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Rede von Außenministerin Annalena Baerbock zur Eröffnung der Konferenz „Internationale Wissenschaftskooperationen für die Welt von Morgen: Globale Zentren für Gesundheit und Klima“ des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD)
Ich glaube, jeder von uns kennt das im Sommer einen nervigen kleinen Mückenstich zu haben. Dann ärgert man sich zwei Stunden, wenn man allergisch ist vielleicht drei Tage – aber man vergisst den Stich sehr schnell wieder.
Das geht anderen Menschen auf dieser Welt leider nicht so – denn dort kann dieser kleine Mückenstich töten. Und zwar nicht nur einzelne Menschen – jedes Jahr tötet ein Mückenstich eine halbe Million Menschen. Besonders bedroht sind Menschen in Afrika und dort insbesondere Kinder.
Denn Mückenstiche übertragen Malaria, immer noch eine der gefährlichsten Infektionskrankheiten weltweit. Laut WHO entfallen über 90 Prozent aller Malariaerkrankungen auf den afrikanischen Kontinent. Und 80 Prozent der Menschen, die in Afrika an Malaria sterben, sind Kinder – vor allem kleine Kinder unter fünf Jahre, weil ihr Immunsystem schwächer ist.
Diese Zahlen beschreiben nicht nur viel Leid, sie beschreiben eine massive Ungerechtigkeit. Denn wir wissen, dass gerade dort geforscht und investiert wird, wo es Menschen betrifft, die laut aufschreien können. Und das sind selten kleine Kinder.
Und diese Zahlen bedeuten Leid nicht nur für eine halbe Million Menschen, darunter vor allem Kinder, sondern auch für ihre Familien, ihre Väter, ihre Mütter, ihre Geschwister.
In den vergangenen Jahrzehnten haben Wissenschaftlerinnen und Mediziner zwar große Fortschritte beim Kampf gegen Malaria erreicht, mit neuen Medikamenten und Behandlungen, zuletzt auch mit einem Impfstoff.
Aber die Zahl von über einer halben Million Malariatoten jedes Jahr zeigt, dass wir noch nicht dort sind, wo wir sein müssten.
Zu diesem Kampf gegen Malaria und gegen andere, gerade in Afrika tödlichen Krankheiten von HIV bis Tuberkulose beitragen: Das will CAIDERA, die “Central African Desease and Epidemics Research Alliance”, eines der acht vom DAAD geförderten Globalen Zentren, die diese Konferenz heute hier versammelt.
CAIDERA, das sind führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Afrika und Europa, die gemeinsam forschen und unterrichten. Eine von ihnen ist Frau Professorin, Ntoumi, die gleich auf dem Panel sprechen wird. Für ihre Verdienste als Infektionsbiologin in der Republik Kongo und in Zentralafrika hat sie vor kurzem das Bundesverdienstkreuz erhalten. Ich gratuliere Ihnen hier daher ganz herzlich – weniger zu diesem Orden, als vielmehr zu Ihrer wichtigen Arbeit, die Sie über Jahre geleistet haben.
Ich habe gehört, Frau Ntoumi, dass Ihnen eines besonders wichtig ist: Dass CAIDERA neue Master- und PhD-Studiengänge aufgesetzt hat, damit mehr junge afrikanische Forschende zusammen lernen, zusammen ausgebildet werden und zusammen forschen können. Denn Afrika und die ganze Welt braucht eine neue Generation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die Ihren Kampf weiterführen gegen Malaria und gegen potenzielle neue gefährliche Epidemien und Pandemien.
Das ist nicht nur wichtig für die Forschung und um Leben zu retten. Sondern diese Form von Zusammenarbeit zeigt noch etwas anderes – und deswegen war es mir wichtig, heute hier zu sein. Sie macht deutlich: Es geht nicht darum, dass in Europa geforscht wird und wir dann Erkenntnisse in andere Regionen der Welt bringen. Sondern dass wir gemeinsam forschen, die Erfahrungen und Kenntnisse aller Weltregionen und die hervorragende wissenschaftliche Kompetenz dort nutzen.
Ihre Arbeit macht einen Unterschied für Millionen von Menschen. Ihre Arbeit kann Leben retten, vor allen Dingen, weil so starke Forscherinnen und Forscher aus Afrika beteiligt sind. Sie alle, die hier heute zusammenkommen als Forscherinnen und Forscher, stehen dafür, was die Globalen Zentren so besonders macht:
Die Zentren versammeln herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und junge Forschende eben nicht nur aus Europa und Afrika, sondern auch aus Asien und Lateinamerika, um gemeinsam die großen Menschheitsherausforderungen unserer Zeit anzugehen. Um Antworten zu finden auf globale Gesundheitsfragen und auf die größte Gefahr für Sicherheit auf dieser Welt: die Klimakrise. Und dabei zielt Ihre Forschung und Ausbildung auf praktische Lösungen, gerade für den globalen Süden: Neue Therapien und Impfstoffe gegen tropische Krankheiten – oder innovative Ackerbaumethoden, mit denen Landwirte verdorrten Boden in den Savannen Afrikas wiederbeleben können.
