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Rede von Außenministerin Annalena Baerbock zur Eröffnung der Konferenz der Leiterinnen und Leiter deutscher Auslandsvertretungen
Ich freue mich ganz besonders, dass Sie, liebe Ngozi, heute hier sind. Und ich kann mir ehrlich gesagt kaum einen besseren Gast vorstellen für eine Konferenz, in der wir den Blick vor allen Dingen auf unsere globalen Partnerinnen und Partner werfen.
Denn die Fragen, die wir uns stellen, sind auch Fragen, die sich durch Ihren beeindruckenden Lebenslauf ziehen. Als eine der führenden Politikerinnen Nigerias, als hochkarätige Expertin der Weltbank und jetzt, als Generaldirektorin der Welthandelsorganisation.
Wie stärken wir unsere Partnerschaften in einer Welt, in der eine zunehmende Anzahl von Akteuren um Einfluss ringt? Wie gelingt es uns, in einem Sog von Krisen nicht auf Abschottung, auf Nationalismus und Populismus zu setzen, sondern auf Offenheit, auf eine Zusammenarbeit, die die Interessen aller Partner abbildet und die vor allem den Menschen zugutekommt, die es am nötigsten haben.
Sie, liebe Dr. Ngozi, haben diese Fragen neulich in einem Essay auf den Punkt gebracht:
„Die Globalisierung ist nicht vorbei und wir sollten uns dies auch nicht wünschen. Aber sie muss verbessert werden und neu gedacht werden für das Zeitalter, das uns bevorsteht.“
Ich sehe das ganz ähnlich. Und in meinen Augen betrifft das nicht nur ein Neudenken unserer Zusammenarbeit in Handelsfragen, sondern in all den großen Fragen, denen Sie, unsere Leiterinnen und Leiter, sich global in einer vernetzten Welt tagtäglich widmen.
Unserer vernetzten Sicherheit, der internationalen Klimapolitik, der globalen Eindämmung von Krisen und Konflikten, der Bekämpfung von Armut, Hunger und Leid. Und ich bin überzeugt, wenn wir diese Fragen neu denken wollen, dann müssen wir zuallererst bei uns selbst anfangen. Und das heißt für mich ganz konkret bei der Frage, wie wir Deutschlands Rolle in einem vereinten Europa, in der Welt zukünftig gestalten wollen.
Diese Rolle hat sich bekanntermaßen in den letzten anderthalb Jahren mit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, mit der Zeitenwende entscheidend verändert.
Wenn wir zurückdenken, scheint es wie zwei Jahrzehnte her, aber es sind nur zwei Jahre: Damals strömten durch Nord Stream 1 und andere Pipelines noch Milliarden Kubikmeter Erdgas von Russland nach Deutschland. Fossile Energieträger aus Russland deckten einen Großteil unseres Energiebedarfs. Heute nicht mehr und für Deutschland komplett nicht mehr.
Vor gerade einmal zwei Jahren wäre auch die Vorstellung, dass Deutschland Panzer und Flugabwehrsysteme in ein Kriegsgebiet liefert, gelinde gesagt befremdlich gewesen. Heute steht Deutschland bei den Waffenlieferungen für die Selbstverteidigung der Ukraine mit an vorderster Stelle.
Diese Wende, diese Zeitenwende, haben wir nicht einfach aus dem Ärmel geschüttelt, Sie hat Kraft gekostet, sie hat Diskussionen erfordert, die auch wehgetan haben. Sie hat vor allen Dingen Selbstreflexion bei uns bedurft. Aber wir haben diese Kehrtwende gemeinsam hinbekommen.
Dabei haben aus meiner Sicht die letzten anderthalb Jahre eine neue Phase der deutschen Außenpolitik eingeläutet. Und wie einschneidend das ist, zeigt sich, wenn wir einen Blick zurückwerfen auf die unterschiedlichen Phasen deutscher Außenpolitik und die Weggabelungen, an denen wir damals standen. Weggabelungen, an denen man sich immer wieder entscheiden musste: Bleibt man stehen, geht man nach vorne, nach rechts oder nach links? Da ich hier begrenzt Zeit haben, ist das schlagpunktartig.
