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Statement von Außenministerin Baerbock beim G7-Außenministertreffen in Tokyo
Der Kreis der G7 ist immer etwas Besonderes. Das haben die letzten anderthalb Jahre, das haben auch die letzten anderthalb Tage erneut widergespiegelt.
Der Grund dafür ist eigentlich offensichtlich: In den G7 arbeiten wir mit unseren engsten, internationalen Partnern und Freunden zusammen. Mit ihnen teilen wir gemeinsame Werte, Werte von Demokratie, Menschenrechten und vor allen Dingen dem Verständnis, dass wir international auf der Grundlage gemeinsamer Regeln, dem internationalen Völkerrecht zusammenarbeiten und nicht auf der Grundlage des Rechts des Stärkeren.
Mit den G7 teilen wir aber auch das Wissen darum, dass unsere Werte uns nicht geschenkt worden sind, sondern dass wir uns für sie ohne Unterlass tagtäglich einsetzen müssen. Als starke und demokratische Volkswirtschaften tragen wir dafür für uns selber, aber auch für die internationale Ordnung eine besondere Verantwortung. Das tun wir als Team G7 seit fast zwei Jahren in der Ukraine und machen dabei deutlich: Wir stehen nicht nur an der Seite der Ukraine, sondern damit auch an der Seite des Völkerrechts und der Staatensouveränität, und zwar solange die Ukraine und damit auch das internationale Recht dies braucht. Wir unterstützen die Ukraine dabei, auch den nächsten Winter bestmöglich zu überstehen, im Lichte dessen, dass Russland erneut einen brutalen Energiekrieg auch für diesen Winter plant. Allein wir als Bundesregierung haben gerade erst ein 1,4 Milliarden €-Paket für den Winter-Schutzschirm aufgelegt. Und ich habe in den letzten Wochen und Monaten gemeinsam mit dem Bundeskanzler weltweit dafür geworben, dass andere sich an diesem Winter-Schutzschirm beteiligen. Heute hier auch noch mal in Tokyo. Denn es braucht weitere Luftabwehrsysteme, besonders Patriots, um gerade die Energieinfrastruktur, aber gerade auch den Hafen, die zivilen Einrichtungen in den nächsten Monaten, wo es im letzten Jahr bis zu -20 Grad in der Ukraine gegeben hat, besonders zu schützen. Einen wichtigen Beitrag wird mit Blick auf die Sicherheit der Ukraine auch der Wiederaufbau leisten. Deutschland wird im nächsten Jahr die Wiederaufbaukonferenz in Berlin im Juni 2024 ausrichten. Auch das ist eine besondere Wegmarke mit Blick auf die Souveränität der Ukraine für die nächsten Jahre.
Wir wollen die Wiederaufbaukonferenz in Berlin im Juni 2024 vor allen Dingen auch dafür nutzen, den Wiederaufbau und den EU-Beitrittsprozess noch enger miteinander zu verzahnen. Denn wir dürfen nicht vergessen: Putin versucht mit seinem imperialen Machtstreben nicht nur die Ukraine von uns zu trennen, sondern nach wie vor die europäische Friedensstruktur zu zerstören.
Und das gefährdet eben auch Moldau, Georgien und den westlichen Balkan. Die Zukunft unserer Nachbarstaaten bestimmt damit auch unsere eigene Zukunft, unsere eigene Friedensordnung. Darum ist das Signal der EU-Kommission zu den EU-Beitrittsverhandlungen heute von so großer Bedeutung. Es geht eben nicht nur um den Beitritt von weiteren Ländern, sondern es geht um die Stärkung unserer gemeinsamen Friedensunion.
Wir haben gestern Abend gleich zu Beginn von unserem G7-Treffen ausführlich hier in Tokyo über die Lage im Nahen Osten gesprochen. Die Hamas hat in Israel ein verheerendes Massaker unter israelischen Frauen, Kindern, Männern, alten und jungen Menschen angerichtet. Und für uns als G7 ist klar: Diese Tat verliert auch einen Monat später nichts von ihrer monströsen Brutalität, sondern sie verpflichtet uns weiterhin, für den Schutz Israels einzustehen, insbesondere weil der Raketenbeschuss der Terrororganisation Hamas weitergeht.
