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„Russland gibt Gas“ - Vorstellung des gleichnamigen Buches von Alexander Rahr durch Andreas Schockenhoff
Sehr gern stelle ich heute das Buch „Russland gibt Gas“ von Alexander Rahr vor, dessen Rat zu Russland ich schätze. Zur Zeit ist er Programmdirektor Russland/Eurasien in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Unter anderem war er tätig bei Radio Liberty in München, am Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien in Köln, bei der RAND Corporation in Santa Monica. Eine enge Zusammenarbeit verbindet uns im Lenkungsausschuss des Petersburger Dialogs. Alexander Rahr ist zudem Ehrenprofessor an der Moskauer Staatsuniversität für internationale Beziehungen.
Er ist einer der wenigen Russlandexperten in Deutschland, der Russland nicht nur genau kennt, sondern der auch regelmäßig mit Präsident Putin zusammengekommen ist. Von ihm stammen Biographien über Gorbatschow und Putin.
Wer sich ein differenziertes Bild von Russland machen möchte, sollte „Russland gibt Gas“ lesen, weil es Russland aufgeschlossen, aber nicht unkritisch betrachtet. Es stellt die großen Chancen und die Perspektiven Russlands dar, benennt aber auch deutlich die Hindernisse auf dem Weg dorthin. Und es zeigt – beispielsweise mit der drastischen Überschrift „defektes Russland“ – schonungslos, zutreffend und fair die Mängel im Bereich von Demokratie, Menschenrechten und Rechtstaatlichkeit auf. Das ist mutig, denn wer Russland gern auf die Anklagebank setzen möchte, dem liefert es über fünf Buchseiten eine lange Liste von Argumenten für eine – wie Alexander Rahr schreibt – „Philippika gegen Putins Russland“.
Aber Alexander Rahr beschreibt auch Versäumnisse des Westens, verpasste Chancen und die Anwendung von Doppelstandards gegenüber Russland.
Vor allem aber zeigt er die Perspektiven einer Partnerschaft mit Russland auf.
Ich möchte zwei Gründe hervorheben, warum ich das Buch empfehle. Es sind auch die Hauptthemen des Buches:
Erstens: Die Frage der Energiezusammenarbeit mit Russland und der Energieversorgungssicherheit der Staaten der Europäischen Union ist bereits heute eine Kernfrage der Beziehungen zwischen der EU und Russland, und sie wird an Bedeutung gewinnen. Wer sich ein genaueres Bild machen möchte, welche Strategien Russland mit seinem Energiereichtum verfolgt, der muss „Russland gibt Gas“ lesen.
Zweitens ist das Buch mehr als eine Bestandsaufnahme zum Ende der Ära Putin. Es zeigt auf, wie Wladimir Putin als Präsident „Gas gegeben“ und was er „geleistet“ hat, um den dynamischen Wiederaufstieg Russlands auf den Weg zu bringen, was er aber nun als Ministerpräsident auch noch realisieren muss. Hier profitiert der Leser von der Nähe, die der Autor zu Putin und zu seinem engeren Umfeld hat.
Ausführlich und informativ beschreibt der Autor die Energiepolitik unter Präsident Putin und Russlands Weg zur – wie er sagt – „Energiesupermacht“, die mit Gas und Öl künftig das weltpolitische Geschehen entscheidend mitbestimmen will. Russland plane die eigenen Gasreserven in Sibirien und im nördlichen Sektor des kaspischen Meeres vorerst nicht zu fördern, um sie langfristig als strategische Reserve zu behalten, wenn Gas auf dem Weltmarkt rar wird und der Preis weiter nach oben steigt. Spätestens 2015 wolle Russland als Energielieferant neben Saudi-Arabien die Weltmarktpreise bestimmen.
Was das genau heißen kann, zitiert Alexander Rahr mit den Worten des Gasprom-Vizepräsidenten Alexander Medwedjew. Da heißt es: „Wenn das Defizit an fossilen Brennstoffen in zwanzig Jahren sein Höhepunkt erreicht und sich der Ölpreis auf 200 US-Dollar pro Barrel einpendelt, werden diejenigen Exportstaaten die Spielregeln diktieren, die die größten Energiereserven besitzen.“
Es sollte uns nicht beruhigen, wenn Alexander Rahr schreibt, dass sich die russische Energiepolitik nicht gegen den Westen richtet, sondern dass Moskau – so wörtlich – an einer „Modernisierungspartnerschaft“ mit EU-Industriestaaten interessiert bleibe.