Nach der Shoah und den Gräueln des Zweiten Weltkriegs, entfesselt von Deutschen, gründet die Außenpolitik unseres Landes auf der Prämisse, dass nie wieder Krieg von deutschem Boden ausgehen darf. Das ist weiterhin die Grundlage unseres außenpolitischen Handelns. Nach 1945 strebte Deutschland danach, das Vertrauen ehemaliger Feinde zu gewinnen. Und wir sind bis heute dankbar, - ich mit 42 Jahren -, dass meine Generation, das Glück hatte, in Frieden aufwachsen zu können, dass unsere Nachbarn und Freunde, dass die ganze Welt uns die Hand gereicht hat und uns wieder in den Kreis der Staatengemeinschaft aufnahm. Und das war alles andere als selbstverständlich.
Wir feiern dieses Jahr 50 Jahre Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen. Das unterstreicht, wie wenig selbstverständlich das gerade nach 1945 war. Es macht deutlich, wie lange es dauerte, bis Deutschland damals als BRD und DDR 1973, also deutlich nach der Gründung der Vereinten Nationen, in die internationale Gemeinschaft, in die Vereinten Nationen wiederaufgenommen wurde.
Die Bundesrepublik leistete damals ihre klaren Beiträge zum westlichen Bündnis. Zugleich betrieben deutsche Regierungen außenpolitische Zurückhaltung - erneut zu Recht-, und das, was wir heute als Scheckbuchdiplomatie benennen. Die Überzeugung, dass eher unser Geld als unsere Soldaten zur Lösung von Konflikten beitragen sollten. Das war richtig und wichtig in diesen Zeiten. Und zugleich haben wir in dieser Phase deutscher Außenpolitik deutlich gemacht: wir wollen durch diese Scheckbuchdiplomatie etwas zurückgeben.
Ich wurde zu Beginn, wenn ich von wertegeleiteter Außenpolitik sprach, häufig gefragt, wie ich denn zur Scheckbuchdiplomatie so stehe. Ein bisschen bin ich ja schon in der Politik - es war klar, dass das keine Analyse deutscher Außenpolitik sein sollte, sondern das, was heute leider auch die Außenpolitik prägt: Schnelle Überschriften. Es wäre ja auch eine schöne Überschrift gewesen: „Baerbock kritisiert Genscher“. Aber was ist das eigentlich für eine Frage? Als könnten wir, die 1970er oder 1980er Jahre mit 2023 vergleichen. Wer käme auf die Idee zu sagen: Das, was 1970 richtig war, gilt auch Jahrzehnte danach als automatisch für die Blaupause deutscher Außenpolitik. Als wären fünf Jahre in den Vereinten Nationen das gleiche wie heute 50 Jahre Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen. Für mich war daher von Anfang an wichtig, deutlich zu machen: Jede Zeit hat ihre Aufgaben. Daher kann man Außenpolitik, kann man Politik insgesamt, nicht einfach aus der Vergangenheit kopieren, sondern nur, wie Sie es auch formuliert haben, für die internationale Handelspolitik, immer wieder neu denken. Denn es wäre ja ehrlich gesagt etwas irre, wenn wir heute auf ECOWAS oder die Ukraine mit einer Scheckbuchdiplomatie allein zukommen würden.
Mit 1989 begann für die deutsche Außenpolitik eine dritte Phase, als noch vor den mutigen Menschen in Ostdeutschland unsere östlichen Nachbarn die Diktaturen jenseits des Eisernen Vorhangs ins Wanken brachten und dann dem wiedervereinigten Deutschland die Hände reichten. In einer gemeinsamen Europäischen Union, in unserer gemeinsamen Europäischen Union. Für uns ist heute klar: So wie unsere Nachbarn uns nach 1945 die Hand gereicht haben und so wie sie 1989 die deutsche Wiedervereinigung ermöglichten, so stehen wir jetzt an ihrer Seite in diesen neuen Zeiten.
