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40 Jahre Brandt-Kommission: ihr Erbe und unsere Verpflichtung. Rede von Außenminister Sigmar Gabriel bei der Konferenz #Brandt2030
-- es gilt das gesprochene Wort --
Sehr geehrte Frau Brundtland,
sehr geehrte Frau Malcorra,
sehr geehrter Herr Steiner,
meine Damen und Herren,
wir wollten heute ein bisschen heraustreten aus dem oftmals ja hektischen Alltagsgeschehen, welches wir alle, die wir uns in der Politik oder der Zivilgesellschaft mit internationalen Fragen befassen, derzeit erleben. Und bei dem Blick auf die Entwicklungslinie in der internationalen Politik hat aus meiner Sicht die Arbeit der sogenannten Brandt-Kommission einen ganz besonderen Platz. Wenn man die Berichte der Kommission heute liest, dann fragt man sich, was wir eigentlich in den vergangenen 40 Jahren gemacht haben. Denn es geht in diesen Berichten um Wege aus der Armut, um das Durchbrechen von Aufrüstungsspiralen, die Umweltzerstörung, das Bevölkerungswachstum, um fairen Welthandel und um Schritte weg von der Entwicklungshilfe und hin zu einer echten Partnerschaft des Nordens mit den Ländern des Südens. Natürlich wissen wir, dass sich im Laufe der letzten 40 Jahre das Leben von vielen hundert Millionen Menschen auf der Welt auch verbessert hat. Die Frage ist nur, ob diese Entwicklung etwas mit kluger internationaler Politik zu tun hat, oder ob dies nicht auch auf die wirtschaftliche Entwicklung in vielen dieser Länder zurückzuführen ist. Eine Entwicklung, die sich manchmal nicht aufgrund, sondern trotz der Politik hat durchsetzen können. In jedem Fall ist es so, dass die Fragestellungen und Empfehlungen von damals heute genauso relevant klingen. Keine Sorge, es geht mir heute nicht darum, verpassten Chancen nachzutrauern. Es geht aber darum, dass wir gemeinsam freilegen, welchen Schatz an treffsichereren Analysen und visionären Vorschlägen uns die Frauen und Männer, die in der Brandt-Kommission zusammengearbeitet haben, überlassen haben. Übrigens, Willy Brandt selbst hat geahnt, dass die Arbeit der Kommission noch einmal entstaubt werden müsse. Ich kann ihn zitieren: „Alles, was in unserem Bericht steht, wird wieder aus der Schublade herauskommen, in die man es zunächst einmal legen wird“. Das hat er 1980 prophezeit, er kannte die internationale Community also offensichtlich ganz gut. Ich möchte Sie daher einladen, gemeinsam die Schublade wieder aufzumachen, hineinzuschauen und die Ideen und Vorschläge wieder nutzbar zu machen für die Herausforderungen unserer Zeit.
Wir haben das bei uns im Außenministerium tatsächlich auch ganz wortwörtlich gemacht und ein altes Exemplar des Abschlussberichts hervorgesucht. Und dabei gelernt, dass das Buch zumindest in Deutschland nur noch antiquarisch zu bekommen ist. Eine der ersten Zusagen, die ich heute abgebe ist daher auch, dass wir nach der Konferenz dafür sorgen, dass es eine Neuauflage des Buches geben wird, vielleicht auch eine kommentierte. Dass man Kluges nur noch im Antiquariat findet, das sollte uns im Zeitalter von Internet und E-Mail nicht ausreichen.
Sehr geehrte Damen und Herren, schon der Blick auf den Titel des ersten Abschlussberichts von 1971 lässt aufhorchen: „das Überleben sichern – gemeinsame Interessen der Industrie und Entwicklungsländer“. Wie so häufig steht auch hier das Entscheidende im Untertitel. Die Brandt-Kommission forderte nichts weniger als ein Umdenken hin zu gemeinsamen Interessen und zu einer an gemeinsamer Verantwortung orientierten Weltordnung. Das mag heute ungewohnt klingen, befinden wir uns doch in einer Zeit, in der, gefühlt zumindest, die Interessengegensätze wieder stärker hervorzutreten scheinen.
Ich persönlich fürchte übrigens, dass sich derzeit wieder eine Weltsicht durchsetzt, von der wir schon einmal dachten, dass wir sie überwunden hätten. Vor einigen Wochen gab es in der New York Times einen Aufsatz aus dem Umfeld der Sicherheitsberater von Donald Trump. Dort wurde geschrieben, dass man immer sage, dass in der Welt Verträge geschlossen und Verabredungen getroffen werden müssten, und dass man dann auf der Grundlage von sicheren Verträgen auch politisch zusammenarbeiten könne.
