Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Rede von Außenministerin Baerbock bei der Cinema for Peace Gala in Berlin

19.02.2024 - Rede

Ich möchte Sie gerne mitnehmen in den Frühling des Jahres 1969, nach Wellesley, einem College für Frauen, eine halbe Stunde westlich von Boston; zu dem Tag, an dem eine 21-jährige Studentin mit kräftiger Brille und riesigem Talent im Begriff war, eine Rede auf ihrer Abschlussfeier zu halten.

Vor ihr hatte das noch keine Studentin an ihrem College getan. Aber zusammen mit ihren Kommilitoninnen hatte sie die College-Leitung überzeugt, dass es jetzt an der Zeit war.

Diese 21-jährige Studentin, die später Außenministerin ihres Landes und eine der angesehensten Politikerinnen weltweit werden sollte, das warst du: Hillary Diane Rodham.

Bevor du mit deiner Rede an der Reihe warst, damals im Frühjahr 1969, sprach zunächst Senator Edward Brooke. Ein Politiker, 50 Jahre alt, der dir und deinen Kommilitoninnen erklärte, warum ihr besser nicht gegen den Vietnamkrieg demonstrieren solltet, warum die Politiker schon alles richtig machen würden, warum ihr Mädchen euch keine Sorgen machen müsstet.

– Ich würde sagen, er hatte Glück, dass es den Begriff „Mansplaining“ damals noch nicht gab. –

Als du die Bühne betratst, hast du dem Publikum gesagt, warum du anderer Meinung bist als Senator Brookes – respektvoll, aber sehr klar.

Eine junge Frau, die einem gestandenen Senator so offen Paroli bietet, das war damals ein kleiner Skandal. Aber du hast ja nicht nur für dich selbst gesprochen. Du hast deine Stimme erhoben, um im Namen deiner Mitstudentinnen zu sprechen – 400 Frauen.

Diese Haltung hat deine ganze Karriere geprägt. Du hast Generationen von Frauen und Mädchen gezeigt, dass sie nicht still sein müssen, wenn Männer ihnen die Welt erklären wollen.

Hillary Clinton hat ihre Macht, ihre Strahlkraft genutzt, um Millionen andere Frauen weltweit zu „empowern“, zu ermächtigen. Sie hat dabei gezeigt, was wahre Führungsstärke heißt: diejenigen strahlen zu lassen, die nicht selbst strahlen können. Damit hat sie so viele gläserne Decken durchbrochen; für so viele, die nach ihr kamen.

Liebe Hillary, das hast du unzählige Male geschafft. Als erste Vertreterin von New York im US-amerikanischen Senat, als Außenministerin, als Präsidentschaftskandidatin – und auch heute noch.

Rückblickend betrachtet sagen sich all diese Erfolge so leicht. Aber diese gläsernen Decken zu durchbrechen, das war harte Arbeit – jedes einzelne Mal.

Du hast es einmal so beschrieben: „Wenn wir zu tough sind, mag uns niemand. Wenn wir zu soft sind, sind wir nicht bereit für die obere Liga. Wenn wir zu viel arbeiten, vernachlässigen wir unsere Familie. Wenn die Familie an erster Stelle steht, nehmen wir den Job nicht ernst.“

Dazu die Kommentare über unsere Kleidung oder unsere Stimme, sexistische Bemerkungen, Beleidigungen.

Einige denken jetzt vielleicht: Das sind doch nur Kleinigkeiten. Kleidung und Make‑up.

Aber heute finden Hassbotschaften bei TikTok und Facebook einen riesigen Raum. Weil sich die Täter dort in ihrer Anonymität sicher fühlen.

Das sind keine Kleinigkeiten. Das ist Teil einer Strategie, die darauf abzielt, erst Frauen und dann auch andere zum Schweigen zu bringen. Diese Strategie richtet sich nicht nur gegen Frauen; sie richtet sich gegen unsere Freiheit, gegen unsere Demokratien.

Überall auf der Welt sehen wir, dass die Rechte von Frauen ein Gradmesser für den Zustand unserer Gesellschaften, für die Stärke – oder die Aushöhlung – unserer demokratischen Grundlagen sind.

Die philippinische Nobelpreisträgerin Maria Ressa hat das als „Tod der Demokratie durch tausend Schnitte“ beschrieben – und deshalb ist es auch kein Zufall, dass autokratische Regime zuallererst Frauen verfolgen.

