Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts
Rede von Außenministerin Baerbock bei der Eröffnung der 20. Sitzung der Außenministerinnen und Außenminister des Ostseerats in Wismar
Mein litauischer Freund und Kollege Gabrielius Landsbergis sagte eben, dass wir hier mehr öffentliche Aufmerksamkeit bekommen als auf dem NATO-Außenministertreffen in Oslo. Wir wissen Ihr heutiges Interesse also sehr zu schätzen!
Willkommen in Wismar!
Man kann sich für die Eröffnung des 20. Treffens des Rates der Ostseestaaten und des VASAB-Forums kaum einen besseren Ort vorstellen: im Herzen des historischen Hafens der Stadt Wismar. Der Blick auf diese Schiffe und Hafenanlagen lässt uns die reiche Geschichte dieses wunderschönen Ortes erahnen, an dem die regionale Zusammenarbeit von jeher eine Schlüsselrolle gespielt hat.
Im 13. Jahrhundert wurde Wismar Hansestadt. Die Hanse war einst ein mächtiges Bündnis von bis zu 200 Städten, die sich entschlossen hatten, ihre Interessen gemeinsam wahrzunehmen. Sie hatten ein klares Ziel: durch sichere Schifffahrtswege ihre gemeinsame Sicherheit zu stärken, damit Handel und Wohlstand gedeihen konnten – zum Wohle aller. Die Grundsätze der Hanse haben in weiten Teilen bis heute nichts von ihrer Relevanz verloren, im Gegenteil. Auch wenn unsere sicherheitspolitischen Herausforderungen weit komplexer geworden sind.
Viele von uns Außenministerinnen und ‑ministern kommen direkt vom NATO-Außenministertreffen in Oslo, wo wir über die Zukunft des stärksten Sicherheitsbündnisses der Welt gesprochen haben. Die NATO ist ein weiteres Beispiel, das uns zeigt, wie Kooperation uns alle stärker macht: in einem Bündnis, dessen Mitglieder ihre Kräfte bündeln, um ihre kollektive Verteidigung zu stärken. Die Sicherheit jedes Einzelnen von uns ist unser aller Sicherheit – auch hier im Ostseeraum. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine stellt eine Zeitenwende für die Zusammenarbeit in der Region und vor allem im Ostseerat dar.
Gemeinsam haben wir Außenministerinnen und -minister darüber gesprochen, ob dieser Ostseerat noch einen Sinn hat. Und wir sind glücklicherweise zu dem Schluss gekommen, dass er durchaus und vor allem jetzt einen Sinn hat, denn wie viele andere europäische Institutionen wurde dieser Rat im Interesse unserer kollektiven Sicherheit und unserer kollektiven Freiheit gegründet. Gemeinsam haben wir beschlossen, Russland vom Ostseerat zu suspendieren. Und gemeinsam waren wir uns darin einig, wie entscheidend es ist, den Ostseerat ganz besonders jetzt weiterhin als Forum zur Förderung der Zusammenarbeit zu nutzen – in einer Region, die für unser aller Sicherheit eine Schlüsselrolle spielt.
Ich denke, vielen von uns ist bewusst, dass wir über weit mehr als militärische Stärke und diplomatische Strategie sprechen, wenn es um die Sicherheit im Ostseeraum geht. Sicherheit im 21. Jahrhundert bedeutet auch, dass unsere Energieversorgung gewährleistet ist; sie betrifft den Schutz unserer Häfen, Straßen und Schienennetze. Sie betrifft den Kampf gegen Desinformation ebenso wie unseren Umgang mit der Klimakrise und den Veränderungen unserer Umwelt. Es geht, kurz gesagt, darum, resilienter zu werden. In den drei Prioritäten unseres diesjährigen Vorsitzes im Ostseerat spiegelt sich eben dieses vielschichtige Bild unserer gemeinsamen Sicherheit wider.
