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Rede von Bundesminister Steinmeier anlässlich des Galadiners zu Ehren des jordanisch-palästinensisch-israelischen Zentrums für Europäische Studien
Majestät,
Königliche Hoheiten,
Minister Sari Nusseibeh,
Exzellenz Botschafter Avi Primor, Exzellenzen, verehrte Gäste,
meine Damen und Herren,
Es ist eine hohe Ehre für unser Land und für mich als deutscher Außenminister, wenn uns Prinz Hassan von Jordanien, Minister Sari Nusseibeh aus den palästinensischen Gebieten und Botschafter Avi Primor aus Israel in das Auswärtige Amt nach Berlin einladen, um hier ein Zentrum für europäische Studien vorzustellen.
Sie machen unser Land zum Ausgangspunkt der europäischen Bemühungen um Ihr Projekt.
Sie schenken unserem Land Ihr Vertrauen.
Ich darf Ihnen versichern, wir sind durch Ihr Vertrauen geehrt und wir sind uns als Deutsche unserer Verantwortung für den Staat Israel, aber auch für den Versöhnungsprozess im Nahen Osten bewusst.
Wir werden Sie gemeinsam mit allen heute hier Versammelten unterstützen. Genau deswegen sind wir hier in Berlin zusammen gekommen – beziehungsweise und auf mich bezogen: in Berlin geblieben und nicht, wie sich das für einen Außenminister eigentlich gehört, bereits heute zu den Vereinten Nationen nach New York gefahren.
Mit meinem Freund David Grossmann, dessen Bücher auch hier im Saal viele kennen, sitze ich häufiger zusammen und rede über Israel, seine Nachbarn und das Unvermögen zum Frieden. Dramatisch waren die Umstände unseres Zusammentreffens im letzten Sommer. In den letzten 14 Tagen des Libanon-Kriegs war sein Sohn, 21 Jahre jung, noch zur Armee eingezogen worden. „Zum ersten Mal habe ich richtig Angst“, sagte Grossmann. Ich war noch nicht ganz zurück in Berlin, als mich die schreckliche Nachricht erreichte, dass Uri tot sei, verblutet irgendwo zwischen den Stellungen der Hisbollah und der israelischen Armee.
Ein Schicksal von vielen, von viel zu vielen. Ein Tod, so tragisch wie vieler Menschen Tod in Israel, Palästina und dem Libanon. Und doch hat er mich auf ganz besondere Weise berührt.
Dem fassungslosen Vater habe ich geschrieben, ihn inzwischen auch in Jerusalem und Berlin wieder getroffen. „Nein“, sagte er nach Wochen und Monaten der Düsternis, „wir dürfen den Tod nicht als Teil der nahöstlichen Realität akzeptieren.“ Wir haben die moralische und politische Pflicht zu einer neuen, intensiven und mutigen Anstrengung. Aber more of the same wird nicht genügen!
Er hat recht:
Dort, wo die Wege der klassischen Diplomatie nicht hinausführen aus den Sackgassen des Konfliktes,
dort, wo Leid zu Sprachlosigkeit führt, und
dort, wo aus dem Gefühl der Angst Ablehnung und Streit entsteht,
genau da blüht Hoffnung zumeist erst dann auf, wenn wir Wege finden, die Köpfe und Herzen der Menschen, und ganz besonders der jungen Menschen zu erreichen.
Genau diesem Ziel hat sich das Projekt verschrieben, das wir mit dem heutigen Abend ehren.
Ich bin sicher: Ihr Vorschlag kommt zur rechten Zeit!
Der heutige Abend fällt in eine Zeit, in der vorsichtiger Optimismus für eine Annäherung in Nahost aufkeimt und wir alle hier im Saal empfinden es als ein besonders hoffnungsvolles Zeichen, dass Jordanier, Israelis und Palästinenser gemeinsam aufrufen zur Förderung eines trilateralen Projektes für Verständigung und Koexistenz.
