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„Manchmal ist auch Schweigen genau das Richtige“ - Außenministerin Annalena Baerbock im Interview mit der Passauer Neue Presse

22.07.2023 - Interview

Frage: Frau Ministerin, Sie waren in den vergangenen drei Monaten in China, Brasilien, Südafrika, um gemeinsame Werte und Interessen auszuloten. Unterdessen tobt der Krieg in der Ukraine weiter. Auf einer Skala von 1 bis 10 – wie urlaubsreif sind Sie?

Außenministerin Baerbock: (lacht) Siebeneinhalb.

Frage: Es gab viel Lob für Ihr Auftreten in Peking, Kritiker meinen allerdings, Deutschland dürfe China nicht belehrend entgegentreten. Was erwidern Sie?

Außenministerin Baerbock: Das ist auch keineswegs der Fall. Mir ist vor allem der ehrliche Austausch wichtig. Wir haben erlebt, dass China sich in den vergangenen Jahren stark verändert hat. Es tritt repressiver nach innen, offensiver nach außen auf – mit Auswirkungen, die gerade auch unsere deutschen und europäischen Interessen massiv berühren. Das offen anzusprechen ist aus meiner Sicht Sinn von Außenpolitik – nicht zuletzt auch um unsere Interessen zu schützen, so wie China es im Übrigen auch tut.

Frage: Sie pflegen einen Stil deutlicher Worte. Verschafft sich Deutschland so den Respekt vor autoritär agierenden Staaten wie China?

Außenministerin Baerbock: Klare Worte sind kein Selbstzweck. In der Außenpolitik ist manchmal auch Schweigen genau das richtige. Wie im normalen Leben auch kommt es darauf an, ob es gerade klüger ist, Dinge klar anzusprechen oder Fünfe gerade sein zu lassen.

Frage: In China haben Sie sich gegen das Schweigen entschieden.

Außenministerin Baerbock: Gerade wenn man chinesischen Regierungsvertretern genau zuhört, dann wird sehr deutlich, dass sie Teile unserer internationalen Ordnung nicht mehr akzeptieren und diese einseitig verändern wollen. Das unkommentiert zu lassen, würde aus meiner Sicht von chinesischer Seite als Akzeptanz aufgefasst. Wir sehen gerade, wie wichtig unsere internationale, regelbasierte Ordnung für das friedliche Miteinander in der Welt ist. Deshalb betone ich immer wieder, dass wir uns in den Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte gegeben haben – an der im Übrigen auch China mitgewirkt hat –, und dass wir eine Weltordnung haben, die gerade für Streitfälle ausgelegt ist, um militärische Eskalationen zu verhindern.

Frage: Der Kanzler setzt bei seinen Auftritten mit Chinas Vertretern dagegen nicht auf Konfrontation.

Außenministerin Baerbock: Wenn man sich die Pressekonferenzen vom Bundeskanzler und von mir anschaut, dann haben wir in China ziemlich genau das gleiche gesagt, an manchen Stellen sogar wortgleich. Aber offensichtlich macht es in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch einen Unterschied, ob eine Frau Dinge ausspricht oder ob es ein Mann tut.

Frage: Mit der China-Strategie gibt en nun einen Leitfaden für den Umgang mit der Volksrepublik. Warum ist ein ‚Weiter so‘ mit China, unserem wichtigsten Handelspartner, nicht mehr möglich?

Außenministerin Baerbock: Wenn China sich verändert, dann muss sich auch unsere Linie politisch ändern. Wir haben in anderen Ländern gesehen, dass China bewusst in kritische Infrastruktur investiert – wie Flughäfen oder Straßen – um diese in schwierigen Zeiten als Druckmittel einzusetzen. Oder das durch ein neues Gesetz jeder Bürger und jedes Unternehmen verpflichtet ist „Sicherheitsinformationen“ an den chinesischen Staat weiterzugeben. Gerade weil wir so enge wirtschaftliche Beziehungen zu China haben, ist es wichtig, uns als Land einen gemeinsamen Kompass für unser Handeln zu geben. Viele Akteure stehen im Austausch mit China, nicht nur die Bundesregierung: Universitäten mit Wissenschaftlern, deutsche Unternehmen mit Standorten in China oder deutsche Hafenbetreiber, die Interesse an chinesischen Investoren haben. Für all das braucht es eine gemeinsame Antwort.

