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Rede von Außenministerin Annalena Baerbock zur Eröffnung des Wirtschafts­tages der Konferenz der Leiterinnen und Leiter der deutschen Auslandsvertretungen

05.09.2023 - Rede

23 Billionen Euro. Das war letztes Jahr der Wert aller weltweit exportierten Güter – und noch nie lag dieser Wert so hoch.

4.8 Zettabytes. Diese Zahl mit 21 Nullen beschreibt das geschätzte Volumen des globalen Internetverkehrs 2022 – tausend Mal mehr als im Jahr 2002.

281 Millionen. So viele Menschen lebten 2020 weltweit außerhalb ihres Geburtslandes – noch nie waren es so viele.

All diese Zahlen beschreiben eine neue Realität:

Sie zeigen: Wir sind wirtschaftlich so eng vernetzt wie nie zuvor – und das ist gut so, denn diese Vernetzung bringt Menschen in Deutschland, Europa und weltweit nicht nur zusammen, sondern sie bringt mehr Wohlstand, mehr Wissen, mehr Mobilität und ganz oft mehr Zusammenhalt.

Aber es gibt auch diese anderen Zahlen, die diese neue Realität mit sich bringt.

55 Prozent. Das war bekanntermaßen der Anteil russischen Pipelinegases am deutschen Gasverbrauch

98 Prozent. So hoch ist der Anteil Chinas an der weltweiten Produktion des kritischen Rohstoffs Gallium, den Peking jetzt einer Exportkontrolle unterzieht.

27,6 Millionen. So viele Menschen waren letztes Jahr nach Schätzungen weltweit vom Menschenhandel betroffen.

Diese Zahlen zeigen, dass Vernetzung nicht nur Chancen, sondern auch Risiken und Gefahren birgt – und dass es bei der Wirtschaftspolitik immer auch um Geopolitik geht.

Erst recht in Zeiten, die wie jetzt so brutal durch den russischen Angriffskrieg getrieben sind und die weltweit nicht Wachstum und Wohlstand, sondern insbesondere Inflation gerade bei Lebensmitteln in die Höhe getrieben haben.

Und wir sehen die Schatten dieses furchtbaren russischen Angriffskrieges auch in Deutschland. Und deswegen können wir gerade in diesen Tagen in Deutschland nicht nur mit Optimismus, sondern müssen auch mit Sorge auf die wirtschaftliche Lage schauen: Auf Inflation in Europa, auf hohe Energiepreise und Lieferengpässe.

Die fatale Abhängigkeit von russischem Gas und Öl, in die sich Deutschland begeben hatte, zahlen wir weiter teuer.

Die gute Nachricht ist: Gemeinsam, liebe Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir als Bundesregierung und Sie als Unternehmerinnen und Unternehmer in den vergangenen eineinhalb Jahren unheimlich viel in die Wege geleitet, um Deutschland für diese neue, zum Teil bittere Realität neu aufzustellen.

Gemeinsam haben wir vor allem durch den Bundeswirtschaftsminister, durch Dich, lieber Robert Habeck, die Energiewende so enorm beschleunigt, dass wir nicht in eine Energiekrise geraten sind.

Und unsere Nationale Sicherheitsstrategie und die China-Strategie verankern die „Economic Security“, die Wirtschaftssicherheit endlich auch in unserem ressortübergreifenden Denken.

Ich bin dankbar, dass Politik und Wirtschaft diese Herausforderungen gemeinsam angehen.

Und ja, wir alle hier im Raum – in der Bundesregierung, Sie als Unternehmerinnen und Unternehmer, als Wirtschaftsvertreter – wissen, wie komplex diese Aufgaben sind. Dass es Herausforderungen sind und bleiben, für die wir in großen Teilen keine Blaupausen haben. Es gibt keine einfachen, plakativen Antworten. Aber Nichtstun ist keine Option. Dann füllen diese Lücken andere.

Wir verstehen das, wenn wir etwa die Berichte sehen über russisches Gas, das über LNG-Lieferungen wieder in deutschen und anderen europäischen Gasleitungen landet. Oder wenn wir sehen, dass es nicht reicht, auf ein Vorprodukt oder ein Endprodukt allein zu schauen, um resilienter zu werden, um unsere Abhängigkeiten zu reduzieren – sondern dass wir jeden Teil einer langen Lieferkette im Blick haben müssen. Das können wir nur, wenn wir nicht plakativ und schnell uns diesen Herausforderungen stellen, sondern bis ins letzte Detail, in der Tiefe.

