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Eröffnungsansprache von Außenministerin Annalena Baerbock bei der 72. Deutsch-Britischen Königswinter-Konferenz (Videobotschaft)

09.12.2022 - Rede

„Der Schutz von Sicherheit, Wohlstand und unseren Werten in einer Welt im Umbruch“

Wir haben wirklich alles versucht – aber leider haben wir es nicht nach London und zu Ihrer Konferenz geschafft. Schnee und Eis in Dublin haben uns dort festgehalten. Leider gehört das Wetters noch nicht zu den Dingen, die eine deutsche Außenministerin kontrollieren kann.

Deshalb wende ich mich mit dieser Videobotschaft aus dem Flugzeug an Sie – denn es war zentral für mich, zu Ihrer wichtigen Konferenz zu sprechen. Seit ihrer ersten Tagung vor mehr als 70 Jahren ist diese Konferenz zu einer echten Institution in den deutsch-britischen Beziehungen geworden. Sie hat in entscheidenden historischen Momenten Deutsche und Briten zusammengebracht – auch wenn das nicht immer eine leichte Übung war.

Mir wurde erzählt, dass sich 1990, als Bundeskanzler Helmut Kohl und Premierministerin Margaret Thatcher an der Konferenz teilnahmen, jemand auf der Bühne als Puffer zwischen die beiden setzen musste. Denn Kohl und Thatcher hatten, wie wir alle wissen, ihre Differenzen. Und die Organisatoren der Konferenz waren in Sorge, dass diese offen ausbrechen würden.

Letztlich passierte aber das genaue Gegenteil. Kohl und Thatcher nutzten ihren gemeinsamen Auftritt bei der Konferenz, um deutlich zu machen: In der Zeit geopolitischer Verschiebungen am Ende des Kalten Krieges standen Deutschland und Großbritannien trotz ihrer Differenzen eng zusammen.

Es ist kein Geheimnis, dass die deutsch-britischen Beziehungen auch in den letzten Jahren ihre Höhen und Tiefen hatten. Aber James Cleverly und ich brauchen ganz sicher keine Puffer zwischen uns. Eis und Schnee mögen mich heute von Ihrer Konferenz ferngehalten haben – aber die Beziehungen unserer zwei Länder sind sicherlich nicht frostig!

Ich bin überzeugt, dass was 1990 galt, auch heute wieder gilt: Angesichts einer neuen strategischen Realität stehen Deutschland und Großbritannien eng und fest zusammen: in der G7, der NATO, der OSZE und in der Generalversammlung der Vereinten Nationen.

In dieser neuen Realität sind Demokratie, Freiheit und globale Regeln unter immensen Druck geraten. In dieser Realität hat Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine deutlich gemacht, dass es bei Sicherheit in Europa absehbar nicht um Sicherheit mit Russland, sondern um Sicherheit vor Putins Russland gehen wird.

In dieser Realität haben wir die Wahl zwischen Unrecht und Recht. Die Wahl, Partei für den Aggressor zu ergreifen oder aber für das Opfer und all jene, die das Völkerrecht verteidigen.

Und ich bin fest davon überzeugt, dass in dieser Realität eines entscheidend ist: Wir müssen noch enger mit Partnern und Freunden überall auf der Welt zusammenarbeiten, die unsere Werte teilen – unser festes Vertrauen in Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Und wir müssen auch eng mit denen kooperieren, die sich in diese unsere Richtung bewegen. Denn angesichts der vor uns liegenden Herausforderungen und wachsender systemischer Rivalität sind die Differenzen, die wir mit unseren Wertepartnern hier und da haben, ziemlich unwesentlich.

Präsident Putins Krieg hat unaussprechliches Leid über Millionen Kinder, Frauen und Männer in der Ukraine gebracht. Aber er hat auch etwas in unser Bewusstsein gerückt: nämlich die Kraft, die Freiheit, Demokratie und unseren freiheitlichen Gesellschaften innewohnt – wenn wir zusammenstehen.

Das haben wir in der Ukraine gesehen, wo Putins Kriegspläne gescheitert sind, wo Ukrainerinnen und Ukrainer ihre Freiheit mit unfassbarem Mut verteidigen.

Das haben wir in der G7, der EU und der NATO gesehen, die alle neue Dynamik und Geschlossenheit entwickelt haben als Garanten unserer Werte, unserer internationalen Ordnung und unserer Freiheit.

