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Rede von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier: „Kooperative Energiesicherheit im Rahmen einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik“, 16.11.2007

16.11.2007 - Rede

Rede
des Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier, „Kooperative Energiesicherheit im Rahmen einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik“a nlässlich des XIII. Europa Forum Berlin BMW Stiftung Herbert Quandt

am 16. November 2007
in Berlin


--Es gilt das gesprochene Wort!—


Sehr geehrter Herr Milberg,
lieber Herr Chrobog,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

Ich danke Ihnen herzlich für die Einladung zum diesjährigen Europa Forum der BMW Stiftung Herbert Quandt. „Kooperative Energiesicherheit - Herausforderung für die europäische Politik und Wirtschaft“, so haben Sie das Forum überschrieben. Und in der Tat: wenn wir uns die Diskussionen der letzten Wochen und Monaten anschauen, dann kann man den Eindruck gewinnen, dass genau das, die Frage der Kooperation, die größte Herausforderung ist!

Manchmal kommt es einem ja so vor, als ob es in der Politik in Mode käme, die Welt - übrigens nicht nur in der Frage der Energiesicherheit - nach gut und böse, schwarz und weiß einzuteilen. Und Sie alle hier wissen, dass ich es als eine meiner zentralen Aufgaben ansehe, im Gegensatz zu einem solchen Ansatz für mehr Kooperation, ausdrücklich auch mit schwierigen Partnern zu werben.

Denn ich bin davon überzeugt: je mehr Tempo und Tiefe der Globalisierung zunehmen, je mehr eine zunehmende Vernetzung auch eine zunehmende gegenseitige Abhängigkeit und manchmal eben auch Empfindlichkeit verursacht, um so mehr brauchen wir eine neue Anstrengung in der Entspannungspolitik. Und das heißt eben: vertiefte, erneuerte und wieder belebte Kooperationen. Ich bin weit davon entfernt zu sagen, dass dies ein ganz einfaches Geschäft ist. Und das in einem Politikfeld, das ich seit Beginn meiner Amtszeit als ein Feld von zentraler strategischer Bedeutung für Deutschland und für Europa insgesamt benannt habe und wir gemeinsam auch in der deutschen EU-Präsidentschaft in den Vordergrund gerückt haben.

Anrede,


schon ein flüchtiger Blick in die Zeitungen auch in dieser Woche zeigt, wie brisant die Themen Energie und Versorgungssicherheit bleiben - international und auch bei uns in Deutschland: der Preis für das Fass Rohöl kratzt seit Wochen an der 100 Dollar Marke und beherrscht damit die Schlagzeilen; geopolitische Unsicherheiten, v.a. im Nahen und Mittleren Osten, zuletzt im Nordirak, sorgen für Unruhe an den Märkten und treiben die Preise weiter; internationale Spekulanten haben Öl und Gas als neue Posten in ihre Portfolios aufgenommen und profitieren von der teilweise selbst geschaffenen Volatilität des Preisniveaus – zum Schaden von Wirtschaft und Verbrauchern;gleichzeitig projiziert die Internationale Energieagentur in ihrem aktuellen Szenario einen rasanten Anstieg der globalen Energienachfrage: um 55% bis 2030, ein Großteil davon bei den fossilen Energieträger.

Und sie sieht damit erstmals mögliche Versorgungs- und Preisrisiken durch strukturelle Ungleichgewichte auf den Märkten.Und hier im Inland bestärken Berichte über undurchsichtige Preismanöver, Absprachen im kleinen Kreis und eine manchmal zumindest unglückliche PR-Strategie der Energiekonzerne bestehendes Misstrauen und erschweren zugleich politisch unser Eintreten in Brüssel für starke deutsche und europäische Energieunternehmen.

