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Laudatio von Außenminister Frank-Walter Steinmeier anlässlich der Verleihung des „Preises des Westfälischen Friedens“ an S.E. Kofi A. Annan

11.10.2008 - Rede

- es gilt das gesprochene Wort -

Lieber Kofi Annan,

Eure Seligkeit Gregorius III.,

sehr geehrte Frau Ministerin,

meine Damen und Herren Abgeordnete,

Exzellenzen,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

Ich habe viele Gründe, dankbar zu sein für diese Einladung.

Den ersten konnten Sie nicht ahnen. Das ist meine alte Liebe zur Rechts- und Verfassungsgeschichte. Leider komme ich nicht mehr so sehr dazu, dieser Neigung nachzugehen. Aber meine Erinnerung reicht aus, um zu wissen, dass in den dickleibigen Bänden zur Rechtsgeschichte der Abschnitt Völkerrecht zu den jüngeren Teilen gehört. Vielleicht wäre er nie geschrieben worden ohne jenes diplomatische Meisterwerk, an das wir heute auch erinnern. Der Westfälische Frieden von 1648 ist nicht nur der Nukleus des modernen Völkerrechts, vielmehr eine Friedensordnung, die auch nach 360 Jahren seine Prägungen im Europa dieser Tage hinterlassen hat. Wie nachhaltig, das können Sie daran sehen, dass ich als Calvinist aus Lippe die Laudatio hier im katholischen Münster halte.

Zweitens freue ich mich, dass ich nach meinen Jahren in Niedersachsen und gelegentlichen Besuchen in Osnabrück auch den Friedenssaal in Münster zu sehen bekomme.

Drittens – und das ist der wichtigste Dank – danke ich Ihnen für die Entscheidung über den diesjährigen Preisträger. Sie würdigen nicht nur einen persönlichen Freund und wunderbaren Menschen. Sie würdigen einen der herausragenden Diplomaten unserer Zeit, den Friedensnobelpreisträger und langjährigen Generalsekretär der Vereinten Nationen Kofi Annan.

Ich hätte mir keinen würdigeren Preisträger für den Westfälischen Friedenspreis vorstellen können.

Am Ende des Dreißigjährigen Krieges wurde Europa neu vermessen. Der Frieden von Münster und Osnabrück bedeutete einen epochalen Einschnitt für Deutschland, für ganz Europa. Nach dreißig Jahren der Selbstzerfleischung schuf er die staatlichen und zwischenstaatlichen Voraussetzungen für religiöse Toleranz, beseitigte damit einen der zentralen Auslöser für die Gewalt, die Europa seit der Reformation heimgesucht hatte. Und er stärkte die Idee des Völkerrechts als Grundlage der friedlichen Koexistenz gleichberechtigter Staaten. Damit war diese Friedensordnung wegweisend bis in unsere Zeit hinein.

Gerade weil wir Deutschen in unserer Geschichte uns nicht immer durch Förderung des Weltfriedens ausgezeichnet haben, bleibt dies unser herausragender Beitrag für die Geschichte des Völkerrechts. Und darauf sind wir auch ein bisschen stolz.

Auch wenn Geschichte sich nicht wiederholt: Wir können, ja wir müssen aus ihr lernen. Was also sind die entscheidenden Lektionen, die der Westfälische Frieden für uns bereit hält?

Erstens: Eine dauerhafte Friedensordnung muss die Wurzeln des Konflikts angehen, von harten politischen und ökonomischen Erwägungen bis hin zu eher „weichen“ Faktoren wie – in Münster und Osnabrück zentral – religiöser Toleranz.

Für uns heute bedeutet das, dass wir uns etwa auch um den Zugang zu Wasser und Ressourcen, um sanitäre Grundversorgung und die Folgen des Klimawandels kümmern müssen, wenn wir Konflikte lösen oder, besser noch, vermeiden wollen.

Zweitens: Nur wenn alle Parteien eingebunden werden, ist dauerhafter Frieden möglich, als Interessensausgleich, wie es der Westfälische Frieden vorgemacht hat. Die Situation im Nahen und Mittleren Osten, im Sudan und in Somalia erinnert uns täglich daran!

Auch heute wird die Welt neu vermessen, sucht sie nach einer neuen Ordnung. Es gilt, den Rückfall in altes Blockdenken, in Achsen und in Kategorien des „Ihr“ und „Wir“ zu verhindern. Die Ordnung des Westfälischen Friedens mit ihrer Betonung der souveränen Gleichheit aller Staaten hat eine Grundlage dafür geschaffen, dass wir heute weltumspannend zusammenarbeiten können. Wenn wir die vielfältigen Konflikte um Ressourcen, um den Zugang zu Nahrung, zu Wasser, zu Gesundheitsfürsorge lösen wollen, brauchen wir eine globale Verantwortungspartnerschaft, die alle einbindet.

Kein Name ist mit diesem Konzept und seiner Umsetzung enger verbunden als der von Kofi Annan. Immer sind Sie dem Leitsatz gefolgt, dass das Leiden von Menschen irgendwo auf der Welt uns alle und überall angeht. Ihr ganzes Lebenswerk steht für die Einsicht: Die globale Verantwortungspartnerschaft braucht wirklich globale Institutionen. Sie braucht die Vereinten Nationen.

