemein sind andere als Maßband und Sextant. Was nicht heißen soll, dass sie genauer sind. Aber die Aufgabe, Unheil zu verhindern, und die lehmigen Stiefel, zutreffender: die vom afghanischen, kaukasischen und zuletzt arabischen Staub und Sand stumpfen Schuhe, sind geblieben. Lassen Sie mich das an den letzten drei-vier Tagen verdeutlichen:
Losgefahren bin ich vergangenen Montag Abend in Berlin unmittelbar nachdem ich gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister unsere Vorschläge für mehr Transparenz und Stabilität auf den Finanzmärkten vorgestellt hatten. So stand auch meine Reise ganz unter dem Vorzeichen der aktuellen Krise und der Notwendigkeit; das, was wir zu Hause tun, zu ergänzen durch internationale Aktivitäten.
Meine erste Station führte mich nach Pakistan, das sechstgrößte Land der Erde, Atommacht und Schlüsselland für Stabilität in der Krisenregion des Nahen Ostens. Ein Land, das vor dem Ruin steht, das in den Abgrund schaut, in dem sich aber der ein oder andere Politiker noch weigert, das Rettungsseil internationaler Hilfe zu ergreifen, aus Furcht, daran keine „bella figura“ zu machen.
Wir kennen diese Reaktion, die Sorge um die Haltungsnoten am Rettungsseil ja von anderen Berufsgruppen ganz aktuell auch hier in Deutschland. Das macht es aber nicht besser, weder hier noch im internationalen Rahmen.
Ich habe dann jedenfalls in Pakistan im Grunde nichts anderes gemacht wir hier in Deutschland tun: nämlich dafür geworben, das Rettungsseil zu ergreifen.
Nicht auf die Haltungsnoten zu achten, sondern Haltung zu zeigen.
Und ich bin mit dem Eindruck, dass das nicht ganz vergeblich war, weiter nach Riad gefahren, um dort für die Verankerung des Rettungsseiles zu werben. Mit anderen Worten: Saudi-Arabien für die Unterstützung einer internationalen Rettungsaktion zu gewinnen.
Das war, lassen Sie mich das vorsichtig formulieren, nicht ganz folgenlos. Jedenfalls hat Riad zum ersten Mal angekündigt, sich am nächsten Treffen der von uns initiierten Freundesgruppe für Pakistan zu beteiligen. Das war noch keine Zusage für finanzielle Hilfe, aber die Zusage der Anwesenheit verpflichtet ja auch schon! Das wissen die bei einem Stiftungsdinner Anwesenden selbst am besten!
Letzte Station, von der aus ich heute Nacht zurück gekommen bin, waren die Vereinigten Arabischen Emirate. Sicher der dynamischste, finanzstärkste und selbstbewussteste Partner in der arabischen Welt. Aber gleichzeitig ein Partner, der sich nicht hinter Religion und Tradition verschanzt, sondern offen für Austausch mit dem Westen wie mit Asien optiert. Kein Zufall, dass die VAE sich unseren Anliegen bei der Suche nach Wegen aus der aktuellen Krise nicht verschließen, aber ebenso bestimmt einfordern, dass die Neuordnung der Finanzmärkte, die Schaffung neuer Regeln künftig nicht mehr Angelegenheit allein des Westens sein kann! Vielmehr nicht ohne sie und erst recht nicht gegen sie zustande kommen kann! Diese Erfahrung ist fast exemplarisch. Sie zeigt, was sich verändert hat im Zuge von Globalisierung und seit Eintritt der Finanzmarktkrise noch beschleunigt hat:
Der kalte Krieg ist vorbei, die Blockkonfrontation beendet und mit ihr die zynischen Gewissheit der Zweiteilung der Welt. So froh wir sind, dass diese „Ordnung“ ein Ende gefunden hat, untergegangen ist, so wenig ist die erhoffte Friedensdividende eingetreten, so wenig ist eine neue Ordnung erkennbar. Im Gegenteil: Die Welt sucht nach neuer Ordnung und wir brauchten sie dringender denn je.
Denn was bei Finanzmärkten offenbar geworden ist, stimmt ja schon länger für andere Felder: Klimaschutz, Ressourcenschutz, Energie - all das sind Chiffren für Herausforderungen, die sich der Logik der klassischer Machtpolitik entziehen und die eine neue globale Ordnung benötigen.
Mit anderen Worten: das 21. Jahrhundert ist das erste wirklich globale Jahrhundert! Denn die gemeinsamen Probleme erfordern gemeinsame Lösungen. Entweder wir finden diese gemeinsamen Lösungen oder aber wir scheitern gemeinsam!
Ich plädiere dafür, die richtigen Lehren aus dieser Erkenntnis zu ziehen: Denn wenn das richtig ist, dann müssen wir uns auch selbst neu einordnen, respektieren, dass mit der Globalisierung neue Kraftzentren wie China, Indien, Russland, die Golfstaaten entstanden sind. Und wir stellen zugleich fest: diese Veränderung bildet sich in den klassischen Formaten der internationalen Zusammenarbeit nicht ab. Damit wird es aber immer schwieriger, Akzeptanz zu organisieren!