Deswegen ist das hier auch keine Rede über Feminismus. Das ist eine Rede über menschliche Sicherheit. Hillary Clinton hat es 1994 in Peking so formuliert: „Frauenrechte sind Menschenrechte – und Menschenrechte sind Frauenrechte.“

Dein ganzes politisches Leben lang, liebe Hillary, hast du darauf gesetzt, nicht auszugrenzen, sondern zuzuhören.

Insbesondere Frauen, Menschen, deren Stimme nicht gehört wurde.

Und dabei geht es nicht um „soft power“, sondern um harte Sicherheitspolitik. Du hast diese Herangehensweise einmal so beschrieben: „Ich will das “interpersonal„ zum “international„ machen – das Zwischenmenschliche zum Internationalen.“ Den Menschen sehen und versuchen, seine Sorge, seinen Schmerz mit Empathie zu verstehen – besonders in Zeiten von Krieg und Krise –

denn wir müssen das Leid der anderen anerkennen, wenn wir es beenden wollen. Wenn wir dauerhaften Frieden wollen.

Genau diese Art von Menschlichkeit brauchen wir jetzt.

Dies gilt auch mit Blick auf die schreckliche Gewalt, die wir in der Welt sehen – zum Beispiel im Nahen Osten. Damit wir das Leid der Israelis sehen, die vergewaltigte Frau, das ermordete Baby, die Menschen, die am 7. Oktober von der Hamas brutal angegriffen wurden und die das Recht haben, sich zu verteidigen.

Aber auch, damit wir das furchtbare Leid der Zivilistinnen und Zivilisten sehen, die Schutz suchen; das Leid der Tausenden von Kindern, die keinen Vater, keine Mutter mehr haben, die ihre Eltern verloren haben. Das sind Menschen, Kinder, die dringend humanitäre Hilfe brauchen

Deswegen setzen wir uns so intensiv für eine humanitäre Feuerpause ein, für die Freilassung aller Geiseln und dafür, dass humanitäre Hilfe geliefert wird – und zwar jetzt.

Denn wir sind alle Menschen – oder wie es Margot Friedländer, die den Holocaust überlebt hat und heute Abend hier bei uns sitzt, direkt neben Hillary Clinton, einmal gesagt hat: „Es gibt kein christliches Blut, kein jüdisches Blut, kein muslimisches Blut – es gibt nur menschliches Blut.“

Menschlichkeit ist unteilbar.

Menschlichkeit ist unteilbar.

Liebe Hillary, das ist immer dein Ansatz gewesen, auch in den dunkelsten Stunden. In Bezug auf die Menschen. Und in Bezug auf den Frieden.

Heute zeigt sich das in den Filmen, die du mit „Hidden Light“ produzierst. Sie werfen das Licht auf diejenigen, die nicht selbst leuchten können.

Und das ist die Kraft von Ihnen allen hier im Raum. Von allen, die Filme machen, produzieren, schneiden, die vor oder hinter der Kamera stehen.

Sie können die Stimme von Menschen verstärken.

Menschen, die nicht gesehen werden. Stimmen, die nicht gehört werden.

Stimmen wie die von Zarifa Ghafari, aus dem von Hillary Clinton produzierten Dokumentarfilm „In Her Hands“.

Zarifa Ghafari war die erste Bürgermeisterin in Afghanistan. Sie hat sich damit für Tausende von Menschen eingesetzt. Nach der Machtergreifung der Taliban musste sie aus ihrem Land fliehen. Ich bin unendlich dankbar, dass Zarifa Ghafari heute Abend hier bei uns ist.

Die Taliban mögen Sie zur Flucht gezwungen haben, aber Ihre Stimme wird nicht verstummen.

Sehr geehrte Frau Clinton, liebe Hillary,

jede Gesellschaft braucht eine 21-Jährige wie du es damals warst.

Die mutig genug ist, ihre Stimme zu erheben. Und dabei ist es egal, ob sie von Grünen oder von Christdemokraten kommt, von Konservativen oder Progressiven, von Demokraten oder Republikanern. Es geht darum, für diejenigen zu strahlen, die nicht alleine strahlen können.

In deinen größten Siegen, aber auch in deinen größten Niederlagen, warst du diese Frau.

Eine Frau, die ihre Strahlkraft für andere Frauen eingesetzt hat.

Deshalb ist es mir als Außenministerin eine Ehre, heute diese Laudatio auf dich zu halten – auf eine Ausnahme-Frau, eine Ausnahme-Politikerin, eine globale Führungspersönlichkeit.

Hillary Diane Rodham Clinton.

Schlagworte

nach oben