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Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Einweihung des Fritz Stern-Lehrstuhls der Brookings-Institution

09.03.2021 - Rede

Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Einweihung des Fritz Stern-Lehrstuhls der Brookings-Institution

Es ist mir eine Ehre, den neuen Fritz Stern-Lehrstuhl für Deutschland und transatlantische Beziehungen einzuweihen – insbesondere, da ich den Mann, dessen Namen er tragen wird, zutiefst verehre und bewundere: Fritz Stern.

Fritz Stern war es, der trotz des Leids, das die Deutschen über ihn und seine Familie gebracht haben, die Welt ermutigte, einem wiedervereinten Deutschland zu vertrauen.

Unser Land hätte sich keinen besseren Freund wünschen können, keinen scharfsichtigeren Analysten und keinen großzügigeren Weggefährten.

Lassen Sie mich daher Ihnen allen und natürlich den großzügigen Spenderinnen und Spendern für die Unterstützung des Fritz Stern-Lehrstuhls danken.

Nichts davon wäre ohne Sie, liebe Constanze Stelzenmüller, möglich gewesen. Ich weiß, wie viele Tage Sie damit verbracht haben, mit Spendern zu sprechen und mit Politikerinnen und Abgeordneten auf beiden Seiten des Atlantiks in Kontakt zu treten. Heute ernten wir die Früchte Ihrer Arbeit. Daher möchte ich Ihnen ganz herzlich für alles danken, was Sie getan haben.

Der Deutsche Bundestag und das Auswärtige Amt sind stolz darauf, Sie alle zu unterstützen. Dieses breite Bündnis von Unterstützern ist in meinen Augen auch ein Beweis dafür, wie lebendig unsere transatlantische Partnerschaft ist. Und für was wir erreichen können, wenn wir zusammenarbeiten.

Meine Damen und Herren, nächste Woche begehen wir den 30. Jahrestag des Zwei-plus-Vier-Vertrags, durch den Deutschland seine volle Souveränität wiedererlangte. Bekanntermaßen bezeichnete Fritz Stern diesen historischen Moment als „Deutschlands zweite Chance“. Eine Chance für den Aufbau einer starken, beständigen Europäischen Union und einer noch stärkeren, widerstandsfähigeren Demokratie in unserem Land.

Wir wissen, wem wir diese Chance verdanken: unseren Freunden und Verbündeten, und insbesondere den Vereinigten Staaten von Amerika.

Aber Fritz Stern erinnerte uns auch daran, wovon diese zweite Chance abhing: von dem, was er als eine „Politik der Verlässlichkeit und der Vernunft“ bezeichnete. Das sollte uns immer bewusst sein, wenn wir heute über Deutschlands globale Verantwortung nachdenken.

Vernunft, Verlässlichkeit und Verantwortung müssen Hand in Hand gehen. Denn nur die Kombination dieser Elemente macht deutsche Außenpolitik möglich.

Lassen Sie mich mit dem anspruchsvollsten Element beginnen: der Vernunft.

Die Vernunft in der Politik, meine Damen und Herren, ist heute in Gefahr, und zwar in allen unseren liberalen Demokratien. Wir erleben alle, wie „alternative Fakten“ das Vertrauen in unsere Institutionen untergraben.

Der Angriff auf das Kapitol in Washington dürfte hier ein schockierender Höhepunkt gewesen sein. Aber es war nicht das erste Mal, dass Verschwörungstheorien und die Prediger des Hasses versucht haben, uns zu spalten. Erst letzten Sommer versuchten Demonstranten, in den Reichstag in Berlin einzudringen.

Wir dürfen dies nicht zulassen, liebe Freundinnen und Freunde! Der Appell an die Kraft der Vernunft ist entscheidend für das Überleben der Demokratie im digitalen Zeitalter.

Ich sage dies als deutscher Außenminister und ich sage dies, weil Präsident Biden Recht hat, wenn er sagt: „Es gibt keine klare Trennlinie mehr zwischen Innen- und Außenpolitik.“ In der Tat: Maßstab für unsere Glaubwürdigkeit und Stärke im Ausland ist unsere Geschlossenheit im Inland.

Darauf hätten wir bei den Wirtschafts- und Finanzkrisen des letzten Jahrzehnts stärker achten sollen. Wir eilten Banken und Konzernen zu Hilfe, von denen wir glaubten, sie seien „too big to fail“, das heißt, wir kümmerten uns um die Wall Street und nicht um die „Main Street“. Das hinterließ bei vielen in unseren Bevölkerungen einen bitteren Nachgeschmack. Und Populisten nutzten es aus.