Parallel brachte sich unser Land in dieser dritten Phase immer stärker in die Vereinten Nationen und NATO-geführte Missionen ein. Angetrieben durch die unerträglichen Bilder der Balkankriege wuchs dabei auch die Frage zur Beteiligung an robusten Mandaten. Dies führte zum aktiven deutschen Engagement im Rahmen der NATO-geführten Kräfte im Kosovo. Und diese Entscheidung, wieder eine Entscheidung, die man aktiv treffen musste, war wichtig. Nicht trotz, sondern gerade wegen der Geschichte unseres Landes, wie der damalige Bundesaußenminister Joschka Fischer sagte: Deutschlands Verantwortung für den Holocaust bedeutet nicht nur eine Verpflichtung im Sinne von „nie wieder Krieg“, sondern auch von „nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord“.
Deutschland hat in den vergangenen Jahren seine Partner bei VN-, EU- und NATO- Missionen überall auf der Welt unterstützt. Und dabei, die Vereinten Nationen aktiv zu gestalten, das Völkerrecht weiterzuentwickeln, auch davon war diese Phase so intensiv geprägt. Das tun wir bis heute, und das wollen wir in Zukunft weiter tun.
Was sich jedoch durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine grundlegend geändert hat, ist, dass wir auf brutale Art und Weise verstehen mussten: unsere eigene Sicherheit ist nicht selbstverständlich. Diese Erkenntnis wird unsere Politik auf Jahre prägen. Und darum geht es in dieser neuen, vierten Phase unserer Außenpolitik. Um die Art und Weise, wie wir mit Bedrohungen unserer eigenen Sicherheit im Herzen Europas umgehen. Und vor allen Dingen, wie wir Verantwortung aktiv selbst übernehmen – so wie andere für unsere Sicherheit Verantwortung übernommen haben.
Zwei Schlussfolgerungen sind dabei für mich zentral.
Erstens müssen wir uns neu und stärker aufstellen - politisch, wirtschaftlich, militärisch, zivil und mental. Wir müssen in unsere eigene Stärke investieren.
Und zweitens müssen wir nach außen in unsere europäischen und transatlantischen Allianzen investieren, und auch in neue, globale Partnerschaften.
In unserer ersten Nationalen Sicherheitsstrategie haben wir genau dies gemeinsam als Bundesregierung dargelegt.
Aber mindestens genauso wichtig wie die Frage danach, was wir tun, ist aus meiner Sicht die Frage, wie wir das tun.
Ich glaube, wenn wir ein verlässlicher Teamplayer sein wollen, der nicht nur am Seitenrand steht, sondern, der bereit ist, das Spiel zu gestalten, dann müssen wir immer wieder neu den Mut haben, Dinge anzustoßen. Dranzubleiben - auch wenn der Erfolg nicht gewiss ist. Oder, wenn am Anfang noch nicht klar ist, wer alles mit dabei ist. Den Mut, gerade in diesen Zeiten, optimistisch zu sein. Auch bei Gegenwind nicht einzuknicken, sondern sich aufzurichten – für unsere Werte und Interessen. Nicht naiv und blauäugig, nicht aus Prinzip das zu tun, sondern mit Zuversicht und Weitblick. Weil wir es uns nicht leisten können, die Hände in den Schoß zu legen und beim kleinsten Hauch von Widerstand aufzugeben. Denn dann füllen diese Lücken andere. Im Zweifel gegen unsere Werte und gegen unsere Interessen.
Und hier kommt für mich die neue Phase deutscher Außenpolitik voll zum Tragen. Nicht als harter Bruch zu allem davor, sondern als logische Folge.
Als ich letztens zusammensaß mit meinem neuen Staatssekretär Thomas Bagger - den ich an dieser Stelle auch nochmal nach der Amtseinführung letzte Woche in dieser Runde herzlich in Berlin begrüße -, da haben wir darüber gesprochen, wie in Weisungen zu anderen Zeiten an unsere multilateralen Vertretungen in New York oder Genf früher eine Standardformulierung immer wieder auftauchte. Und die hieß: „Wir werden uns einem sich abzeichnenden Konsens nicht verschließen.“
Einige kennen das offensichtlich, bei dem Raunen.