Woher nehme ich meinen vorsichtigen Optimismus, werden Sie vielleicht fragen. Ich nehme ihn daraus, dass sich im Moment verschiedene Wege des Ausgleichs und des Bemühens um ein friedliches Zusammenleben zu vereinen scheinen:
Wir alle wissen, der Weg zum Frieden führt über die Koexistenz des Staates Israel, dessen Sicherheit und Existenz garantiert sind, mit einem lebensfähigen palästinensischen Staat in anerkannten Grenzen und mit gutnachbarlichen Beziehungen zu Israel. Und zum ersten Mal seit sieben Jahren ist Bewegung in diesen Friedensprozess gekommen.
Der Premierminister Israels und der palästinensische Präsident sprechen zur Zeit intensiv über die Ausgestaltung einer künftigen Zwei-Staaten-Lösung. Sie haben sich seit August jetzt drei Mal zu substantiellen Gesprächen getroffen. Hamas hat sich mit dem Putsch in Gaza selbst in Abseits gestellt und mit Präsident Abbas und Premierminister Salaam Fayyad stehen Israel Gesprächspartner zur Verfügung, die einer Zwei-Staaten-Lösung verpflichtet sind.
Moderate Arabische Staaten fanden und finden die Stärke, auf Israel zuzugehen. Die Bestätigung der Arabischen Friedensinitiative auf dem Gipfel der Arabischen Liga im März des Jahres betont die gewachsene Bereitschaft der arabischen Welt, im Nahost-Friedensprozess mehr Verantwortung zu übernehmen. Die Reisen der Außenminister Jordaniens und Ägyptens nach Israel unterstreichen dies genauso wie das gestrige Treffen zwischen Quartett und Arabischer Liga in New York.
Der Sondergesandte Tony Blair präsentierte erste Empfehlungen zur Förderung von Wirtschaft und institutioneller Reform in den palästinensischen Gebieten. Norwegen hat heute zu einem Treffen eingeladen, um die internationale Hilfe zu koordinieren.
Wo immer wir können, unterstützen wir als Bundesregierung die Suche nach einem tragfähigen Kompromiss und fördern den begonnenen Prozess in dieser vielleicht entscheidenden Phase nach Kräften.
So ist es uns unter der deutschen EU-Präsidentschaft gelungen, das Nahostquartett wieder zu beleben, das seither den Prozess maßgeblich vorantreiben konnte. Erst gestern fanden Beratungen des Quartetts in New York statt, und ich habe mir berichten lassen, dass zwischen der Europäischen Union, den Vereinten Nationen, den USA und Russland große Übereinstimmung herrschte, wie wir den weiteren Weg befördern können.
Was können wir tun, um den Prozess weiter zu fördern?
Zunächst einmal: Die Verhandlungspartner benötigen Unterstützung, sie benötigen offene Gesprächskanäle. Was sie nicht brauchen können, das ist die Überlagerungen ihrer Gespräche durch unüberlegten Aktionismus, sei er noch so gut gemeint.
Für diese Dialogmöglichkeiten sollten wir sorgen. Und noch eine zweite Aufgabe sehe ich für uns: Wir müssen die arabischen Staaten einbinden und ihr Vertrauen in den Prozess stärken.
Denn auf den Weg hin zu einem neuen Ufer der Zusammenarbeit kann sich nur der machen, der darauf vertrauen darf, dass die Brücke hält, an der wir gemeinsam bauen! Dies ist eine Aufgabe für die Europäer.
Wir müssen uns zweitens noch stärker als Paten der Sicherheit und der wirtschaftlichen Entwicklung in der Region begreifen.
Die Menschen müssen eine wirtschaftliche Perspektive und Entwicklungsmöglichkeiten für sich selbst sehen und erfahren. Sie brauchen staatliche Institutionen, die Auseinandersetzungen verhindern und Frieden stiften.
Deswegen müssen wir die Sicherheitssektorreform in den palästinensischen Gebieten energisch unterstützen. Ausbildung, Training und Ausstattung der Polizei stärkt die Regierung Fayyad - und das Vertrauen in Israel.
Und schließlich und dringend: Wir müssen eine humanitäre Notlage in Gaza zu verhindern suchen und Sorge tragen, dass humanitäre Hilfe und Güter des täglichen Bedarfs zu den Menschen gelangen. Die Menschen in Gaza dürfen nicht zu Geiseln der unverantwortlichen Politik von Hamas werden!
Die Erwähnung von Gaza lässt es deutlich werden. Die Risiken sind nach wie vor groß.