Lieber Bundeswirtschaftsminister, lieber Robert Habeck, wir haben das auf eindringliche Art und Weise im Juli gemeinsam erlebt, als wir das Werksgelände des Chipherstellers Infineon in Dresden besucht haben, wo jetzt eine der größten Halbleiterfabriken Europas gebaut wird.

Wenn man mit den Mitarbeitern dort spricht, dann spürt man Energie und Leidenschaft – und dass sie spüren, dass hier was ganz Neues gebaut wird. Und es ist richtig und wichtig, dass wir als Bundesregierung genau solche Stärkungen von Standorten bei uns, aber auch in ganz Europa finanziell unterstützen.

Nicht nur, weil wir dadurch tausende Arbeitsplätze in Dresden, an anderen Orten und bei vielen Zulieferern in der Region schaffen. Sondern weil wir damit ein Fundament legen, um unsere Wirtschaft der Zukunft zu bauen: Vernetzt, sicher, nachhaltig.

Denn die Chips von Infineon und der anderen Hersteller, die jetzt in Sachsen und an anderen Orten produziert werden und in die weiter investiert wird, verbauen wir in E-Autos, in Windrädern, in Waschmaschinen und in der intelligenten Steuerung von Stromnetzen, in unserer kritischen Infrastruktur.

Und als wir dort durch diese Hallen gelaufen sind – zum Teil in interessanten Jogginghosen und mit Sicherheitsanzügen – dann kommt man ins Gespräch und denkt wie toll ist das, dass das hier jetzt gebaut wird. Aber man hört auch Nebensätze. Zum Beispiel: In der einen Werkshalle ging es um die Fertigung der Chip-Platten und den weiteren Prozess dazu – darum, was dann eigentlich mit diesen Platten passiert. Die nächsten Schritte – Assembly, Testing, Packaging – nennt man, wie ich dort gelernt habe, ATP. Da werden Chips weiter ausgesägt, montiert und getestet und dann erst eingebaut.

Wenn also diese Chip-Platten hergestellt sind, dann treten diese Platten, diese Chips noch eine weitere Reise an – und zwar nicht nur zwischen Sachsen und anderen Orten Europas, sondern dieses ATP findet bei vielen europäischen Herstellern fast ausschließlich in Asien statt, und dort ganz überwiegend in China.

Und das zeigt uns erneut: Wir müssen die gesamte Produktions- und Lieferkette in den Blick nehmen. Wir müssen in die Tiefe gehen. Deswegen arbeiten wir in Dresden daran – und deswegen arbeitet diese Bundesregierung daran – ein wirkliches Halbleiter-Ökosystem aufzubauen, bei dem möglichst viel von dem, was auf den einzelnen Produktionsstufen in die Chips einfließt – und auch später beim ATP – aus sicheren Quellen stammt.

Dabei ist unser Ziel mehr Sicherheit mit mehr gezielter Vernetzung.

Denn unabhängiger, resilienter zu werden heißt nicht, sich abzukoppeln oder abzuschotten. Das kann sich bekanntermaßen kein Land der Welt leisten, erst recht nicht Deutschland als starke Exportnation.

Im Gegenteil: Je besser wir in der Welt vernetzt sind, desto erfolgreicher und desto sicherer ist unser Land. Deswegen richtet sich unsere China-Strategie auch vor allem an uns selbst.

Worum es geht, ist, dass wir die Gestaltung einer vernetzten Welt und der Globalisierung nicht einfach der sogenannten unsichtbaren Hand des Marktes überlassen. Oder der vermeintlich starken Hand von Autokraten. Oder gar dem Prinzip Hoffnung und Zufall.

Das wäre nach einer globalen Finanzkrise, nach der Corona-Pandemie, nach Russlands Angriffskrieg schlichtweg naiv.

Stattdessen geht es für uns darum, Vernetzung und Globalisierung so zu gestalten, dass wir einseitige Abhängigkeiten minimieren und Partnerschaften auf Augenhöhe aufbauen.

Dazu möchte ich drei Punkte hervorheben.