Diese Vorstellung sei falsch, so die Autoren. Eigentlich sei die Welt eine Arena, eine Kampfbahn, in der jeder gegen jeden kämpfe und sich Bündnisse suche. Mal mit dem einen, mal mit dem anderen. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, dass man die Stärke des Rechts ersetzt durch das Recht des Stärkeren. Es gibt einige in der Politik – bis hinein nach Europa – die sogar noch weiter gehen und sagen, eigentlich hat nur derjenige das Recht, sich durchzusetzen, der zeigt, dass er der stärkere ist. Wir haben in Europa zu Beginn des letzten Jahrhunderts eine unselige Tradition gehabt, die sozusagen sozialdarwinistisch die Überlebensrechte von Nationen an deren Durchsetzungskraft mittels Krieg geknüpft hat. Wir haben gedacht, dass wir diese furchtbare Idee überwunden haben und jetzt kommt sie auf einmal wieder in die internationale Politik zurück. Das allerdings wäre das Gegenteil dessen, was vor 40 Jahren die Mitglieder der Brandt-Kommission vor Augen hatten und übrigens auch das Gegenteil dessen, woran heute die Vereinten Nationen arbeiten. Ich glaube, dass es neben allen Einzelaspekten wichtig ist, sich dieser sich in die Weltpolitik hineinfressenden Ideologie des politischen Sozialdarwinismus entgegenzustellen und zu sagen: „das ist nicht unsere Vorstellung, wir sind nach wie vor dafür, dass die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren die internationale Politik bestimmt“.
Vor 40 Jahren sah die Welt natürlich anders aus, aber in den Augen derjenigen, die diese Zeit miterlebt haben, sah sie nicht weniger unruhig aus als die unsere heute. Aber dennoch, damals hatte die Brandt-Kommission den Mut, einen wirklich globalen Interessenausgleich zu fordern, in einer zwischen Ost und West, zwischen Nord und Süd tief gespalteten Welt. Die Kommission forderte, was wir heute als Global Governance bezeichnen, ob in den Vereinten Nationen, den G20, bei Klimaverhandlungen oder in multinationalen Abrüstungsregimen. Die Handlungslogik, die die Kommission damals umtrieb, ist heute immer noch richtig, vielleicht sogar mehr denn je. In den Worten von Willy Brandt „die Globalisierung von Gefahren und Herausforderungen, Krieg und Chaos, Selbstzerstörung erfordert eine Art Weltinnenpolitik, die über den Horizont von Kirchtürmen, aber auch nationalen Grenzen weit hinausreicht“. Aber Hand aufs Herz: das mit der gemeinsamen Verantwortung für die Weltinnenpolitik haben wir, damit meine ich gerade auch uns im sogenannten Norden, nicht wirklich ernst genug genommen. Auch nicht, nachdem das Ende des Kalten Krieges eine Art Turboglobalisierung eingeläutet hat.
Eines möchte ich festhalten: wir haben von dieser Globalisierung profitiert, wir im Norden, andere im Süden auch, aber wahrlich nicht alle. Und wir im Norden haben weitestgehend die Regeln bestimmt. Und genau dafür zahlen wir heute einen Preis: denn die Wahrnehmung der Globalisierung hat sich längst gewandelt. Mindestens bei uns in Europa und auch in den USA. Aber das haben wir erst so richtig gemerkt, als durch die Brexit-Entscheidung in Europa und die Wahl von Donald Trump die Stimmen derjenigen immer lauter wurden, die gesagt haben: „so wie bisher geht es nicht weiter!“. In anderen Teilen der Welt klingt Globalisierung noch immer wie eine Verheißung. Aber die Realität sieht leider meistens anders aus. Denn für viele bleibt der Traum von Reichtum und Mobilität nämlich nur ein Traum. Und noch viel häufiger wird er immer noch zum Albtraum. Die Hoffnung auf Teilhabe an der globalen Weltwirtschaft darf aber nicht tausendfach enden in einem Flüchtlingslager z.B. an der libyschen Küste. Wenn Sie in so ein Flüchtlingslager gehen, dann spüren Sie förmlich, wie dort die Hoffnung auf Teilhabe sich wandelt in Frustration, Resignation und übrigens auch in eine Brutstätte für Gewalt und die Bereitschaft, dass wenn man die Seligkeit schon nicht im Diesseits erreichen kann, sie zumindest im Jenseits anzustreben.
