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Interview mit Bundesaußenminister Steinmeier am 29. Juni 2006 in der russischen Tageszeitung „Kommersant“

29.06.2006 - Interview

Herr Minister, das Treffen der G 8 Außenminister schließt die Vorbereitung des G 8- Gipfels in St. Petersburg ab. Welche Fragen sind noch ungelöst ? Gibt es noch Schwierigkeiten auf dieser Vorbereitungs-Etappe ?

Der G8-Gipfel in St. Petersburg wird von der russischen Präsidentschaft umsichtig und effektiv vorbereitet. Die Vorbereitungsarbeiten schreiten gut voran, so dass ich zuversichtlich bin, dass die G8 in St. Petersburg mit einem substantiellen Ergebnis aufwarten können. Deutschland wird sein Bestes dazu beitragen, damit der Gipfel ein Erfolg wird.

Wie bekannt, besitzt das Vorsitz-Land der G 8 das Recht, seine Tagesordnung für die G 8-Gipfel vorzuschlagen. Die von Moskau vorgeschlagene Tagesordnung beinhaltet drei Fragen – Energiesicherheit, Bildung und Gesundheitsvorsorge. Sind Sie vollkommen zufrieden mit der Wahl der Themen ? Möchten Sie noch weitere Fragen aufwerfen, die Sie als proritär für die G 8 einschätzen ?

Russland hat aus meiner Sicht die Arbeitschwerpunkte für den G8-Gipfel in St. Petersburg gut gewählt: Energieversorgungssicherheit, Bildung und die Bekämpfung von Infektionskrankheiten, wie etwa der Vogelgrippe, sind Fragen, deren Bedeutung für die globale Sicherheit immer deutlicher wird. Auf diese Fragen lassen sich keine Antworten im nationalen Alleingang finden, sondern wir müssen uns als Staatengemeinschaft gemeinsam um eine Lösung bemühen. Als führende Industrienationen müssen die G8 hier beweisen, dass sie bereit sind global Verantwortung zu übernehmen.

Die Energiesicherheit wurde zu einem Gegenstand scharfer Diskussionen zwischen Russland und der EU. Unter anderem bestand in der EU nach dem Energie-Konflikt zwischen Russland und der Ukraine die Befürchtung, die Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Europäischen Energiecharta könnten sich verschärfen. Worin liegt die Ursache dieser anhaltenden Verständnisschwierigkeiten ? Welche Lösungen erwarten Sie hinsichtlich dieses Punktes vom G 8-Gipfel ?

In Energiefragen besteht zwischen Russland und der EU eine sehr enge wechselseitige Beziehung: auf der einen Seite ist Russland der bedeutendste Öl- und Gaslieferant für die EU. Auf der anderen Seite ist die EU größter Abnehmer von russischem Öl und Gas. Es besteht also keinesfalls eine einseitige Abhängigkeit, sondern Russland und die EU haben ein gemeinsames Interesse an umfassender Energiezusammenarbeit. Deshalb verbindet uns eine langjährige gute und vertrauensvolle Kooperation im Energiebereich, die wir weiter ausbauen wollen. Dies hat auch der Europäische Rat vor kurzem erneut bekräftigt.

Ich habe in diesem Kontext immer die Ansicht vertreten, dass umfassende Energiesicherheit ein gemeinsames Interesse der Förder-, Abnehmer- und Transitländer ist. Wir benötigen gemeinsame Prinzipien für Invesitionen, Handel und Transit.

Wir sind über diese Frage mit der russischen Regierung in einem offenen und konstruktiven Dialog. Vom Gipfel in St. Petersburg erhoffe ich mir ein gemeinsames Verständnis der G8-Staaten über uns verbindende Grundprinzipien der Energieversorgungssicherheit.

Die G 8 haben sich stets positioniert als „Klub der Welt-Demokratien“ und dabei unterstrichen, darin bestünde der grundsätzliche Unterschied zu anderen Vereinigungen. Hingegen kamen in diesem Jahr zum ersten Mal in der Geschichte der G 8 Zweifel an der Treue des Vorsitzlandes zu demokratischen Normen auf. Werden Sie über die Demokratie in Russland sprechen ?

