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Rede von Bundesaußenminister Steinmeier vor der 61. Generalversammlung
Frau Präsidentin,
Exzellenzen,
meine Damen und Herren,
ich gratuliere Ihnen, Frau Präsidentin, zu Ihrer Wahl zur Vorsitzenden dieser 61. Generalversammlung und wünsche Ihnen gutes Gelingen.
Gleichzeitig möchte ich dem scheidenden Präsidenten der 60. Generalversammlung für seine engagierte Arbeit herzlich danken und ihm für seine zukünftigen Aufgaben Erfolg wünschen.
Die weltpolitischen Ereignisse der vergangenen 60 Jahre spiegeln sich in wenigen Ländern so unmittelbar wie in Deutschland. Bis 1989 symbolisierten Mauer und Stacheldraht quer durch unser Land die Teilung Europas und der Welt in zwei Blöcke. Seither ist Deutschland zum Sinnbild für die Überwindung dieser Teilung geworden.
Beides - die Teilung und die Überwindung der Teilung - prägt unseren Blick auf die Welt. 45 Jahre lang verdankten wir den Frieden in Deutschland ganz wesentlich der Freundschaft, dem politischen und militärischen Schutz von Partnerländern, die ihre Verantwortung ernst nahmen. Diese Erfahrung hat uns Deutsche politisch geformt. Darum übernehmen wir jetzt ebenso Verantwortung - in Europa und in anderen Teilen der Welt.
Mit Blick auf die UNO bedeutet das: Das wiedervereinigte Deutschland sieht sich in der Pflicht, die Vereinten Nationen nach Kräften zu unterstützen, um eine friedlichere und gerechtere Welt zu gestalten. Deutsche Soldaten und Polizisten sind in zahlreichen von den Vereinten Nationen geführten oder von den Vereinten Nationen mandatierten Friedensmissionen im Einsatz.
- Auf dem westlichen Balkan, im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina, stellt Deutschland das größte Kontingent der Friedenstruppen.
- Deutschland beteiligt sich ganz maßgeblich beim Wiederaufbau Afghanistans.
- Deutschland führt die Europäische Operation in der Demokratischen Republik Kongo und unterstützt dort die ersten freien Wahlen.
- Deutschland engagiert sich im Sudan durch die Unterstützung von AMIS und UNMIS.
- Und gerade befinden sich deutsche Marineschiffe auf dem Weg zur Küste Libanons, um dort die Friedenstruppe der Vereinten Nationen zu verstärken. Deutschland wird sich mit bis zu 2.400 Soldaten an dieser Friedensmission beteiligen.
Deutschland steht für eine Politik des Dialogs und des friedlichen Ausgleichs unterschiedlicher Interessen. Wir sind fest überzeugt, dass sich politische Konflikte nicht durch militärische Gewalt oder auch militärische Triumphe lösen lassen. Frieden entsteht durch politische Gespräche, wirtschaftliche Verflechtung und konkrete Zukunftsperspektiven für die Menschen.
Wenn die eigenen Kräfte der Konfliktparteien nicht ausreichen, um politische Gräben zu überwinden, steht die Weltgemeinschaft, repräsentiert durch die Vereinten Nationen, in der Pflicht zu helfen. Das ist die Leitschnur unserer Außenpolitik.
Als Außenminister des wiedervereinigten Deutschland prägen mich die Erfahrungen der deutschen und europäischen Geschichte ganz besonders. Daraus leite ich einen konkreten Auftrag ab: Wir müssen alles tun, um eine neuerliche Aufteilung der Welt in Blöcke, die sich feindselig gegenüber stehen, zu verhindern. Die Politiker aller Länder stehen in dieser Frage in der Verantwortung. Jeder kann und muss dazu seinen Beitrag leisten. Wer die Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen gegeneinander aufwiegelt, wird seiner Verantwortung nach meiner festen Überzeugung nicht gerecht.
Niemand sollte das Engagement Deutschlands und seiner Partner auf dem Balkan, in Afghanistan, im Sudan und im Libanon als globale gewaltsame Auseinandersetzung des Westens gegen den Islam interpretieren. In einer Welt, die so eng zusammengewachsen ist wie nie zuvor, brauchen wir keine Ausgrenzungen oder Polarisierungen, sondern den Mut zur Verständigung und zum Dialog.
Im Nahen Osten wird es jetzt darum gehen, nach der Resolution des Sicherheitsrats für den Libanon die Chance zur Verständigung konsequent zu nutzen. Auch hier appelliere ich an die Verantwortung aller Konfliktparteien in der Region. Wer seinen Kindern und Enkeln ein Leben in Frieden statt Gewalt, in Sicherheit statt Angst, in Wohlstand statt Armut ermöglichen will, muss den Mut haben, neue Wege zu gehen, statt alte Feindschaften zu pflegen. Die Prinzipien eines Ausgleichs sind klar: das Existenzrecht Israels und die Gründung eines Palästinenserstaats. Das war das Kernanliegen der so genannten „Roadmap“, zu der wir zurückkehren müssen.
