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Außenministerin Annalena Baerbock im Interview mit dem Tagesspiegel / Potsdamer Neueste Nachrichten
Frage:
Frau Baerbock, wann waren Sie zuletzt auf dem Wochenmarkt in Potsdam?
Annalena Baerbock:
Oh, das war vorletzten Samstag. Wenn ich am Wochenende in Potsdam bin, bin ich fürs Brötchenholen zuständig. Meine Familie ist da speziell, ich muss zusätzlich zum Bäcker noch zum Stand am Nauener Tor, für süße Brötchen ohne Rosinen.
Frage:
Auf Ihrer Homepage schreiben Sie: „Meine Heimat ist für mich ein Ort, an dem ich mit den Menschen ins Gespräch komme, über den Markt gehe und geerdet werde.“ Klappt das noch?
Annalena Baerbock:
Ja. Meine Kinder gehen hier in die Schule, wann immer möglich, will ich ganz normal Mutter und Potsdamerin sein: Mit der Tram zum Familienfest fahren oder eben morgens beim Joggen zum Bäcker schnell die Runde über den Markt mitnehmen.
Frage:
Das können Sie einfach so?
Annalena Baerbock:
Wer genau hinschaut, sieht, dass Personenschutz mit mir unterwegs ist. Das ist leider nötig, weil Hass und Hetze um sich greifen. Doch in Potsdam wohnen ja einige Menschen, die bekannt sind – und es ist keine Neuigkeit, dass ich hier lebe. Da ist niemand aufgeregt. Ich komme oft ins Gespräch mit Leuten, die ich lange nicht gesehen habe. Oder Menschen wollen mir etwas zu aktuellen Themen sagen.
Frage:
Was zum Beispiel?
Annalena Baerbock:
Viele treibt wie mich die Weltlage massiv um. Dazu gibt es viel Gesprächsstoff. Aber gerade in Potsdam, wo viele mich kennen, sagen mir Leute oft einfach total nett: „Ich will Sie gar nicht stören, Sie haben so viel Stress – aber ich will Ihnen einfach viel Kraft mit auf den Weg geben in diesen brutalen Zeiten.“ Das tut gut.
Frage:
Wie Sie die Feiertage verbringen, wollten Sie der Öffentlichkeit bislang nicht verraten. Müssen Sie Ihr Privatleben stärker schützen als andere Politikerinnen und Politiker?
Annalena Baerbock:
Leider ja. Seit Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine hat sich die gezielte russische Propaganda im Netz nochmal auch aufs persönliche verstärkt. Das bringt gerade als Frau und wenn man Kinder hat noch mal besondere Sicherheitsbedenken mit sich. Ich bedauere das sehr, denn mir ist es wichtig, mich als Politikerin gerade nicht abzuschotten. Sondern weiter Teil des normalen Lebens zu sein. Genau das ist Ziel von Hass und Hetze: Politik so darzustellen, als wäre sie nicht mehr Teil des Alltags.
Frage:
Sind sie das denn?
Annalena Baerbock:
Wann immer es geht. Und da helfen die Kinder total. Anfangs wurde ich oft gefragt: „Geht das überhaupt mit Schulkindern?“. Mittlerweile glaube ich, Muttersein ermöglicht mir, eine bessere Politikerin zu sein, weil ich zwangsläufig mit einem Bein im normalen Leben stehe. Im Winter abends schnell noch auf den Weihnachtsmarkt oder im Frühling auf den Rummel (lacht).
[…]
Frage:
Erst das Heizungsgesetz, jetzt die Haushaltskrise, die Tanken und Heizen und Strom verteuern wird: In Brandenburg fürchten demokratische Parteien, dass die Ampel ein Konjunkturprogramm für die AfD aufgelegt hat. Zu Recht?