Was der Autor beschreibt, zeigt ganz offensichtlich auf: Russland hat eine klare Energiestrategie gegenüber der Europäischen Union, die es mit einer echten Energieaußenpolitik verfolgt. Die Europäische Union aber hat bisher nur eine Überschrift, die sich „gemeinsame Energieaußenpolitik“ nennt, die dringend mit Substanz gefüllt werden muss.
Energieversorgungssicherheit erfordert ein abgestimmtes und geschlossenes Auftreten der Europäischen Union gegenüber Dritten und damit auch gegenüber Russland. Wir können uns als EU einen Mangel an Transparenz und unkoordiniertes, fragmentiertes bilaterales Verhalten nicht länger leisten. Nur ein vereintes Vorgehen in Verbindung mit der Stärke des EU-Binnenmarktes sichert uns den notwendigen Einfluss.
Und dennoch wird es nicht leicht werden, unsere Ziele in den Verhandlungen über das neue Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland zu erreichen. Denn wir wollen von Russland mehr, als Russland in dieser Frage zu geben bereit ist.
Deswegen ist nicht nur Geschlossenheit der EU-Staaten notwendig. Es muss auch ganz klar das Prinzip des gegenseitigen Interessensausgleichs gelten: Wenn russische Energiefirmen in den Verteilungsbereich der EU hinein möchten, muss sichergestellt werden, dass zugleich auch westliche Energiekonzerne an Förder- und Bohrprojekten in Russland in gleichem Maße teilhaben können.
Das alles zeigt, wie wichtig ein einheitliches Auftreten der EU-Länder nach außen ist. Sonderwege einzelner EU-Partner, wie es sie in der Vergangenheit immer wieder gegeben hat, haben der Vertiefung der Beziehungen zwischen der EU und Russland nicht genützt, auch darauf weist dieses Buch hin. Denn Uneinigkeit gibt Russland die Chance, EU-Partner gegeneinander auszuspielen. Das können wir uns politisch und ökonomisch nicht leisten.
Deshalb ist es gut, dass wir uns in der EU nun endlich über das Mandat zur Aufnahme der Verhandlungen über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland geeinigt haben.
Aber der mühsame Prozess bis zu dieser Einigung hat auch gezeigt: Die Positionen und Interessen der einzelnen EU-Partner gegenüber Russland sind noch zu unterschiedlich.
Nicht zuletzt heißt das auch, dass sich die EU nicht nur als dann Solidargemeinschaft zeigen muss, wenn es um die finanzielle Unterstützung der wirtschaftlich schwächeren EU-Mitgliedstaaten geht. Erst recht muss sie sich als eine Solidargemeinschaft bei allen Herausforderungen von außen zeigen.
Ein Versuch Russlands, einzelne EU-Partner anders zu behandeln als die anderen, ist deshalb für eine engere Zusammenarbeit zwischen beiden Seiten nicht förderlich. Wenn beispielsweise Öl oder Gas oder „Cyberwar“ als machtpolitische Instrumente gegenüber EU-Partnern eingesetzt werden, dann gebietet es die Solidarität innerhalb einer Sicherheitsunion wie der EU, dass wir an der Seite unserer EU-Partner stehen. Dies hat Bundeskanzlerin Merkel beim EU-Russlandgipfel im Juni letzten Jahres sehr beispielhaft gezeigt.
Wenn wir uns als Europäische Union geschlossen und solidarisch verhalten, dann werden wir in den Verhandlungen mit Russland über den Energiebereich das erreichen, was Alexander Rahr in seinem Buch als „realistisches Ziel“ bezeichnet: „Ein Regelwerk, in dem die Interessen der Produzenten, Konsumenten und Transitländer gegeneinander abgewogen und zusammen berücksichtigt werden und in dem ein Streitschlichtungsmechanismus eingebaut ist.“
Meine Damen und Herren!
In dem Buch „Russland gibt Gas“ gibt es im Teil „Russland als Partner“ den Abschnitt „drei deutsche Anwälte“. Es geht dabei um die Russlandpolitik der Bundeskanzler Helmut Kohl, Gerhard Schröder und von Angela Merkel.
Lieber Alexander Rahr, Sie werden nicht überrascht sein, wenn ich Ihre Wertungen zum ehemaligen Bundeskanzler Schröder etwas kritischer beurteile. Herr Schröder hat viel für die Chancen der Deutschen Wirtschaft in Russland getan, worauf zu Recht im Buch hingewiesen wird. Ihm aber – wie es dort heißt – „historische Verdienste bei der Annäherung Russlands an den Westen“ zuzuschreiben, ist zu freundlich formuliert.
