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Rede von Außenministerin Baerbock zu Fachkräfteeinwanderung auf dem Arbeits- und Fachkräftekongress der Grünen Bundestagsfraktion
Zu Beginn dieses Jahres war ich auf den Philippinen, und hatte zum Thema Fachkräftegewinnung eine junge Philippinerin mitgenommen, aus Süddeutschland. Die im Krankenhaus bei uns arbeitet, seit sieben Jahren.
Und als Lola von ihren Erfahrungen berichtete, da musste ich ein paar Mal schlucken, weil die junge Frau sehr ehrlich war. Sie hat gesagt: „es ist super in Deutschland, ich liebe meinen Job.“ Aber auch: „Ehrlich gesagt, hätte mir das jemand vorher gesagt… ich weiß nicht, ob ich mich auf diese Reise begeben hätte.“
Und dann berichtete sie sehr charmant. Zum einen davon, wie das ist, in eine so andere Kultur zu kommen, wo die Leute erst mal nur „Guten Morgen!“ sagen und es dann nur selten noch weiter geht mit Small Talk. Wie sie erst einmal Deutsch lernen musste. Und sie berichtete das, was wir immer hören als Stereotypen über Deutschland, was aber leider der Realität entspricht: die Zeugnisse, die Zertifikate, die Urkunden, die Übersetzungen, der ganze Papierdschungel, das wochenlange Warten auf Termine an der Botschaft. Bis sie dann endlich im Flieger saß. Wenn man dem zuhörte, hat man gedacht: Um Gottes Willen, warum hat sie das eigentlich alles auf sich genommen?
Das hat für mich noch mal deutlich gemacht, wie wichtig es ist, dass wir nicht nur über Fachkräftezuwanderung reden und das aus dem Habitus heraus „es kommen schon alle nach Deutschland“. Sondern dass wir uns vergegenwärtigen, uns fragen: was ist das Attraktive an uns? Warum sollten Leute nach Deutschland kommen? Zu uns, um bei uns zu arbeiten?
Weil wir natürlich in einem internationalen Wettbewerb stehen.
Und Deutsch ist eine wunderschöne Sprache, das wissen wir alle. Aber es sprechen nicht so viele Leute auf der Welt unsere Sprache. Und daher liegt es für viele Menschen, erst recht in einer immer globalisierteren, Welt nahe, in einem anderen Land zu arbeiten, zum Beispiel auf Englisch.
Für uns war daher als Bundesregierung insgesamt eine der wichtigsten Aufgaben unserer Regierungszeit - und das haben wir gleich zu Beginn auf den Weg gebracht -, dass wir einen echten Paradigmenwechsel einleiten.
Ein Paradigmenwechsel bei unserer Haltung, nicht nur zum Thema Fachkräfte, sondern auch zu dieser jahrzehntelangen Debatte, ob wir nun ein Einwanderungsland sind oder nicht. Denn diese Debatte hat uns nicht nur gelähmt, sondern sie hat Systeme geschaffen, die nicht einladend für Menschen sind, die hier gerne arbeiten wollen. Sondern die überall, in diesem ganzen Papierdschungel, auf Abschottung angelegt waren. Und das, obwohl in unserem Land schon heute fast jeder dritte Mensch eine Migrationsgeschichte hat. Auch das gehört zu unserer ehrlichen Debatte dazu.
Und wir müssen ganz klar sagen: so eine Haltung können wir uns nicht länger leisten.
Wir haben die Zahlen, die Fakten gerade gehört.
Deswegen wollen wir und haben wir als Bundesregierung das Thema Migration nicht mehr länger ausgesessen, sondern gesagt: wir müssen das Steuer aktiv in die Hand nehmen.
Denn eine aktive Migrationspolitik, die dient unserem eigenen wirtschaftlichen Interesse. Und wir legen unsere Migrationspolitik so an, dass sie humanitäre Verantwortung und wirtschaftliches Interesse miteinander verbindet, so, dass sie ökonomisch klug ist, zugleich verlässlich, und unseren Werten entspricht.
Entsprechend haben wir ein gemeinsames europäisches Asylsystem auf den Weg gebracht, auch wenn das schwierige Diskussionen mit sich gebracht hat. Wir haben uns der Frage der Einwanderung explizit gestellt und dieses ständige Vermischen von Flucht und Migration geordnet.
