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Rede von Außenministerin Annalena Bearbock beim Side Event „Immer einen Schritt voraus – Klimasicherheit und Völkerrecht“ der UN-Generalversammlung in New York

23.09.2022 - Rede

„In zehn Jahren ist mein Zuhause vielleicht nicht mehr da.“

Das sagte mir ein Fischer vor Ort, als ich kürzlich Palau besucht habe. Und das hat mir vor Augen geführt, was für ein Unterschied es ist, einerseits in Berlin theoretisch über die Klimakrise zu lesen und andererseits dort zu sein, wo die Klimakrise nicht in der Zukunft liegt, sondern für die Menschen heute schon Realität ist.

Sein Haus steht direkt am Wasser an einem Strand, einem wunderschönen Ort direkt am Meer. Aber man konnte mit jeder Welle sehen, wie dieses schöne Zuhause, dieses Paradies von Jahr zu Jahr immer weiter verschwindet, weil das Meer jedes Jahr höher steigt.

Und sehr geehrter Herr Außenminister, Gustavo, danke, dass Sie mir einen so freundlichen und liebenswürdigen Empfang bereitet haben. Aber ich danke Ihnen auch dafür, dass Sie mir und meinem Land und auch vielen anderen Europäerinnen und Europäern gezeigt haben, was es bedeutet, wenn wir über die Klimakrise sprechen. Sie trifft Ihre Heimat, sie trifft Ihr Land, heute wie auch gestern schon.

Wir haben mit eigenen Augen gesehen, dass die Inselstaaten im Pazifik an vorderster Front der Klimakrise stehen. Der steigende Meeresspiegel bedroht die Lebensgrundlagen Ihrer Bevölkerung, er bedroht die Existenz ganzer Staaten. Aber wir müssen nicht zehn Jahre in die Zukunft blicken, um die verheerenden Auswirkungen der Klimakrise zu erkennen.

In Pakistan haben die schwersten Überschwemmungen der jüngeren Geschichte Dörfer weggespült, und infolgedessen sind rund 3,4 Millionen Kinder auf Hilfe angewiesen.

In Äthiopien leiden heute aufgrund der schlimmsten Dürre seit 40 Jahren Millionen von Menschen an Hunger.

Diese Beispiele zeigen, dass der Klimawandel eine existenzielle Bedrohung für die internationale Sicherheit darstellt. Es handelt sich um die größte Sicherheitsbedrohung, der wir als Welt und internationale Gemeinschaft gegenüberstehen.

Die großen Ozeanstaaten des Pazifiks, des Indischen Ozeans und des Atlantiks sind seit Langem führend bei Klimafragen.

Ohne sie wäre vielleicht das Pariser Übereinkommen nicht beschlossen worden, und ganz sicher nicht das 1,5‑Grad-Ziel.

Auch heute ist der Pazifik führend, wenn es darum geht, die rechtlichen Folgen des Klimawandels in den Blick zu nehmen und sich vor dessen künftigen Auswirkungen zu schützen.

Wir müssen definitiv bei der Finanzierung von Minderungs- und Anpassungsmaßnahmen vorankommen. Das möchte ich für Deutschland unterstreichen, als eines der großen Industrieländer, die für diese Schäden und auch für den Verlust von Häusern verantwortlich sind. Deshalb sprechen wir das ganz offen an und werden auf der bevorstehenden COP 27 dafür eintreten, Verluste und Schäden anzugehen. Gleichzeitig müssen wir prüfen, wie die internationalen Systeme angepasst werden müssen, um den Realitäten einer vom Klimawandel betroffenen Welt besser gerecht zu werden.

Dazu gehören unter anderem die internationalen rechtlichen Rahmenbedingungen. Die Klimakrise birgt auch eine völkerrechtliche Herausforderung, weil sie uns alle vor ganz neue und herausfordernde Fragen stellt. Was geschieht, wenn steigende Meeresspiegel einen Staat auch physisch gefährden? Existiert er dann noch? Was passiert nicht nur mit Häusern, sondern auch mit Pässen und Staatsangehörigkeiten? Gibt uns das Völkerrecht die richtigen Instrumente an die Hand, um mit Millionen von Menschen umzugehen, die durch Klimafolgen vertrieben werden? Wie sollen wir sie nennen? Klimaflüchtlinge? Vertriebene? Gibt es ausreichende Instrumente, um derart immense Bevölkerungsbewegungen zu bewältigen? Wie können wir eine solche Art von Umsiedlung steuern?

All das sind natürlich nicht nur rechtliche, sondern auch politische Fragen. Insbesondere die Politik neigt manchmal dazu, sich hinter dem Recht zu verstecken. Aber wir müssen uns mit dem Recht auseinandersetzen, um politische Antworten zu finden.

Wir können nicht alle unsere Klima- und Sicherheitsprobleme allein mithilfe des Rechts lösen. Aber das Recht kann uns die Klarheit und Gewissheit geben, die wir brauchen, um eine sichere Zukunft aufzubauen.

Und wir sehen gerade hier in New York, wie wichtig Vertrauen in das Völkerrecht ist. Wenn es jetzt also um die Zukunft von Millionen von Menschen auf der ganzen Welt geht, von Somalia über Palau bis nach Chile, dann müssen die Menschen darauf vertrauen können, dass wir uns nicht nur mit Geld um sie kümmern, dass wir uns nicht nur mit Worten um sie kümmern, sondern dass wir ihnen auch Rechte für ein künftiges Leben in Sicherheit garantieren.

Eine solche Klarheit kann den Ehrgeiz steigern, auch mit Blick auf Klimaschutzmaßnahmen, die weltweit so dringend nötig sind. Dafür brauchen wir meiner Ansicht nach einen zweigleisigen Ansatz. Erstens müssen wir die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen so anwenden – insbesondere im Rahmen des VN-Klimaübereinkommens –, dass der Klimawandel und auch die Bedrohung der Sicherheit berücksichtigt werden.

Und zweitens müssen wir soweit nötig einen neuen Rechtsrahmen schaffen, vor allem im Hinblick auf die individuellen Rechte derer, die mit der Klimakrise konfrontiert sind.

Wir wissen nicht, wie dieser neue Rechtsrahmen in Zukunft aussehen wird. Was wir aber wissen, ist, dass wir mit unserem heutigen Austausch ein kleines Kapitel dieses neuen Rechtsrahmens schreiben können. Vielen Dank also, dass Sie heute mit dabei sind, und danke an alle Expertinnen und Experten hier auf dem Podium. Ich freue mich wirklich sehr, dass wir heute alle hier zusammengekommen sind, um die größte Bedrohung für unsere Welt anzugehen: die Klimakrise. Vielen Dank.

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