Das war damals mehr als logisch, weil wir als Außenseiter eben erst 1973 mit dazu gekommen sind in internationale Institutionen, insbesondere in die Vereinten Nationen. In den Kreis der internationalen Gemeinschaft. Wir wollten nicht alleine dastehen. Aber heute wäre es aus meiner Sicht viel zu bequem, die Haltung einzunehmen: im Zweifel hätten wir alleine dagestanden. Oder so viele Fragen zu stellen, bis wir selber gar keine eigene Position formulieren müssen.
Wir haben in den letzten 558 Tagen, die Russlands furchtbarer Krieg nun schon tobt, gesehen, wie stark unsere Einheit, gerade in der Europäischen Union aber auch darüber hinaus, uns macht. Aber auch, dass zu Beginn dieser 558 Tage es eben keine Blaupause gab, wo wir die Standardsätze aus den alten Weisungen einfach übernehmen konnten. Sondern dass diese Einheit nicht einfach vom Himmel gefallen ist. Wie wichtig es war, bei neuen Entscheidungen immer wieder sich selbst zuerst zu fragen: Wohin wollen wir denn? Wie erreichen wir das, mit unseren Partnerinnen und Partnern? Und immer wieder sich hinterfragen zu lassen.
Ansonsten hätten wir diese Sanktionspakete, hätten wir diese starke Unterstützung zur Selbstverteidigung niemals auf den Weg gebracht. In der NATO und den G7 und vor allen Dingen in der Europäischen Union. Wir haben Militärhilfen, Sanktionspakete, humanitäre Hilfe und politische Unterstützung auf den Weg gebracht, weil wir immer wieder bereit waren, mit eigenen Ideen reinzugehen, weil wir zu Kompromissen bereit waren und vor allen Dingen deutlich gemacht haben: wir stehen mit allem, was wir haben, zu unserer Europäischen Einheit. Wir haben klargemacht: Die Ukraine, Moldau, die Staaten des westlichen Balkan, und perspektivisch auch Georgien, werden EU-Mitglieder. Ich weiß nicht, wer darauf vor fünf Jahren gewettet hätte.
Das heißt aber auch: wir müssen jetzt mutig handeln, damit auch diese zukünftige EU der über 30 Staaten eine starke, handlungsfähige Union ist. Das setzt, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, interne Reformen voraus. Mit einigen Partnern haben wir deswegen einen Prozess angestoßen, um mehr Entscheidungen in unserer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik mit qualifizierter Mehrheit treffen zu können. Und auch da haben wir noch lange keinen Konsens. Aber auch da war klar: Deutschland kann nicht einfach abwartend am Rande stehen. Und klar ist genauso: Das allein wird nicht ausreichen. Auch Reformen der europäischen Institutionen und der Kohäsionspolitik werden nötig sein und Antworten, wie wir die EU als geopolitischen Akteur stärken wollen.
Wir wissen, das wird schwierig. Sind diese Prozesse, von denen wir sicher sind, dass wir sie brauchen, am Ende wirklich von Erfolg gekrönt? Nein, sicher sind wir nie. Aber das kann kein Grund sein, jetzt nicht mit Vorschlägen voranzugehen. Denn wer die Erweiterung will, muss sich auch dafür einsetzen, dass die EU die dafür notwendigen Reformen durchführt. Genau das verlangen wir schließlich auch von den beitrittswilligen Staaten selbst.
Wir wollen noch vor dem Europäischen Rat im Dezember zu einer Europakonferenz nach Berlin einladen, um genau das zu diskutieren, was die nötigen Schritte für uns in der Europäischen Union mit Blick auf die Erweiterung und die dafür zugrundeliegenden Reformen sind. Denn ich glaube, als größte Volkswirtschaft dieser Union, aber auch als ein Land, das dank seiner europäischen Partner wieder eins werden durfte, tragen wir für die Weiterentwicklung unserer Gemeinschaft besondere Verantwortung.