Deswegen sind nach meiner Auffassung zwei Aspekte wesentlich: Wir Europäer müssen bereit und willens sein, die internationale Architektur dem Gewicht und dem Einfluss der neuen global player anzupassen. Die überkommenen G7 oder G8-Formate werden nicht ausreichend sein. Sondern in meinen Augen wird das Treffen der G20 hier einen ganz wesentlichen Schritt darstellen.
In dieser Zusammenarbeit, das ist der zweite Punkt, müssen diese Staaten aber auch eine neue Art der Verantwortung übernehmen und ein größeres Engagement für die Regelung internationaler Krisen und Konflikte an den Tag legen.
Vielleicht gelingt uns das am Beispiel der internationalen Neuordnung der Finanzmärkte. Dann und nur dann hätte diese Krise auch Positives bewirkt.
Aber im Kern rede ich nicht über Finanzmärkte, sondern was die anspruchsvolle Aufgabe für Außenpolitik der nächsten Jahre sein wird: ist die Schaffung einer neuen Architektur der Verantwortung; die Herausbildung einer Verantwortungsgemeinschaft für all die Fragen, die sich nationaler Regelung und Lösung entziehen. Beispiele habe ich genannt: Iran, Nahost, Kaukasus!
Das verlangt Vernunft! Das verlangt Verzicht, etwa auf Sonderrechte! Das verlangt Respektierung von Regeln!
Es erfordert Geduld und es erfordert Einübung – im Großen wie im Kleinen!
Eines der schönsten Beispiele, wie dieses Einüben im Kleinen geschieht, habe ich deshalb auch während meiner Reise in dieser Woche besucht: Dank der mehr als großzügigen Unterstützung des Herrscherhauses der VAE konnten wir nämlich in den letzten Jahren aus unserer kleinen deutschen Schule in Abu Dhabi die größte deutsche internationale Begegnungsschule der Region entstehen lassen. 250 Kinder aus 11 Nationen lernen dort gemeinsam. Viele davon, so hoffen wir, werden anschließend in Deutschland studieren und ihren beruflichen Lebensweg in enger Verbundenheit mit unserem Land fortsetzen.
Deutsche Schulen wie die in Mexico-City, Jakarta, Abu Dhabi – um nur einige zu nennen – sind Leuchttürme unserer interkulturellen Anstrengungen. Wir sind gerade dabei das weltweite Netz deutscher Schulen, Begegnungs- und Partnerschulen von 400 auf 1000 anwachsen zu lassen. 800 sind es inzwischen!
Ich finde, genau hier, in der Internationalisierung unserer Bildung und Ausbildung, in der gelebten Weltoffenheit und Weltzugewandtheit liegt eine der größten Aufgaben für unser Land.
Auch deshalb, weil wir nicht mehr in einer Welt leben, in der westliche oder europäische Gesellschaftsbilder als Fluchtpunkt einer Entwicklung galten. Das ist vor allem den veränderten Gewichten in der Welt geschuldet. Nicht nur wirtschaftlich treten andere Regionen und Kulturen in eine selbstbewusstere Konkurrenz zu uns- sondern eben auch politisch und kulturell! Manche scheinen dabei in panikartige Abgrenzungsreflexe zu verfallen. Das ist nicht mein Rat.
Sondern wir müssen stärker als jemals zuvor uns anstrengen, unsere Haltungen, Einstellungen und Sichtweisen verständlich und anschlussfähig zu machen, wenn wir von unseren Partnern in der Welt gehört und verstanden werden wollen. Dazu werden klassische Instrumente der Außenpolitik, diplomatische Kunstfertigkeit nicht ausreichen, kaum taugen, jedenfalls nicht ausreichen!
Und das geht nun einmal am besten und am natürlichsten durch Bildung und Kultur. Wir haben deswegen vor drei Jahren begonnen, diesen Bereich zu modernisieren und den veränderten Aufgaben anzupassen. Die Reform und der Neuaufbau des Goethe-Institutes, die Erweiterung deutscher Sprachangebote und unserer Partnerschulen im Ausland waren bislang die Schwerpunkte.
Im nächsten Jahr möchten wir diese Anstrengungen in den Bereich von Wissenschaft und Forschung verlängern, sozusagen vom Wurzelwerk der Spracharbeit zu den feinen Ästen der Wissenschaft gelangen.
Denn unsere Partner im Ausland sind mehr als nur interessiert an der Zusammenarbeit mit deutschen Schulen und Hochschulen.
Sie kennen das alle sehr gut. Denn ihre Universität hat ja diese Nachfrage früher als manche andere erkannt. „Göttingen International“ ist ja fast so etwas wie ein Synonym für erfolgreiches Werben um internationale Studierende und Wissenschaftler geworden.
