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Rede von Staatsminister Annen in der Bundestagsdebatte zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der “United Nations Interim Force in Lebanon” (UNIFIL)

21.05.2021 - Rede

Wir reden heute über das Mandat für die deutsche Bundeswehr im Rahmen der Operation UNIFIL. Wenn wir auf diese Region gucken, wenn wir auf den Libanon schauen, dann schauen wir natürlich auf einen schwierigen jahrzehntelangen regionalen Prozess. Lassen Sie mich deswegen am Anfang meiner Rede sagen, was wir alle hier empfinden: Wir empfinden eine gewisse Erleichterung darüber, dass wir nach dieser schlimmen Auseinandersetzung der letzten Tage jetzt eine Waffenruhe erreicht haben. Das ist gut für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger Israels, das ist aber auch gut für die Opfer, die es auf palästinensischer Seite gegeben hat.

Das hat auch etwas mit unserem heutigen Thema zu tun. Denn bedauerlicherweise haben wir auch gesehen, dass im Rahmen dieser Eskalationen erneut israelisches Territorium beschossen worden ist, auch aus dem Libanon heraus. Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist es wichtiger denn je, diesen politischen Prozess wiederaufzunehmen. Es ist wichtiger denn je, die uns zur Verfügung stehenden politischen und militärischen Instrumente dafür zu nutzen. Deswegen bitte ich Sie um die Unterstützung für dieses so wichtige Mandat.

UNIFIL alleine wird weder den innerlibanesischen Konflikt noch den Konflikt zwischen vor allem der Hisbollah-Miliz und anderen Milizen im Libanon und Israel lösen können. Aber in den letzten Jahren - und dafür bin ich unseren Soldatinnen und Soldaten ausgesprochen dankbar - hat UNIFIL nicht nur einen Beitrag dazu geleistet, den Waffenschmuggel über die Seeseite zu unterbinden - das ist ein wichtiger Zugangsweg insbesondere für die Hisbollah -, sondern UNIFIL hat auch Instrumente der klassischen Vertrauensbildung entwickelt.

Das, was dort auch deutsche Soldatinnen und Soldaten an der sogenannten Blue Line leisten, ist von der Bedeutung her nicht zu unterschätzen. Wir haben gesehen, dass trotz aller Zuspitzung in diesem Konflikt Instrumente wie der Dreiparteiendialog, der dort stattfindet, nicht nur benutzt werden können, um täglich - leider zum Teil immer noch täglich - aufkommende Spannungen und auch militärische Auseinandersetzungen zu adressieren, sondern er war auch die Grundlage dafür, dass in den letzten Monaten beispielsweise zwischen Israel und dem Libanon - unter anderem durch UNIFIL und die Vereinigten Staaten von Amerika vermittelt - Gespräche über die Demarkierung der Seegrenze stattfinden konnten. Auch das ist ein ganz wichtiges Instrument.

Bedauerlicherweise muss ich bei dieser Rede aber auch darauf hinweisen: Was UNIFIL nicht leisten kann, ist, die innerlibanesische Konfliktsituation aufzulösen. Wir haben es im Moment nicht nur mit den genannten regionalen Spannungen zu tun. Die innenpolitische Situation hat durch die dramatischen Bilder, die ja auch in Deutschland wahrgenommen und diskutiert worden sind, zu einer großen Welle des Mitgefühls und der Solidarität geführt. Im Grunde genommen ist die politische Krise, die ökonomische Krise, die soziale Krise und die humanitäre Krise dieses Landes einer Lösung nicht einen Schritt nähergeführt worden.

Warum erwähne ich das bei einer Debatte über UNIFIL? Weil wir durch den Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten und auch durch die Instrumente, die wir uns mit UNIFIL geschaffen haben, eine ganz zentrale Institution in diesem so schwachen, zerklüfteten und fragmentierten libanesischen Staatswesen gestärkt haben, und das sind die libanesischen Streitkräfte! Diese Streitkräfte sind wahrscheinlich die einzige zentrale Institution des libanesischen Staates, die fraktions-, konfessions- und parteiübergreifend akzeptiert wird.