Das gilt aber auch für unsere globalen Partnerschaften. Ich bin überzeugt, wenn wir unsere Partnerschaften in Afrika, Lateinamerika, Asien stärken wollen, dann müssen wir bereit sein, zuzuhören und auch hier selbst zu hinterfragen, aber auch uns hinterfragen zu lassen. Das ist nicht immer angenehm, wenn man etwa gesagt bekommt: „Wie sollen wir euch mit eurem Blick auf die Ukraine unterstützen? Und ihr? Wo wart ihr damals, als wir euch brauchten? Wo war Westdeutschland, als wir gegen die Apartheid in Südafrika gekämpft haben?“ Das müssen wir aushalten. Wir müssen dabei nicht alles schlucken, aber es bricht uns kein Zacken aus der Krone. Und es ist nur ehrlich, wenn wir sagen, wo und wann wir falsch lagen. Gerade beim Thema Apartheid ist das sehr klar.
Genau deswegen ist es auch so wichtig, dass wir uns mit unserer Kolonialgeschichte auseinandersetzen. Das sage ich gerade zu meinem heimischen Publikum. Es ist Teil von einer aktiven Außenpolitik. Es ist Teil einer Außenpolitik mit Respekt vor anderen. Dass wir Schlüsse ziehen aus den dunklen Kapiteln unserer Geschichte. Und wir haben gerade auf dem Flur wieder darüber gesprochen, was es auch für Nigeria bedeutet, die Benin Bronzen zurückzuerhalten. Einen Teil. Das war ja erst ein ganz kleiner Teil der Rückgabe. Weil wir, wenn wir uns ehrlich mit unserer Vergangenheit auseinandersetzen, mit unseren Partnern auch viel offener über unsere Zukunft reden können.
Und dazu müssen wir ihre Sicherheitssorgen ernster nehmen. Das sage ich insbesondere auch mit Blick auf die Klimakrise. Diese Krise heizt Konflikte an, und sie trifft gerade kleine und besonders verwundbare Staaten mit voller Wucht. Ganze Inselstaaten können bekanntermaßen unter dem steigenden Meeresspiegel versinken. Und deswegen ist zum Beispiel unsere neue Botschaft auf Fidschi auch nicht irgendeine Botschaft, die da mal dazukommt, sondern es wird eine unserer wichtigsten Botschaften weltweit sein, weil sie stellvertretend für eine Region, stellvertretend nicht nur für Fidschi, für einen Inselstaat, sondern für ganz viele Inselstaaten steht. Sie ist Ausdruck unserer neuen Partnerschaft in Verantwortungsbereitschaft in diesen geopolitischen neuen Zeiten.
Die Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist insbesondere dort, wo wir früher noch nicht präsent waren, in Form einer Botschaft oder auch mit unserer Außenpolitik, vor allem erst mal hinzuhören und gemeinsam mit unseren Partnerinnen und Partnern an konkreten Lösungen zu arbeiten. Genau das war auch die Überlegung, weswegen wir die Klimaaußenpolitik ins Auswärtige Amt geholt haben. Nicht nur, um klimapolitisch mit den Partnern in Kontakt zu sein, sondern um zu unterstreichen, dass es für uns eben nicht nur eine klimapolitische, sondern eine sicherheitspolitische Aufgabe ist. So wie das für ganz viele Länder auf dieser Welt bereits gilt.
Deswegen haben wir auch genau die verletzbarsten Staaten im Blick, wenn wir bei der nächsten COP in Dubai auf mehr Ehrgeiz drängen, beim Ausbau von erneuerbaren Energien und bei den neuen Mechanismen gegen Schäden und Verluste, bei „Loss und Damage“. Und auch hier wissen wir nicht, ob das gelingen wird, ob das neue Instrument von Loss und Damage sofort, wie man im schönen außenpolitischen Sprech sagt, fliegt. Das hängt natürlich auch davon ab, wenn Klimapolitik auch so stark Geopolitik ist, inwieweit wir alte oder neue Machtblöcke wieder auf den Klimakonferenzen erleben. Ob es wieder „G77“ gegen „Industriestaaten“ sein wird, oder ob wir schaffen, was wir in den letzten anderthalb Jahren schon schrittweise zumindest ein bisschen aufbauen konnten: dass es neue und verstärkte Klimaallianzen und -formate gibt, die diese alten Wagenburgen aufbrechen.