Der G8-Vorsitz bedeutet Anerkennung und Verpflichtung zugleich. Dies gilt für jedes G8-Mitglied, auch für Russland. Ich weiß: Russland ist sich seiner Verantwortung bewusst.

Die G8-interne Diskussion wird offen geführt. Ich beobachte die Entwicklung in Russland sorgfältig und tausche mich darüber sehr eng und regelmäßig mit meinem russischen Amtskollegen aus. Das sind sehr gute Gespräche, die auch schwierige Themen nicht aussparen. In der aktuellen Diskussion über die innenpolitische Lage in Russland wird aber allzu oft vergessen, wo die Entwicklung in Russland ihren Ausgangspunkt genommen hat. Russland hat in den letzten 15 Jahren eine bemerkenswerte wirtschaftliche und politische Transformationsleistung verbracht, die unsere Anerkennung verdient. Dem trägt auch die Entscheidung Rechnung, Russland im Jahr 2006 erstmals die G8-Präsidentschaft zu übertragen.

Zu welchem Grad werden für Sie die Fragen Iran und Weißrussland aktuell sein ?

Beide Themen sind hochaktuell. Der Umgang mit dem iranischen Nuklearprogramm stellt zur Zeit eine der größten sicherheitspolitischen Herausforderungen dar. Die Gespräche mit dem Iran befinden sich in einer entscheidenden Phase. Unser oberstes Anliegen bleibt es, in dieser Frage eine diplomatische Lösung zu finden, die sowohl dem legitimen Recht Irans zur zivilen Nutzung der Kernenergie als auch den berechtigten Besorgnissen der internationalen Gemeinschaft Rechnung trägt. Die E3, die USA, Russland und China haben dem Iran ein ambitioniertes und substantielles Angebot zur Wiederaufnahme der Gespräche über das iranische Nuklearprogramm gemacht. Nun liegt es an der iranischen Regierung, diese einmalige und weitreichende Chance zu ergreifen.

Was Belarus betrifft, möchte ich nicht verschweigen, dass es innerhalb der G8 Unterschiede in der Bewertung der Lage vor Ort gibt. Das ist aber kein Grund, sich nicht mit Belarus zu befassen. Im Gegenteil: Unsere Gespräche im Kreis der G8 sollen doch gerade die bestehenden Differenzen überbrücken helfen und zu einer gemeinsamen Haltung der G8 beitragen. Denn die Entwicklungen in Belarus sind für alle G8-Partner von erheblicher politischer Bedeutung.

Das Jahr des G 8-Vorsitzes Russlands wird eine Bilanz der Beziehungen des Post-Jelzin-Russlands mit den führenden entwickelten Mächten deutlich machen. Welche Ergebnisse der letzten Jahre sehen Sie ? Wie hat sich Russland in den letzten Jahren seit seiner Aufnahme in die G 8 verändert ? Wo sehen Sie Erfolge und Probleme ?

Die G8-Präsidentschaft dieses Jahr ist ein sehr sichtbarer Beleg dafür, welche beachtenswerte politische und wirtschaftliche Transformationsleistung Russland in den letzten 15 Jahren vollbracht hat. Russland ist zu einem zuverlässigen und unverzichtbaren internationalen Partner geworden, der sich aktiv für die Lösung internationaler Konflikte einsetzt. Die weitere Integration Russlands in die internationale Gemeinschaft bleibt in unser aller Interesse. So erleben wir derzeit eine Vertiefung der strategischen Partnerschaft Russlands mit der EU sowie mit dem Europarat, dessen Vorsitz derzeit Russland ebenfalls innehat.

Ich bin sicher, dass Russlands Entwicklung sich trotz aller Schwierigkeiten auf einem guten Weg befindet. Und ich bin voller Hochachtung für all die Menschen, die durch das kritische Aufgreifen von Problemen, die es in jedem Gemeinwesen gibt, ihr Land voranbringen wollen.

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