Erstens: Mehr Vernetzung und mehr Sicherheit erreichen wir für Deutschland und Europa, indem wir gezielt in strategische Partnerschaften mit Ländern weltweit investieren, indem wir diese Partnerschaften weiter stärken oder auch neue knüpfen.

Sie werden mitbekommen haben, dass ich vor kurzem deswegen in eine andere Region der Welt unterwegs war: Australien, Neuseeland und Fidschi. Das hat bekanntermaßen nicht ganz geklappt. Aber zum Glück kann man in einer digitalisierten, vernetzten Welt das dann digital nachholen, auch wenn das natürlich etwas ganz anderes ist. Und einen wichtigen Gesprächspunkt haben wir also digital nachgeholt. Man hat mir dabei etwas Trost mit auf den Weg gegeben: „Frau Baerbock, trotz Ihres kaputten Flugzeuges ist in Australien der Glaube an die deutsche Ingenieurskunst weiterhin ungebrochen.“

Und deswegen haben wir das, was im Zentrum meines Besuchs in Australien gestanden hätte – die Rohstoffpartnerschaft zwischen unseren Ländern – dann digital diskutiert.

Und so eine Rohstoffpartnerschaft klingt total logisch. Man denkt: „Okay, warum jetzt eine neue Rohstoffpartnerschaft? Australien ist doch einer unserer längsten und ältesten Wertepartner. Gibt es denn so etwas noch nicht?“

Aber nein, das gibt es noch nicht. Und wenn man sich dann anschaut, was mit den Rohstoffen so los ist – dann kann einem ganz schwindelig werden. Und man fragt sich: Warum hat man darüber in den letzten Jahrzehnten noch nicht diskutiert? Aber das ist vergossene Milch, wir müssen es jetzt anpacken, wenn wir gerade aus unserer bisherigen Abhängigkeit lernen wollen.

Australien fördert über die Hälfte des weltweiten Lithiums, von dem wir in Zukunft fünf bis sechs Mal mehr brauchen werden als heute: für Autobatterien, Smartphones, Computer – für alles, was man zum heutigen Leben so braucht.

Aber dieses Lithium, obwohl es so viel davon in Australien gibt, geht nicht direkt nach Deutschland, nach Europa. Sondern Australien exportiert über 90 Prozent seines Lithiums ohne Weiterverarbeitung nach China. Und dann importieren wir aus China als Europäische Union wieder mehr als 90 Prozent unseres Bedarfes aus China.

Man kann also sagen: Warum sind wir darauf noch nicht früher gekommen? Aber was jetzt zählt, ist, dass wir mit Australien daran arbeiten, dass wir diesen Umweg in Zukunft weniger nutzen müssen, indem wir gemeinsam mehr Lithium direkt in Australien verarbeiten.

Und hier ergeben sich neue und große Geschäftsfelder auch für deutsche, für europäische Unternehmen. Im April haben etwa Siemens, Andritz und Plinke ein Abkommen mit australischen Partnern geschlossen, das auch eine Raffinerie für Batteriestoffe umfasst.

Wenn wir so im ganz Konkreten unsere Partnerschaften mit Freunden stärken, dann verringern wir damit einseitige Abhängigkeiten, die uns verwundbar machen. Und zugleich stärken wir die Vernetzung in der Welt.

Und wie man daran sieht, sollte das in Zukunft keine Zufallsfrage sein – sondern wir müssen genau diese Partnerschaften strategisch weiter intensivieren. Daher analysieren wir in der EU und als Bundesregierung, in der Rohstoffstrategie der Europäischen Union, alle Abhängigkeiten der unterschiedlichen Bereiche.

Und auch hier müssen wir ehrlich sein: Wir können das nicht allein. Wir brauchen Sie als Partnerinnen und Partner. Und daran arbeitet das BMWK ganz eng mit vielen Unternehmen. Politik und Unternehmerinnen und Unternehmer müssen zusammenarbeiten, um unsere gemeinsamen gesellschaftlichen Verwundbarkeiten zu reduzieren.

Wir als Bundesregierung unterstützen bei diesem De-Risking, indem wir zum Beispiel Ungebundene Finanzkredite anbieten für langfristige Rohstoffimportverträge – damit Sie Sicherheit haben, wenn diese neu aufgebaut werden.

Und wir bringen als Europäische Union auch unsere Handelsabkommen voran.

