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Eröffnungsrede von Staatsminister Erler bei der Konferenz „The EU and the Western Balkans“ Berlin, 12.09.2008

12.09.2008 - Rede

- es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrter Herr Staatssekretär Šinkovec,
meine Damen und Herren Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,
Exzellenzen,
meine Damen und Herren,

ich begrüße Sie alle recht herzlich zu der Konferenz „Die Europäische Union und der westliche Balkan: Die Ziele der slowenischen EU-Ratspräsidentschaft – Implementierung und Fortführung“. Ich darf meiner großen Freude Ausdruck geben, dass hier sehr zahlreiche Diplomaten aus der Westbalkan-Region und den angrenzenden Gebieten unter uns sind. Ich freue mich auch über alle anderen Teilnehmer, die hierher gekommen sind, und damit ihrem Interesse Ausdruck geben an den Ergebnissen der slowenischen Ratspräsidentschaft.

Ich möchte zu Anfang der Geschäftsführung und den Mitarbeitern der Südosteuropa-Gesellschaft für die gute Vorbereitung der Konferenz danken. Als Staatsminister im Auswärtigen Amt darf ich die herzlichen Grüße von Außenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier überbringen. Viele von Ihnen wissen, dass gerade in den letzten Tagen in Deutschland einige Personalentscheidungen getroffen wurden, die leider auch dazu geführt haben, dass Minister Steinmeier hier nicht selbst erscheinen kann, um zu Ihnen zu sprechen. Er bedauert das sehr und hat mich darum gebeten, an seiner Stelle in die Konferenz einzuführen.

Veranstalter der Tagung ist die Südosteuropa-Gesellschaft (SOG) in München, gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt. Die Südosteuropa-Gesellschaft ist eine große Wissenschafts- und Mittlerorganisation mit etwas mehr als 800 Mitgliedern, insbesondere Personen, die sich wissenschaftlich oder politisch mit Südosteuropa beschäftigen. Die SOG befasst sich mit 14 Ländern in Südosteuropa. Wir haben mit besonderer Aufmerksamkeit die slowenische Ratspräsidentschaft beobachtet und begleitet. Dabei haben wir zwei Premieren erlebt. Zum ersten Mal war ein Land aus der Gruppe, die im Mai 2004 in die Europäische Union aufgenommen wurde, mit der Ratspräsidentschaft betraut. Damit hatte zum ersten Mal – und das ist die zweite Premiere – ein ehemals sozialistisches Land die Ratspräsidentschaft inne. Dabei ist Slowenien ein junger Staat mit nur zwei Millionen Einwohnern und hat aufgrund dessen eine eher kleine Verwaltung, eine Tatsache, die sicherlich eine große Herausforderung darstellte.

Versucht man eine Bilanz zu ziehen, kann man nur großen Respekt und großen Dank empfinden für die Leistungen, welche die slowenische Ratspräsidentschaft unter schwierigen Rahmenbedingungen vollbracht hat. Ich möchte nur an zwei Dinge erinnern: einmal an die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo am 17. Februar 2008 und die Schwierigkeiten, die diese Entscheidung über den künftigen Status des Kosovo im Vorfeld wie auch danach beinhaltete. Sodann am 12. Juni die Entscheidung des Referendums in Irland gegen die Ratifizierung des Lissaboner Vertrages – die natürlich auch für die Ratspräsidentschaft große Schwierigkeiten gebracht hat.

Es ist üblich, dass die EU-Ratspräsidentschaft eigene Arbeitsschwerpunkte setzt, so wie dies auch Deutschland in der ersten Hälfte 2007 getan hat. Wir haben uns dabei stark mit Osteuropa und dem Gebiet östlich der EU beschäftigt, mit dem Versuch, mit Russland ein neues Partnerschaft- und Kooperationsabkommen auszuhandeln – dies musste verschoben werden. Dazu kam der Ansatz zu einer Intensivierung der europäischen Nachbarschaftspolitik sowie die Idee einer Zentralasienstrategie für die EU, die erfolgreich waren. Danach kam die portugiesische Präsidentschaft, die sich stark mit dem afrikanischen Kontinent beschäftigt hat. In der Tradition dieser Prioritätensetzung stand die Entscheidung von Slowenien, sich in der eigenen Ratspräsidentschaft vor allem mit der Stabilisierung und der weiteren Integration der Westbalkan-Staaten in die EU zu befassen. Dies spiegelt auch ein Selbstverständnis von Slowenien wider, sich nämlich als Anwalt zur Verfügung zu stellen für die Nachbarstaaten in der Westbalkan-Region und mitzuhelfen bei der Umsetzung des Versprechens vom Juni 2003 beim Europäischen Rat in Thessaloniki, der ja zum ersten Mal, und bis heute gültig, eine verbindliche europäische Perspektive für alle Staaten der Westbalkan-Region beschlossen hat. Eine solche Rolle als Anwalt für die eigenen Nachbarn ist keineswegs selbstverständlich. Manchmal ist es ja leider auch so, dass derjenige, der es geschafft hat, dann hinterher am liebsten die Türen hinter sich zumacht. Das ist bei Slowenien nicht so und dafür sind wir dankbar. Dies zeigt sozusagen eine regionale Solidarität, die für diese Balkan-Region wichtig ist.