Das macht deutlich: so wie wir im Moment Teilhabe organisieren, wird es langfristig nicht funktionieren. Um in der Sprache der Brandt-Kommission zu bleiben: weder für den Norden noch für den Süden ist dies ein zukunftsfähiges Modell. Selbstkritisch lautet die Frage also: wie steht es angesichts dessen um unser Bekenntnis zu gemeinsamen Interessen, zu unserer gemeinsamen Verantwortung? Die Weltgemeinschaft hat in den letzten 40 Jahren natürlich bedeutende Fortschritte erzielt, denken wir nur an die Agenda 2030 der Vereinten Nationen oder das Pariser Klimaabkommen, von dem wir lange Zeit gedacht haben, es wäre nicht zu erreichen. Diese Fortschritte müssen wir zementieren, sie mit Leben füllen und leider auch gegen diejenigen verteidigen, die sie aufgrund von kurzsichtigen nationalen Interessen in Frage stellen.
Aber so wie die Empfehlungen der Brandt-Kommission damals angesichts der anhaltenden Blockkonfrontationen und neoliberalen Wenden ihrer Zeit voraus waren, so stehen wir weiterhin vor der großen Herausforderung, die Welt wirklich gerechter zu machen. Denn nur wenn uns das gelingt, machen wir sie langfristig auch sicherer und lebenswert für die Generation unserer Kinder und Enkelkinder. Das Engagement für mehr globale Gerechtigkeit ist somit der entscheidende Schlüssel für ein friedliches Zusammenleben im 21. Jahrhundert. Ich glaube, dass dieses ein afrikanisches Jahrhundert werden muss, bei dem wir unsere Nachbarn in Afrika nicht mehr nur als ferne Teilhaber der Globalisierung, sondern als das erachten, was sie sind: nämlich unsere unmittelbaren Nachbarn, mit denen wir Zusammenarbeit auf Augenhöhe brauchen und nicht auf sie herabsehen als Hort von Krisen und Lieferanten von Erdöl und Erdgas.
Wir brauchen daher auch den politischen Mut so zu handeln, wie es unseren langfristigen Interessen entspricht. Auch dann, wenn vielleicht die Früchte dieser Politik erst später sichtbar werden. Ein Engagement für globale Gerechtigkeit entspricht natürlich auch einer moralischen Verantwortung, zumal wenn wir die Charta der Vereinten Nationen und die universelle Erklärung der Menschenrechte ernst nehmen. Aber es geht nicht nur um Moral. Es geht auch um eigene Interessen. Die Brandt-Kommission hat das damals schon erkannt, weshalb auch der Untertitel nicht mit „gemeinsamer Moral“ arbeitet, sondern mit gemeinsamen Interessen, die wir weltweit finden können.
Lassen Sie mich an drei Beispielen deutlich machen, warum der Kampf für globale Gerechtigkeit für uns aus wohlverstandenem Eigeninteresse eine Priorität sein muss.
Erstens: wenn wir es nicht schaffen, in unserer Gesellschaften für ausreichend Gerechtigkeit und Teilhabe an Wohlstand und Sicherheit zu sorgen, riskieren wir, das Vertrauen unserer Bürgerinnen und Bürger in unsere demokratischen Systeme und Werte zu verlieren. Wir bieten damit den Populisten, die es längst gibt, mit ihren scheinbar leichten Lösungen ein leichtes Spiel.
Zweites Beispiel Afrika: Die schier aussichtslose Lage vieler Menschen, allen voran der Jugend, macht in Form von Flucht und Migration die Ungerechtigkeit auch für uns unmittelbar spürbar. Und sie bereitet auch den Boden für Instabilität, Unsicherheit und Gewalt. Die beste Migrationspolitik ist daher eine, die beim Thema Gerechtigkeit und nicht beim Aufbau von „detention centers“ ansetzt. Das hatte schon die Brandt-Kommission im Blick und seitdem haben wir durchaus Fortschritte erzielt, denn die Armutskarte der Welt hat sich ja glücklicherweise verändert. Denken wir nur an den rasanten Aufstieg in Asien in den letzten Jahren. Aber wir sind eben noch weit entfernt von globaler Gerechtigkeit; vielmehr ist Armut nicht nur, aber auch in Afrika für viel zu große Teile der Weltbevölkerung keine vorübergehende Notsituation, sondern ein bitterer Dauerzustand.