Dass im Vorfeld des Irak-Krieges der deutsche Bundeskanzler mit Russland und Frankreich eine Achse gegen die eigenen Bündnispartner USA und Großbritannien schmiedete, hat den Westen tief gespalten und letztendlich der Vertiefung der Zusammenarbeit mit Russland nicht genützt. Und dass vor diesem Hintergrund zwei Jahre später das richtige und notwendige Projekt der Ostseepipeline politisch wenig sensibel angegangen wurde, hat zusätzlich die EU-Politik gegenüber Russland erschwert.
Ich teile die in dem Buch geäußerte Auffassung, dass die Bezeichnung der Vereinbarung über die Ostseepipeline als neuen „Hitler-Stalin-Pakt“ völlig inakzeptabel ist. Aber es zeigt doch, welch politischer Schaden in der EU für die Zusammenarbeit mit Russland entstanden ist, den Bundeskanzlerin Merkel erst einmal ausräumen musste.
Zurecht würdigt Alexander Rahr in seinem Buch die Russlandpolitik der Bundeskanzlerin. Da heißt es unter anderem: „Niemand könnte mehr sagen, dass Deutschland unter der Führung von Merkel die Lust an der strategischen Partnerschaft mit Moskau verloren hat“. Ich füge hinzu, dass die Bundeskanzlerin zugleich darauf achtet, dass sich das Verhältnis zu Russland zu einer strategischen Partnerschaft weiterentwickelt, die auf den Werten des Europarates basiert, zu denen sich die EU und Russland verpflichtet haben. Ausgeräumt wurde damit auch das Fehlurteil vom „lupenreinen Demokraten“. Weiterhin schreibt unser Autor über die Russlandpolitik der Bundeskanzlerin: „Insgesamt könnte es um die Wirtschaftsbeziehungen beider Länder nicht besser gestellt sein“.
Insofern möchte ich vorschlagen, dass in der nächsten Auflage des Buches die Russlandpolitik der Bundeskanzlerin nicht mit „skeptischer Partnerschaft“ überschrieben wird. Ich würde eher von „berechenbarer Partnerschaft“ sprechen. Ich sage das auch deshalb, weil nun auch der Außenminister in seiner jüngsten Rede in Jekatarinburg die Probleme von Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Menschenrechten, Medienfreiheit und Zivilgesellschaft in Russland deutlich anspricht, ich aber nicht behaupten möchte, dass der Außenminister eine skeptische Partnerschaft mit Russland betreibt.
Meine kritischen Bemerkungen sollten nicht als Einschränkung der Qualität des Buches von Alexander Rahr verstanden werden. Vielmehr sind sie Reaktion darauf, dass unser Autor zum politischen Disput über Russland und über die Rolle Deutschlands in den Beziehungen zu Russland herausfordert.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir abschließend noch einige Bemerkungen zur inneren Entwicklung Russlands.
Alexander Rahr beschreibt diesen Prozess kenntnisreich und mit großem Einblick ins innere Machtgefüge. Es lohnt sich, sehr genau nachzulesen, was Präsident Putin in den letzten Jahren zunächst für die Stabilisierung, dann für den Wiederaufstieg und schließlich für die Modernisierung Russlands auf den Weg gebracht hat.
Warum Putin diese Arbeit jetzt als Ministerpräsident fortsetzen muss, erfahren wir, wenn es in dem Buch heißt „Auch hatte sich der Präsident geschworen, nicht abzutreten, bis Russland aus der Rolle eines reinen Rohstofflieferanten in die eines modernen Industriestaates übergeführt war.“ Dafür ist noch einige Arbeit zu leisten.
Und ich sage ganz deutlich: Wir haben ein Interesse an einem politisch und wirtschaftlich modernen Russland, mit dem die Beziehungen zu einer auf den universellen Werten basierenden strategischen Partnerschaft weiterentwickelt werden.
Russland ist aufgrund seiner Lage und Größe, seines politischen und militärischen Gewichts, seines Energiereichtums und seines wirtschaftlichen Potentials für uns Europäer von strategischer Bedeutung. Eine stabile und prosperierende Entwicklung Europas wird nur mit und nicht gegen Russland zu erreichen sein – auch dies ist ein wichtiger Punkt in Alexander Rahrs Buch.