Das heißt, wir überlassen endlich die Frage von Einwanderung, von Fachkräften, nicht mehr länger dem Zufall, sondern gehen das gezielt und strategisch an, so wie das auch andere Länder tun. Wir haben die rechtlichen und digitalen Voraussetzungen für geordnete Einwanderung geschaffen, damit wir in dem Bereich, in dem wir in einem internationalen Wettbewerb stehen, überhaupt eine Chance haben. Weil nicht automatisch jeder Deutsch spricht und sagt, er möchte gerne in Deutschland arbeiten
Denn ohne das Verständnis, dass wir sind ein modernes Einwanderungsland sind, das aktiv um Fachkräfte werben muss, werden wir diesen unglaublichen Fachkräftemangel nicht beheben können.
Das erlebt jeder im Alltag, wenn wir zum Bäcker gehen. Bei mir zum Beispiel in der Nähe steht da „Wir machen jetzt einen Tag weniger in der Woche auf“. Die Produktionsbänder in manchen Industrieunternehmen, wo wir früher über Kurzarbeit aus anderen Gründen gesprochen haben, stehen heute aus Mangel an Arbeitskräften still. Und von den Kitas und den Pflegekräften können wir tagelang und nächtelang sprechen.
Aber wir werden uns die Fachkräfte nicht einfach backen können. Wenn wir nichts tun, dann sind wir in einer Situation, in der uns jährlich 400.000 Menschen im erwerbsfähigen Alter fehlen. Oder aber wir kommen dazu, dass wir 400.000 Menschen international anwerben, die hier bei uns arbeiten.
Und wie gesagt, sind wir da in einem internationalen Wettbewerb, nicht nur mit Blick auf die Sprache. Wo es für eine indische IT-Spezialistin, die muttersprachlich Englisch spricht, einfacher ist, in die USA oder nach Australien zu gehen. Wo Pflegekräfte in Brasilien, wenn man Portugiesisch spricht, im Zweifel sagen, Spanisch liegt einfach etwas näher.
Ich reite auf diesen Punkt, dass wir selber aktiv werden müssen, so herum, weil das bei all meinen Reisen das Hauptkriterium ist. Bei meinen Reisen erlebe ich, dass durch unsere jahrzehntelange Kultur schon der Eindruck entstanden ist auf der Welt: na ja, so dringend werden Fachkräfte in Deutschland im Zweifel nicht gebraucht.
Das heißt, wir müssen uns doppelt anstrengen.
Und wir müssen uns vergegenwärtigen: jahrzehntelang haben Menschen unsere Stärke, unser Alleinstellungsmerkmal darin gesehen, dass wir ein freies Land sind, ein starker Sozialstaat, ein Land, in dem man sich verwirklichen kann. Und wollten deswegen bei uns arbeiten, auch wenn es mit der Sprache vielleicht ein bisschen schwieriger war. Heute werde ich bei meinen Reisen auch immer wieder darauf angesprochen: „Ist denn Deutschland für mich sicher, wenn ich eine andere Hautfarbe habe. Oder nicht so gut Deutsch kann?“ Auch das gehört zur Realität mit dazu. Weil die Berichte, die es über Rassismus gibt – oder auch über Wahlergebnisse – in einer vernetzten Welt überall transportiert werden.
Und dann ein anderes Thema, was auch immer ein Vorteil von uns war: die Frage „Kann ich meine Kinder mitnehmen?“ Auch das erlebe ich auf der Welt, weil wir in so einem Wettbewerb stehen. Auch diese Frage von Vereinbarkeit von Familie und Beruf spielt eine immer größere Rolle. Und auch hier verringert sich unser Wettbewerbsvorteil, wenn wir nicht einladend unterwegs sind.
In diesem Sinne, dass meine lange Vorrede, ist das Fachkräfteeinwanderungsgesetz das Beste, was uns als Wirtschaftsnation passieren konnte.
Deutschland hat mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz jetzt das modernste Einwanderungsrecht, zumindest in Europa.
Und das heißt: wir ermöglichen endlich, dass jemand mit einem ausländischen Bildungsabschluss in Deutschland nicht mehr erstmal damit ringen muss, ob jetzt der Proseminar-Schein A auch anerkannt wird oder nicht. Sondern dass wir jetzt Anerkennungspartnerschaften schließen. Das heißt, man kann seine Arbeit aufnehmen und den ausländischen Abschluss währenddessen anerkennen lassen. In anderen Ländern eine Selbstverständlichkeit.
Erstmals ermöglichen wir mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, dass Asylbewerberinnen und Asylbewerber unter bestimmten Voraussetzungen ihren Asylantrag zurückziehen und stattdessen einen Aufenthaltstitel als Fachkraft erhalten können. Der sogenannte Spurwechsel. Jahrelang haben viele in diesem Land dafür gekämpft, dass er endlich da ist. Und das hilft unserer Wirtschaft massiv, auch das eine wichtige Modernisierung.
