Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts
Rede von Außenministerin Annalena Baerbock bei der 55. Sitzung des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen
Alle vier Minuten wird in Deutschland eine Frau von ihrem Ehemann, Partner oder Expartner körperlich angegriffen.
Weltweit werden jede einzelne Sekunde acht Frauen körperlich angegriffen.
Also jetzt … – und jetzt … – und jetzt.
Doch wir sprechen hier nicht über Zahlen. Wir sprechen über Menschen.
Acht pro Sekunde. Das sind keine Zahlen. Dahinter steht immer eine Mutter, eine Tochter, eine Schwester.
Es könnte jeder sein. Es könnten Sie sein. Es könnte ich sein.
Wir in diesem Rat kommen aus allen Regionen der Welt.
Aber niemand von uns, kein Land auf der Welt hat es geschafft, geschlechtsspezifische Gewalt vollständig zu beenden.
Wenn wir das ändern wollen, müssen wir alle in unserem eigenen Land anfangen – wie mein brasilianischer Kollege es so prägnant auf den Punkt gebracht hat.
Deutschland hat Ihnen allen gerade im Zuge des Universal Periodic Review seine Menschenrechtsbilanz dargelegt.
Die 346 Empfehlungen, die wir von Ihnen erhalten haben, gehen auf Kernthemen ein, beispielsweise den Anteil von Frauen auf unserem Arbeitsmarkt, die bedeutende Gender Pay Gap in Deutschland und die Zahl der Frauenhäuser in meinem Land.
Diese Empfehlungen nehmen wir sehr ernst. Offen gesagt bin ich dankbar dafür. Denn sie helfen uns, unsere eigene Menschenrechtslage zu verbessern. Und manchmal ist eine Außenperspektive hilfreich, um voneinander zu lernen.
Wir nehmen uns diese Empfehlungen zu Herzen, weil wir wissen: Menschenrechte sind keine Rosinenpickerei.
Menschenrechte sind weder westlich noch östlich, südlich oder nördlich. Menschenrechte sind unteilbar. Menschenrechte sind universell.
Hier in Genf. In meiner Hauptstadt Berlin.
Genauso wie in Tel Aviv. Oder in Rafah.
Bei ihrem ruchlosen Angriff auf Israel am 7. Oktober hat die Hamas israelische Männer, Frauen, Kinder und Babys verstümmelt und getötet. Dabei hat die Hamas insbesondere israelische Frauen und Mädchen ins Visier genommen und sexualisierte Gewalt als Waffe eingesetzt.
Wie jedes Land der Welt hat Israel das Recht, sich zu verteidigen.
Wie jedes andere Land der Welt muss es dies im Rahmen des humanitären Völkerrechts und der internationalen Menschenrechtsnormen tun. Die israelische Regierung muss die Verfügung des IGH vom 26. Januar befolgen.
In derselben Verfügung werden die Terroristen der Hamas aufgefordert, endlich alle Geiseln freizulassen.Und palästinensische Zivilistinnen und Zivilisten nicht als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen.
Die humanitäre Lage in Gaza ist einfach katastrophal.
Mütter – wie wir, wie ich – fliehen vor den Kämpfen, ihre weinenden Kinder hinter sich an der Hand, panisch und verzweifelt. Waisenkinder irren zwischen den Ruinen ihrer Wohnungen umher. Barfuß, hungrig –allein.
Manchmal stelle ich mir vor, dies wären meine Töchter.
Wir arbeiten ohne Unterlass an einer humanitären Pause, die zu einem humanitären Waffenstillstand führt.
Die Zivilbevölkerung muss geschützt werden. Zu den Menschen in Gaza muss mehr Hilfe gelangen.
Das habe ich auch unseren israelischen Partnern gesagt – bei meinen fünf Reisen, die ich seit Oktober in die Region unternommen habe. Erst vor wenigen Tagen habe ich das wiederholt.
Denn Menschenrechte sind universell.
Denn ein Leben ist ein Leben.
In Tel Aviv. In Rafah.
Und auch in einem russischen Straflager namens „Polarwolf“.
Dort starb vor wenigen Tagen Alexej Nawalny, durch die Hand des russischen Regimes, vor den Augen der Welt.
Doch niemand kann einem Volk auf ewig seine Rechte vorenthalten.
Nicht im Hohen Norden Russlands. Und auch nicht in Teheran.
Und jenen, die behaupten, Hinweise auf Verstöße seien eine Einmischung in innere Angelegenheiten, will ich klipp und klar sagen:
Menschenrechte sind weder westlich noch nördlich, östlich oder südlich. Sie sind universell.
Sie kennen keine Himmelsrichtungen.
Sie sind unteilbar.
Denn wie Margot Friedländer, eine 102 Jahre alte Holocaust-Überlebende, unlängst sagte: „Es gibt kein christliches Blut, kein jüdisches Blut, kein muslimisches Blut – es gibt nur menschliches Blut.“
Menschliches Blut von menschlichen Wesen. Keine Zahlen..
Acht Frauen pro Sekunde. Dahinter steht immer eine Mutter, eine Schwester, eine Tochter. Dahinter stehen immer wir.
Niemand von uns will gefoltert, will vergewaltigt werden.
Niemand von uns will verhaftet werden, weil man das Haar in der Öffentlichkeit offen trägt.
Keine Frau will das, und, ich vermute, auch kein Mann.
Doch in Iran geriet im Oktober letzten Jahres Armita ins Visier der Behörden. Eine junge Frau, die brutal misshandelt wurde, weil sie in der U-Bahn kein Kopftuch trug. Sie starb nach wochenlangem Koma.
Auch Zeynep geriet ins Visier. Eine Schülerin, die bei einer Demonstration mit ihren Freundinnen verhaftet wurde – und von einem Wächter vergewaltigt wurde.
Eine Schülerin. Wie meine Tochter. Wie Ihre Tochter.
Dies sind lediglich die Schicksale von zwei Menschen. Zwei Leben.
Doch es gibt Tausende, über deren Schicksal wir nichts Genaues wissen.
Im Herbst 2022 begannen mutige iranische Frauen und Männer ihre Proteste unter dem Motto „Frau, Leben, Freiheit“. Tausende gingen auf die Straße. Tausende wurden verhaftet.
Die von diesem Rat eingerichtete Aufklärungsmission führt Ermittlungen zu der Unterdrückung, der Gewalt und den Verbrechen durch, die seit Beginn der Proteste in Iran stattfinden.
Sie erhebt und verwahrt Beweise. Sie gibt den Opfern – Frauen und Mädchen – eine Stimme.
Deshalb bitten wir um Ihre Unterstützung für eine Verlängerung des Mandats der Kommission, damit sie ihre Arbeit abschließen kann.
Denn schließlich ist das der Sinn unserer Zusammenkunft hier, der Sinn dieses Menschrechtsrats.
Dass die Weltgemeinschaft zeigt: Ein Leben ist ein Leben.
Das Leben einer Iranerin ist ein Leben.
Das Leben einer Russin ist ein Leben.
Das Leben einer Palästinenserin ist ein Leben.
Das Leben einer Israeli ist ein Leben.
Das Leben einer Chinesin ist ein Leben.
Das Leben einer Südsudanesin ist ein Leben.
Das Leben einer Deutschen ist ein Leben.
Menschenrechte sind universell.
Überall.