Annalena Baerbock:
Nein! Es ist klar, die Preissteigerungen sind heftig. Für einige bedeutet das am Ende des Monats nicht mehr zu wissen, wie sie die Rechnungen bezahlen sollen. Ursache für die Preissteigerungen ist aber nicht die Ampel, sondern der russische Angriffskrieg. Und gerade gegenüber denjenigen die meinen, man sollte die Ukraine nicht unterstützen, muss man laut und deutlich sagen: Hätte Wladimir Putin nicht auf brutalste Art und Weise sein Nachbarland überfallen, tausende Menschen ermordet, vergewaltigt, in die Flucht getrieben und mit seinem brutalen Angriffskrieg zeitgleich weltweite Wirtschaftsschocks ausgelöst, würden wir in Deutschland nicht in dieser schwierigen finanziellen Lage sein.
Frage:
Was soll helfen?
Annalena Baerbock:
Wir als Bundesregierung haben versucht, die Last für die Menschen und die Unternehmen mit direkten Energiehilfen und einem großen Konjunkturprogramm abzumildern. Zur Wahrheit gehört: das konnten nicht viele andere Länder weltweit. Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist das zum Teil in Frage gestellt. Das müssen wir heilen, das ist unsere Aufgabe. Aber am besten wäre es für unsere wirtschaftliche Lage und für die Menschen in der Ukraine, wenn Putin morgen seine Truppen zurückziehen würde.
Frage:
Das wird nicht geschehen. Frieden für die Ukraine scheint weit entfernt.
Annalena Baerbock:
Traurigerweise ja, weil Putin im imperialen Wahn sein Nachbarland mit aller Brutalität vernichten will. Der allergrößte Teil meiner Arbeit in den letzten zwei Jahren war, tagtäglich daran zu arbeiten, Russland zum Ende dieses Krieges zu bewegen.
Frage:
Ohne Erfolg.
Annalena Baerbock:
Dass Putins ursprünglicher Plan, Kiew einzunehmen und über 40 Millionen Menschen zu ermorden, zu vertreiben oder zu unterwerfen, nicht aufgegangen ist, liegt an dem unglaublichen Mut der Ukrainerinnen und Ukrainer, ihr Land zu verteidigen. Und eben auch an der Unterstützung von uns und so vielen anderen Ländern, die das tun, was menschlich ist: Dem Opfer zu helfen und nicht durch Wegschauen dem Aggressor. An den Orten, die leider noch nicht befreit oder geschützt werden konnten, erleben wir auch diesem Winter wieder, was der ganzen Ukraine, aber auch Nachbarländern wie Moldau, gedroht hätte, wenn wir uns als EU und Mehrheit der Welt nicht geschlossen an die Seite der Ukraine gestellt hätten. Putin greift gezielt Kraftwerke, Elektrizitäts-Verteilerzentren und Leitungen an, damit bei minus zehn Grad die Wasserversorgung einfriert und die Menschen verdursten und erfrieren. Er will die Ukraine vernichten, und deswegen werden wir sie unterstützen, solange sie uns braucht.
Frage:
In Brandenburg wird gegen Ihre Ukrainepolitik protestiert. Als Sie in Eisenhüttenstadt waren, gab es am Rande eines Termins Eierwürfe. Wie nehmen Sie die Stimmung wahr?
Annalena Baerbock:
Es gibt nicht die eine Stimmung. Das ist mir wichtig. Dieses Pauschale – die Brandenburger, die Ostdeutschen – das schürt die Spaltung der Gesellschaft. Bei dem Termin in Eisenhüttenstadt war ich in einer Schule. Viele Schüler hatten Fragen, warum wir die Ukraine unterstützen, natürlich aus sehr kritische. Wir haben kontrovers diskutiert. Draußen standen Erwachsene, die statt Worte zu benutzen, Eier warfen, gegen ein Schulgebäude. Die Schüler hat das ganz schön schockiert.
Frage:
Die Migrationspolitik ist ein wichtiges Thema in Brandenburg. SPD und CDU im Land haben einen härteren Kurs in der Asylpolitik eingeschlagen. Die märkischen Grünen tun sich damit schwer. Was raten Sie?