Ich kann mich an die Neunziger erinnern, was für ein Verständnis wir damals hatten, von den Geflüchteten der Balkankriege. Eine gute Freundin von mir ist hierhergekommen als Kind, wurde hier ausgebildet, hat alles gelernt, perfekt Deutsch gesprochen. Und dann, als sie volljährig geworden ist, ist sie in die Niederlande gegangen zum Studieren, weil sie hier nicht mehr bleiben konnte.
Und dieses Verständnis, dass Menschen, die lange hier sind, die hier ausgebildet worden sind, die hier arbeiten können, dass sie auch unsere Wirtschaft stärken können und uns vor allem beim Fachkräftemangel helfen, das ist essenziell wichtig.
Der dritte Punkt die Chancenkarte. Auch hier haben wir endlich das getan, was einige Länder schon vor uns getan haben: durch ein modernes Punktesystem, das die Stärken der Bewerberinnen und Bewerber individuell abbildet. Statt pauschale Vorgaben darüber zu machen, welche Zertifikate sie noch brauchen. Auch das ist etwas, was wir zum Beispiel aus Kanada gelernt haben, wie wichtig das ist für unser eigenes System.
Das Gute ist: Jetzt haben wir die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen. Und ich würde alle einladen – auch hier sind ja viele Vertreter von Unternehmen: kommunizieren Sie das, reden Sie darüber. Weil es nicht hilft, nur die Gesetze zu ändern. Wir können die letzten Jahrzehnte nicht rückgängig machen, in denen man den Eindruck hatte, eigentlich ist es wahnsinnig schwierig, nach Deutschland zu kommen. Da müssen wir jetzt aktiv nach außen gehen und das bewerben.
Und dieses Teamwork, das ist der zweite wichtige Bestandteil. Wir können es nur als Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern und der Wirtschaft angehen. Kein Minister, keine Ministerin alleine kann die 400.000 Fachkräfte hierher bekommen, sondern das müssen wir zusammen tun. In diesem Sinne haben wir uns insbesondere zwischen dem Arbeitsministerium von Hubertus Heil, dem Wirtschaftsministerium von Robert Habeck und dem Auswärtigen Amt koordiniert. Und uns die Frage gestellt: in welchen Berufen brauchen wir die Menschen? Wie können wir mit der Wirtschaft kooperieren? Wie können wir als Auswärtiges Amt, als erste Anlaufstelle für Visa und den Spracherwerb mit den Goethe-Instituten, das gemeinsam auf den Weg bringen?
Und da gibt es keine Blaupause für jedes Land.
Denn auch die Haltung „wir machen für jedes Land das Gleiche“ wäre eine aus dem letzten Jahrhundert, geleitet von der Mentalität: „alle wollen sowieso nach Deutschland kommen“. Stattdessen müssen wir Menschen in unterschiedlichen Regionen entsprechend ihrer eigenen Interessen ansprechen.
Mit den Philippinen, wo die Pflegerin Lola herkommt, haben wir lange kooperiert im Bereich von Pflegekräften. Da gab es ein großes Interesse, aufgrund natürlich der gut bezahlten Jobs in Deutschland, was Rücküberweisungen auch für die Philippinen und ihre Wirtschaft bedeutet hat. Wir haben aber durch Corona gesehen, dass das logischerweise nicht nur uns nicht kalt gelassen hat. Sondern sich alle Länder auf dieser Welt zu Recht gefragt haben: was brauchen wir eigentlich, um unser eigenes Gesundheitssystem zu stärken?
Das heißt, auch hier müssen wir immer wieder neu denken. Und gerade im Bereich Gesundheit genau hinschauen: wie können wir das so machen, dass es beiden Seiten nützt? Auch das ist ein Mentalitätswechsel. Nicht allein: was braucht Deutschland? Und dann davon ausgehen, dass das andere Land schon versteht, das doch auch gut für sie ist. Sondern auch fragen: was hat das Partnerland eigentlich davon, wenn wir in Migrationspartnerschaften einsteigen? Das heißt, wir haben jetzt vor allen Dingen Partnerschaften, auf Augenhöhe, die die Nöte und Sorgen auch der anderen mit im Blick haben.
Über die WHO gibt es Schutzvorkehrungen, die bei uns auch gesetzlich verankert sind, damit bei Fachkräftezuwanderung aus dem Gesundheitsbereich das Gesundheitssystem im Herkunftsland nicht geschädigt wird, Stichwort Braindrain. Auch das ist mir wichtig. Denn es heißt: die Länder, die mit uns in diesem Bereich kooperieren, wurden vorher nach WHO-Standards gecheckt, ob das für sie gut ist oder nicht. Und da kann man eine Win-Win Situation schaffen.
