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Rede von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier vor dem Bundesrat zum Vertrag von Lissabon, 15. Februar 2008
Europa hat sich mit dem Vertrag von Lissabon eine gute Grundlage gegeben. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier rief vor dem Bundesrat dazu auf, den Vertrag mit Leben zu erfüllen und die rechtzeitige Ratifizierung in allen 27 Mitgliedsstaaten sicherzustellen. Die zentralen Anliegen der deutschen Bundesländer seien in den Reformvertrag aufgenommen worden.
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Präsident,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
genau vor einer Woche hat das französische Parlament mit großer Mehrheit den Vertrag von Lissabon ratifiziert. Das ist, wie ich finde, durchaus ein bemerkenswertes Datum. Denn in Frankreich hatte die Bevölkerung den Verfassungsvertrag vor zweieinhalb Jahren (29. Mai 2005) zurückgewiesen.
Nun haben die Franzosen – nach Ungarn, Slowenien, Malta und Rumänien – dem neuen Vertrag zugestimmt. Und das symbolisiert für mich sehr augenfällig die Wende, den Neubeginn, den wir in der EU hinbekommen haben.
Ich sage „wir“, und ich meine „wir“!
Denn: Dass wir diese große Vertrauens- und Sinnkrise Europas überwunden haben, dass wir die notwendigen Reformen auf den Weg gebracht haben, dass Europa heute wieder zukunftsgewiss nach vorne blickt – das ist unser aller Verdienst!
Alle Mitgliedsstaaten haben dabei mitgetan. Alle haben ihren Teil dazu beigetragen, dass wir nach schwierigen Verhandlungen einen Kompromiss finden konnten.
Und auch innerstaatlich: Ich glaube, dass wir dem Ganzen während unserer Präsidentschaft den entscheidenden Impuls gegeben haben. Das war ein mühsamer, langer Prozess. Das waren zahllose Gespräche, die die Kanzlerin und ich mit unseren Amtskollegen geführt haben, um mögliche Kompromisslinien zu sondieren.
Aber eines steht fest: Wir konnten vor allem deswegen so nachdrücklich verhandeln, weil wir eines immer wieder sehr deutlich gespürt haben: eine ganz breite Unterstützung für unser Bemühen, sowohl im Bundestag als auch hier im Bundesrat durch Sie, die Länder!
Ich erinnere an Ihre Entschließung vom 6. Juli des letzten Jahres, in der Sie uns Ihre volle Unterstützung für die Regierungskonferenz zugesichert haben.
Und ich erinnere mich an die Tagungen dieser Regierungskonferenz im Juni und im Oktober, als ich Deutschland gemeinsam mit der Kollegin Emilia Müller aus Bayern und dem Kollegen Karl-Heinz Klär aus Rheinland-Pfalz vertreten habe.
Das war immer eine sehr gute Kooperation!
Dafür, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich Ihnen im Namen der Bundesregierung sehr herzlich danken!
Gemeinsam haben wir viel erreicht! Vielmehr, als vielleicht selbst Optimisten für möglich gehalten hätten! Gewiss, auf das Konzept einer „Verfassung“ mussten wir verzichten. Sie wissen, dass ich das genauso bedauere wie Sie. Aber, und das ist in der Sache doch viel wichtiger für die Zukunft Europas: Wir haben es geschafft, die wesentliche Substanz dieser gescheiterten Verfassung zu erhalten!
Wir haben einen Reformvertrag, der die Handlungsfähigkeit der EU auch im erweiterten Kreis und auch in Zukunft sichert. Einen Vertrag, der die Union ganz klar demokratischer und transparenter macht.
Die wichtigsten Fortschritte wurden ja von Ihrer Seite immer wieder hervor gehoben:
das Gesetzgebungsverfahren mit qualifizierter Mehrheit und parlamentarischer Mitentscheidung als Regelfall,
den hauptamtlichen Präsidenten des Europäischen Rates,
den gestärkten Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik, der gleichzeitig Vizepräsident der Kommission wird,
die Verankerung des Klimaschutzes und anderer wichtiger Sachpolitiken im Primärrecht.
Schwierig, aber letztlich erfolgreich war auch unser Bemühen um die Grundrechtecharta. Ich hätte sie auch gern im Vertrag gesehen. Aber noch wichtiger ist mir, dass wir ihre Rechtsverbindlichkeit gesichert haben. Und ich freue mich, dass wir gemeinsam dafür sorgen konnten, dass die zentralen Länderanliegen aus der Verfassung in den Reformvertrag übernommen wurden. Das heißt konkret:
die Stärkung von Bundestag und Bundesrat, insbesondere bei der Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips, durch Frühwarn-Mechanismus und Klagerecht vor dem EuGH,
die verbesserte Kompetenzabgrenzung zwischen Union und Mitgliedstaaten,
die Stärkung des Ausschusses der Regionen, der nun ebenfalls klagen kann, wenn er das Subsidiaritätsprinzip verletzt sieht,
die volle Achtung der Identität der Mitgliedstaaten einschließlich des Rechts auf regionale und kommunale Selbstverwaltung.
Natürlich bedauere ich wie Sie, dass sich unsere europäischen Symbole nicht mehr im Vertrag finden. Andererseits hat doch gerade die Debatte darüber gezeigt, wie sehr die Europa-Flagge und Beethovens Ode an die Freude den Menschen in ganz Europa ans Herz gewachsen sind.
Deswegen haben wir die Initiative Kurt Becks sofort aufgegriffen und genau das zum Abschluss der Regierungskonferenz noch einmal ausdrücklich festgehalten: Nämlich, dass diese Symbole wichtig für uns sind, weil sie Identifikation schaffen. Und dass wir sie deswegen auch in Zukunft verwenden werden! – 15 Mitgliedsstaaten haben sich unserer Erklärung angeschlossen. Das zeigt, wie richtig wir mit unserem gemeinsamen Vorstoß lagen.
Ich glaube, im Ergebnis sind wir uns alle einig, und das hat ja auch die heutige Debatte noch einmal gezeigt: Letztlich haben wir allen Grund, mit dem Reformvertrag zufrieden zu sein.
Jetzt kommt es darauf an, diesen Vertrag mit Leben zu erfüllen und vor allem erst einmal sicherzustellen, dass er in allen 27 Mitgliedstaaten rechtzeitig ratifiziert wird, damit er wie geplant am 1. Januar 2009 in Kraft treten kann.
Fünf Mitgliedstaaten haben das bereits getan, und ich bin mir sicher, dass wir in Deutschland zügig folgen werden. Ich werte es als ein sehr gutes Zeichen und danke Ihnen, dass Sie der Fristverkürzung zustimmt haben und sich schon heute zum ersten Mal mit dem Ratifizierungsgesetz befassen.
Wir wissen alle, dass wir auch innerstaatlich noch einige Hausaufgaben zu erledigen haben. Heute morgen haben Sie mit Staatsminister Gloser über die notwendige Anpassung der Bund-Länder-Vereinbarung gesprochen. Ich bin zuversichtlich, dass wie hier rasch eine einvernehmliche Lösung finden.
Denn: Gemeinsam gelingt Europa! Das war das Motto für unsere EU-Präsidentschaft.
Und wenn wir heute über die Zukunft Europas beraten, so meine ich, dass dieser Satz, unser Motto, nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat.
Vielen Dank!