Damit kein Missverständnis auftaucht: ich bin nach wie vor der festen Überzeugung, dass wir Unternehmen brauchen, die das Zeug zu echten Global Playern haben, um im internationalen Geschäft auf Augenhöhe mitspielen können. Aber ich sage auch: wir brauchen hier ein neue Kooperation zwischen Politik und Unternehmen. Politik und Wirtschaft in Deutschland und in der EU sollten sich angesichts der grundlegenden Neuvermessung der energiepolitischen Weltkarte auf eine gemeinsame Sprache und gemeinsames Handeln verständigen. Wir brauchen mehr Mit- und weniger Gegeneinander. Deshalb begrüße ich die Vorschläge für einen Energiepakt für Deutschland und werde die deutsche Energiewirtschaft auch weiterhin soweit möglich in ihrem internationalen Geschäft unterstützen.

Anrede,

Der ein oder andere unter Ihnen hat ja vielleicht hier bereits ganz gute Erfahrungen mit uns gesammelt und wenn ich an die gemeinsamen Reisen nach Zentralasien, in die Golfregion oder Nordafrika denke, dann darf ich sagen: Wir sollten diese bewährte Partnerschaft zwischen Politik und Wirtschaft weiter pflegen und nicht durch gegenseitige Vorwürfe und Misstöne belasten. Denn nur gemeinsam können wir dafür sorgen, was wir auf deutscher und europäischer Ebene in einem insgesamt schwierigeren Umfeld gleichermaßen wollen: eine langfristig sichere Energieversorgung zu bezahlbaren Preisen und ökologisch vertretbaren Bedingungen.

Anrede,

Deutschland und die EU haben sich nicht zuletzt mit den ehrgeizigen Gipfelbeschlüssen vom März 2007 auf den Weg gemacht, dieses energiepolitische Zieldreieck in konkrete Politik umzusetzen. 20% Erneuerbare bis 2020, mindestens 20% weniger Emissionen und 20% Effizienzsteigerung. Und wenn ich höre, dass jetzt der ein oder andere sich gegen eine Festschreibung dieser Ziele wirbt, dann kann ich davor nur warnen.Wir würden damit auch international unsere Glaubwürdigkeit aufs Spiel stellen. Bei meinen Auslandreisen jedenfalls höre ich immer wieder, wie positiv die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Politik in Fragen der Energieversorgung wie des Klimaschutzes beurteilt wird.

Es ist fast schon so etwas wie ein deutsches und europäisches Markenzeichen geworden: zeigen, dass wirtschaftliche Entwicklung und eine sichere, nachhaltige Energieversorgung keine Gegensätze sind, sondern sogar einander positiv beeinflussen können. Auch deswegen sage ich: wir und die EU können insgesamt mit Zuversicht und Selbstbewusstsein auf die vor uns liegenden energie- und klimapolitischen Herausforderungen blicken.


Wir haben in der EU mit 500 Mio. Verbrauchern den größten und damit attraktivsten Binnenmarkt der Welt;Wir haben in unserer Nachbarschaft einen Großteil der globalen Energie-Reserven, v.a. beim Gas. Langfristige Lieferverträge bis weit in die nächsten Dekaden hinein bieten maximale Versorgungssicherheit.Und wir haben in Europa ein einzigartiges technologisches Know-how, das in Zukunft einen noch wichtigeren Beitrag zu unserer Energiesicherheit leisten wird. Sei es durch einen wachsenden Anteil erneuerbarer Energien im Energiemix. Sei es durch technische Lösungen bei der Förderung von Öl und Gas unter immer schwierigeren geologischen Bedingungen.


Anrede,


Wie können wir diese Stärken am besten in internationaler Ebene umsetzen? Sechs Ansatzpunkte für Europa will ich benennen:Erstens: Die Europäische Energiepolitik muss vor allem in ihrer Außendimension kontinuierlich dafür sorgen, dass die bewährten, bestehenden Energiepartnerschaften weiter ausgebaut werden. Darum treten wir beharrlich dafür ein, mit Russland ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zu verhandeln. Ein Abkommen, das aus unserer Sicht ein besonderes Augenmerk auf die Energie-Partnerschaft richten muss. Diese Energie-Partnerschaft hat sich in der Vergangenheit bewährt und zwar für beide Seiten! Sie sollte nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden.