Frage: Beim Hamburger Hafenterminal gab es aber eine andere Antwort als von Ihnen gewünscht. Durch die Zustimmung des Kanzlers wurde der Deal durchgewunken.

Außenministerin Baerbock: Wir brauchen Investitionen in den Industriestandort Deutschland und auch den Handel mit China, dennoch haben wir erlebt, dass strategische Investitionen eben nicht nur einer wirtschaftlichen Logik folgen. Die Investitionsprüfverfahren zum Hamburger Hafen, aber auch zu anderen Investitionen, haben gezeigt, dass es bei den gesetzlichen Regelungen noch Verbesserungsbedarf gibt. Mit der Nationalen Sicherheitsstrategie und der China-Strategie haben wir nun die Grundlagen geschaffen, um uns resilienter zu machen. Bei der anstehenden Reform des Investitionsprüfrechts geht es zudem darum, außen- und sicherheitspolitische Kriterien in Prüfverfahren zu stärken und unser Instrumentarium nachzuschärfen.

Frage: Reduzierung von Abhängigkeiten kommt bisher als Botschaft bei den großen Unternehmen kaum an. Wie wollen Sie das ändern?

Außenministerin Baerbock: Was es vor allem braucht, ist Realismus. Unser Interesse ist eine verlässliche Beziehung gerade zu China, dem größten Markt der Welt. Aber das blinde Vertrauen darauf, dass autoritäre Regime am Ende berechenbar und nicht zum Äußersten bereit wären, hat sich brutal mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gerächt. Viele deutsche Unternehmen haben das gleiche Interesse wie wir als deutsche Bundesregierung, nämlich eine zu große Abhängigkeit von Ländern, die nicht auf die regelbasierte Ordnung bauen, zu vermeiden. Daher haben gerade viele Mittelständler selber angefangen, sich nicht nur aufs China-Geschäft zu konzentrieren, sondern stärker zu diversifizieren, also Produktionsstätten in anderen Ländern aufzubauen, um so Risiken zu streuen.

Frage: Wie lässt sich verhindern, dass der Steuerzahler am Ende Unternehmen wie VW oder BASF retten muss die voll auf China setzen?

Außenministerin Baerbock: Genau darüber spreche ich bei meiner Deutschlandreise mit Unternehmen. Was es für sie bedeuten würde, wenn von heute auf morgen – aus welchen Gründen auch immer – der chinesische Markt wegbrechen würde. Ob sie das wirtschaftlich überleben würden und was das für den Standort Deutschland und die hiesigen Arbeitsplätze bedeuten würde. Denn noch einmal kann selbst ein so reiches Land wie Deutschland nicht in dem Umfang wie beim russischen Angriffskrieg Unternehmen mit Steuergeldern retten. In Zukunft müssen Unternehmen solche Risiken stärker selber tragen. Als Bundesregierung haben wir daher staatliche Investitionsgarantien im Ausland auf drei Milliarden Euro pro Unternehmen und pro Land gedeckelt. Alles darüber hinaus ist dann allein unternehmerisches Risiko.

Frage: Auch bei Firmen gibt es Unterschiede, etwa zwischen Familienunternehmen, die auf langfristige Sicherheit schauen, und Großkonzernen, die kurzfristige Gewinne im Blick haben.

Außenministerin Baerbock: Ja, gerade Mittelständler sagten mir bei meinem Besuch in China im April, wir sind froh, dass die Bundesregierung jetzt stärker auf eine Minderung von Risiken setzt, weil sie selbst ihr China-Risiko reduzieren wollen. Als Regierung liegt die volkswirtschaftliche Sicherheit der nächsten Jahre in unserer Verantwortung, nicht der kurzfristige Gewinn einzelner Konzerne. Wenn in China aus politischen Gründen andere Regeln gelten und Wirtschafts- und Rohstoffbeziehungen für politische Interessen eingesetzt werden, müssen wir daraus Konsequenzen für uns ziehen und z.B. Lieferketten diversifizieren und wieder mehr in Europa produzieren.

Frage: Was bedeutet das für unsere Standortpolitik?