Die Welt befindet sich mitten in einem Umbruch. Wir müssen diesem Umbruch mit handlungsfähigen Institutionen begegnen. Dazu gehören in erster Linie die Vereinten Nationen.

Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, müssen die Vereinten Nationen repräsentativer werden, sie müssen schneller werden und effizienter. Die Reform der Vereinten Nationen ist eine Herkulesaufgabe. Unser heutiger Preisträger Kofi Annan hat diesen Reformprozess in seiner Amtszeit als Generalsekretär der Vereinten Nationen trotz aller Widerstände mit Engagement und Herzblut vorangetrieben. Dafür gebührt ihm unser tief empfundener Dank

Es ist nicht einfach, eine Laudatio auf Kofi Annan zu halten. Denn schon die bloße Aufzählung seiner Verdienste bei der Bewältigung von Konflikten, vom ehemaligen Jugoslawien über den Irak bis nach Kenia, übersteigt die einem Laudator üblicherweise zugemessene Zeit. Ich möchte mich daher auf zwei Aspekte konzentrieren, die über die bloße Tagesaktualität hinaus gehen.

Geboren in Ghana, noch zu Zeiten britischer Kolonialherrschaft, über Studien in Komasi, Genf und Boston, dann als Mitarbeiter der WHO haben Sie schon lange vor Ihrer Zeit als Generalsekretär darauf hingewiesen, dass die Unordnung der Welt nicht zufällig über uns kommt. Missachtung der Menschenrechte, Mangel an Rechtsstaatlichkeit, korrupte Institutionen – das sind seit Menschengedenken existierende Grundübel, für deren Überwindung Sie sich besonders engagiert haben.

Ohne Respekt vor den Menschenrechten, ohne gute Regierungsführung und feste, rechtsstaatliche Institutionen kann es keine Sicherheit geben. Diesen Zusammenhang haben Sie früh betont. Und Sie haben hieraus an maßgeblicher Stelle das Konzept der Schutzverantwortung, der so genannten „responsibility to protect“ mit entwickelt.

Das war für Kofi Annan nie eine leere völkerrechtliche Hülse! Kofi Annan hat das immer auch ganz praktisch verstanden, weil er weiß, dass auch Verantwortung Voraussetzungen hat. In Afrika fehlt es überall an Kapazitäten und Fähigkeiten, um Schutz überhaupt zu gewährleisten. Kofi Annan hielt sich nicht mit der Theorie auf. Enstanden ist das Kofi Annan Peacebuilding Centre in seinem wunderschönen Land Ghana, in der quirligen Hauptstadt Accra. Dort werden afrikanische Soldaten und Polizisten aus ganz Afrika ausgebildet, um sie auf Friedenseinsätze – z.B. in Darfur oder Somalia – vorzubereiten. Auch das ist Kofi Annan, ein Mann der Tat!

Ein noch wunderbareres Anwendungsbeispiel für kreative und erfolgreiche Krisenbewältigung und -prävention haben Sie, lieber Kofi Annan, Anfang diesen Jahres mit Ihrem Einsatz in Kenia geliefert. Wir erinnern uns an die Gewaltausbrüche, die den Wahlen folgten. Kofi Annan wurde zu Hilfe gerufen, als andere Bemühungen gescheitert waren.

Für eine Woche haben Sie sich mit den Protagonisten der Konfliktparteien tief in den kenianischen Busch zurückgezogen – ohne Autos, ohne Berater, ohne Journalisten, ohne Handys. Man sagt, vor der Lodge, in der die Verhandlungen stattfanden, sollen Löwen gewacht haben. So war nicht einmal das Verlassen der Lodge möglich! Das Ergebnis war das erste Zustandekommen der ersten Großen Koalition in Afrika. Ich habe damals meinen Staatsminister im Auswärtigen Amt zu Ihnen geschickt, damit er die deutschen Erfahrungen mit der Großen Koalition mit Ihnen teilen konnte. Manchmal wünsche ich mir, er hätte ein paar Löwen für die Große Koalition mit zurück nach Deutschland gebracht.

Kofi Annan hat das getan, wozu ihm Nelson Mandela geraten hatte: Retire from retirement!

Frieden und Sicherheit zu wahren und zu schaffen auf der ganzen Welt: Dieser Aufgabe der Vereinten Nationen hat Kofi Annan sein Leben gewidmet. Hierfür gebührt Ihnen mein ganz persönlicher, aber auch unser aller Dank.

Lassen Sie mich aber auch der Jury und dem Kuratorium des Preises des Westfälischen Friedens zu Ihrer Wahl gratulieren: Eine solche Ehrung in Deutschland war geradezu überfällig.

Und es freut keinen mehr als ihn, diesen Preis im Kreise von Jugendlichen der „Malteserjugend“ entgegenzunehmen. Für diese Laudatio bin ich zwar nicht zuständig. Aber meinen Respekt und meinen Glückwunsch will ich auch Ihnen zurufen. Vielen Dank!

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