Deutschland und die deutsche Bundesregierung haben sich bemüht, die slowenische Präsidentschaft zu unterstützen, z. B. über die Einrichtung der sog. Trio-Präsidentschaft, mit einem 18-Monats-Programm, das die deutsche, portugiesische und slowenische Präsidentschaft umfasste. Wir haben uns auch bemüht, Austauschbeamte nach Ljubljana zu schicken, darunter übrigens auch einen Beamten aus dem Auswärtigen Amt, der dann im Außenministerium in Ljubljana im Bereich Serbien-Kosovo gearbeitet hat.

Natürlich war die von mir bereits erwähnte Statusentscheidung im Kosovo eines der zentralen Themen der slowenischen Präsidentschaft. Schon einen Tag danach, am 18. Februar, schaffte es die EU, eine gemeinsame Position zu erreichen. Sie hat dabei klugerweise offen gelassen, wie sich jedes einzelne Mitgliedsland bezüglich der Frage der Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo entscheidet. Das hat bisher dazu geführt, dass 21 der 27 Mitgliedstaaten, zuletzt Malta, eine solche Anerkennung beschlossen haben. Sechs Staaten haben das noch nicht getan, und es überrascht uns natürlich nicht, dass die meisten von diesen sechs Staaten solche sind, die starke Minderheiten im eigenen Land haben. Von vornherein gibt es eine gemeinsame Position, was die Zielsetzung einer Stabilisierung des Kosovo angeht.

In diesem Kontext hat der Rat für Allgemeine Angelegenheiten am 4. Februar beschlossen, eine gemeinsame Aktion durchzuführen. Sie wird in der Geschichte der EU die bisher größte Stabilisierungsmission darstellen. Bei EULEX wird es darum gehen, wesentliche Funktionen der UN-Mission UNMIK besonders im Bereich Polizei, Justiz und Zoll zu übernehmen, wobei dies unter dem Dach der Vereinten Nationen bleiben soll. Wir sind derzeit in der Vorbereitung dieser Mission. Vorgesehen ist, dass 120 Tage gebraucht werden für die Aufstellung von EULEX, mit Beginn Ende Juli. Bisher läuft das, was wir Re-Konfiguration nennen, nach Plan. Anfang Dezember sollen dann die über 1.800 Fachleute für EULEX tatsächlich einsatzbereit sein.

Natürlich bleiben die Aufgaben im Kosovo selbst riesig. Im Juni haben wir dort eine neue Verfassung bekommen. Stück für Stück werden die Ahtisaari-Beschlüsse übernommen. Entscheidend ist jetzt die Umsetzung dieser Vorgaben in einer Weise, dass sie zu einer konkreten und spürbaren Verbesserung der Situation bei der Bevölkerung führt. Dies ist, so glaube ich, sehr wichtig für die Stabilisierung der Lage im Kosovo selbst. Für die internationale Gemeinschaft wird es eine besondere Herausforderung sein, die verschiedenen internationalen Organisationen zu einer effektiven Zusammenarbeit zu bringen. Immerhin sind dort ja einige in der Verantwortung, neben der NATO auch das neue ICO, das International Civilian Office, dann der Sonderbeauftragte der EU, EULEX, UNMIK und OSZE. In einer solchen Dichte ist diese Situation bisher einmalig. Daneben wird es natürlich auch sehr wichtig sein, wie sich das weitere Verhalten von Serbien gegenüber Kosovo entwickeln wird, ob dieses Verhalten auf einem guten Weg bleibt, den wir jetzt nach und nach beobachten können. Ebenso wichtig wird sein, dass man doch eine Art Modus Vivendi findet, der dazu führt, dass das Thema Kosovo nicht ständig oben auf der Tagesordnung bleibt. Es ist dabei nicht zu erwarten, dass es in Belgrad schnell zu einer Art Anerkennung kommt, aber die Dinge scheinen sich auf einem konstruktiven Weg weiter zu entwickeln.