Außenministerin Baerbock: Lassen Sie mich das an einem Beispiel festmachen: Heutzutage stecken in fast allen Geräten Halbleiter-Chips. Ohne diese Chips kann eine Volkswirtschaft praktisch dichtmachen. Dass Halbleiter im Zuge der Corona-Krise zu einer Art Mangelware geworden sind, haben viele an den langen Lieferzeiten für Autos, besonders Elektroautos, bemerkt. Wir sind von wenigen Produzenten abhängig: Fast zwei Drittel der Chips werden in Südkorea, Taiwan, China und Japan hergestellt, nur rund 10% in Europa. Und: Für die Halbleiter-Produktion brauchen die Hersteller sogenannte Seltene Erden: Etwa zwei Drittel dieser Metalle importieren wir aus China. Die Abhängigkeit ist hier riesig. Deshalb haben wir uns in Deutschland und Europa dazu entschieden, mit staatlichen Geldern die Stärkung und den weiteren Aufbau der Chip-Industrie zu unterstützen. Es geht darum, dass wir bei diesen wichtigen Schrittmachern für Autos, Waschmaschinen, Windkraftanlagen und vielem mehr die Abhängigkeit von Importen reduzieren. Aktive Standortpolitik zu betreiben, ist heute eben auch ein Sicherheitsfaktor.

Frage: Sie erwähnten kurz Taiwan: Weltweit wird eine Eskalation des Konflikts mit China befürchtet. Welche Unterstützung kann Taiwan von uns erwarten?

Außenministerin Baerbock: Für Deutschland gilt unsere Ein-China-Politik. Das heißt auch, dass es nicht zu einer einseitigen gewaltsamen Veränderung des Status quo kommen darf. Daher habe ich in Peking sehr entschieden für Deeskalation geworben. Denn wenn es in der Straße von Taiwan zu einer militärischen Eskalation käme, hätte das noch massivere ökonomische Auswirkungen auf die gesamte Welt als der russische Angriffskrieg in der Ukraine, weil etwa die Hälfte aller Containerschiffe der Welt durch die Straße von Taiwan fahren.

Frage: Die Sommerpause steht an. Die AfD liegt in Umfragen vor den Grünen und der SPD. Welche Schuld hat die Koalition daran?

Außenministerin Baerbock: In Zeiten der Verunsicherung wie jetzt durch den russischen Angriffskrieg haben es populistische Parteien immer einfacher. Durch monatelange öffentlich geführte Auseinandersetzungen innerhalb der Koalition dürfen wir es ihnen nicht noch leichter machen.

Frage: Das Kabinett geht in den Sommerurlaub und überlegt sich, wie ein Streit, etwa um das Heizungsgesetz, vermieden werden kann?

Baerbock: Wir sollten uns nochmal vor Augen führen, wo wir stehen: mehr als 500 Tage russischer Angriffskrieg, unermessliches Leid der Menschen in der Ukraine, immense ökonomische Herausforderungen, die damit auch bei uns einhergehen, wie zum Beispiel enorm gestiegene Lebensmittelpreise. Das zehrt. Ohne Frage: manche Diskussionen in der Regierung hätten sicherlich ein bisschen ruhiger geführt werden können. Nichtsdestotrotz werbe ich dafür, dass man es sich nicht zu einfach macht.

Frage: Wie meinen Sie das?

Baerbock: Populismus bietet vermeintlich einfache Antworten an. Unsere Welt ist aber komplex, dagegen kann ich kein Schwarzweiß-Denken setzen. Ja, Kompromisse sind mühsam – sie sind aber der Kern von Demokratie, wo zum Glück nicht einer auf den Tisch haut und alles bestimmt. Für mich ist es wichtig, das nicht kleinzureden. An uns demokratischen Parteien liegt es, den Menschen zu erklären, warum manche Dinge komplizierter sind und warum gerade Kompromisse in Demokratien einen längeren Atem brauchen. Das ist anstrengend, aber das ist die Aufgabe von Politik. Und am Ende ist es doch so: Die große Mehrheit unserer Gesellschaft steht hinter all dem, was die Rechtspopulisten ablehnen, nämlich der Reichtum von Vielfalt, unsere offene und freie Gesellschaft, den Respekt gegenüber anderen und die Werte der Europäischen Union als zentrale Leitplanken für unsere Politik.

Interview: Mareike Kürschner

www.pnp.de

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