Wir haben hier als G7 daher noch einmal deutlich unterstrichen: Israel hat nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, seine Bevölkerung im Rahmen des internationalen Rechts zu schützen. Gleichzeitig sehen wir das Leid der Palästinenserinnen und Palästinenser. Die Bilder aus Gaza zerreißen einem das Herz, wenn man sieht, wie Eltern verzweifelt in Schutt, Trümmern nach ihren Kindern suchen. Wenn man die Betongerüste von Hochhäusern sieht oder Familien, die seit Tagen nichts zu essen und nichts zu trinken haben, dann verpflichtet uns das alle als internationale Gemeinschaft. Niemand kann den Tausenden von Toten und Verwundeten in Gaza gleichgültig gegenüberstehen. Niemand kann sich etwas Anderes wünschen, als dass die Menschen, die Zivilbevölkerung in Gaza in Frieden und ohne Gefahr leben kann. Wir haben daher auch darüber gesprochen, beim G7-Treffen, dass der Terror der Hamas Israel nicht von der Verantwortung entbindet, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um zivile Opfer zu vermeiden und die humanitäre Krise in Gaza zu lindern.
Denn der Kampf gilt der Hamas und nicht der palästinensischen Zivilbevölkerung. Das ist ein unglaubliches Dilemma, weil die Hamas ganz bewusst die Zivilbevölkerung in Gaza als Teil ihres perfiden terroristischen Ziels, nämlich Israels Sicherheit zu zerstören, einsetzt. Das heißt das unglaubliche Dilemma, was wir seit Wochen jetzt erleben, bedeutet, dass Israel sich verteidigen muss, um seine Bevölkerung vor den terroristischen Raketenangriffen zu schützen. Und zugleich besteht das brutale Dilemma darin, dass die terroristischen Terrorzellen von Hamas bewusst Zivilisten inmitten von ziviler Infrastruktur benutzen, um dort ihre Terrorzellen weiter zu nutzen und auch auszubauen. Der klare Appell von uns als G7 ist daher deutlich: Es braucht humanitäre Pausen, um die Menschen in Gaza, die so furchtbar leiden, mit dem Nötigsten an Wasser, an Lebensmitteln und medizinischer Hilfe zu versorgen.
Und es braucht humanitäre Pausen, damit die unschuldigen israelischen zivilen Geiseln Frauen, Kinder, Männer, Alte, Verwundete endlich freikommen. Wir arbeiten seit Wochen genau daran, dass diese humanitären Pausen möglich sind. Dafür gibt es viele, viele ganz konkrete Einzelheiten zu klären. Und das tun wir mit den unterschiedlichsten Partnern in der Region. Und das war auch eines der zentralen Themen hier bei diesem G7-Treffen.
Als G7, auch das unterstreichen wir deutlich hier vor Ort, stehen wir nicht erst in den letzten Tagen, sondern seit Jahren an der Seite der palästinensischen Zivilbevölkerung. Die G7-Staaten stellen rund zwei Drittel der Finanzierung des Palästinenserhilfswerks UNWRA, und zwar in den letzten Jahren und nicht erst seit gestern. Wir sind seit Jahren die entscheidenden Geber für humanitäre Hilfe für die Palästinenser und die G7 haben gemeinsam in den letzten Wochen und Tagen die Unterstützung für die Palästinenser und für UNWRA noch einmal deutlich erhöht. Von diesem Treffen geht daher auch der Appell aus: Wir wollen, dass sich auch andere finanzkräftige Länder, insbesondere regionale Akteure, stärker bei UNWRA engagieren. Gerade diejenigen, die für sich reklamieren, der palästinensischen Sache besonders verpflichtet zu sein. Auch in der dunkelsten Stunde des Konfliktes müssen wir die nächsten Schritte mitdenken. Wir konzentrieren uns daher nicht nur auf das Heute, auf die akute Krisenbewältigung, auf die Minderung dieses furchtbaren Leids, sondern wir denken auch an die Tage danach. Wir brauchen kluge Lösungen, wie und von wem Gaza in Zukunft verwaltet werden kann. Und wir brauchen praktische Schritte hin zur Zweistaatenlösung, auch wenn sie in der Ferne liegen mag. Ich habe bereits beim EU Außenministertreffen vor etlichen Tagen dafür Ideen eingebracht. Mein amerikanischer Kollege und Freund Tony Blinken hat das jüngst auch mit einigen arabischen Ländern entsprechend Vorschläge mit Ihnen gemeinsam besprochen. Und diese Vorschläge haben wir auch hier bei diesem G7 Treffen intensiv diskutiert. Das bedeutet, wenn wir über den Tag hinausdenken, um eine Perspektive für eine Zweistaatenlösung zu geben, eine Perspektive für Gaza zu geben, da braucht es dafür klare Orientierungspunkte:
Das heißt erstens, dass von Gaza keine terroristische Gefahr für Israels Sicherheit in Zukunft ausgehen darf. Das heißt zweitens, die Palästinenserinnen und Palästinenser dürfen aus Gaza nicht vertrieben werden. Das heißt drittens, dass es keine Besetzung von Gaza geben darf, sondern idealerweise einen internationalen Schutz. Das heißt viertens, dass keine territoriale Reduzierung von Gaza angestrebt werden darf. Das heißt fünftens, dass es keine Lösung über die Köpfe der Palästinenserinnen und Palästinenser hinweg geben darf und das Ganze gedacht werden muss in dem Verständnis, dass in Zukunft die Menschen in Israel und die Menschen in Palästina alle das Recht darauf haben, endlich in Frieden und Sicherheit zu leben.