Erstens haben wir den Ausbau der Offshore-Windenergie ganz oben auf unsere Tagesordnung gesetzt. Denn jede Windkraftanlage, die wir errichten, ist eine Investition in unsere Sicherheit.Mit der grünen Energiewende werden wir weniger abhängig von Öl‑, Kohle‑ und – und das sage ich bewusst hier, wo in der Nähe die Nord-Stream-Pipeline Land erreichte – Gaseinfuhren aus Ländern, auf die wir uns nicht immer verlassen können. Sie ist ein Beitrag, unsere Energieversorgung sauberer und vor allem sicherer zu machen. Gemeinsam mit unserem Partner Dänemark – und an dieser Stelle möchte ich dir, lieber Lars, danken – haben wir im vergangenen Monat das Baltic Offshore Wind Forum in Berlin ausgerichtet. Dabei kamen Zivilgesellschaft und Akteure des öffentlichen wie des Privatsektors zusammen, um auszuloten, wie wir das volle Potenzial der Ostsee ausschöpfen können. Und dieses Potenzial ist enorm. Das Meer hinter mir ist ein Schatz, der uns allen gehört. Es ist aber auch ein Schatz, den wir besser nutzen können: ein Schatz für grüne Energie.
Zweitens haben wir den Austausch zwischen den jungen Menschen aus unseren Ländern verstärkt. Auch dabei geht es um Resilienz. Vergangene Woche erst sind junge Frauen und Männer aus allen Ecken des Ostseeraums in Berlin zum Jugend-Ministertreffen des Ostseerats zusammengekommen, um Ideen zu erarbeiten, wie unsere Gesellschaften beispielsweise im Umgang mit Desinformation widerstandsfähiger werden oder wie wir den schädlichen Folgen der Klimakrise begegnen können. Ihre Ideen hören wir morgen.
Und schließlich die dritte Priorität unseres Vorsitzes: Munitionsaltlasten aus früheren Kriegen. Fast 450 000 Tonnen Munition liegen verstreut auf dem Meeresboden. Das entspricht grob 11 000 vollbeladenen LKW. Und es erinnert uns auf düstere Weise an die zerstörerischen Spuren von Krieg und Konflikt, die uns jahrzehntelang erhalten bleiben. Diese Munitionsaltlasten verschmutzen das Meer. Sie kontaminieren Fische und Muscheln, die – im Restaurant oder in der heimischen Küche – oft auf unseren Tellern landen. Während unseres Vorsitzes werden wir daran arbeiten, diese tickende Zeitbombe auf dem Meeresgrund zu entschärfen. Wir haben Fachleute aus einer Vielzahl von Bereichen eingeladen, die uns heute darüber informieren werden, wie diesen Herausforderungen begegnet werden kann, um die Ostsee sauberer und sicherer zu machen.
Klar ist: Wie im 13. Jahrhundert können wir bei all diesen zentralen Themen durch eine Zusammenarbeit nur gewinnen. Das gilt auch für unsere Kolleginnen und Kollegen von VASAB, die sich unter dem Vorsitz meiner Ministerkollegin und Freundin Klara Geywitz schwerpunkmäßig mit der Raumplanung im Ostseeraum befassen. Beim Baltic Offshore Wind Forum haben wir erfahren, welch wichtige Rolle die Meeresraumplanung dabei spielt, die verschiedenen Anforderungen an die Ostsee ins Gleichgewicht zu bringen: vom Bau von Offshore-Windkraftanlagen, Stromleitungen und Stromnetzen bis zur Einrichtung von Naturschutzgebieten und der Berücksichtigung von Schifffahrtswegen und Munitionsaltlasten.
Die Ostsee ist unser gemeinsamer Schatz. Behüten wir ihn! Schöpfen wir sein enormes Potenzial zur Stärkung unserer gemeinsamen Sicherheit und unseres gemeinsamen Wohlstands aus – mit praktikablen Lösungen. Darum sind wir heute und morgen hier. Um Lösungen zu finden, die in der Realität funktionieren.
In dieser geschichtsträchtigen Stadt, an diesem historischen Hafen, wo die Kaufleute vor 800 Jahren schon wussten, dass der beste Weg zu Wohlstand sich darin findet, einander über das Meer hinweg die Hand zu reichen.
Danke, dass Sie bei uns sind. Danke, dass Sie einander über das Meer hinweg die Hand reichen.