Die deutsche Außenpolitik will diesen Weg der Internationalisierung der deutschen Wissenschaft befördern. Daher haben wir unter dem Oberbegriff der „Außenwissenschaftspolitik“ ein Programm aufgelegt, für das wir zur Zeit in den Haushaltsgesprächen mit dem Deutschen Bundestag werben und mit dem wir ab dem nächsten Jahr in drei ganz wesentlichen Bereichen mehr leisten wollen:
1. Zu den genannten Bildungsbrücken, den deutschen Schulen und der Internationalisierung unserer Universitäten bis hin zu Einzelprojekten wie der deutsch-türkischen Universität wollen wir die Anreize für einen Studien- und Forschungsaufenthalt Einzelner steigern. Mit weiteren und vor allem attraktiveren Stipendien wollen wir mehr Bildungsbrücken nach Deutschland schlagen sowie Qualität im Nachwuchs gewinnen und fördern. Und zugleich mit „Exzellenzzentren“ deutscher Hochschulen mit ausländischen Partnerinstituten gemeinsame Spitzenforschung und Nachwuchsentwicklung unterstützen und die Kooperationsmöglichkeiten deutscher Universitäten erweitern.
2. In „deutschen Wissenschaftshäusern“ wollen wir die Vernetzung von Wissenschaft und Forschung mit Politik und Wirtschaft nach vorne bringen. Wir wollen für Deutschland als Standort von Wissenschaft und Forschung werben und gemeinsam mit dem BMBF und den deutschen Wissenschafts- und Forschungsorganisationen mehr und bessere Kooperationsmöglichkeiten anbieten. Tokio, Neu Delhi und Moskau sind als erste Standorte geplant, aber wir wollen auch in anderen Regionen der Erde – dem amerikanischen Kontinent etwa – präsenter werden.
Man könnte fast meinen, auch hier hätte Göttingen mit seinem „Göttingen Research Council“ Pate gestanden. Jedenfalls teilen wir das gleiche Ziel: wir wollen die traditionelle Versäulung in universitäre und nicht-universitäre Bereiche aufbrechen, die unseren Innovationsstandort hemmt.
Diese Anstrengungen für die Öffnung und Modernisierung sozusagen nach Außen sind aber nur die eine Seite der Medaille. Sie müssen ergänzt werden durch die Öffnung und Modernisierung unserer Gesellschaft nach Innen.
Das schließt eigene Anstrengungen ausdrücklich mit ein. Sie haben diese bereits 2003 unternommen. Die Universität Göttingen zählt zu den Stiftungsuniversitäten der ersten Stunde. (…)
Und auch wenn ich anderen Stiftungsuniversitäten nicht versprechen kann, auch bei ihnen zu Veranstaltungen wie der heutigen zu kommen: Ich will diesen Modernisierungsprozess über Göttingen hinaus gerne weiter unterstützen.
Und ich darf die hier Anwesenden ermuntern, es an ihrer Unterstützung ebenfalls nicht mangeln zu lassen!
Doch mit diesen strukturellen Verbesserungen durch die Universitäten und ihre Freunde und Förderer ist es nicht getan. Wir benötigen zugleich neue gesellschaftliche Anstrengungen.
Bildung ist nicht nur im Ausland, sondern auch und gerade bei uns in Deutschland die entscheidende Ressource, um Freiheit und Verantwortung zu lernen, um Berufs- und Entfaltungschancen zu schaffen, sozialen Aufstieg und nicht zuletzt gelungene Integration zu ermöglichen.
Wir brauchen einen ähnlichen Schub der Öffnung, wie wir ihn in den 70er Jahren erlebt haben. Ich selbst verdanke der damaligen Öffnung, die ja geradezu eine Zeitenwende in der Bildungspolitik und in der Bundesrepublik war, sehr viel. Ich war der Erste in meiner Familie, der Abitur machen durfte, einer der ersten sogar im ganzen Dorf. Aufstieg durch Bildung war zu dieser Zeit eine wirkliche Errungenschaft, von der weite Teile der Gesellschaft profitieren konnten.
Das hatte etwas mit intellektueller Öffnung der Gesellschaft zu tun, aber auch etwas damit, dass materielle Ängste genommen wurden. Ohne Bafög hätte ich nicht studieren können und wenn wir die Ergebnisse zum Beispiel des Hochschulinformationssystems Hannover in der letzten Woche anschauen, dann sollten wir noch einmal nachdenken, wie wir die materiellen Ängste heute nehmen können.
Das sind die Felder, auf denen sich in meinen Augen die Politik zu beweisen hat. Sie wird diese Aufgaben aber nicht alleine meistern können, sondern sie bedarf dabei des Rates, ausdrücklich des Rates und der Kritik aus der Wissenschaft. Die Universität Göttingen kann hier als von Anfang an und im besten Sinne aufklärerisches Projekt auf eine große Tradition blicken. Von den Göttinger Sieben bis zu den Göttinger 18 und aktuellen Stellungnahmen aus dem Kreis der Gelehrten. Ich möchte Sie zum Abschluss bitten: halten Sie an dieser Tradition fest!
Vielen Dank!