Und schließlich: zu den Risiken zählt auch die weitere Entwicklung des Gesamtkonfliktes im Nahen Osten. Eine dauerhafte Friedenslösung muss die Nachbarn, vor allem auch Libanon und Syrien, einbeziehen.
Auch dabei ist unsere Hilfe gefragt. Mit der Übernahme der Verantwortung im Rahmen der UNIFIL nach dem Krieg im Sommer letzten Jahres haben wir Europäer die Bereitschaft dazu gezeigt! Unser Land hat dabei mit der Führung der UNIFIL-Marineeinsatzgruppe, der raschen und umfangreichen Humanitären Hilfe und der Wiederaufbauhilfe einen wichtigen Beitrag geleistet. Wir haben dieses Engagement erst vor wenigen Wochen verlängert. Wir werden auch weiterhin Verantwortung vor Ort übernehmen.
Derzeit steht der Libanon innenpolitisch vor einer besonders kritischen Phase. Dazu gehört insbesondere die Wahl des künftigen Präsidenten. Auch hier, wir haben es in der vergangenen Woche wieder schmerzhaft erfahren müssen, gibt es Kräfte, die alles tun, um die Bemühungen um Frieden und Ausgleich zu torpedieren.
Und wir dürfen natürlich auch bei der Betrachtung des Konflikts im Libanon nicht aus dem Auge verlieren, dass die Schlüssel zur Stabilisierung nur zum Teil im Libanon selbst liegen. Die regionale Dimension des Konfliktes ist evident. Syrien ist und bleibt ein Faktor, ohne den eine umfassende Friedenslösung und Stabilität in der Region nicht erreicht werden können.
Syrien ist ein schwieriger Partner. Aber Abschottung ist keine Lösung. Wir müssen Syrien immer wieder daran erinnern, was Deutschland, dass seine europäischen Partner und dass die Internationale Gemeinschaft von der syrischen Regierung erwarten. Dass sie eine konstruktive Haltung und besonders gegenüber seinen Nachbarn verantwortungsvolle Haltung einnimmt und dass dies die Voraussetzung auch für die Berücksichtigung syrischer Interessen ist.
Das größte Risiko für die gesamte Region birgt natürlich nach wie vor das iranische Nuklearprogramm und das Verhalten des Iran in den genannten Ländern, aber auch darüber hinaus.
Wir müssen die atomare Bewaffnung des Iran verhindern. Das ist kein ganz einfacher Weg, er erfordert umso mehr Klugheit und Entschiedenheit im Vorgehen. Und hierzu zählt zunächst und vor allem die Wahrung der größtmöglichen Geschlossenheit der internationalen Staatengemeinschaft. Wir werden hierzu in den nächsten Tagen sicher nicht ganz einfache Diskussionen haben, aber ich bin guter Hoffnung, dass wir auch in dieser bevorstehenden VN-Woche den eingeschlagenen Weg gemeinsam fortsetzen können.
In dieser Situation, die von Hoffnungen, Bemühungen um Frieden und Stabilität, aber auch von großen Risiken und Unsicherheiten – übrigens auf allen Seiten – geprägt ist, setzt die heutige Initiative ein Zeichen: Ein Zeichen, dass wir Gräben überbrücken, Trennlinien überschreiten müssen, um zu einem gemeinsamen Verständnis zu gelangen.
„Im Zivilen liegt die Hoffnung“, so haben Sie, lieber Avi Primor, das einmal gesagt und ich möchte hinzufügen: ja, und besonders dann, wenn wir, wie ich es eingangs bereits sagte, die Köpfe und Herzen der Menschen – und vor allem: der jungen Menschen – erreichen.
Und genau deswegen wollen wir dabei helfen, wenn die Herzliya-Universität, die Al Quds-Universität und das Royal Institut for Interfaith Studies sich zu einem gemeinsamen Projekt verbinden.
Wir alle hier im Saal haben erlebt und gesehen, wie Interessengegensätze zu Kulturkonflikten erklärt worden sind. Welch' schreckliche Folgen es hat, wenn Kulturen von einander abgegrenzt und Menschen anderer Kulturen ausgegrenzt werden.