Und ich glaube, wir haben es auch in den Beziehungen Deutschlands und der EU zu Großbritannien gesehen: Wir haben gezeigt, dass wir starke Einheit zeigen können – nicht nur, aber gerade auch im Angesicht des russischen Krieges.

Mein Aufruf heute Abend ist deshalb: Lassen Sie uns auf dieser Einheit aufbauen! Lassen Sie uns dieses Momentum nutzen, um unsere Bindungen zu stärken und uns so der neuen strategischen Realität zu stellen, der wir gemeinsam gegenüberstehen:

Gemeinsam stellen wir uns sicherheitspolitisch neu auf und treten Russlands Drohungen entgegen. Und gemeinsam machen wir unsere Volkswirtschaften widerstandsfähiger, indem wir unsere Abhängigkeiten verringern.

Und natürlich müssen wir auch gemeinsam der größten sicherheitspolitischen Herausforderung des 21. Jahrhunderts begegnen: der Klimakrise. Die Klimakrise zerstört, sie vertreibt und sie tötet. Sie bedroht Millionen Menschen weltweit mit immer schlimmeren Dürren und Stürmen. Bei der COP 27 konnten wir auf die sehr erfolgreiche COP 256 in Glasgow aufbauen. Und wir haben gezeigt, was die EU, das Vereinigte Königreich, Norwegen und die kleinen Inselstaaten herbeiführen können – wenn wir zusammenarbeiten, um das 1,5-Grad-Ziel am Leben zu halten, und für ein neues Kapitel in einer gerechten Klimapolitik.

Als enge Partner sollten wir aber gleichzeitig auch Fragen, bei denen wir nicht einer Meinung sind, offen ansprechen. Allen voran die Umsetzung des Nordirland-Protokolls. Gestern war ich in Dublin, wo ich mit Menschen aus Irland und Nordirland, Menschen beider Gemeinschaften gesprochen habe. Was ich am häufigsten von ihnen allen gehört habe – jetzt, da der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist –, war der Wunsch nach einer pragmatischen Lösung, die ihnen die Dinge ermöglicht, die in ihrem täglichen Leben entscheidend sind: Zu arbeiten und Familie und Freunde zu besuchen. Vor allem, so sagten sie mir, wollen sie eine Lösung, die den Frieden wahrt.

Ich glaube, jetzt besteht die Möglichkeit – ein „window of opportunity“ –, eine solche pragmatische Lösung zu finden – wenn beide Seiten wirklich die Bereitschaft zeigen, voranzukommen. Daher ermutige ich die britische Regierung, die sehr konstruktiven Vorschläge der EU aufzugreifen – im Interesse der Menschen in Irland, im Vereinigten Königreich und in ganz Europa.

Wir sollten heute eigentlich auch die „UK-German Connection“-Vereinbarung unterzeichnen. Und ich verspreche, dass wir alles tun werden, um ein zeitnah im nächsten Jahr ein Datum für eine schnellstmögliche Unterzeichnung zu finden.

Denn diese Vereinbarung ist wichtig – auch wenn sie technisch klingen mag. In den Beziehungen unserer Länder geht es um weit mehr als um Begegnungen zwischen Außenministerinnen und Diplomatinnen. Es geht um Menschen. Was sie mit Leben erfüllt sind Studierende, Forschende und Startup-Gründerinnen, Abgeordnete und Mitarbeitende in Denkfabriken – die vielen Menschen, die wissen, dass wir zusammen stärker sind.

Seit Jahrzehnten ist die Königswinter-Konferenz das deutsch-britische Forum für genau solchen Austausch. Die Konferenz hat uns vor 30 Jahren, als das Ende des Kalten Krieges die geopolitischen Realitäten auf unserem Kontinent veränderte, dabei geholfen, enger zusammenzurücken.

Heute stehen wir wieder vor einer neuen Welt, vor dieser neuen strategischen Realität – und ich glaube, die Konferenz kann diese entscheidende Rolle einmal mehr spielen. Sie kann – Sie und Ihr alle können – uns dabei helfen, die Freiheit und die Sicherheit der Männer, Frauen und Kinder in unseren beiden Ländern zu stärken.

Begegnen wir dieser neuen Realität mit Zuversicht.

Wir haben allen Grund dazu – angesichts der Einheit, die wir in den vergangenen Monaten bewiesen haben.

Vor allem aber angesichts des großen Vertrauens und der tiefen Freundschaft, die unsere Menschen verbinden.

Vielen Dank.

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