Die globalen Zentren gibt es erst seit einem Jahr, aber Sie alle haben bereits einiges bewegt. Sie haben Master- und PhD-Studiengänge aufgesetzt, Studierende und Doktoranden rekrutiert und Labore für neue Forschungsprojekte bestückt.
Und obwohl Sie schon ein Jahr zusammengearbeitet und so viel bewegt haben, ist das heute für Sie eine Premiere. Denn die meisten von Ihnen kennen sich bisher nur durch Online-Seminare und Video-Schalten – aufgrund der Pandemie. Diese Konferenz bringt Sie jetzt zum ersten Mal alle gemeinsam an einem Ort zusammen: Um sich kennenzulernen, um sich zu vernetzen. Und ich bin sehr stolz, dass dieses Kennenlernen jetzt hier in Berlin stattfinden kann. Ihnen allem zusammen ein herzliches Willkommen!
Denn für mich ist es als deutsche Außenministerin zentral, Menschen genau das zu ermöglichen: Dass sie zusammenkommen können, um im internationalen Dialog über Grenzen hinweg zu forschen, wissenschaftlichen Austausch zu betreiben – und so zu ermöglichen, dass wir voneinander lernen und damit gemeinsam unsere Welt ein Stückchen besser machen.
Das ist das Ziel der Globalen Zentren, der heutigen Konferenz – und der deutschen Außenwissenschaftspolitik insgesamt. Denn klar ist, dass im 21. Jahrhundert Außenpolitik längst nicht mehr nur zwischen Ministerien und Regierung stattfindet. Sondern auch an Universitäten und in Forschungslaboren, wenn Studierende sich begegnen und Auslandssemester machen – oder wenn Wissenschaftlerinnen auf internationalen Kongressen neueste Forschungstrends austauschen.
Moderne Außenpolitik kann heut nicht bei traditioneller Diplomatie stehenbleiben. Sondern sie muss Antworten liefern auf globale Herausforderungen, von der Pandemie bis zur Klimakrise. Und das bedeutet auch, dass moderne Außenpolitik nicht bedeutet, einfach nur Geld zu geben, sondern Menschen zu „empowern“.
Für eine solche umfassende Außenpolitik sind wir als Ministerinnen und Diplomatinnen und Diplomaten auf Sie angewiesen. Was international vernetzte Forschende wie Sie für die Menschheit leisten können, das haben wir in den letzten Jahren gesehen:
In der Pandemie, als internationale Forscherteams ihre Studienergebnisse weltweit geteilt haben und nicht nur in ihrem nationalen Kontext geforscht haben. Auch deshalb konnten wir gemeinsam in Hochgeschwindigkeit Impfstoffe entwickeln.
Und auch die Arbeit des Weltklimarats und anderer Klimaforscher basiert darauf, dass Forsche aus der ganzen Welt zusammenkommen, um ihre Ergebnisse zu teilen, um so die gesamte Weltöffentlichkeit wachrütteln zu können.
Deshalb ist und bleibt die Außenwissenschaftspolitik – die “Science Diplomacy” –, eine der tragenden Säulen unserer Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Und ganz besonders natürlich der DAAD als weltweit größter Förderer von internationalem Wissenschaftsaustausch.
Gleichzeitig bündeln in unserer Außenwissenschaftspolitik unterschiedliche Institutionen ihre Ressourcen und Expertise. Auch die Alexander-von-Humboldt-Stiftung leistet hier einen großen Beitrag. Ich glaube, das kann den Weg weisen für die weitere Zusammenarbeit.
Der DAAD ist mit Leuchtturmprojekten wie den Globalen Zentren, mit zehntausenden Stipendien jedes Jahr, mit über 400.000 Alumni weltweit ein Schrittmacher für globalen wissenschaftlichen Fortschritt – und der Grund, warum sich viele Menschen weltweit mit Deutschland verbunden fühlen.
In diesem Sinne möchte ich Ihnen stellvertretend, lieber Herr Sicks, für die anderen vielen Kultur- und Wissenschaftsmittler für Ihre hervorragende Arbeit danken – als Institution, aber besonders denjenigen, die als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, als Studierende in Ihren Netzwerken weltweit tätig sind.
Ich betone das so deutlich, weil wir im Deutschen Bundestag gerade die Haushaltsverhandlungen führen. Und in Zeiten des russischen Angriffskriegs ist unsere Kraft sehr stark auf die Ukraine, auf die europäische Friedensordnung gerichtet. Deswegen haben wir harte Debatten und Diskussionen über die Mittel unseres Bundeshaushalts.
Aber ich möchte da an dieser Stelle unterstreichen, wie wichtig für unsere Arbeit und für den Frieden weltweit auch die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist. Denn für uns gilt: Globale Probleme wie etwa die Klimakrise oder Pandemien brauchen globale Lösungen.
Gleichzeitig gilt aber auch: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine bedeutet eine Zäsur für unsere Außen- und Sicherheitspolitik, die auch unsere Außenwissenschaftspolitik betrifft.