Das primäre Augenmerk natürlich aber für mein Ministerium, für das Auswärtige Amt, sind die Visastellen an den Auslandsvertretungen. Sie sind quasi die Visitenkarte Deutschlands. Und auch da gehört zur Ehrlichkeit dazu: ich war zu Beginn ziemlich konsterniert. Denn durch das Verständnis, dass wir vielleicht gar kein richtiges Einwanderungsland sind haben wir, hat dieses Land, in der Vergangenheit ein System geschaffen, was eher auf Abschottung ausgelegt war. Da wurde ich zu Beginn meiner Amtszeit gefragt: „Aber Frau Baerbock, warum dauert das so lange an ihren Botschaften, wie kann das denn sein?“
Und dann war ich Ende 2022 in New Delhi, und dort, das ist jetzt kein Scherz, schleppte man in Wäschekörben Visaanträge durch die Gegend – und ein ganzer Raum war komplett voll mit Wäschekörben von Visaanträgen. Und das war nicht, weil man in Delhi, an der Botschaft nicht mitbekommen hatte, dass man mittlerweile die Digitalisierung hat, sondern weil es ein System war, das darauf angelegt war – das sind jetzt meine Worte -: Im Zweifel gegen die Antragsteller.
So gewinnt man natürlich keine Fachkräfte. Wenn wir heute im Jahr 2024 Menschen haben, die sich fragen „was sind meine Chancen in Deutschland?“, und die bei uns studieren wollen, und das Semester fängt an und die hören dann in der Botschaft „vielleicht in einem Jahr“ - dann haben wir ein Problem.
Wir mussten das Visa-System vom Kopf auf die Füße stellen in dem Verständnis: ein modernes Einwanderungsland braucht ein modernes Visa-System. Unser Ziel also ist bis zum Ende der Legislatur die Digitalisierung des gesamten Visaprozesses umzusetzen.
Das heißt nicht nur, dass im Auslands-Portal Antragsteller jetzt endlich von zu Hause ihren Visaantrag online stellen können, dass es keine Wäschekörbe mehr gibt, sondern das bedeutet auch, dass wir unnötige Verfahrensschritte reduzieren. Und da braucht es auch wieder die Zusammenarbeit von Bund und Ländern.
Bisher war es so: wenn jemand zum Beispiel in Deutschland studieren wollte, dann prüfte die Botschaft den Antrag. Das ist auch der Job der Botschaft, die das Land ganz gut kennt. Nichtsdestotrotz gab es noch den Verfahrensschritt, dass die Ausländerbehörde etwas dazu sagen konnte, ob das jetzt mit der Uni oder dem Proseminar so passt. Wie eine Ausländerbehörde in Hintertupfingen feststellen kann, wie das in Delhi mit den Studienabschlüssen ist, das fragt man sich ein bisschen. Und es hat in der Praxis zu einer Überlastung der Ausländerbehörden geführt, die dann erstmal pro forma Widerspruch eingelegt haben, um eine Fristverlängerung zu bekommen. Weil sie schon wussten, dass sie das in der kurzen Zeit überhaupt nicht schaffen konnten.
Als ich gefragt habe: „wie kann es denn sein, dass wir bei Studierenden so lange Wartezeiten haben?“ das war die Antwort einfach: weil wir ein System vorgefunden haben, das eigentlich darauf angelegt war: Na ja, so dringend wollen wir eigentlich ausländische Studierende gar nicht haben.
Auch das haben wir jetzt geändert. Und auch hier sieht man wieder: Teamarbeit. In diesem Fall in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium. Wir sind das angegangen und diese Stufe der Beteiligung der Ausländerbehörden haben wir gestrichen. Das entlastet auch die Ausländerbehörden vor Ort, die genug im Inland zu tun haben.
Dritter Punkt, und eine kleine Werbekampagne auch für das Auswärtige Amt: auch bei uns fehlen Fachkräfte! Und damit das alles schneller geht, hat mein Vorgänger Heiko Maas bereits, und dafür bin ich sehr dankbar, das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten geschaffen. Im schönen Brandenburg an der Havel, im Bundesland Brandenburg. Ich kann sagen, da ist es wunderbar. Und dort werden jetzt die Visaanträge hier bei uns im Inland mitbearbeitet, damit wir schneller und fokussierter arbeiten können. Wir zentralisieren die Bearbeitung von einigen Antragskategorien dort, weil wir nicht alles gleichzeitig machen können. Wir können nicht alle Auslandsvertretungen sofort auf den gleichen Stand bringen.