Das ist nicht nur eine hohle Phrase, sondern wir haben in den schwierigen Konflikten innerhalb des Libanon in den letzten Jahren immer wieder erlebt, dass beispielsweise durch die Entsendung von Armeeeinheiten bei Auseinandersetzungen in Tripolis geschlichtet werden konnte. Auch wenn wir mit der Anzahl der dort sozusagen stationierten libanesischen Streitkräfte nicht zufrieden sind, gilt das im reduzierten Maße aber auch für den Süden des Libanon, der in den letzten Jahren bekanntlich das große Konfliktfeld dargestellt hat.

Ich will hier nicht übertreiben, sondern nüchtern feststellen: Wenn der Währungsverfall nicht aufgehalten wird, wenn der Libanon nicht endlich eine handlungsfähige Regierung bekommt, dann steht eines zur Disposition, nämlich diese Institution, die für das Land so wichtig ist, weil beispielsweise die Finanzierung der Streitkräfte dann nicht mehr sichergestellt werden kann. Das Land - daran muss man hier erinnern - hat 15 Jahre furchtbaren Bürgerkrieg hinter sich. Das Friedensabkommen von Taif hat diesen Bürgerkrieg beendet. Das ist eine historische Errungenschaft. Aber sie hat die zugrundeliegenden Konflikte nicht lösen können.

Wir haben heute - das ist ja auch der Grund, weshalb so viele Libanesinnen und Libanesen in den letzten Jahren und Monaten auf die Straße gegangen sind - im Grunde genommen dieselben Akteure, die sich schon damals im Bürgerkrieg in unterschiedlichen Konstellationen - auch in wechselnden Konstellationen - gegenüberstanden.

Ich glaube, dass wir hier auch ein deutliches Zeichen in Richtung Beirut aussenden müssen. Es gibt keinen in dieser politischen Klasse, der nicht für diese Krise Verantwortung trägt. Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass es trotz umfangreicher Angebote der politischen, wirtschaftlichen und sonstigen Unterstützung nicht gelungen ist, eine Regierung zu bilden, die das Mindestmaß an öffentlichen Dienstleistungen und Verlässlichkeit für die eigene Bevölkerung sicherstellt.

Dieser Appell geht an die Verantwortlichen in Beirut. Sie sollen wissen, dass nicht nur der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag, sondern auch der Europäischen Union insgesamt - das gilt beispielsweise auch für den französischen Staatspräsidenten; das ist ja öffentlichen Äußerungen zu entnehmen - im Moment der Geduldsfaden reißt. Das bedeutet auch, dass es eine persönliche Verantwortung dieser Führungsfiguren gibt.

Ich glaube, alle Optionen müssen auf den Tisch. Deutschland hat deutlich gemacht, dass wir nicht nur über Unterstützung in Form von UNIFIL reden - ich hoffe sehr, dass Sie dieses Mandat verlängern werden -, sondern auch in Form von sehr konkreter wirtschaftlicher und humanitärer Unterstützung. Wir sind inzwischen der zweitgrößte bilaterale Geber für den Libanon in einem politischen Umfeld, in dem sich die klassischen Freunde dieses Landes und die klassischen Geldgeber - auch die Golfstaaten - abgewandt haben. Denn auch sie haben inzwischen - ich muss mich hier ja freundlich ausdrücken - keine Geduld mehr, sich mit der dortigen unfähigen politischen Klasse zu verständigen, um tatsächlich zu einem Mindestmaß der politischen Handlungsfähigkeit zurückzukehren.

Die furchtbare Explosion, die Tragödie im Hafen von Beirut, ist auch weiterhin ein Symbol für den Zustand des Landes. Man muss sich einmal vorstellen, dass außer dem designierten und dann nicht ins Amt gekommenen Premierminister - den kennen wir ja sehr gut; es ist der heutige Botschafter des Libanon in Berlin - kein einziger Vertreter der dort führenden politischen Parteien sich vor Ort überhaupt hat blicken lassen. Das ist tatsächlich ein Symbol, das man eigentlich in einer demokratisch verfassten Gesellschaft nicht akzeptieren kann. Deswegen schauen die Bürgerinnen und Bürger des Libanon eben auch sehr genau darauf, ob die internationale Unterstützung - auch UNIFIL - sich jetzt ebenfalls zurückzieht, ob wir uns ebenfalls abwenden.

Wir dürfen uns nicht abwenden von diesem Land, das so wichtig ist. Aber wir brauchen auch eine klare Sprache. Ich glaube, beides ist wichtig, und um beides bitte ich Sie.

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