Russlands Krieg ist der brutale Ausdruck eines grundsätzlichen Konflikts zweier Weltbilder. Auf der einen Seite Länder, die an eine regelbasierte internationale Ordnung glauben. Auf der anderen Seite Regime, die ihre eigene Bevölkerung unterdrücken und andere Länder, andere Menschen mit imperialen Mitteln unterwerfen wollen.
Deshalb war es richtig, dass der DAAD und die Alexander-von-Humboldt-Stiftung, genau wie die deutsche Wissenschaft insgesamt, mit der Bundesregierung entschieden auf Russlands Angriffskrieg reagiert haben:
Gemeinsam haben wir die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit staatlichen und staatsnahen russischen Institutionen eingefroren. Wenn russische Bomben und Raketen auf ukrainische Städte fallen, kommen dabei Kinder ums Leben – obwohl sie nichts getan haben, was dieses Leid rechtfertigen könnte. Und wenn das passiert, dann kann es mit staatlichen Akteuren in Russland aus unserer Sicht keine normalen Wissenschaftskontakte geben.
Zugleich haben wir jedoch auch etwas anders getan: Unsere Hilfsangebote für Studierende und Forschende ausgebaut, die vor dem Krieg aus der Ukraine fliehen. Mit den Stipendien und Programmen des DAAD und der Alexander-von-Humboldt-Stiftung und dank des Einsatzes unserer Universitäten sind bereits tausende Ukrainerinnen und Ukrainer an unseren Hochschulen und Forschungseinrichtungen unterstützt worden.
Dafür bin ich den Beteiligten sehr dankbar – weil wir damit deutlich machen, dass wir es nicht hinnehmen, dass Putins grausamer Krieg ukrainische Forschende, aber genauso russische Wissenschaftlerinnen, die kritisch sind, an ihrem freien Denken und Schaffen hindert, dass ihre jahrzehntelange Arbeit durch diesen Krieg zerstört wird.
Gerade jetzt, wo das russische Regime in seinem eigenen Land die freie Wissenschaft mit drakonischen Gesetzen und Drohungen mundtot macht, ist es wichtig, die freie Wissenschaft gemeinsam weltweit hochzuhalten.
Mir ist dabei wichtig: Unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten bedacht und umsichtig alle Konsequenzen im Blick haben, die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen in autokratischen Staaten haben kann.
Wenn autokratische Staaten Partnerschaften mit deutschen oder europäischen oder afrikanischen Universitäten und Forschungseinrichtungen schließen, trägt das nicht unbedingt automatisch liberale Werte in ihre Gesellschaften. Stattdessen importieren sie vielleicht technologisches Know-how, mit dem sie unseren Unternehmen international Konkurrenz machen können. Oder Technologien, mit denen sie ihre eigene Bevölkerung überwachen und unterdrücken.
Als Forscherinnen und Forscher, als liberale Demokratien, einfach als Menschen, die an eine regelbasierte internationale Ordnung glauben und an die Freiheit der Forschung und Lehre, ist es uns wichtig, dass Wissenschaft der Freiheit nützt und dass wir sie für und nicht gegen Menschen einsetzen.
Gerade in einer Zeit, in der die Wissenschaftsfreiheit immer weiter beschnitten wird, muss unsere Wissenschaftspolitik daher Räume schaffen:
In denen Forschende frei ihre Theorien aufstellen und – das ist ja wichtig bei der Forschung – in Diskussionen auch wieder verwerfen können: Wenn Sie merken, dass die Ergebnisse, an die Sie vielleicht erst geglaubt haben, bei Tests doch nicht eintreten.
Und Räume in denen mutige Thesen nicht von Staats wegen widerlegt oder bestätigt werden, sondern mit Fakten und Versuchen.
Eine solche freie Wissenschaft reicht Menschen weltweit die Hände, um gemeinsam miteinander zu arbeiten und diese Welt ein Stückchen besser zu machen, und um die globalen Herausforderungen unserer Zeit gemeinsam anzugehen. Für unsere Kinder und folgende Generation.
Genau das tun Sie, das tun die Globalen Zentren und ihre Mitarbeitenden jeden Tag mit ihrer Arbeit. Im Kampf gegen Malaria und zukünftige Pandemien, im Kampf gegen Erderwärmung und im Kampf gegen die Klimakrise.
Und wenn wir den nächsten Mückenstich haben, insbesondere hier in Berlin, dann sollten wir uns vielleicht nicht so sehr ärgern. Sondern gemeinsam dafür dankbar sein, dass weltweit Forschende und Studierende wie Sie hier im Raum daran arbeiten, dass niemand auf dieser Welt, vor allen Dingen Kinder, in Zukunft mehr befürchten müssen, diesen Mückenstich mit dem Leben zu bezahlen.
Ich danke Ihnen daher sehr herzlich für Ihre Arbeit und wünsche Ihnen und allen Forschenden viel Erfolg im Rahmen der Globalen Zentren, aber auch im Rahmen Ihrer Arbeit bei Ihnen zu Hause vor Ort.
Herzlichen Dank.