Drittens: wenn aufstrebende Mächte wie Indien und China mit gutem Grund eine größere Teilhabe an den Institutionen internationaler Organisationen beanspruchen, dann geht es diesen Staaten um faire und gerechte Teilhabe an Entscheidungen, die unsere Zukunft prägen werden. Dieses Anliegen kann ich gut verstehen, denn die Weltordnung, wie wir sie heute vorfinden, auch in den Vereinten Nationen, repräsentiert ja eigentlich die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts und nicht die Gegenwart und die Zukunft des 21. Jahrhunderts. Wer mehr Teilhabe einfordert, muss sich allerdings auch der Verantwortung, die damit einhergeht stellen und diese auch aktiv wahrnehmen, z.B. in der finanziellen Unterstützung für die Vereinten Nationen. Es ist ja eigentlich eine große Schande, dass die Vereinten Nationen immer nur zu einem unglaublich geringen Prozentsatz grundfinanziert sind und der Generalsekretär und seine Mitarbeiter mit der Sammelbüchse durch die Welt gehen müssen, um wenigstens das Nötigste im Kampf gegen Hunger, Durst und viele andere Naturkatastrophen einzusammeln. Mindestens das muss uns in den nächsten Jahren gelingen: eine deutlich bessere und institutionalisierte Finanzierung der Vereinten Nationen.
Und zuletzt: eine Antwort auf Protektionismus und Globalisierungsskepsis erfordert auch unser Engagement für einen gerechteren Welthandel und ein besseres Regelwerk für die Globalisierung. Mir geht es in erster Linie darum – jedenfalls, solange wir es nicht schaffen zur Verabredung innerhalb der WTO für die ganze Welt zu kommen – faire Handelsabkommen zu schließen, welche die Schattenseiten der Globalisierung benennen und bekämpfen, vor denen uns der Weltwirtschaftsnobelpreisträger der Vereinigten Staaten, Joseph Stiglitz, schon vor 15 Jahren warnte. Übrigens, wenn alle immer ausrechnen, welche wirtschaftlichen Fortschritte man durch Freihandelsabkommen erreichen kann – bei uns in Deutschland ist das ein ganz beliebte Rechnung, ganze Universitäten werden damit beschäftigt, ganze Volkswirtschaftsjahrgänge berechnen dies bis auf die letzte Stelle hinter dem Komma – warum fällt es uns dann eigentlich so schwer ein Instrument zu entwickeln, um einen Teil dieser durch den Freihandel erzeugten Gewinne an die weiterzugeben, die an diesem Handel aufgrund ihrer Armut überhaupt nicht teilnehmen können? Wir sollten sie damit eigentlich erst einmal in die Lage versetzen, an den Fortschritten des internationalen Handels teilzunehmen. Das jedenfalls, finde ich, gehört auf die Tagesordnung der internationalen Handelspolitik.
Meine Damen und Herren, ich will den Beratungen der Konferenz nicht vorgreifen. Aber erlauben Sie mir abschließend einige Überlegungen, die an die Vorschläge der Brandt-Kommission anknüpfen und von denen ich denke, dass wir sie uns heute noch sehr eindringlich zu eigen machen sollten, wenn wir es wirklich ernst meinen mit einer gerechteren Welt.
Im Bericht der Kommission von Willy Brandt wird eine ganz beeindruckende Rechnung aufgemacht: die Militärausgaben nur eines halben Tages hätten damals ausgereicht, um die gesamte damalige Malariabekämpfung der Weltgesundheitsorganisation zu finanzieren. Ich finde die Rechnung gibt einem wirklich zu denken. Ich vermute, dass heute dafür nicht einmal mehr ein halber Tag notwendig wäre. Ich habe die Rechnung nicht für die heutigen Militärausgaben durchgeprüft, aber ich bin mir sicher, dass man mit dem, was wir heute für Militär und Rüstung ausgeben, viel mehr als Gesundheitsprogramme finanzieren könnte.
Wir erleben gerade auch in unserem Land eine Debatte, die völlig losgelöst von den Zielen von Militärpolitik, einfach Zahlen für den Militärhaushalt verbreitet. Bei uns in Deutschland würde das zu einer Verdoppelung des Militärhaushalts führen: 70 Milliarden Euro sollen nach den Wünschen von Donald Trump und vieler anderer in diesem Land für Rüstung ausgegeben werden. Unser ganzer Haushalt hat nur 300 Milliarden und selbst Frankreich – immerhin eine Atommacht – setzt „nur“ 40 Milliarden für die Rüstung ein.
