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Staatssekretärin Jennifer Morgan im Interview mit der Süddeutschen Zeitung

23.03.2022 - Interview

Staatssekretärin Jennifer Lee Morgan, Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik im Auswärtigen Amt, spricht mit der Süddeutschen Zeitung über Klimapolitik als Geopolitik.

Frage: Was macht der Ukraine-Krieg mit der Klimapolitik? Rückt die jetzt in den Hintergrund?

Staatssekretärin Jennifer Morgan: Dieser Krieg ist unglaublich schrecklich, er überschattet alles. Der Fokus ist jetzt der Frieden und das Ende des Leidens für die Menschen in der Ukraine. Aber gleichzeitig macht dieser Krieg die problematische Abhängigkeit vieler Staaten von fossilen Energieimporten deutlich. Jedem ist jetzt klar, woher Deutschland sein Öl und Gas bekommt. Das verändert die Perspektive: Investitionen in erneuerbare Energien sind Investitionen in unsere Unabhängigkeit und unsere Freiheit. Wir müssen Klimapolitik als Geopolitik verstehen. Dieses Verständnis müssen wir auch global verankern. Dann könnte der Krieg sogar eine Beschleunigung der globalen Energiewende bewirken.

Frage: Gleichzeitig verdient im Augenblick niemand mehr an diesem Krieg als die fossile Industrie.

Morgan: Je schneller wir uns von fossiler Energie freimachen, desto schneller schmelzen diese Gewinne dahin. Hier sind auch wir als Regierung gefragt, die richtigen Anreize zu setzen. Die Energiewende ist eine Jahrhundertchance für die deutsche Wirtschaft. Wir müssen diejenigen unterstützen, die so schnell wie möglich in Energieeffizienz, in erneuerbare Energien und grünen Wasserstoff investieren. In meinen ersten Gesprächen mit Unternehmen habe ich bereits festgestellt, dass viele erkannt haben, dass es klüger ist, in die Zukunft zu investieren als in die Vergangenheit.

Frage: Wie passt das zu den jüngsten Emissionsdaten für 2021? Danach gibt es neue Rekorde beim Treibhausgas-Ausstoß, und China macht alle Fortschritte im Rest der Welt zu Nichte.

Morgan: Die Beharrungskräfte sind groß, keine Frage. Insbesondere in Krisenzeiten klammern sich viele an das, was sie bereits kennen – ohne zu realisieren, dass wir in einer neuen Welt leben und alte Gewissheiten nicht mehr stimmen. Investitionen in Solar und Wind sind heute sowohl ökonomisch als auch sicherheitspolitisch sinnvoller als fossile Investitionen. Hiervon müssen wir andere Staaten überzeugen und Entscheidungen verhindern, die Emissionen für die nächsten Jahre und Jahrzehnte zementieren. Das ist auch Aufgabe von Diplomatie, deswegen ist die Klimapolitik jetzt auch im Auswärtigen Amt.

Frage: Der Krieg hat Gas unwahrscheinlich teuer gemacht, weltweit wird deswegen wieder mehr billige Kohle verbrannt.

Morgan: Ja, das geht in die falsche Richtung. Genau deshalb müssen wir da ran. Viele Staaten haben riesige Potentiale, zum Beispiel Indien im Solarbereich. Hier müssen wir Überzeugungsarbeit leisten – die Fakten sind auf unserer Seite. Das heißt nicht, dass das einfach wird. Wir sehen jetzt, wie Energiesicherheit, Klimaschutz und Frieden in der aktuellen Diskussion aufeinandertreffen. Das ist ein riesiger Machtkampf.

Frage: Auch in Deutschland gibt es auch Forderungen, Kohlekraftwerke länger laufen zu lassen.

Morgan: Die nächsten Monate sind entscheidend dafür, ob wir die fossile Lücke, die nun entsteht, mit echten Alternativen füllen können Die Bundesregierung hat sich für eine ambitionierte und auf die Zukunft gerichtete Klima- und Energiepolitik entschieden. Dafür müssen wir alle mitnehmen, die Bevölkerung, die Unternehmen. Die Energiewende ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. In Deutschland, aber auch in anderen Ländern wollen viele nicht zurück in die fossile Welt. Aber der Kampf läuft. In Deutschland setzen wir alles daran, die Energiewende deutlich zu beschleunigen und bis 2030 aus der Kohle auszusteigen.

Frage: Was ist Ihre Rolle in diesem Kampf?

Morgan: Meine Mittel sind Gespräche, Wissen und Fakten. Wir brauchen starke Partnerschaften und Solidarität mit den Staaten, die am schwersten von der Klimakrise betroffen sind. Meine erste Reise außerhalb Europas wird mich daher nach Bangladesch führen. Mein täglicher Kampf ist: mit vielen Partnern reden, solidarisch sein und überzeugen, Fakten sprechen lassen. Deutschland kann ein leuchtendes Beispiel sein und zeigen, was möglich ist jenseits der fossilen Welt.

Frage: Zu den Fakten gehört auch, dass China neue Kohlekraftwerke baut.

Morgan: Ich mache mir auch Sorgen darüber, was in China passiert. Wie jedes Land muss China seine Klimaziele anheben, sonst werden wir die Klimakrise nicht wirksam bekämpfen können. Aber auch in China gibt es eine gesellschaftliche Debatte über die Energieversorgung der Zukunft. Viele erkennen, dass es nicht im eigenen Interesse ist, weiter in Kohle zu investieren. Viele Menschen leiden unter der Luftverschmutzung, gleichzeitig ist China selbst stark von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen. Wir strecken die Hand aus, aber China muss sich auch bewegen.