Doch wir haben daraus gelernt. Heute stellen wir Menschen – Arbeitnehmer, Unternehmer, Familien – in den Mittelpunkt unserer Krisenhilfe. Wir unterstützen die Unternehmen, die ihre Mitarbeiter nicht entlassen. Und zum ersten Mal haben wir ein gemeinsames europäisches Programm zur Minderung der Risiken von Arbeitslosigkeit aufgelegt. So reduzieren wir gesellschaftliche Spaltung bei uns zu Hause.

Im Ausland müssen wir die internationale Zusammenarbeit mit anderen Demokratien stärken. Der von Präsident Biden vorgeschlagene „Gipfel für Demokratie“ kann hier unsere Verbindungen neu beleben.

Hassrede, Manipulation und Desinformation untergraben das Vertrauen, das wir ineinander haben. Wir brauchen daher bessere Regulierung, auch auf internationaler Ebene – eine Aufgabe, die wir eindeutig nicht den großen Tech-Unternehmen allein überlassen können.

In den vergangenen vier Jahren standen wir Europäer mit dieser Ansicht häufig allein da. Und in der Tat, auch bei vielen anderen Themen standen wir ziemlich allein da.

Daher habe ich mich mit meinem französischen Kollegen und Freund, Außenminister Jean-Yves Le Drian, zusammengetan und die Allianz für den Multilateralismus gegründet – eine Gruppe von mehreren Dutzend Partnern und gleichgesinnten Ländern aus der ganzen Welt, die das Ziel haben, die regelbasierte internationale Ordnung zu schützen. Zusammen haben wir uns überlegt, wie wir unsere Gesellschaften widerstandsfähiger machen können. Und wie wir Menschenrechte in der virtuellen wie in der realen Welt schützen.

Meine Hoffnung ist, dass wir in den kommenden Monaten auf dieser Arbeit aufbauen können – und die Vereinigten Staaten wieder mit am Tisch sitzen. Und ich hoffe, dass wir die Kraft der Vernunft nutzen, um unsere Demokratien zu Hause neu zu beleben und um wieder Stabilität in die internationalen Beziehungen zu bringen.

Das bringt mich zum zweiten Element – der Verlässlichkeit.

Für Deutschland mit seiner Geschichte, die von furchtbaren Verfehlungen geprägt ist, bedeutet Verlässlichkeit, dass wir wissen, wo wir stehen – und an wessen Seite.

In einer Rede, die er vor 30 Jahren gehalten hat, beschrieb Fritz Stern, was dies für uns bedeuten sollte: „Deutschland“, so sagte er, „muss seine Kraft, seinen Reichtum, sein Streben für den Frieden und die Vernunft einsetzen, sodass es nicht nur rhetorisch Europa beschwört, sondern auch hilft, es zu verwirklichen.“

Diese Leitlinie ist heute ebenso gültig wie vor 30 Jahren.

  • Aus diesem Grund haben wir uns mitten in der Pandemie gemeinsam, als Europäische Union, darauf geeinigt, ein Rettungspaket in Höhe von 750 Milliarden Euro zu schnüren.
  • Aus diesem Grund haben wir auch entschieden, Impfstoffe gegen COVID-19 gemeinsam zu kaufen. Dabei wurden Fehler gemacht – doch es war richtig, als ein Europa zu handeln. Die Alternative wäre ein gespaltener Kontinent gewesen, auf dem die größeren Staaten die kleineren überbieten. Stattdessen haben wir heute in der Europäischen Union eine Impfquote doppelt so hoch wie in Russland oder China.

Meine Damen und Herren, europäische Solidarität ist die Grundlage für den Zusammenhalt Europas. Und europäische Souveränität ist die Voraussetzung dafür, dass unsere Stimme in der Welt gehört wird.

Unser Ziel ist ein Europa, das seiner Nachbarschaft Stabilität bringen kann.

Und nur so ein starkes, offenes und geeintes Europa wird auch in Zukunft ein wichtiger Partner für die Vereinigten Staaten sein.

In europäische Souveränität zu investieren, bedeutet, in die transatlantische Partnerschaft zu investieren.

Einige vertreten die Ansicht, diese Partnerschaft hatte mit dem Ende des Kalten Krieges ihren Zweck verloren, da es unseren gemeinsamen Feind nicht mehr gab.

Dies ist grundlegend falsch. Unsere Partnerschaft beruhte nie auf Angst, sondern auf Freiheit und geteilten Werten. Und diese bestehen fort.

Die Sowjetunion existiert heute nicht mehr, aber wir stehen zusammen vor neuen gemeinsamen Herausforderungen.