Jeder deutsche Soldat, den wir treffen, der aus dem Ausland wiederkommt von einem Militäreinsatz sagt uns: „Ja, wir brauchen manchmal auch Soldaten zum Bekämpfen von Terror und Konflikten. “Aber„, so sagen uns die Soldaten, “glauben Sie bloß nicht, dass Stabilität und Frieden durch Militär gesichert werden können.„ Eigentlich brauchen wir viel mehr Geld, um Hunger, Armut und Entwicklungsrückstände zu bekämpfen und Bildung und Forschung voranzutreiben.
Deswegen ist mein Vorschlag, dass Deutschland für jeden Euro, den wir in Rüstung stecken, mindestens 1.5 Euro mehr für Krisenpräventionen, Stabilisierung und wirtschaftliche Zusammenarbeit investieren sollte. Zurzeit laufen die Pläne aber eher auf das Gegenteil hinaus. Obwohl wir längst wissen, dass Stabilisierung und Entwicklung mehr Lebensperspektiven schaffen können als Militärausgaben.
Meine Damen und Herren, es gibt noch einen weiteren Grund, warum wir dringend eine Neuauflage der internationalen Debatte um Global Governance auch im Bereich der Militärausgaben und der Militärpolitik brauchen. Was wir derzeit in Nordkorea erleben, zeigt uns, in was für einer gefährlichen Welt wir in ein paar Jahren landen könnten, wenn einzelne Staaten beginnen, sich atomare Bewaffnung verfügbar zu machen. Gelingt dies Nordkorea, dann wird das Folgen haben in Südkorea, in Japan, im gesamten südostasiatischen Bereich. Und ist das einmal passiert, wird auch ein anderer Teil der Welt sich überlegen, ob nicht mit dem Beschaffen nuklearer Waffen die eigene Regierung abgesichert und verteidigt werden kann. Dann allerdings würden wir in einer gefährlicheren Welt leben, als damals, als es noch zwei Blöcke gab mit West und Ost. Und ich glaube, dass deshalb die bis heute in den Strategien der internationalen Politik verankerte Idee, es brauche ein Gleichgewicht des Schreckens, eigentlich auch nur die Situation in der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts widerspiegelt und nicht das, was uns in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts drohen kann. Und wenn die beiden Seiten Russland und NATO mit gutem Beispiel vorangehen, wieder Rüstungskontrolle und nukleare Abrüstung auf die Tagesordnung setzen, statt das Gegenteil, dann hätten wir möglicherweise auch stärkere Kräfte in Bewegung gesetzt zur Verhinderung der Proliferation von Atomwaffen in vielen anderen Ländern der Erde, die uns eine ganz unsichere Welt und im Übrigen auch noch viel Ausgaben bescheren würden, die wir eigentlich für andere Dinge besser einsetzen könnten.
Deshalb, meine Damen und Herren, können wir nur an die Verantwortlichen der NATO, an Moskau, an Washington und an uns selbst appellieren, bestehende Rüstungskontrollverträge nicht einfach aufzugeben, sondern zurückzukehren zur Idee von Rüstungskontrolle, von Abrüstung und dazu beizutragen, dass wir dort, wo wir Abkommen geschaffen haben, wie beispielsweise im Iran, sie nicht erneut gefährden, sondern eine Trendwende einleiten, zurück zu globaler Abrüstung.
Meine Damen und Herren, mit den Worten von Willy Brandt kann man seinen Vortrag zum Kommissionsbericht ganz gut abschließen. Er schreibt, ich zitiere: “Die Gestaltung unser aller Zukunft ist zu wichtig, um sie allein Regierungen und Experten zu überlassen.„ Er richtete damals seinen Appell vor allem an die Jugend sich einzumischen, sich einzubringen. Das ist sein Aufruf an die nächste Generation, der auch heute noch gültig ist.
Daher freue ich mich besonders darüber, dass wir bei dieser Konferenz eine ganze Reihe jüngerer Menschen aus der ganzen Welt begrüßen dürfen. Ich freue mich auf die Diskussion mit Ihnen und vor allem auf die Vorschläge, die wir heute entwickeln werden. Es gibt gute Gründe, den Brandt-Bericht und auch den der Brundtland-Kommission nicht den Antiquariaten zu überlassen, sondern sie als Auftrag zu sehen, sich den dort beschriebenen Themen erneut mit aller Kraft zu widmen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.