Worauf wir immer wieder in diesen neuen Zeiten, in all den neuen Formaten aufbauen, ist unser außenpolitisches Handeln, das in all seinen Phasen von unseren Werten und unseren Regeln, von unseren Interessen verankert im Grundgesetz geprägt ist. Auf deren Grundlage uns die Weltgemeinschaft damals in ihre Reihen wiederaufgenommen hat. Basierend auf der Charta der Vereinten Nationen, dem Völkerrecht und den Menschenrechten. Diese Ordnung zu stärken, das ist Leitlinie unseres Handelns. Das ist wertegeleitete Außenpolitik. Diese Ordnung, das mag abstrakt klingen, aber diese Ordnung steht für etwas ganz Konkretes, für Regeln und Institutionen, in denen sich Große und Kleine gleichermaßen fair behandelt fühlen. Weil sie die Rechte aller achten und schützen.
Was wir aber wahrnehmen, wenn wir genau hinhören, ist, dass gerade unsere kleinen und mittleren Partner sich sorgen, wenn die Rede von Ordnung in einer „multipolaren Welt“ ist. Denn wenn Multipolarität heißt, dass noch mehr Große die Ordnung im Hinterzimmer unter sich aushandeln, ist das ein Albtraum für die kleinen und mittleren Staaten, die die große Mehrheit der 193 Länder in den Vereinten Nationen ausmachen. Deshalb geht es uns darum, unsere Realität im Jahr 2023 so zu gestalten, dass sie allen gerecht wird, und dass sie gerechter wird.
Dabei wollen wir keine „Status Quo“- Macht sein. Wir wollen die internationale Ordnung weiterentwickeln – und zwar, indem wir genau hinhören, auf die Anliegen unserer Partner.
Denken Sie an den VN-Sicherheitsrat. Das letzte Mal wurde er vor 60 Jahren reformiert. Seitdem ist nicht nur ein wiedervereinigtes Deutschland da, sondern sind rund 60 Staaten den Weg in die Unabhängigkeit gegangen. In Afrika, in Lateinamerika, in Asien. Diese Staaten fordern zu Recht Mitsprache und einen angemessenen Platz am Tisch.
Das Gleiche gilt für internationale Finanzinstitutionen, Gesundheitsgremien und für Formate wie G20, zu denen etwa die Afrikanische Union als ständiges Mitglied an den Tisch gehört.
Aber auch unsere gemeinsamen Instrumente müssen wir verbessern, wenn wir heutige Herausforderungen bewältigen wollen. Viele verletzbare Länder können kaum in Maßnahmen zum Schutz gegen Klimaschäden investieren, weil sie unter einer immens gestiegenen Schuldenlast fast zusammenbrechen. Auch hier brauchen wir Lösungen.
Und auch das sind unglaublich dicke Bretter. Aber erneut: wenn wir in diesen Fragen einfach abtauchen, dann werden andere da sein und sie beantworten. Und wenn an anderen Wegscheiden der Außenpolitik Menschen ohne Mut den einfachsten Weg gegangen wären, dann hätten wir heute weder eine Europäische Union, noch eine OSZE und auch keinen Internationalen Strafgerichtshof - wo ja bekanntermaßen auch noch nicht alle Staaten mit dabei sind.