Und deswegen ist das BfAA schon jetzt die größte Visastelle für nationale Visa weltweit. Und wir brauchen dringend Fachkräfte auch bei uns, die das weiter unterstützen können.
In Indien, in Delhi, konnten wir so die Wartezeiten für ein nationales Visum mittlerweile auf zwei Wochen reduzieren. Früher lagen sie bei neun Monaten.
Und das ist unser Anspruch, angesichts von 400.000 Menschen, die wir eigentlich brauchen.
Unsere Prognosen gehen aber davon aus, dass durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz die Zahl der nationalen Visa um circa 63 % steigen wird. Daher hier mein intensiver Werbeblock: Das müssen wir natürlich mit Personal weiter umsetzen können. Deswegen ist für uns, wir sind ja auch mitten in den Haushaltsverhandlungen, die Investition in IT- und in die Personalausstattung eine so wichtige Aufgabe. Nicht für das Auswärtige Amt, sondern für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Denn wenn wir da nicht schneller werden, werden wir vom Bäcker bis zum IT-Unternehmen alle große Probleme haben.
Wir können diese Aufgabe nur gemeinsam angehen. Ich freue mich deswegen sehr, dass hier etliche Unternehmensvertreter sind. Bei meinem Besuch auf den Philippinen hatten wir auch eine Runde nicht nur mit Lola, sondern auch mit führenden deutschen Automobilherstellern und anderen Unternehmen, die dort vertreten sind. Das ist das Schöne: wir haben nicht nur Botschaften, wir haben auch viele Unternehmen, die Botschafter für Deutschland sind. Aber auch da könnten wir viel besser zusammenarbeiten. Denn das Auswärtige Amt, die Bundesregierung kann nicht die Fachkräfte alleine besorgen. Das funktioniert nur in der Kombination, gerade mit den Unternehmen. Wir haben Außenhandelskammern, sehr viele auf der Welt. Manche arbeiten hervorragend, bei anderen, würde ich sagen, wäre die Kooperation noch ein bisschen ausbaufähig
In dem Sinne möchte ich mal ein Beispiel hervorheben, ein Bauunternehmen aus Hannover. Auch dort hatte ich mich mit den Vertretern getroffen. Das Unternehmen hat gesagt, wir können nicht länger warten. Wir brauchen unsere Baustellenkräfte so intensiv, wir rekrutieren sie in Usbekistan selber vor Ort. In dem Verständnis, dass es nicht reicht, aufzuschreiben „Komm nach Deutschland, arbeite hier!“. Sondern in einer Kooperation mit der Sprachschule vor Ort.
Das wäre mein Appell auch an die Verbände, BDI und andere, sich auch in den Verbänden zu überlegen: wie können wir eigentlich branchenübergreifend mit der Bundesregierung zusammen im Ausland solche Plattformen bilden?
Denn das ist es, was wir brauchen, um auf die 400.000 Menschen zu kommen. Denn wir können es nur gemeinsam schaffen.
Wir haben gesehen, was wir durch die rechtlichen Änderungen bewirkt haben. Einen Mentalitätswechsel, das Verständnis, dass Menschen uns hier gemeinsam stärken. Menschen wie Lola. Oder Menschen wie Mohammed.
Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen ist, wenn Sie in Hotelzimmern sind. Seit Neuestem gibt es dort manchmal so Karten „Schlafen Sie gut“ und dann steht da, wer das Bett gemacht hat. Und ich hatte in München letztens eine Karte, da stand drauf „Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen, Frau Baerbock. Ich schlafe seit fünf Jahren endlich wieder richtig gut, seitdem ich hier in Deutschland bin. Ihr Mohammed. P.S.: der Hotelchef hier hat mir wirklich eine Chance gegeben, den Arbeitsplatz zu finden.“
Und dieses Verständnis, dass wir auf der einen Seite Fachkräfte anwerben, von außen zu kommen, und auf der anderen Seite die Potenziale derjenigen nutzen müssen, die schon lange hier leben – gerade bei der Erwerbstätigkeit von Frauen; dass wir dies gemeinsam denken und nicht gegeneinander ausspielen müssen, das wird uns voranbringen.
Mit voll digitalisierten und leistungsfähigen Einwanderungsverfahren.
Mit aktiven Unternehmen und Bewerberinnen und Bewerbern aus dem Ausland,
mit starken Goethe-Instituten, an denen Deutsch gelernt werden kann.
Und vor allen Dingen mit einer offenen Gesellschaft, mit einer echten Willkommenskultur.
Die in unseren Botschaften und an unseren Visastellen beginnt, aber bis zur Kita um die Ecke reicht.