Bekanntermaßen haben wir als Deutschland das Abkommen mit Kanada jetzt ratifiziert. Die Abkommen mit Chile, Neuseeland und Kenia sollen Anfang 2024 in Kraft treten. Mit Mexiko werden wir eines unterzeichnen. Und wir setzen uns weiterhin intensiv dafür ein, dass die Verhandlungen gerade auch mit Mercosur, aber auch Australien, Indien und Indonesien vorankommen. Und wahrscheinlich denken einige von Ihnen: Na endlich.

Ich möchte an dieser Stelle aber auch darauf hinweisen, dass wir es uns hier nicht so einfach machen dürfen. Wir leben heute in einer neuen Welt, in einem neuen Zeitalter, wo viele Länder nicht mehr auf uns warten und laut „Hurra“ und „Danke“ schreien, wenn wir Europäer mit unseren Handelsabkommen um die Ecke kommen.

Erst recht, wenn man sich die ursprünglichen EU-Handelsabkommen, wenn man sich die alten Texte, mit denen wir zum Teil jetzt neu verhandeln, anschaut und sieht, dass sie aus einer stark europäischen Sicht geschrieben waren. Logisch, wir sind ja auch die Europäische Union. Aber unsere eigene Interessensicht – begleitet an manchen Stellen von einem protektionistischen Touch – wird von anderen in diesen Zeiten nicht mehr einfach nur angenommen.

Deswegen sind wir bei manchen dieser Abkommen, auch gerade bei Mercosur, dabei zu sagen: Wie können wir die Abkommen im beiderseitigen Interesse attraktiver machen?

Gestern hat uns das die WTO-Generaldirektorin Dr. Ngozi Okonjo-Iweala bei der Eröffnung dieser Botschafterkonferenz noch einmal sehr eindringlich gemacht:

Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, die die EU mit 14 afrikanischen Staaten geschlossen hat, haben unseren Handel mit Afrika – und vor allen Dingen deren Handel mit uns Europäern – kaum anwachsen lassen.

Es sind die zwei großen chinesischen Auslandsentwicklungsbanken, die zwischen 2007 und 2020 mehr in die afrikanische Infrastruktur, in Infrastrukturprojekte, investiert haben als die Weltbank, die Afrikanische Entwicklungsbank, die Europäische Investitionsbank und die bilateralen Entwicklungsorganisationen der USA, Japans, Deutschlands, der Niederlande und Frankreichs zusammen.

Ja, die EU ist heute immer noch der wichtigste Handelspartner Afrikas. Aber China könnte die EU dort bis 2030 überholen.

Deshalb war das, was wir als deutsche Bundesregierung während unserer G7-Präsidentschaft im letzten Jahr angestoßen haben, für uns geopolitisch so wichtig – nämlich die weltweiten Infrastrukturinitiativen der Europäischen Union, aber auch der anderen G7-Länder miteinander zu verbinden.

Global Gateway – wahrscheinlich könnte, wenn man hier eine Umfrage machen würde, niemand genau sagen, was das eigentlich ist. Aber so abstrakt dieser Name klingt und so viele Fragezeichen einem da kommen – Global Gateway ist aus meiner Sicht, wenn wir es richtig machen und vor allen Dingen endlich voll ausrollen, nicht nur eines der wichtigsten Außenwirtschaftsinstrumente der Europäischen Union, sondern auch eines der wichtigsten Sicherheitsinstrumente der Europäischen Union.

Weil Außenwirtschaftspolitik in diesen geopolitischen Zeiten immer auch Sicherheitspolitik ist. Und es ist richtig und wichtig – und das an diejenigen Europaparlamentarier, die hier sind – dass gerade das Europaparlament bei diesem Thema die Kommission und uns als Mitgliedstaaten so stark treibt.

Was aber genauso wichtig ist wie unser europäischer Blick – das ist unseren Blick zu weiten. Dass wir Handelsabkommen in Zukunft viel stärker aus den Augen unserer Partnerinnen und Partner sehen sollten.

Warum sind denn manche dieser Handelsabkommen in der Vergangenheit nicht zum Erfolg gekommen? Ja, auch wegen Kritik hier bei uns.