Annalena Baerbock:
So zu tun, als könnte man Migration einfach per Ansage beenden, ist absurd. Es würde bedeuten, dass wir um unser Land wieder eine Mauer ziehen müssten. Man muss mit Migration umgehen – mit geregelten Verfahren, aber auch Menschlichkeit. Das haben wir auf europäischer Ebene mit dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem gerade getan, nach jahrelanger Diskussion und mit schweren Kompromissen für uns als Grüne. Jetzt kann endlich eine verbindliche Registrierung an den Außengrenzen und darauf aufbauend eine Verteilung in die europäischen Mitgliedstaaten beginnen, was auch deutsche Kommunen entlasten wird.
Frage:
Kann das die aufheizte Debatte beruhigen?
Annalena Baerbock:
Einigen Kräften in unserem Land, wie die AfD aber leider auch einigen Konservativen, geht es nicht um Lösungen – also zum Beispiel darum, die Kommunen wirklich zu entlasten, Menschen wirklich die Möglichkeit zu geben sich zu integrieren. Sondern sie wollen dieses Land spalten. In dem man suggeriert Ordnung und Humanität wären ein Gegensatz, fügt man der Demokratie schweren Schaden zu. Da mache ich nicht mit, da macht meine Partei und da macht auch die Bundesregierung nicht mit. Humanität und Ordnung gehören zusammen. Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen haben ein Recht auf Schutz. Dafür müssen unsere Verfahren schneller und besser werden. Damit Menschen nicht nur bleiben, sondern auch arbeiten und am Leben teilhaben können. Und zugleich brauchen wir schnellere Verfahren, damit diejenigen, die nicht bleiben können, das auch schnell wissen und zurückgeführt werden. Beides haben wir in der Ampel beschlossen.
Frage:
Welche Effekte wird das Gemeinsame EU-Asylsystem in Brandenburg und Potsdam haben?
Annalena Baerbock:
Neue Regelungen greifen ja nicht sofort, auch wenn bereits in den letzten Monaten deutlich weniger Menschen nach Brandenburg gekommen sind als im Vorjahr. Wenn die Registrierung an den europäischen Außengrenzen kommt und dann in mehr europäische Länder aktiv verteilt wird, kann das mittelfristig zu einer Entlastung unserer Kommunen führen. Zusätzlich haben wir als Bundesregierung mehr Gelder für die Kommunen zur Integration bereitgestellt. Denn es geht ja nicht darum, dass niemand mehr kommt – das würde uns auch als Wirtschaftsnation massiv schaden. Wir haben einen enormen Fachkräftemangel, auch in Brandenburg. In Potsdam schließen Restaurants, haben Unternehmen wahnsinnigen Druck, weil einfach alle zu wenig Personal haben. Zu einer guten Migrationspolitik gehört, Menschen schnell in Arbeit zu bringen und sie als Bürger zu integrieren. Daher haben wir als Teil des Migrationspakets auch das Staatsangehörigkeitsrecht modernisiert.
Frage:
Als Außenministerin sind Sie seit dem 7. Oktober vielfach im Nahen Osten, erleben dort Leid und Schrecken des Hamas-Angriffs und des Krieges. In Brandenburg wächst parallel der Antisemitismus. Wie bekommen Sie diese beiden Enden zusammen?
Annalena Baerbock:
Wahrscheinlich liegt es im menschlichen Naturell, dass man, wenn Krisen sich zu überschlagen scheinen, am liebsten die Decke über den Kopf zieht. Wer Schwarz-Weiß-Antworten anbietet, bekommt dann Zuspruch. Und genau dem stelle ich mich entgegen. Ja, die Welt ist mega-komplex. Aber das ist kein Freifahrtschein für Hass und Hetze. Wenn wir erleben, dass Juden angefeindet werden, weil sie Juden sind, und Israel das Existenzrecht abgesprochen wird, müssen wir uns dem entgegenstellen. Egal ob in Brandenburg oder Berlin. Egal ob im Bus oder auf einer internationalen Konferenz. Antisemitismus hat in Deutschland keinen Platz. Ebenso deutlich warne ich davor, dass einige jetzt vor dem Hintergrund der Nahostkrise Hass gegen Muslime schüren. Artikel 1 unseres Grundgesetzes ist glasklar: Die Würde eines jeden Menschen ist unantastbar. Da gibt es kein „Ja, aber“.
Frage:
Sollte es für Menschen, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben möchten, Pflicht sein, sich zum Existenzrecht Israels zu bekennen?