Frage: China hält aber wenig von Europas Plänen für einen „Grenzausgleichsmechanismus“, der Importen ihre Emissionen finanziell anlastet. Steht das einer Annäherung im Wege?

Morgan: Wenn notwendig, gehört dieses Instrument auch zu einer verantwortungsvollen Klimapolitik. Wir wollen, dass alle mitziehen, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Wir brauchen Allianzen, aber auch ökonomische Fairness. Dazu gehört auch, dass wir Wettbewerbsverzerrungen verhindern. Und dieser Mechanismus öffnet die Tür, genau darüber ins Gespräch zu kommen. Aber das ist die ultima ratio. Eigentlich sollte es soweit nicht kommen.

Frage: Ein wichtiger Partner in Europa ist Frankreich, dort stehen auch Präsidenten- und Parlamentswahlen an. Präsident Macron hat es wegen der Benzinpreise schon einmal mit einer Protestbewegung zu tun bekommen, den Gelbwesten. Ziehen Paris und Berlin beim Klima am gleichen Strang?

Morgan: Die Situation in Frankreich erinnert daran, dass man die ökologische und die soziale Frage immer zusammen denken muss. Das Land ist im Wahlkampf, aber auch in Frankreich gibt es ganz viele Akteure, Bürgermeister zum Beispiel, die Klimaschutz vorantreiben wollen. Präsident Macron ist ein großer Treiber für den Klimaschutz auf der internationalen Bühne, und er hat jetzt die Chance im Wahlkampf zu zeigen, dass er das auch national sein will.

Frage: Kanzler Olaf Scholz will dafür einen „Klimaklub“ gründen. Ist es Ihr Job, die Mitglieder zu werben?

Morgan: Der Klimaklub ist eine Idee des Kanzlers, um unseren Ambitionen gerecht zu werden. Wir werden den G-7-Vorsitz Deutschlands nutzen, um mit unseren Partnern darüber zu beraten, wie wir energieintensive Industrien bei der Transformation unterstützen können. Auch über die CO2-Bepreisung werden wir sprechen. Sie ist ein wichtiges Instrument für mehr Klimaschutz.

Frage: Wieviel Mitgliedsanträge gibt es denn schon? Von einer CO2-Bepreisung halten Länder wie die USA oder Japan wenig.

Morgan: Das Konzept ist breiter als nur die CO2-Bepreisung. Wir stellen uns eine Allianz vor, in der die energieintensiven Sektoren vorangehen können, um mit dem 1,5-Grad-Ziel konsistent zu werden. Die CO2-Bepreisung ist ein Teil davon. Wir müssen prüfen, was möglich ist. Es geht auch nicht nur um die G7-Länder, sondern auch darum, andere Länder einzubinden und deutlich zu machen, dass Klimaschutz international ein Standortvorteil ist.

Frage: Ministerin Baerbock hat angekündigt, internationale Klimapartnerschaften aufzubauen. Wie sollen die funktionieren?

Morgan: Es geht darum, mit einigen Ländern auf Augenhöhe darüber zu sprechen, wie sie das 1,5-Grad-Ziel von Paris konkret erreichen können: Wir können wissenschaftlich ermitteln, was erforderlich ist: etwa der Kohleausstieg, Verbesserungen bei der Energieeffizienz oder der Ausbau erneuerbarer Energien. Wir können die Sektoren identifizieren, auf die es ankommt und entsprechendes Know-how zur Verfügung stellen. Und es geht darum, international die nötige Finanzierung dafür zu schaffen. Das klingt einfach, ist aber neu und wird bislang nur in einzelnen Fällen wie mit Südafrika praktiziert, wo wir mit den USA, Frankreich, Großbritannien und anderen zusammenarbeiten. Das 1,5-Grad-Ziel können wir nur mit internationaler Kooperation erreichen.

Frage: Südafrika steht aber nur für 1,3 Prozent der globalen Emissionen.

Morgan: Die Energiewende muss überall stattfinden, aber für das 1,5-Grad-Ziel sind eine Handvoll Länder zentral. Über China und Indien haben wir bereits gesprochen. Wir werden alle Hebel nutzen und eine progressive Koalition schaffen. Hier können vor allem auch internationale Finanzinstitutionen, wie die Weltbank oder der IWF, eine wichtige Rolle spielen.

Frage: Gelingt das in Zeiten, in denen Staaten vor allem Militärbudgets aufstocken und eine Pandemie bekämpfen?

Morgan: Die Welt ist komplex, und wir müssen mit vielen Herausforderungen gleichzeitig umgehen. Der Klimawandel wird nicht verschwinden, wenn wir nichts tun. Deswegen müssen wir immer wieder deutlich machen, dass die Klimakrise die größte Herausforderung ist, vor der wir stehen. Es darf nicht in den Hintergrund rücken, ungeachtet aller anderen Prioritäten. Und trotz des Krieges.

Frage: Sie waren Greenpeace-Chefin, bevor Sie Ihren Posten hier angetreten haben. Es gab viel Kritik daran, dass eine Umweltlobbyistin auf direktem Weg in die Bundesregierung einzieht.

Ich bin hier als Klima-Expertin, die sich seit 25 Jahren mit dem Thema beschäftigt. Ich arbeite für Klimaschutz, für die Zukunft unserer Kinder, nicht für irgendeine Industrie. Ich fand es gut, dass es eine Debatte darüber gab, was Lobbyismus ist, wofür man sich einsetzt. Ich bin mein ganzes Leben lang immer dorthin gegangen, wo ich den größten Unterscheid machen kann mit meinem Know-how, mit meinen Netzwerken. Ich bin hier für die Sache und als Expertin – und ich rede mit allen. Mit Unternehmen, mit Partnerstaaten. Wir brauchen alle.

Interview: Michael Bauchmüller und Paul-Anton Krüger

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