Das Anfangen, das Weiterentwickeln. Auch das hat deutsche Außenpolitik immer geprägt. Und genau deswegen arbeiten wir auch an der Weiterentwicklung des Völkerrechts. Auch das klingt sehr abstrakt. Aber ich glaube, auch hier sind wir an einem entscheidenden Moment, in dem gelingen kann, was zu einer anderen Zeit nicht möglich war. Das Romstatut zu reformieren, sodass das Verbrechen der Aggression vom Internationalen Strafgerichtshof geahndet werden kann. Weil die derzeitige Lücke im Völkerrecht es bekanntermaßen unmöglich macht, Russlands Machthaber für ihren Bruch des Friedens vor dem Internationalen Strafgerichtshof zur Rechenschaft zu ziehen. Und auch hier hören wir von so vielen Seiten: „Rom-Statut reformieren? Was soll denn das? Das dauert doch Ewigkeiten.“ Aber wenn wir reflektieren, wie dankbar wir sein können, dass andere den Mut hatten, uns die Hand zu reichen, haben wir aus meiner Sicht genau auch hier beim Völkerrecht eine Verpflichtung. Und mit Blick auf das Aggressionsverbrechen ist es aus meiner Sicht jetzt so entscheidend und wichtig, nicht nur den europäischen Blick zu suchen, sondern das größere Bild unserer Verantwortung global zu sehen. Und ja, hier können wir mit deutscher Außenpolitik einen aktiven Unterschied machen. Denn natürlich geht es hier um die Ukraine. Aber es geht noch um so viel mehr. Hier geht es um jedes Land der Welt, das die Aggression eines Nachbarn fürchten muss. Und genau deswegen arbeiten wir jetzt schon mit jenen, vor allem afrikanischen, Staaten, die dies vor 13 Jahren als kleine Gruppe schon einmal versucht haben.
Und unsere Aufgabe ist es, genau diese Länder jetzt mitzunehmen. Ich glaube, was unsere Rolle hier so besonders macht, ist, dass wir nicht nur allen Grund haben, mutig und zuversichtlich zu sein, weil wir wissen, was wir anzubieten haben. Sondern auch, weil wir durch die bisherigen Phasen unserer Außenpolitik eben viel Vertrauen gewonnen haben. Und Fehler anderer zum Teil auch nicht gemacht haben, sondern wichtige Initiativen wie den Internationalen Strafgerichtshof mit angestoßen haben.
Und zum anderen, auch das sollten wir nicht unterschätzen, haben wir was anzubieten, weil das in uns gesetzte Vertrauen darauf basiert, dass wir seit langem für eine gerechte internationale Ordnung eintreten, für einen Kampf gegen die Umwelt- und Klimazerstörung, für nachhaltige Entwicklung und ein Ringen um Frieden und Sicherheit auch in anderen Regionen. Und auch deswegen kandidieren wir für 2027 und 2028 wieder für den Sicherheitsrat.
Und zugleich gilt natürlich: wir wissen, wie hart diese Zeiten sind. Optimistisch zu sein, heißt nicht, die ganzen Klippen und Hürden nicht zu sehen.
Wir wissen, das sehen nicht alle so. Daher frage ich diejenigen, die unsere Vision einer internationalen Ordnung als „westliche Ideologie“ zurückweisen, immer wieder, ganz einfach, ganz simpel und ganz offen: Was ist denn Eure Version einer internationalen Ordnung, wenn es nicht die Charta der Vereinten Nationen, wenn es nicht die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, auf die wir uns alle verständigt haben, ist? Geht es um andere Interessen, um eine andere Ordnung?
Natürlich können wir niemanden zwingen, für uns und gegen andere Stellung zu beziehen. Genau das wollen wir auch gar nicht. Denn was Blockbildung bedeutet, haben wir Deutsche in vier Jahrzehnten der Teilung hautnah erlebt. Wir wissen: Echte Partnerschaft kann nie nur Mittel zum Zweck sein. Sie muss beiden Seiten nutzen.
Das ist auch eine der zentralen Herausforderungen, vor denen wir im Umgang mit China stehen. Die Tatsache, dass sich zahlreiche Länder immer stärker auf China ausrichten, zum Beispiel auch auf solchen Klimakonferenzen, wo man sich fragt: „Ihr habt doch gar nichts bei der Klimapolitik in common“, das liegt oft daran, dass sie denken, dass sie keine Alternative haben. China ist vor allen Dingen dort im Vorteil, wo wir zu wenig anbieten oder zu wenig für unsere Angebote werben. Unsere Chinastrategie richtet sich daher vor allem an uns selbst. Es ist an uns, unser Engagement mit konkreten Lösungen unter Beweis zu stellen. Und auch das ist entscheidend, liebe Leiterinnen und Leiter: Es ist an uns, unsere Angebote klar und deutlich zu kommunizieren.