Wir sind davon überzeugt: Wir brauchen ein gemeinsames Bewusstsein dafür, dass sich die verschiedenen Kulturen immer schon gegenseitig befruchtet und bereichert haben. Dass Zusammenarbeit der einzige Weg ist, Interessengegensätze friedlich und fair zu lösen.
Dieses Bewusstsein müssen wir schaffen und das ist ein ehrgeiziges Vorhaben: Denn dafür müssen wir Jahrhunderte alte kulturelle Trennlinien und nationale Grenzen überwinden.
Gerade wir Europäer sollten uns bewusst bleiben, wie viel wir der Begegnung und der Zusammenarbeit der Kulturen verdanken.
Viele solcher Beispiele verdanke ich dem neuen Buch „Kampfabsage“ von Ilija Trojanow und Ranjit Hoskoté.
Lassen Sie mich ein Beispiel berichten, das ich einem deutschen Schriftsteller bulgarischer Herkunft, nämlich Ilija Trojanow verdanke: 1498, also vor fast genau 510 Jahren, entdeckte Vasco da Gama Indien. Wir feiern dies als eine europäische Entdeckung. Dabei sollten wir aber mitbedenken, dass diese europäische Leistung nur möglich war, weil Vasco da Gama im heutigen Kenia einen arabischen Navigator angeheuert und zuvor dank jüdischer Navigationskenntnisse das Kap der Guten Hoffnung umschifft hatte!
Mit anderen Worten: Wir Europäer sollten – gestützt auf die eigenen Erfahrungen - die interkulturelle Zusammenarbeit der Partner im Nahen Osten wertschätzen, und ich finde, deshalb auch das trilaterale Zentrum für europäische Studien unterstützen.
Wir wollen und können dabei sicher noch eine ganz andere Erfahrung aus der Europäischen Erfolgsgeschichte mit einbringen: wie in einer Region, die Jahrhunderte lang von Kriegen heimgesucht wurde nach dem Zweiten Weltkrieg aus Not und Mangel eine Zone des Friedens, der Stabilität und des Wohlstands entstehen konnte.
Ich bin davon überzeugt: alle können aus dieser Zusammenarbeit lernen. Denn auf dem Weg in ein friedliches 21. Jahrhundert werden wir das heutige Kap der Guten Hoffnung, die Nahost-Krise, nur in einer gemeinsamen Anstrengung mit jüdischen und arabischen Navigatoren umschiffen können!
Königliche Hoheit, verehrter Prinz Hassan, lieber Herr Primor, sehr geehrter Herr Minister Nusseibeh,
Wir alle hier im Saal wollen genau deswegen Ihr Projekt unterstützen. Weil Ihr Projekt das Zeug dazu haben kann, die Köpfe und Herzen der jungen Menschen zu erreichen und eine verständigungsbereitere und verständnisvollere Diskussion in allen beteiligten Ländern zu fördern.
Und als einen ersten konkreten Schritt möchte ich als Außenminister der Bundesrepublik Deutschland dafür sorgen, dass sich die Studierenden aus dem Länderdreieck – trotz räumlicher Trennung und mancher Hindernisse vor Ort – auch wirklich von Angesicht zu Angesicht sehen und austauschen können.
Im Zuge der weiteren Realisierung des Projektes wird daher der Deutsche Akademische Austauschdienst – das habe ich mit dem Präsidenten verabredet - im nächsten Jahr Sommerschulen für Studierende aus den drei Ländern organisieren.
Ich bin optimistisch, dass die verschiedenen Partner, wie das Kulturwissenschaftliche Institut in Essen oder die deutsch-jordanische Fachhochschule in Amman, die schon jetzt bereit stehen, um Sie an ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen, dabei ebenfalls hilfreich sein werden. Und besonders wichtig scheint es mir, dass auch die Kommission und die Brüsseler Institutionen das heutige Projekt unterstützen. Auch hier will ich gerne helfen und ich bin sicher, alle hier Versammelten ebenfalls.
Ich danke Ihnen daher nochmals für die Gelegenheit, heute zu Ihnen sprechen zu dürfen und ich danke Ihnen, dass Sie die Zusammenarbeit zwischen Israel, den Palästinensischen Gebieten und Jordanien in einem Zentrum für Europäische Studien auf den Weg gebracht haben.
Vielen Dank!