Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts
Rede von Europa-Staatsminister Michael Roth in der Plenardebatte des Bundestages zum Antrag der Bundesregierung: „Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Operation in Kosovo (KFOR)“
Seit 1999 sind Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Kosovo. Seit 22 Jahren beteiligen wir uns an der Mission KFOR. Es ist kein Geheimnis, dass es in allen Fraktionen des Deutschen Bundestags Zweifel und auch kritische Fragen gibt, ob nach einer so langen Zeit diese Mission noch notwendig ist.
Ich stehe hier, um aus voller Überzeugung für eine Verlängerung von KFOR mit Beteiligung der Bundeswehr zu werben. Der eine oder andere mag vielleicht denken: Das ist jetzt schon so lange her. -1999 waren im Kosovo noch die Spuren eines furchtbaren Bürgerkriegs zu erkennen. Das Land lag teilweise in Schutt und Asche.
Wer sich aber mit der Lage des westlichen Balkans und insbesondere mit der Lage des Kosovo im Jahr 2021 beschäftigt, der wird feststellen, dass diese geschundene Region nach wie vor von nachhaltiger Versöhnung, von Frieden und Stabilität noch ein Stück entfernt ist.
Ja, es gibt deutliche Fortschritte, und deshalb hat sich auch die Mission KFOR grundlegend geändert.
1999 waren es noch 6 000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die dort einen ganz gefährlichen Dienst verrichtet haben. Jetzt sind es noch 70.
Ihr Auftrag ist es, die kosovarischen Sicherheitsbehörden zu beraten, bei der Ausbildung von Sicherheitskräften zu helfen. Wenn jetzt irgendjemand fragt: „Ist das die Militarisierung der deutschen Europa- oder Außenpolitik?“, will ich allen entgegenrufen: Das ist ein kleiner Bestandteil eines breit gefächerten Engagements. Ich erinnere an die Rechtsstaatsmission EULEX. Ich erinnere an unser Engagement, um Demokratie, wirtschaftlichen Wohlstand, soziale Stabilität, Unabhängigkeit der Justiz, Medienfreiheit und Medienvielfalt zu sichern.
Unser Wort, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat im westlichen Balkan und insbesondere im Kosovo Gewicht. Wir tragen eine ganz besondere Verantwortung. Niemand mag sich einreden wollen, dass das, was im südöstlichen Europa passiert, nicht auch unmittelbare oder zumindest mittelbare Wirkungen auf die Sicherheit Deutschlands und der Europäischen Union hat. Der westliche Balkan ist der Innenhof Europas. Wir haben ein gerüttelt Maß Interesse daran, die EU-Perspektive, die wir 2003 für alle Staaten des westlichen Balkans, auch für den Kosovo, ausgesprochen haben, mit Leben zu füllen.
Wie schwierig das ist, erleben wir in diesen Zeiten. Wir haben massive Konflikte zwischen Bulgarien und Nordmazedonien. Dort geht es um Themen, die der Nichtexperte oder die Nichtexpertin kaum noch zu verstehen vermag. Die Bulgaren fordern beispielsweise, dass man nur die Langform des Namens - also „Republik Nordmazedonien“ - nutzt. Sie sind nicht der Auffassung, dass Mazedonisch eine eigene Sprache ist. Auf diesem Niveau diskutieren wir derzeit im westlichen Balkan!
Auch der 2013 begonnene Normalisierungsdialog zwischen Serbien und Kosovo ist noch nicht dort, wo wir ihn uns eigentlich wünschen; denn der Normalisierungsdialog mit einem vertraglichen, verbindlichen Abkommen ist die Voraussetzung dafür, dass Serbien und Kosovo in einem guten nachbarschaftlichen Verhältnis eine Chance auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union haben.
Ich will einmal daran erinnern, wie der Strukturwandel konkret vonstattengeht. In Prizren hatten wir bis vor wenigen Jahren noch ein Lager der Soldatinnen und Soldaten. Inzwischen haben wir in Prizren ein Innovationscamp, wo junge Start-ups Betriebe gegründet haben, um Arbeitsplätze zu sichern. Das ist wichtig vor allem für die junge Generation; denn die derzeitige Perspektive dieser Länder sieht in der Regel so aus, dass die gut ausgebildeten jungen Menschen, die sich nach Europa sehnen, ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen und sagen: Wir warten nicht länger, sondern wir gehen in die Europäische Union.
Wir haben die Geduld verloren. - Umso wichtiger ist es, dass wir alles dafür tun, dass dort nicht neue Konflikte ausbrechen.
Lassen Sie mich noch ein anderes Beispiel dafür benennen, wie fragil die Lage nach wie vor ist. Es gibt Akteure in der Europäischen Union und auch in der Region selber, die meinen, wir könnten Probleme dadurch lösen, dass wir Grenzen nach ethnischen Zugehörigkeiten neu ordnen. Ich kann nur eindringlich davor warnen.
Die Zukunft des Kosovo, die Zukunft des westlichen Balkans, liegt in multireligiösen, multiethnischen Gesellschaften, und wir müssen lernen, friedlich miteinander zu kooperieren und zu koexistieren. Das ist die Voraussetzung. Genau dazu trägt auch KFOR mit einem ganz veränderten Mandat bei.
Ich möchte mich auch bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, bedanken. Ich weiß, dass es - in allen Fraktionen - nicht wenige gibt, die ein gerüttelt Maß an Expertise und profunder Kenntnis mitbringen und die sich auch als Partnerinnen und Partner dieses schwierigen Transformationsprozesses im westlichen Balkan verstehen. Ich will Sie alle ermutigen, diesen Weg weiterzugehen.
Im Kosovo ist die Lage derzeit hoffnungsvoller denn je. Wir haben eine neue Regierung, an der Spitze Albin Kurti, der sich den Kampf gegen Korruption, die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit zum Ziel gesetzt hat. Er hat eine stabile parlamentarische Mehrheit; aber es wird ohne unsere Unterstützung nicht funktionieren. Gerade die Pandemiebekämpfung hat gezeigt, dass es nicht selbstverständlich ist, dass die Europäische Union als der Hort von Demokratie, Wohlstand und Sicherheit alleine gesehen wird.
Wenn wir dort ein Vakuum hinterlassen - sei es ein sicherheitspolitisches, sei es ein gesellschaftspolitisches oder sei es auch ein wirtschaftspolitisches -, dann gibt es andere Akteure - Russland, China -, die sich dort trefflich zu engagieren wissen. Ob das in unserem Interesse als Europäische Union liegt, die wir der Demokratie, dem respektvollen Umgang mit Minderheiten, der Rechtsstaatlichkeit, der Medienfreiheit und Medienvielfalt verpflichtet sind, wage ich zu bezweifeln.
Deshalb noch einmal: Auch wenn Ihre Ungeduld in den vergangenen Jahren gewachsen ist, bitte unterstützen Sie die Fortsetzung dieses Mandates. Es ist nicht nur wichtig für die friedlichen Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo, es ist nicht nur wichtig für die Stabilität und Demokratisierung des westlichen Balkans, sondern es liegt auch im ureigensten deutschen nationalen Interesse und im Interesse der Europäischen Union.
Vielen Dank.