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Rede von Außenministerin Annalena Baerbock bei der Deutsch-Südafrikanischen Binationalen Kommission
Wie Sie bereits sagten, wollte ich eigentlich schon am Sonntag hier in Südafrika sein. Aber angesichts der Situation in Russland musste ich meinen Abflug verschieben. Darüber werden wir sicherlich in den nächsten beiden Stunden unseres Treffens noch sprechen.
Ich freue mich sehr, dass ich jetzt hier bin. Dieser Besuch ist mir sehr wichtig, weil ich glaube, dass unsere beiden Länder etwas Grundsätzliches verbindet:
Sowohl in Südafrika als auch in Deutschland hat die Geschichte uns gelehrt, wie wertvoll unsere Freiheit und unsere Demokratien sind.
Wenn ich an Südafrika denke, habe ich immer ein Bild vor Augen: von den Menschen, die 1994 Schlange stehen. Es sind diese Bilder von Millionen von Südafrikanerinnen und Südafrikanern aller Hautfarben, die anstehen, um in Südafrikas erster demokratischer Wahl ihre Stimme abzugeben.
Es gibt ein wunderbares Bild von Desmond Tutu, der an jenem Tag an der Wahlurne sagt: „Heute hat das neue Südafrika begonnen.“ Dann lächelt er und fügt hinzu: „Ist das nicht fantastisch?“
Ein wahrhaft fantastischer Moment. Südafrikas Weg zur Freiheit ist ein Symbol der Hoffnung, das Männer und Frauen auf der ganzen Welt inspiriert hat.
Insbesondere in meinem Land Deutschland, das den Terror der Diktatur kennt, sind diese Bilder heute noch präsent. In unserem Land, wo man auch weiß, welch ungeheure Kraft die Sehnsucht nach Freiheit in uns Menschen freisetzen kann.
Dank dieser Kraft konnten die tapferen Menschen in Ostdeutschland die Berliner Mauer zu Fall zu bringen und endlich auch in Freiheit und Demokratie leben – nachdem die ersten Demonstrationen 1953 mit Panzern und Waffengewalt brutal niedergeschlagen worden waren.
In unseren beiden Ländern wissen wir, wie wichtig die Unterstützung durch internationale Partner auf diesem Weg hin zu Freiheit und Demokratie war. Und das, glaube ich, bestimmt auch heute unsere jeweilige Außenpolitik: die Überzeugung, dass wir selbst auch Verantwortung tragen, wenn andere bei sich für Frieden und Freiheit kämpfen.
Aber ich möchte auch ganz ehrlich sagen, dass die Regierungen Westdeutschlands den Kampf gegen die Apartheid viel zu lange nicht unterstützt haben.
Doch dass man aus der Vergangenheit lernt, zeigt für mich, warum Außenpolitik mehr ist als bloßer Austausch zwischen Politikerinnen und Politikern auf Regierungsebene. In der Außenpolitik geht es auch um Freundschaft zwischen Menschen und Freundschaft zwischen Gesellschaften, denn Menschen haben überall auf der Welt den gleichen Wunsch nach einem Leben in Freiheit für sich und ihre Kinder.
Und deshalb war es vielleicht kein Zufall, dass – während die Regierung in Westdeutschland auf der falschen Seite der Geschichte und der Freiheit stand – viele Frauen, Männer und zivilgesellschaftliche Akteure in Deutschland schneller waren und sich auf die richtige Seite gestellt haben, wie der Deutsche Akademische Austauschdienst, der schon damals Stipendien auch an schwarze Studierende vergeben hat, damit diese während der Zeit des Apartheid-Regimes studieren konnten. Daher freue ich mich, dass auch der Präsident des DAAD heute bei unserer Delegation dabei ist.
Ich glaube, dass wir uns in unserer Zusammenarbeit vor Augen halten sollten, woher wir kommen – nicht zuletzt deswegen, weil es bei Politik um Zukunft geht. Künftige Generationen lernen aus der Vergangenheit und gestalten so die Zukunft. Wir können unsere Vergangenheit nicht ändern. Wir können nur aus ihr lernen und uns der Verantwortung stellen, unsere Zukunft gemeinsam zu gestalten.
Gemeinsam, weil die Herausforderungen für unsere hart erkämpfte Freiheit und unsere hart erkämpften Demokratien weder auf Europa noch auf Afrika beschränkt sind. Auf unseren beiden Kontinenten sind unsere freien Gesellschaften in Gefahr: durch Desinformation, Populismus, Korruption und – ganz entscheidend – durch wachsende soziale Ungleichheiten, die uns zu spalten drohen.
Demokratien sind nie vollkommen. Deshalb sind sie so verletzlich und auch kompliziert. Aber die Tatsache, dass Demokratien nie vollkommen sind, macht sie auch so stark: Wir können sie permanent verbessern, wir können permanent darüber nachdenken, was wir in Zukunft besser machen. Und Demokratien können auch ständig voneinander lernen: wie wir gemeinsam besser, inklusiver und stärker werden.
Darum geht es bei unserer bilateralen Kommission: zuhören, ins Gespräch kommen, voneinander lernen, gemeinsam stärker werden.
In Südafrika beispielsweise sind heute nahezu die Hälfte der Parlamentsabgeordneten Frauen. Wir Deutsche können daraus lernen, denn bei uns sind leider nur ein Drittel aller Mitglieder des Bundestags weiblich.