Annalena Baerbock:
Wir haben bereits klare Regeln zur Verfassungstreue und zu unserem Grundgesetz. Dazu gehört auch: Antisemitische Hetze ist eine Straftat. Aus gutem Grund ist Israels Sicherheit deutsche Staatsräson. Deswegen ist es in Einzelfällen, in denen Menschen massiv gegen den Kern dieser staatlichen Identität vorgehen, schon jetzt möglich, dass die deutsche Staatsangehörigkeit nicht ausgesprochen oder rückwirkend wieder aberkannt wird.
Frage:
Die Klimakonferenz in Dubai hat das Ende des fossilen Zeitalters besiegelt. Muss das für Brandenburg ein Grund mehr sein, früher als 2038 aus der Kohle auszusteigen?
Annalena Baerbock:
Ich musste in Dubai – bei über 30 Grad im Dezember – ständig an Brandenburg denken. Denn dort ging es um genau die Fragen, über die wir uns hier seit Jahren den Kopf zerbrochen und mittlerweile gute Antworten gefunden haben: Wie können wir aus fossilen Energieträgern wie der Kohle aussteigen, die Arbeitsplätze in der Lausitz bewahren und zugleich ein Wirtschaftsfaktor bleiben? Ich kann mich an heftigste Diskussionen zum Beispiel in Cottbus erinnern, wo Menschen zu Recht gefragt haben: Aber wo soll ich denn dann arbeiten, Frau Baerbock, wo ist denn hier Ihre neue Zukunftstechnologie? Und heute haben wir sie, mit der Energieregion Lausitz.
Frage:
2038 reicht also für den Kohleausstieg in Brandenburg?
Annalena Baerbock:
So gut, wie unsere Unternehmen hier in Brandenburg die Transformation seit Jahren stemmen und neu investieren, zeichnet sich ja bereits ab, dass der Ausstieg automatisch früher passiert.
Frage:
Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat den Klimaplan, mit dem Brandenburg bis 2045 klimaneutral werden soll, auf das nächste Jahr verschoben – obwohl sich alle Ministerien einig sind. Kann das Land sich solche Verzögerungen leisten?
Annalena Baerbock:
Mich hat das mehr als verwundert, weil das Brandenburger Beispiel deutlich zeigt: Es ist das Beste, wenn wir bei so tiefgehenden Strukturwandelprozessen vorne mit dabei sind statt abzuwarten. Ansonsten finden Investitionen woanders statt. Das Ganze ist ja keine reine Klimafrage mehr, sondern Wirtschafts- und Standortpolitik. Und ich will das weiter massiv in Brandenburg investiert wird. Dafür braucht es Verlässlichkeit, gerade auch von politischen Entscheidungsträgern.
Frage:
Potsdam gilt als Insel der Glückseligen im Osten. Doch auch hier zersplittert die Stadtverordnetenversammlung in mehr als zehn Gruppierungen, gibt es monatelange Konflikte über wichtige Entscheidungen wie die Schulplanung. Wie sehen Sie die politische Lage in der Landeshauptstadt?
Annalena Baerbock:
Potsdam ist eine der lebenswertesten Städte – das sieht man am großen Zuzug. Der bringt aber auch Wachstumsschmerzen mit sich. Wenn die Infrastruktur nicht schnell genug mitwächst, gerade bei Schulen, Kitas oder bezahlbarem Wohnraum, macht es das Zusammenleben schwieriger. Deswegen sind genau diese Investitionen so wichtig und sollten nicht auf die lange Bank geschoben werden.
[…]
Frage:
Jetzt ist Weihnachten, das Fest des Friedens. Mit welchen Gedanken feiern Sie im Angesicht des Ukrainekriegs und des Gazakriegs?
Annalena Baerbock:
Fröhliche Weihnachten… Das hat für mich in dieser Weihnachtszeit eine besondere Bedeutung. Froh zu sein, dass wir in Frieden und in Freiheit leben können. In diesem Sinne allen, fröhliche Weihnachten, der Weltlage zum Trotz.
Interview: Sabine Schicketanz und Henri Kramer