Angesichts dieser großen Krise in Nahost und des zugleich weiterhin bestehenden furchtbaren Krieges Russlands gegen die Ukraine ist der eigentliche Schwerpunkt, den sich die japanische G7-Präsidentschaft gesetzt hat, vielleicht nicht so stark in der Öffentlichkeit gewesen, hat aber eine große Rolle auch bei diesem G7-Treffen gespielt. Japan hat als Schwerpunkt seines G7-Vorsitzes eigentlich das Thema Pazifik gesetzt, und zwar zu Recht.
Hier in der Pazifikregion sind zwei Drittel des globalen Wachstums beheimatet. Hier sind zugleich Spannungen, mittlerweile mehr als nur düstere Gedankenspiele. Sie sind förmlich mit den Händen zu greifen. Erst vor zwei Wochen kam es im Südchinesischen Meer nach einem gefährlichen Manöver eines Schiffs der chinesischen Küstenwache zu einer Kollision mit einem philippinischen Versorgungsschiff. Die militärischen Drohgebärden Chinas gegenüber Taiwan nehmen weiter zu.
Nordkorea schießt so viele Testraketen ins Meer wie nie. Unseren Partnern in der Region weht ein rauer Wind ins Gesicht, auch wenn man ihn angesichts der globalen Krisen bei uns vielleicht nicht so deutlich spürt. Aber wir haben unseren Partnern hier in der Region versichert, dass wir auch ihnen bei rauem Gegenwind beistehen. Auch hier zeigen wir als G7 in der Region Flagge für klare Regeln im Miteinander der Staaten, für das internationale Recht, für das Völkerrecht.
Denn die Welt kann sich keine weiteren Konflikte leisten. Erstmalig haben bei einem G7-Treffen auch die fünf zentralasiatischen Länder als Gäste zumindest virtuell teilgenommen. Die Staaten Zentralasiens hatten immer die Hoffnung, ein Bindeglied zwischen Russland, China und Europa zu sein. Nun sehen sie sich zwischen allen Stühlen. Die Frage ist, wer in dieser Situation auch mit ihnen die Zusammenarbeit weiter stärkt. Das wirtschaftliche Potenzial ist riesig. Die Frage, wohin sich diese Staaten nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich entwickeln, ist bei einigen von ihnen sehr offen. Daher ist es für uns so wichtig, deutlich zu machen: Wir wollen eben nicht nur die wirtschaftlichen Möglichkeiten gemeinsam stärken, sondern auch die Stärkung der Gesellschaften im demokratischen Sinne vorantreiben.
Das heißt auch, Zentralasien besser mit Europa zu vernetzen, beispielsweise im Rahmen der EU-Global–Gateway-Initiative. In einer Welt, die mehr und mehr von systemischer Rivalität geprägt ist, in einer Welt, in der autoritäre Akteure immer aggressiver versuchen, ihre Einflusszonen zu markieren, in einer Welt, deren Konflikte geopolitische Bruchlinien vertiefen, wollen wir als G7 um Partner werben. Denn als Demokratien können wir nur dann im systemischen Wettstreit mit autoritären Kräften bestehen, wenn unsere Freunde rund um den Globus spüren, wenn Gesellschaften spüren, dass wir es ernst meinen mit einer zuverlässigen Partnerschaft, die auf eine regelbasierte Ordnung baut und nicht auf das Recht des Stärkeren.
Herzlichen Dank.