Im Gegenteil: eine Verdichtung des Austausches auf allen Gebieten, weit über die Energiewirtschaft hinaus, liegt in unserem europäischen Interesse. Wir sind wichtiger Partner für Russland im Energie- und Stromsektor, bei der Steigerung der Energieeffizienz im heimischen Verbrauch, bei der Modernisierung der Infrastruktur und der Diversifizierung der Wirtschaft insgesamt. Ich meine, wir sollten hier – auch in schwierigerem Fahrwasser - weiter auf den langen Atem setzen. Dazu ist diese Partnerschaft zu wichtig für beide Seiten.Zweitens: Die Europäische Energiepolitik muss weiter daran arbeiten, neben der Energiepartnerschaft mit Russland neue Lieferräume zu erschließen. Dazu gehört Nordafrika genauso wie der Kaspische Raum und Zentralasien. Die unter unserer Präsidentschaft beschlossene EU-Zentralasienstrategie hat daher das Thema Energie – neben anderen - auf die Agenda gesetzt.

Wir wollen unsere Partner in Zentralasien dabei unterstützen, ihre Energieförderung zu entwickeln: durch einen geordneten Rechtsrahmen, der Investitionssicherheit bietet, Umweltbedingungen respektiert und zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der gesamten Region beiträgt.Gemeinsam mit dem Aga Khan und EU-Kommissarin Ferrero-Waldner habe ich hier in Berlin eine große Konferenz zur Wirtschaftspartnerschaft EU-Zentralasien eröffnet. Der Rückenwind, den wir insbesondere auch aus der Privatwirtschaft erhalten haben, zeigt, dass wir mit der Zentralasienstrategie einen wichtigen Impuls zum richtigen Zeitpunkt setzen konnten.Drittens: Energiesicherheit, das ist aus meiner Sicht ein umfassendes Konzept und bedeutet Sicherheit für Konsumenten, Produzenten und Transitstaaten gleichermaßen. Sicherheit, die am ehesten durch einen kooperativen und rechtsbasierten Ansatz zu gewinnen ist. Auch dies ein „europäisches Markenzeichen“.

Die von der EU geschaffene Energiegemeinschaft, die vornehmlich in Südosteuropa für eine Angleichung von Rechtsnormen und technischen Standards im Energiebereich eintritt, zeigt, was das ganz konkret heißen kann.
Die Energiegemeinschaft erleichtert es den Staaten Südosteuropas, Teile des energiepolitischen Acquis zu übernehmen, zu gemeinsamen Regeln zu kommen und dadurch den Dialog zu erleichtern und Vertrauen zu schaffen. Wir unterstützen daher die EU-Kommission, die Energiegemeinschaft auf weitere Staaten in der Region auszudehnen.

Wichtige Transitstaaten wie die Ukraine oder die Türkei sollen durch die Energiegemeinschaft an den europäischen Regulierungsraum herangeführt werden. Dies verbessert die Rechtssicherheit für Energieinvestitionen in dieser Region weiter und erleichtert damit große Infrastrukturvorhaben – etwa beim Pipeline-Bau, Stichwort Nabucco, oder Transnationalen Stromnetzen. Und ist somit ein nicht zu unterschätzender Beitrag auch für die Versorgungssicherheit in der gesamten EU.Viertens: eine gemeinsame Energiepolitik in der EU muss auch durch technologische Entwicklungen für erhöhte Versorgungssicherheit sorgen.

Die EU fördert in ihrem 7. Rahmenprogramm die Energieforschung mit über 2 Mrd Euro – soviel wie nie zuvor. Ich wünsche mir, dass möglichst viele deutsche Unternehmen mit diesen Geldern arbeiten können und stehe hier gerne bereit, wenn Hilfe gefragt ist. Fünftens: trotz aller – auch berechtigter – Kritik: der Europäische Emissionshandel schafft Innovationsanreize und fördert mittelfristig die Energiesicherheit in der EU.