Sie, liebe Naledi, haben betont, dass die Beteiligung von Frauen die Welt sicherer macht – das haben Sie auf jeder einzelnen Konferenz gesagt, an der wir gemeinsam teilgenommen haben. Ich stimme Ihnen voll und ganz zu. Ich freue mich, dass wir uns gemeinsam mit Nachdruck für Frauenrechte weltweit einsetzen – nicht nur, um unsere Demokratien zu stärken, sondern auch, um die Welt sicherer zu machen.
Ich glaube, dass wir, als zwei starke Demokratien auf unserem jeweiligen Kontinent, auch über die Rolle sprechen sollten, die wir in dieser Welt einnehmen. Unsere Sitzung haben wir mit einem Gespräch über dieses Thema begonnen.
Wie Sie erwähnt haben, sind wir zuletzt vor drei Jahren in der Deutsch-Südafrikanischen Binationalen Kommission zusammengekommen.
Die Welt ist heute eine andere – wegen der Pandemie, aber auch wegen der Kriege überall auf der Welt.
Russlands Angriffskrieg hat nicht nur schreckliches Leid über die Menschen in der Ukraine gebracht, er hat auch eine Wunde geschlagen, die sich weit über Europa hinaus erstreckt, und in vielen Teilen der Welt, in vielen Teilen Afrikas die Ernährungs- und Energiekrise noch verschlimmert.
Damit dieses Leid endet muss der Krieg enden. Damit der Krieg endet, muss Russland seine Bombardierungen einstellen und seine Soldaten abziehen. Dieser Krieg – und darüber haben wir bereits gesprochen – ist ein Angriff auf die VN-Charta, auf jene Regeln also, die uns alle verbinden und schützen.
Die von Präsident Cyril Ramaphosa geleitete afrikanische Delegation hat in Sankt Petersburg sehr deutlich gemacht, dass dieser Krieg auch Afrika betrifft. Die VN-Charta muss geachtet werden. Wir sind für seine klaren Worte dankbar.
Daher haben wir uns etwas mehr Zeit genommen, denn es war mir sehr wichtig, mehr über Ihre gemeinsame Reise mit den anderen afrikanischen Präsidenten in die Ukraine und auch nach Russland zu erfahren – über Ihren Besuch in Kiew und Sankt Petersburg und insbesondere in Butscha. Wie es war, dort zu stehen, als Mutter, so wie ich vor einigen Monaten, und zu sehen, was Menschen anderen Menschen antun können, und unsere gemeinsame Verantwortung zu spüren, so etwas in Zukunft zu verhindern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Für uns sind Sie unser zentraler strategischer Partner in Subsahara-Afrika. Wir freuen uns wirklich sehr, dass wir heute wieder persönlich und nicht nur virtuell in dieser Binationalen Kommission zusammenkommen. Denn wir schätzen es, dass Südafrika sich für eine Lösung der Krisen und Konflikte in Äthiopien, Sudan und der Demokratischen Republik Kongo einsetzt – und nun auch jenseits der Grenzen Afrikas.
Auch deshalb sind wir mit Ihnen einer Meinung, dass Afrika – und Südafrika – auf der Weltbühne eine stärkere Stimme bekommen sollten. Wir unterstützen die Afrikanische Union in ihrem Wunsch, der G20 beizutreten. Und wir unterstützen die afrikanischen Bestrebungen um einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat.
Denn für mich ist klar, dass wir die globalen Herausforderungen nur gemeinsam bewältigen können. Das betrifft die Bekämpfung von Pandemien. Doch es betrifft auch die größte sicherheitspolitische Herausforderung unserer Zeit, die Klimakrise. Ich bin froh, dass wir gemeinsam eng an der Transition von fossilen zu grünen Energien arbeiten.
Und das ist auch das Kernthema unserer Binationalen Kommission in diesem Jahr. Ich möchte all jenen in unseren Teams danken, die in der letzten Woche so intensiv daran gearbeitet haben, so viele Dinge unter Dach und Fach zu bringen – von Kunst bis zu Kultur, vor allem aber bei der Zusammenarbeit zu grüner Energie. Dies werden wir auch mit einer Gemeinsamen Erklärung beschließen, die unsere beiden Ministerien für Wirtschaft und Energie heute Nachmittag – ebenfalls zum ersten Mal – virtuell unterzeichnen. Es ist eine nützliche Erfahrung aus der Pandemie, dass wir persönliche und virtuelle Treffen so kombinieren können.
Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass bei dieser großen Umstellung niemand zurückgelassen wird, dass diejenigen, die heute im Kohlebergbau arbeiten, auch in Zukunft für ihre Familien sorgen können: durch Arbeitsplätze im Bereich erneuerbare Energien, aber, wie Sie gesagt haben, auch in anderen Sektoren, beispielsweise in der Automobilbranche.
Das ist das Ziel der Partnerschaft für eine gerechte Energiewende, der JETP, an der wir gemeinsam arbeiten.
Ich freue mich darauf, bei all diesen Maßnahmen in den nächsten zwei Stunden voranzukommen.
Als Partnerinnen und Partner, die durch ihre Geschichte gelernt haben, wie wertvoll starke und lebendige Demokratien sind.
Und dass es an uns liegt, sie zu stärken, damit wir zeigen können, dass – wenn wir es als Demokratien schaffen, für eine bessere Zukunft zusammenzuarbeiten – uns etwas geradezu Fantastisches gelingt.