Für einen dauerhaften Erfolg müssen wir aber nach Möglichkeit alle Betroffenen einschließen - auch wenn dies wie ein Umweg erscheint. Ich hoffe deshalb, dass es gelingt, Syrien für einen konstruktiven Dialog zu gewinnen. Wir brauchen ein verstärktes Engagement der internationalen Gemeinschaft, besonders des Nahost-Quartetts.
Wie das Prinzip Verantwortung konkret gelebt wird, zeigt die internationale Gemeinschaft in Afghanistan. Nach 23 Jahren Bürgerkrieg ist der Aufbau politischer Strukturen im Gang. Millionen Flüchtlinge sind in ihr Heimatland zurückgekehrt. Und was ebenso wichtig ist: Junge Menschen können wieder zur Schule gehen - auch Mädchen.
Aber Drogenanbau und die Sicherheitslage bedrohen die erreichten Fortschritte mindestens in bestimmten Regionen des Landes. Wir dürfen als internationale Gemeinschaft nicht zulassen, dass die bisherigen Erfolge wieder zerstört werden.
Auch auf dem Westlichen Balkan gehört der Krieg der Vergangenheit an. Daran hat das politische und militärische Engagement der Vereinten Nationen, der Vereinigten Staaten von Amerika, Russlands und der Europäischen Union entscheidenden Anteil.
Im Kosovo geht es jetzt darum, dass beide Konfliktparteien ihre Verantwortung für Frieden und Stabilität ernst nehmen. Die Regelung des seit Jahren ungeklärten Status des Kosovo ist überfällig. Deutschland unterstützt mit Nachdruck die Bemühungen des Sondergesandten der Vereinten Nationen, Präsident Ahtisaari. Stabilität ist nur zu erreichen, wenn nicht nur dem Willen der Bevölkerungsmehrheit Ausdruck verschafft, sondern auch den Kosovo-Serben ausreichender Minderheitenschutz garantiert wird.
Ein Blick auf die Karte Afrikas genügt, um zu ermessen, welche Bedeutung Frieden und Stabilität im Sudan und im Kongo für den gesamten afrikanischen Kontinent haben. Europa ist unmittelbar von den Folgen von Instabilität und Konflikten in Afrika betroffen. Auch deshalb unterstützt Deutschland die Vereinten Nationen bei ihren Bemühungen um eine Lösung der Konflikte in beiden Ländern.
Während die Friedensmission UNMIS im Südsudan wirksam hilft, den Friedensvertrag zwischen dem Nord- und dem Südsudan umzusetzen, scheint für Darfur der Weg zum Frieden noch weit. Weder die Regierung des Sudan noch Rebellengruppen können von ihrer Verantwortung für die humanitäre Katastrophe, die sich im Westen des Landes abspielt, freigesprochen werden. Gleichwohl wird eine dauerhafte Lösung des Konflikts nur mit ihnen und nicht gegen sie möglich sein.
Deutschland hat sich in den zurückliegenden Jahren intensiv um eine Lösung des Konflikts um das iranische Nuklearprogramm bemüht - gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien, unterstützt durch die USA, Russland und China.
Niemand will dem Iran das Recht auf die friedliche Nutzung der Kernenergie verweigern. Ziel des diplomatischen Bemühens ist es auch nicht, den Iran zu isolieren. Ganz im Gegenteil: Wir wünschen uns den Iran als zuverlässigen und verantwortungsbewussten Partner in der krisengeschüttelten Region des Mittleren Ostens. Darum haben wir dem Iran am 6. Juni gemeinsam ein Angebot für eine weit reichende Kooperation unterbreitet. Dieses Paket enthält Vorschläge für eine engere diplomatische, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Zusammenarbeit. Und es anerkennt ausdrücklich das Recht des Iran auf die friedliche Nutzung von Kernenergie.
Aber die internationale Gemeinschaft erwartet auch zu Recht von Iran Kooperation und Transparenz. Eine Entkräftung der Verdachtsmomente der IAEO und ein klares Signal, dass der Iran sein Nuklearprogramm tatsächlich nur friedlich nutzen will, könnte die Tür zu einer Entwicklung öffnen, von der die Menschen im Iran und in der ganzen Region profitieren.