Aber wenn wir uns jetzt Mercosur genau anschauen – und das hat das Wirtschaftsministerium, das haben der Bundeswirtschaftsminister und unsere Staatssekretärin in den letzten Monaten auf unterschiedlichen Ebenen mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundeskanzleramt getan – dann liegt es auch daran, dass in den Augen von Brasilien, der jetzigen Regierung, manches, was von der Europäischen Union als Waldschutzklausel in diesem Abkommen verankert ist, dort anders gelesen wird – nämlich dass man das als Protektionismus sieht.

Und das liegt nicht daran – und das ist mir jetzt wichtig, gerade auch wenn das hier zitiert wird – dass der brasilianische Präsident Lula keinen Amazonasschutz will – ganz im Gegenteil.

Die brasilianische Regierung macht aus meiner Sicht zu Recht deutlich: Amazonasschutz heißt ja nicht einfach: Wir machen da gar nichts mehr. Sondern die entscheidende Frage ist doch: Wie können wir gemeinsam den Amazonas schützen und Produkten aus nachhaltiger Entwicklung aus dem Regenwald einen Mehrwert auf dem internationalen Markt, auch auf dem europäischen Markt geben?

Und genau das wollen wir nutzen: Bei Handelsabkommen nicht nur gegenseitige Interessen zu sehen – sondern wie man auch auf das gleiche Interesse aus unterschiedlichen Blickwinkeln schauen kann.

Um damit zum Beispiel auch ein Mehrwert gegenüber anderen Handelsabkommen zu haben. Als ich in China war, war da auch eine brasilianische Delegation. Die hat dort auch über den Waldschutz gesprochen. Und es ist dann nicht zu einem Abschluss gekommen.

Wenn wir uns also zusammentun, können wir aus meiner Sicht gerade in solchen Bereichen das bessere Angebot machen. Wir sollten uns als Europäische Union deswegen nicht klein machen. Wir können, wenn wir wollen – und erst recht, wenn wir die Fähigkeit haben, die Welt auch aus den Augen des anderen zu sehen – verlässlichere Partner sein als andere. Für faire und transformative Investitionen statt Abhängigkeiten und Knebelverträge.

Und ja, da dürfen wir nicht naiv sein. China wird immer einen Flughafen schneller bauen als wir – und dabei nicht nach Rechtsstaatlichkeit fragen. Aber will man nur einen Flughafen? Eigentlich nein.

Wenn wir in der Lage sind, unsere Investitionen, auch unsere Infrastrukturprojekte nicht nur weltweit, sondern auch bei uns etwas schneller hinzubekommen und gleichzeitig die regelbasierte Ordnung und Rechtsstaatlichkeit zu stärken – dann ist das die bessere Alternative. Und es ist keineswegs so, dass Länder sagen: Das wählen wir nicht. Sondern manche Länder haben derzeit keine andere Alternative als chinesische Investitionsabkommen.

Das heißt, was wir wollen, sind Partnerschaften, die im Interesse aller beteiligten Länder sind und vor allen Dingen ihrer Menschen.

Das bringt mich zu meinem zweiten Punkt – und das ist die Frage, was eigentlich in unserem deutschen und europäischen wirtschaftlichen Interesse liegt.

Wenn wir auch hier ehrlich sind, dann ist es wie bei Handelsabkommen zwischen Schwellenländern und Industrieländern: In manchen Punkten hat man nicht das komplett gleiche Interesse. Aber wenn das Interesse ist, dass beide ihre Interessen wahren, dann kommt man zu einem guten Miteinander. Und genauso ist es aus meiner Sicht auch manchmal bei wirtschaftspolitischen Fragen zwischen Politik und Industrie, zwischen der Bundesregierung und einigen Unternehmen.

Das haben auch die Diskussionen um unsere China-Strategie gezeigt. Und ich fand das wahnsinnig wichtig:

Wo deutlich wurde, dass unterschiedliche Ressorts auf die China-Strategie unterschiedlich blicken – aber auch ein Familienunternehmer anders darauf schaut als vielleicht ein DAX-Unternehmen. Gerade DAX-Konzerne haben zu Recht ihre kurz- und mittelfristigen Renditen im Blick, auch wegen ihrer Aktionäre. Das ist bei manchen Familienunternehmen schon anders. Für uns als Staat gilt, dass wir als Bundesregierung eine Verantwortung für das volkswirtschaftliche Gesamtinteresse unseres Landes tragen.

Diese Interessen sind nicht eins zu eins deckungsgleich, aber alle Interessen haben ihre Berechtigung.