Denn ein Preis auf CO2 führt dazu, dass emissionsärmere Technologie und erneuerbare Energien wettbewerbsfähig werden und sich am Markt durchsetzen können.Die EU ist mit dem größten Emissionshandelssystem der Welt Vorreiter. Und wir sind auf diesem Weg auch international einen wichtigen Schritt vorwärts gekommen: Vor wenigen Wochen haben wir die internationale Kohlenstoff-Partnerschaft ICAP gegründet. Sie ist das Resultat meines Treffens mit Gouverneur Schwarzenegger im Sommer diesen Jahres. Wir wollen mit ICAP den Weg für einen globalen Kohlenstoffmarkt ebnen, um Wettbewerbsverzerrungen aufzufangen und Anreize für technologische Entwicklungssprünge zu bieten. ICAP geht dabei einen neuen Weg: erstmals arbeiten die EU, europäische Staaten und US-Bundesstaaten eng zusammen. Und wenn man in die Wahlprogramme mancher Präsidentschaftskandidaten in den USA schaut, dann sieht man, dass die Diskussion dort inzwischen weit fortgeschritten ist – übrigens nicht nur bei den Demokraten. Ich meine: Wir haben unsere Teil dazu beigetragen.


Anrede,


sechstens und abschließend: Wir befördern das Thema der Energiepolitik weltweit auch bei unseren Treffen mit Drittstaaten.Schauen Sie sich allein das Abschlussprogramm diesen Jahres an: Bis Ende Dezember stehen die wichtigen EU-Gipfel mit China, Indien und mit Afrika auf der Agenda. Bei allen drei Gipfeln wird Energie- und Klimapolitik ein Schwerpunkt sein. Dass ist auch notwendig: China und Indien sind bereits heute bestimmende Faktoren der globalen Energienachfrage. Dieser Trend wird sich weiter verschärfen. Die globale Nachfrageseite zeigt: China wird nach Schätzungen der IEA im Jahr 2010 die USA als größter Energienachfrager der Welt ablösen. Der Kraftstoffbedarf für den rasant wachsenden Fuhrpark in China wird sich bis 2030 vervierfachen. Ich wiederhole: vervierfachen.Und auch Indien vermeldet einen rasanten Nachfrageanstieg. Schätzungen gehen davon aus, dass Indien bis 2025 unter die Top 3 der globalen Ölimporteure aufsteigen wird.

Auf der Angebotsseite kann Afrika wiederum ein wichtiger Energiepartner für die EU werden. Schon heute sind die Steigerungsraten der Ölförderung im Golf von Guinea mit die höchsten der Welt und auch beim Gas sind die Aussichten sehr positiv.
Umso wichtiger ist, dass die EU sowohl China als auch Indien, aber auch Afrika eine faire Partnerschaft im Energiesektor anbietet. Und überall ist das Interesse an deutschen, an europäischen Konzepten riesig. Das gilt für die europäische Fördertechnologie, etwa offshore, genauso wie für den Einsatz erneuerbarer Energien oder die Durchsetzung von Umweltnormen z.B. im Kfz-Bereich. Es liegt im strategischen Interesse der EU, hier verstärkt Angebote zur Zusammenarbeit zu machen. Denn nur wenn wir auch die globale Nachfrageseite durch intelligente Politikkonzepte einbinden und neue Lieferräume erschließen, werden wir langfristig die Energiesicherheit für Europa aufrecht erhalten und strukturelle Verwerfungen auf den Märkten für Öl und Gas verhindern.

Anrede,

Jeremy Rifkin, mit dem ich vor einigen Wochen hier in Berlin diskutierte, sagte bei dieser Gelegenheit, dass er seine ganze Hoffnungen für die zukünftige Energiepolitik auf Deutschland und Europa setzt. Man muss vielleicht nicht ganz so weit gehen, werden sie sagen.


Selbst wenn: Sogar der für seine Europabegeisterung nicht gerade berühmte Economist hat jüngst anerkannt, dass Europa gerade auch im Umwelt- und Energiebereich weltweit Maßstäbe setzt.Eine kluge, eine vorausschauende europäische Energiepolitik strahlt weit über die EU und den Brüsseler Tellerrand hinaus. Ich sage: Wir können mit einer klugen Energiepolitik zeigen, dass der „europäische Weg“ der Zusammenarbeit und des friedlichen Interessenausgleichs zukunftsweisend ist.

Vielen Dank!

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