Und, liebe Dr. Ngozi, diese Bereitschaft, den Status quo weiterzuentwickeln und gemeinsam eine neue Globalisierung zu gestalten, die gilt auch für die Handelspolitik. Sie haben unterstrichen: Die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, hat sich in den letzten Jahrzehnten auch dank eines enormen Anstiegs des internationalen Handels drastisch verringert. Was aber entscheidend ist dafür, dass internationaler Handel gerecht und nachhaltig ist, das sind auch hier klare und faire Regeln, die für alle gelten. Regeln, die für alle gemacht werden und nicht nur für einen Teil der Länder. Regeln, die respektiert und durchsetzbar sind.
Wir sehen aber, dass die Arbeit der WTO belastet ist von geopolitischen Spannungen, von Differenzen zwischen Entwicklungsländern und Industriestaaten oder zwischen den USA und China. Und dabei geht es um wichtige Fragen, die manchmal stellvertretend dahinterstehen: Ab wann ist ein Land kein Entwicklungsland mehr? Wie viel Schutzmaßnahmen sind erlaubt, um wichtige Wirtschaftszweige zu fördern, etwa beim Klimaschutz oder bei Halbleitern? Und wie verhindern wir Subventionswettläufe, die am Ende allen schaden?
Auch die WTO braucht Reformen, damit wir diese Fragen lösen können, damit sie wieder der Ort für das Neudenken der Globalisierung ist, die Sie, liebe Ngozi, gefordert haben. Und damit ihr Streitschlichtungsmechanismus auch in Zeiten von Digitalisierung und KI wieder funktioniert. Und zwar so schnell, wie sich die heutige Welt dreht.
Dafür setzen Sie sich, dafür setzen wir uns, mit aller Kraft ein. Wir machen dies nicht mit dem Kopf durch die Wand. Wir werden Kompromisse brauchen. Wie immer im Leben, wie immer in der Politik. Wir werden auch mit schwierigen Partnern immer wieder neue Wege suchen, auch wenn wir nicht in allen Fragen gleicher Ansicht sind. Das erfordert auch, dass wir kritisch auf uns selbst schauen, weil wir wissen, dass auch wir nicht perfekt sind.
Dass wir oft vor Dilemmata stehen, wo es kein „100 % richtig“ und „100 % falsch“ gibt. Weil auch unsere Politik, unsere Hoffnungen, die wir auf Prozesse und Zusammenarbeit setzen, scheitern können. Das Scheitern können gehört zu allem Handeln mit dazu. Das sehen wir gerade auf dramatische Weise im Sahel, in Mali und jetzt insbesondere in Niger auf ganz tragische Weise. Probleme zu benennen, Abwägungen offenzulegen auch das ist für mich ein Zeichen von Stärke. Und es ist Kern feministischer Außenpolitik. Einer Politik, die zuhört, die Dilemmata benennt und sich ihnen stellt. Ich bin überzeugt: Eine kritische Auseinandersetzung mit unserem eigenen Handeln, insbesondere im Bereich von Handelsfragen weltweit, macht uns nicht schwächer, sie macht uns stärker.
Liebe Ngozi, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
unsere globale Zusammenarbeit, die Globalisierung neu denken, besser denken. So haben Sie es formuliert. Wir wollen das gemeinsam tun. Als Partner, der weiß, welche Verantwortung er gegenüber seinen Nachbarn und Freunden und anderen Partnern trägt. Der sich nicht wegduckt, wenn es schwierig wird. Als Teamspieler, der seine eigenen Stärken kennt und der die Stärken seiner Partner zum Zuge kommen lässt. Weil wir gemeinsam besser sind.
Mutig und zuversichtlich. Weil es um unsere gemeinsame Sicherheit geht. Um eine gerechte Zukunft.