Wir haben uns in den letzten Jahren viel abverlangt, als wir genau darüber gesprochen haben:

Wie wir nach der Situation des russischen Angriffskrieges – wo der Staat mit Milliardenbeträgen aus Steuergeldern einzelne Unternehmen stabilisieren und Gasspeicher zurückkaufen musste – gemeinsam dafür sorgen, dass uns das nicht noch einmal passiert.

Dass wir Entlastungspakete für Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger in Milliardenbereichen schneidern, die absolut richtig und wichtig waren – aber wie wir in Zukunft sicherstellen, dass so etwas – und das kann in einer vernetzten Welt immer kommen, dass von einem Tag auf den anderen ein Land, eine Region wegbricht, aus was für Gründen auch immer – nicht an unsere eigene wirtschaftliche Leistung und Handlungsfähigkeit geht.

Deutschland ist eine der stärksten Volkswirtschaften. Aber wir können uns so etwas nicht zweimal leisten. Daher arbeiten wir weiter daran, wie wir heute und morgen unsere wirtschaftlichen Abhängigkeiten weiter reduzieren können, die im Zweifel zu einem Genickbruch führen können.

Und genau deswegen kann es uns nicht egal sein, wenn deutsche Großunternehmen ihr China-Geschäft so ausweiten, dass, wenn es wegbricht, das massive Konsequenzen für uns und alle Standorte in Deutschland und Europa hätte. Daher bin ich dankbar, auch auf meiner Deutschlandreise diesen Sommer bei einigen dieser Unternehmen gewesen zu sein, um gemeinsam darüber zu sprechen: Wie viel Risiko kann jeder tragen und was würde das für unsere Volkswirtschaft bedeuten?

Und wir müssen uns jeden Fall einzeln anschauen, weil es eben für solche Situationen keine Blaupause gibt. Für den einen Sektor gilt das, für einen anderen Sektor gilt etwas ganz anderes. Was entscheidend ist, um uns abzusichern, ist, dass wir Ihre und unsere Risiken als Gesellschaft kennen – und dass wir daran arbeiten, sie zu minimieren.

Wobei zugleich klar ist, dass der chinesische Markt viel zu groß ist, um dort als Chemie-Konzern oder als Wärmepumpen-Hersteller nicht präsent zu sein. Wichtig ist, Ungleichgewichte zu vermeiden.

Daher will ich an dieser Stelle auch wirklich einmal „Danke“ sagen für die intensive Diskussion. Für die kritische Diskussion, um gemeinsam unseren Standort zu stärken.

Und ich glaube, wo wir alle übereinstimmen, das ist die Tatsache, dass wir noch mehr in unsere eigene Stärke investieren müssen, in Deutschland und in Europa.

Das ist mein dritter Punkt: Wir müssen heute die Investitionen leisten, damit wir morgen in Technologien führend sind, die unsere vernetzte Zukunft bestimmen werden.

Das tun wir in Dresden und natürlich an vielen anderen Orten. Deswegen setzen wir auf Schlüsseltechnologien: künstliche Intelligenz, grüne Technologien, Halbleiter.

Wichtig ist, dass wir das nicht allein als Bundesrepublik tun, sondern in unserer gemeinsamen Europäischen Union. Mit dem European Chips Act mobilisieren wir insgesamt 43 Milliarden Euro für die Produktion von Halbleitern, um den globalen Marktanteil der EU bei Halbleitern bis 2030 auf mindestens 20 Prozent zu verdoppeln.

Und wir haben in diesen Diskussionen gerade als Auswärtiges Amt immer wieder gehört:

„Aber was bringen uns jetzt all diese Investitionen, was bringen uns jetzt all diese Unternehmen, wenn wir am Ende keine Fachkräfte haben?“

Ja, das stimmt. Irgendjemand muss in den Fabriken auch arbeiten. Aber auch hier gilt: Wenn wir das Problem einfach nur beschreiben und sagen: es ist einfach zu groß – dann werden die Lücken andere füllen, beziehungsweise es werden noch weniger Leute zu uns kommen.

Deswegen ist so wichtig für die wirtschaftliche Sicherheit, für die geostrategische Ausrichtung unserer Außenwirtschaftspolitik, dass wir im Inland nicht nur Investitionen in Infrastruktur und Unternehmensansiedlungen stärken – sondern auch in Köpfe, und zwar internationale Köpfe.