Serbien selbst hat natürlich die slowenische Präsidentschaft sehr stark beschäftigt. Es stellte ja ein anderes großes Thema für die Präsidentschaft dar, und auch hier hat es sich als sinnvoll und gut herausgestellt, dass Slowenien so stark auf die Unterstützung der pro-europäischen Perspektive gesetzt hat. Dadurch wurden die pro-europäischen Kräfte in Serbien in der entscheidenden Phase stark unterstützt. Wir konnten am 29. April das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit Serbien unterzeichnen. Als ein großer Schritt vorwärts muss die Auslieferung von Radovan Karadžić gesehen werden, bereits eine Frucht einer Entwicklung von wenigen entscheidenden Monaten. Auch darin spiegelt sich aus unserer Sicht die Wirksamkeit einer glaubwürdigen Aufrechterhaltung der europäischen Perspektive wider.

Lassen Sie mich an dieser Stelle einen kurzen Überblick über die Entwicklungen in den anderen Westbalkan-Staaten versuchen. In Bosnien-Herzegowina haben wir auch eine starke Beschäftigung Sloweniens gesehen mit der Unterstützung von Reformen und Stabilisierung. Sichtbar wurde dies nun auch mit der Unterzeichnung des SAA am 16. Juni. Dabei bleiben noch viele Fragen bezüglich der inneren Entwicklung offen. Wir hatten gestern in Berlin bei der Botschafterkonferenz einen Bericht des Hohen Repräsentanten Herrn Lajčák, der uns sehr eindringlich die Entscheidungsnotwendigkeiten für die EU vor Augen geführt hat, was die Zukunft der internationalen Präsenz in Bosnien-Herzegowina angeht. Wir haben in Albanien und in Montenegro Fortschritte bei der Umsetzung der SAA-Verpflichtungen beobachten können, ganz besonders in den Bereichen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Kroatien geht voran im Verhandlungsprozess. Unter der slowenischen Präsidentschaft konnten dabei vier neue Kapitel eröffnet werden. Besonders positiv ist anzumerken, dass das schon lange belastende Thema Fischerei- und Umweltzone jetzt geregelt werden konnte. Dies ist besonders wichtig für Slowenien, aber auch für Italien. Wir sind davon überzeugt, dass dies neue Dynamik in den Verhandlungsprozess bringen kann. Wir hoffen weiterhin, dass die noch offenen Grenzfragen zwischen Slowenien und Kroatien – das wäre ein weiterer wichtiger Schritt – doch bald endgültig geregelt werden können. Was die Ehemalige Jugoslawische Republik Makedonien angeht, so ist diese, nach Kroatien, bezüglich des offiziellen Kandidatenstatus am weitesten fortgeschritten. Hier haben wir noch eine sehr schwierige Situation mit der ungelösten Namensfrage mit Griechenland. Seitens der deutschen Bundesregierung setzen wir darauf, dass es bald einen Erfolg des moderierten Verhandlungsprozesses unter Schirmherrschaft des UN-Generalsekretärs mit seinem Sondergesandten Matthew Nimetz gibt. Wir sind jedoch auch in Sorge, dass wir beobachten mussten, dass dieser Namensstreit in der Innenpolitik der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Makedonien zum Teil instrumentalisiert wurde, was eine Lösung nicht wirklich vorangebracht hat.

Aus unserer Sicht – und übrigens auch aus der Sicht der Südosteuropa-Gesellschaft – ist es besonders wichtig, dass wir nicht aufhören mit den Anstrengungen zur Stärkung einer regionalen Kooperation. Von Anfang an hat der 1999 auf den Weg gebrachte Stabilitätspakt für Südosteuropa, bei dem Deutschland entscheidend mit beteiligt war, aus unserer Sicht einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Region gebracht. Allein die Idee, grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu prämieren, hat sich ausgezahlt. Wir glauben, dass dieses Programm noch längst nicht zu Ende ist und unterstützen deswegen jetzt stark den Regional Cooperation Council mit Sitz in Sarajewo, mit seinem Generalsekretär Hido Bišcević. Dieser bildet seit dem 27. Februar sozusagen die Fortsetzung des Stabilitätspakts. Wir werden hier stark engagiert bleiben. Wir glauben, dass die regionale Kooperation in der neuen Konfiguration mit einer viel stärkeren Beteiligung der Staaten der Region selbst – was wir gerne ownership nennen – eine wichtige Rolle für die weitere Stabilisierung der Region spielt.