Es liegt in unserem Interesse, dass sich Russland als Ganzes modernisiert – und nicht nur seine Wirtschaft. Wir leben in einem breiten Feld gegenseitiger Abhängigkeit – Energie, wirtschaftliche Zusammenarbeit, internationale Konflikten, Bekämpfung der Proliferation, Bewältigung der globalen Herausforderungen wie Terrorismus oder Klimawandel. All das spricht dafür, dass wir im 21. Jahrhundert noch enger als bisher aufeinander angewiesen sind.
Auch künftig wird es mit Russland Interessenskonflikte geben. Die Zusammenarbeit wird jedoch um so intensiver sein, je mehr diese im vernünftigen Dialog im Sinne der Vertrauensbildung statt der Konfrontation ausgetragen werden.
Russland braucht für seine Modernisierung die Europäische Union. Ohne Technologie und Investitionen der EU-Staaten wird die russische Wirtschaft ihre Effizienz auf dem Weltmarkt nicht in der nötigen Schnelligkeit verbessern können.
Wenn Russland den Wandel zu einem modernen wettbewerbsfähigen Staat vollziehen will, dann muss es das Potential der Fähigkeiten seiner Bürger besser und vollständiger nutzen und Ihnen dafür Freiräume schaffen. Ohne eine starke und unabhängige Zivilgesellschaft, ohne eine kritische Öffentlichkeit und ohne unabhängige Medien kann es keine Modernisierung geben. Das hat Präsident Medwedjew in seinen programmatischen Reden zum Ausdruck gebracht.
Alexander Rahr schreibt, dass sich in der Elite und in der Gesellschaft ein Konsens herausgebildet habe, dass Liberalismus und Demokratie hintanzustellen seien, bis sich Russland innerlich und äußerlich wieder gefestigt habe. Es stellt sich also die Frage, wann dieser Zeitpunkt erreicht ist.
Wir sollten deshalb Präsident Medwedjew und seine wiederholte Betonung von Rechtstaatlichkeit, einer starken Zivilgesellschaft, von unabhängigen und freien Medien nicht nur beim Wort nehmen, sondern auch entsprechende Taten erwarten.
Um ein Beispiel zu nennen, das leicht zu realisieren sein sollte. Wer eine starke Zivilgesellschaft schaffen möchte, sollte das Gesetz über die Nichtregierungsorganisationen und vor allem dessen Durchführungsbestimmungen liberalisieren. Dieses Gesetz zu ändern und damit einen Beitrag zur Stärkung der russischen Zivilgesellschaft zu leisten, sollte doch ein Leichtes für die Zwei-Drittel-Mehrheit von Einiges Russland in der Duma sein.
Wie schwierig es sein wird, der Vision vom modernen Russland in den Behörden und in den rauen Weiten Russlands Geltung zu verschaffen, das kann man sehr schön in diesem Buch nachlesen, wenn es dort heißt: „Doch in einem extrem bürokratischen Staat wie Russland, der ganz der Willkür der Staatsbediensteten ausgeliefert ist, konnten die nationalen Projekte kaum gedeihen, auch wenn sich Medwedew persönlich um alles kümmerte und sich mit den Bürokraten und Gouverneuren anlegte.“
Ich finde, und auch das ist eine wichtige Botschaft dieses Buches, die ich nachdrücklich unterstütze, wir sollten das Modernisierungsvorhaben in Russland nicht nur mit kritischer Empathie begleiten, sondern unterstützen, wo immer es uns möglich ist. Denn es wird auch uns nützen – wirtschaftlich, politisch, kulturell. Wir haben viel zu bieten, und wir wissen, dass Russland daran Interesse hat. Das ist nicht nur eine große Chance für Geschäfte, sondern auch eine Möglichkeit für die Vertiefung der Beziehungen und für politische Mitgestaltung, die wir uns nicht entgehen lassen sollten.
Dass wir mit Russland in einem gemeinsamen Europa leben, ist mehr als Geographie. Es ist ein gemeinsamer Wert. Beide haben wir eine gemeinsame Tradition in Geschichte, Kultur und Geistesgeschichte. Im Verhältnis zu Russland können wir von einer gemeinsamen Identität sprechen. Diese Bindungen mit Russland sind ein lebendiges Zeugnis dafür, dass eine auf Werten basierende strategische Partnerschaft möglich ist.
Um unserem Autor das letzte Wort zu geben, zitiere ich ihn: „Wenn man mit Vertretern der russischen Eliten eine intensivere Diskussion über Werte führt, stellt man fest, dass Russland und die EU mit gleicher Beständigkeit und Überzeugung an den universalen Werten, wie sie sich in der abendländischen Kultur herausgebildet haben, festhalten.“
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.