Daher haben wir als Bundesregierung bekanntermaßen ein Fachkräfte-Einwanderungsgesetz vorgelegt, mit dem wir Deutschland endlich zu einem Einwanderungsland auf der Höhe des 21. Jahrhunderts machen. Und ja, das brauchte es eigentlich auch schon gestern. Aber auch hier gilt: vergossene Milch. Dass bisher das Visa-System darauf basierte eher auf Abschottung ausgelegt zu sein. Und deswegen ist dieses Brett nun leider auch so groß.

Und ich weiß, wie viele Appelle es von Unternehmen weltweit gibt, von Ihren Unternehmen an meine Botschaften – ob das nun in Bagdad ist, ob das in Neu Delhi ist, ob das in Peking ist oder an anderen Orten dieser Welt:

„Jetzt werdet doch mal schneller mit den Visa. Wir brauchen Visa. Schnell, schnell, schnell!“

Deswegen haben wir einen Visa Aktionsplan vorgelegt, um die Verfahren zu beschleunigen und zu digitalisieren. Denn klar ist: Wenn Fachkräfte aus Indien oder Brasilien ein Visum für die USA oder Großbritannien viel schneller und einfacher erhalten als bei uns, dann werden sie nicht auf Deutschland warten. Erst recht nicht, weil unsere Sprache auch nicht die Weltsprache Nummer eins ist.

Wir müssen also auch hier wieder – wie bei den Handelsabkommen – im Zweifel besser, attraktiver sein als andere. Wir müssen schneller werden und zugleich, das sage ich auch sehr deutlich, unsere Sicherheitsstandards natürlich bei den Visa an jeder Stelle wahren und ebenfalls stärken.

Und das gehört auch zur Ehrlichkeit dazu: Es kommt hier aufs Inland an. Von Einigen habe ich hierzu gehört: „Naja, Visa, Digitalisierung, das kann man ja wohl von jedem verlangen, der nach Deutschland kommen will. Wenn man hier studieren oder arbeiten will, dann wird man ja wohl in der Lage sein, in Indonesien das digital zu machen.“

Dazu etwas aus meinen Reisen in die unterschiedlichen Länder der Welt: In Delhi auf der Straße – und ich sehe gerade den Deutschen Botschafter in Indien hier – da hätte ich in einem kleinen Stand mit meiner Handy-App alles bezahlen können, obwohl im Zweifel das Schild nicht korrekt geschrieben war. Leider waren wir selbst dafür digital nur bedingt aufgestellt, weswegen ich ein Handy leihen musste von einer Kollegin von vor Ort.

Und bei den Visa gilt dann: Es scheitert im Zweifel mit der Digitalisierung nicht an den Auslandsvertretungen und erst recht nicht an den Menschen, die dort diese Visa beantragen wollen. Sondern auch alle – und das sind viele – Ausländerbehörden im Inland müssen dann in der Lage sein, diese digitalen Visa auch zu bearbeiten.

Und das ist „Casus knacksus“, an dem wir intensiv arbeiten müssen – und ich sage mal so: Die Verhandlungen bei der WTO, die Robert Habeck da immer führt, die sind alles andere als einfach. Aber wenn wir in diesen Verhandlungen vorankommen, hoffentlich, dann sollten wir auch in der Lage sein, mit 16 Bundesländern in einem föderalen System voranzukommen und unser ganzes Visa- und damit Einwanderungssystem zu digitalisieren.

Denn wirtschaftliche Sicherheit in einer vernetzten Welt – und das ist Kern unserer Nationalen Sicherheitsstrategie – heißt eben nicht der Blick nur nach außen, mehr Vernetzung weltweit – sondern vor allen Dingen immer wieder auch der Sicherheitsblick nach innen, zu uns, in unser Europa.

In ein Europa mit hoffentlich bald einer wirklichen Kapitalunion.

In ein Deutschland mit einer noch stärkeren Vernetzung zwischen den verschiedenen Behörden, von der Kommune über die Länder bis zum Bund.

Denn wenn wir ökonomische Sicherheit schaffen wollen, gibt es keine Trennung mehr zwischen Innen und Außen.

Und ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingt.

Denn Deutschland ist ein starkes Land.

Herzlichen Dank.

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