Die Regierung in Teheran steht jetzt in der Verantwortung. Die Entscheidung für Stabilität und Frieden im gesamten Nahen und Mittleren Osten erfordert Mut. Ich appelliere an den Iran: Beendet die Phase des Hinhaltens! Gebt ein eindeutiges Zeichen des Vertrauens, damit wir gemeinsam nach vorn schauen und uns an den Verhandlungstisch setzen können!
Die Lösung des Atomkonflikts mit dem Iran ist dringlich. Aber die Herausforderungen mit der Proliferation von Atomwaffen gehen weit darüber hinaus. Wenn wir die Erosion des Nichtverbreitungsregimes aufhalten wollen, müssen wir jetzt handeln. Der nächste Anlauf zur vollständigen Umsetzung des Nichtverbreitungsvertrags darf nicht scheitern. Nicht nur der Iran, sondern auch andere erwägen den Einstieg in die Anreicherungstechnologie. Wollen wir die daraus entstehenden Gefahren verhindern, müssen wir neue Instrumente entwickeln. Deshalb bin ich nachdrücklich dafür, dass wir Ideen zur Multilateralisierung des Brennstoffkreislaufs, zur Übernahme der Urananreicherung in internationale Verantwortung nicht nur austauschen, sondern zu konkreten Handlungsoptionen fortentwickeln. Ich plädiere dafür, dass wir mit größerem Ehrgeiz Lösungen mit der IAEO erarbeiten.
Die Konflikte im Nahen Osten, in Afghanistan, im westlichen Balkan, im Sudan, gegenüber Iran und auch der Kampf gegen den internationalen Terrorismus haben eines gemeinsam: In keinem Fall geht es um eine klare Frontstellung des Westens gegen den Islam. Wir haben es auch nicht mit einem Kampf der Kulturen zu tun.
Vielmehr geht es um ganz unterschiedliche Konflikte mit ganz unterschiedlichen Interessenlagen. Es gibt lediglich eine, allerdings ganz andere Verbindung. Jeder dieser Konflikte lässt sich nur mit der Bereitschaft und der Fähigkeit zum Dialog lösen. Weil er die Betroffenen einbindet, mitnimmt und sie nicht aus ihrer Verantwortung für die Lösung der Konflikte entlässt.
Eine Politik der Zusammenarbeit und des Dialoges meint aber nicht: Reden um jeden Preis. Wer den Dialog will, muss einige elementare Grundsätze erfüllen. Dazu zähle ich die Bereitschaft zum friedlichen Interessenausgleich, also zum Verzicht auf Gewalt, Respekt vor der Haltung des anderen, aber auch die Konsistenz und Glaubwürdigkeit der eigenen Haltung. Ohne diese Voraussetzungen kommt kein Erfolg versprechender Dialog zustande.
Ich bin fest davon überzeugt, dass ein Dialog über Kulturgrenzen hinweg gelingen kann. Denn wir leben, trotz aller Unterschiede, in einer Welt. Die unterschiedlichen Kulturen, die diese Welt beherbergt, haben mehr gemein, als politische Scharfmacher uns glauben machen möchten.
Die Menschen haben überall die gleichen Grundinteressen: Sie wollen in Frieden, Sicherheit und frei von Armut leben. Sie wollen eine gute Gesundheitsversorgung und gute Schulen für ihre Kinder. Keine verantwortliche Staatsführung wird diese Ziele ihren Menschen und ihrem Volk je vorenthalten wollen.
Die Vereinten Nationen, ihre Organisationen und Programme, verkörpern diese Vision. Und diese Vision macht die Vereinten Nationen so unverzichtbar.
Wir brauchen die Vereinten Nationen in den kommenden Jahrzehnten nach meiner Überzeugung mehr denn je. Die Zahl und das Ausmaß der Krisen in der Welt steigen. Das könnte eine Renaissance der UNO selbst in Ländern nach sich ziehen, die ihr manchmal noch skeptisch gegenüber stehen.
Die Handlungsfähigkeit und das Vertrauen in die UNO als Dachorganisation der Weltgemeinschaft hängen eng miteinander zusammen. Jeder sieht, wie notwendig transparente Strukturen und effektive Institutionen für die UNO sind.
Die Reform der Vereinten Nationen - nicht nur des Sicherheitsrates - darf deshalb nicht nur weiter auf der Tagesordnung stehen, sie muss auch konkrete Fortschritte machen. Mit steigenden Erwartungen an die Vereinten Nationen gilt das dringlich für die Mandatsüberprüfung und ebenso für die Management- und Finanzreform.
Deutschland verspricht dabei Unterstützung, denn wir brauchen die Reform, wenn wir als internationale Staatengemeinschaft handlungsfähig bleiben wollen. Das sind wir nicht nur der UNO schuldig, sondern vor allem den Menschen, in deren Namen wir miteinander Verantwortung tragen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.