Immer wieder ist es wichtig, dass wir das positive Momentum durch den Integrationsprozess und die europäische Perspektive aufrecht erhalten. Dabei sind auch die Kontakte zwischen den Menschen wichtig. In diesem Kontext will ich auf die Verstärkung von Programmen zum Studienaustausch und Stipendien hinweisen. Wir müssen immer dafür sorgen, dass die Betroffenen, die Bevölkerung, die Menschen, etwas Konkretes positiv erleben. Ein anderes wichtiges Thema ist die Visaerleichterung, eines der populärsten Themen auch in der Bevölkerung der Westbalkan-Region. Hier haben wir Fortschritte erzielt, Anfang 2008 mit dem Inkrafttreten des Visaerleichterungsabkommens, teilweise Erlass von Visagebühren. Aber es bleibt unser gemeinsames Ziel, die Abschaffung der Visumspflicht insgesamt ins Auge zu nehmen. Die Europäische Kommission hat hier mit allen Staaten des Westbalkan einen sog. Dialog zur Visumsfreiheit gestartet und konkrete Fahrpläne entwickelt. Natürlich – und dazu bekennt sich auch die Bundesregierung – müssen wir hier nach dem Konditionalitätsprinzip vorgehen. Das heißt, jeder Fortschritt hängt ab von konkreten inneren Veränderungen, ganz besonders bei der Bekämpfung illegaler Zuwanderung, aber auch von Erfolgen im Kampf mit der organisierten Kriminalität und der Korruption. Auf jeden Fall ist Deutschland ein aktiver und verlässlicher Partner bei der Erreichung des Ziels der Visafreiheit.

Ich möchte am Schluss noch eine kurze Bemerkung über einen anderen Integrationsprozess, nämlich den in die westliche Allianz, in die NATO, machen. Grundsätzlich besteht die NATO-Perspektive für die Balkanstaaten. Konkret erfolgte vom Bukarester Gipfel die Einladung an zwei Staaten, Albanien und Kroatien. Da nun zufällig Deutschland und Frankreich die Ausrichter des nächsten NATO-Gipfels im Jahr 2009 sein werden, der in Straßburg und Kehl stattfinden wird, haben wir ein großes Interesse daran, dass auf diesem Jubiläumsgipfel 60 Jahre NATO dann beide Länder auch feierlich aufgenommen werden können. Wie Sie wissen ist auch eine Einladung an die Ehemalige Jugoslawische Republik Makedonien erfolgt. Als erratischer Block steht hier eben noch der Namensstreit mit Griechenland im Weg. Wir hätten uns sehr gewünscht, dass diese Frage schon bis zum letzten Gipfel geregelt werden könnte und hoffen sehr, dass dieses Hindernis bald ausgeräumt wird. Auf jeden Fall können wir feststellen, dass dieser Prozess der Integration eine positive und stabilisierende Wirkung hat.

Lassen Sie mich mit wenigen Worten zusammenfassen: Wir haben allen Grund, voller Respekt und mit großer Dankbarkeit auf die Ergebnisse und Erfolge der slowenischen Ratspräsidentschaft zurückzuschauen. Es war eine gute und eine in die Zukunft weisende Entscheidung, hier das Thema Westbalkan und dessen Stabilisierung und Integration in den Mittelpunkt zu stellen. Wir leben in einer schnelllebigen Welt; das bedeutet, das Interesse wechselt schnell von einer Region in die andere. Manchmal gehen an einem Platz die Scheinwerfer aus und sofort werden sie an einem anderen Standort eingeschaltet - das haben wir jetzt gerade am Beispiel Südkaukasus sehen müssen. Das ist jedoch aus unserer Sicht gefährlich. Wir brauchen Kontinuität, wir brauchen Nachhaltigkeit, auch was die Zuwendung zur Westbalkan-Region angeht. Dessen ist sich die deutsche Regierung bewusst und sie ist auch bereit, hier quasi unter Nutzung des Vermächtnisses, des Nachlasses der slowenischen Ratspräsidentschaft weiter aktiv zu bleiben. Insofern begrüßen wir auch, dass heute zu unserer Konferenz so viele Teilnehmer gekommen sind, insbesondere auch hochrangige Persönlichkeiten, die schon lange in diesem Bereich arbeiten. Darüber freue ich mich, und sehe es auch als ein Zeichen dafür, dass die Botschaft, die Sie, sehr geehrter Herr Staatssekretär, in Ihrer Ratspräsidentschaft vorbereitet haben, hier bei uns in Deutschland auf fruchtbaren Boden fällt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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