Am existenziellsten sind dabei die Bedrohungen der COVID-19-Pandemie und des Klimawandels. Sie erfordern transatlantische Führung und Geschlossenheit.

  • Wir wissen, dass wir die Pandemie nur besiegen können, wenn wir zusammenarbeiten. Doch Masken- und Impfdiplomatie machen diesen Kampf zu einem Wettstreit der Systeme. Daher war die Beteiligung der Vereinigten Staaten an COVAX so wichtig. Deutschland und die Vereinigten Staaten sind nun die beiden größten Unterstützer von COVAX. Unsere multilateralen Lösungen müssen erfolgreich sein, wenn wir nicht gegenüber denjenigen an Boden verlieren wollen, die behaupten, autoritäre Regime könnten besser mit einer Krise wie dieser umgehen.
  • Im Vorfeld der UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow hat sich die Europäische Union verpflichtet, ihre CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent zu verringern. Und wir begrüßen die jüngst gemachten neuen Zusagen aus Washington. Wir besprechen bereits mit John Kerrys Team, wie wir die transatlantische Klimabrücke neu beleben und unsere Entscheidungsträger, Zivilgesellschaften und besten Wissenschaftler zusammenbringen. Und warum nehmen wir nicht schon jetzt Gespräche darüber auf, wie wir einen CO2-Grenzausgleich gestalten und vereinheitlichen, bevor die Europäische Union im Laufe des Jahres ihre Pläne vorlegt?

Apropos Handel: Wir sollten auch den Kreislauf von Strafzöllen und Strafmaßnahmen durchbrechen. So gehen Partner nicht miteinander um! Die Ankündigung der zeitweisen Aufhebung aller Strafzölle aus dem Airbus-Boeing Streit vergangene Woche war ein sehr wichtiger Schritt, auf den wir aufbauen wollen.

Europa und die Vereinigten Staaten können sich zusammentun, um ein Wirtschaftsmodell zu entwickeln, in dessen Zentrum die Menschen stehen. Der Schutz von Arbeitsplätzen und der Mittelschicht ist eine gemeinsame Aufgabe für uns – Tony Blinken hat das gerade letzte Woche erklärt.

Aber das sollte uns nicht davon abhalten, über faire branchenspezifische Handelsabkommen zu sprechen. Durch sie könnten soziale Standards angehoben werden – und damit auch unser weltweiter Einfluss wachsen.

Meine Damen und Herren, wie schaffen wir gleiche Wettbewerbsbedingungen mit einem China, das uns immer stärker herausfordert und auf Konfrontation geht?

Und wie gehen wir mit einem immer aggressiveren und repressiveren Russland um?

Antworten auf diese Fragen zu finden, wird für die Zukunft unseres Bündnisses von entscheidender Bedeutung sein.

Ein wichtiger Schritt wird die Stärkung der politischen Rolle der NATO sein. Aber mehr noch kommt es darauf an, dass wir uns zu einer gemeinsamen Haltung bekennen.

Für mich bedeutet dies, dass wir immer dann, wenn Russland, China oder andere Länder unsere Sicherheit und unseren Wohlstand, die Demokratie, die Menschenrechte und das Völkerrecht bedrohen, dem entgegentreten.

  • In den letzten Jahren haben wir massiv in die europäische Verteidigung und Sicherheit investiert. Unsere Verteidigungsausgaben sind seit 2014 um 50 Prozent gestiegen. Auf diesem von uns eingeschlagenen Weg werden wir weiter fortschreiten.
  • Wir haben unsere Rechtsvorschriften zum Schutz unserer digitalen Infrastruktur, insbesondere unserer 5G-Netze, gegenüber fremdem Einfluss gestärkt.
  • Wir haben auf das harte Durchgreifen Moskaus und Pekings gegenüber der Zivilgesellschaft und die Verletzungen des Völkerrechts durch beide Länder reagiert. Und ich hoffe, dass wir zu einer gemeinsamen transatlantischen Haltung bei gezielten Sanktionen zurückkehren können, nachdem diese in den letzten vier Jahren verlorenging.
  • Als Handelsnation bekennen wir uns auch zur Aufrechterhaltung freier Seewege. Erst vor ein paar Tagen haben wir als Deutsche Bundesregierung uns entschlossen, erstmals eine Marineeinheit in den Indo-Pazifik zu entsenden.

Meine Damen und Herren, wenn unsere Interessen und Werte auf dem Spiel stehen, müssen wir für sie eintreten.

Präsident Biden hat in München aber auch zu Recht darauf hingewiesen, dass es nicht in unserem Interesse liegt, „den Osten gegen den Westen aufzustellen“. Wir haben der vorherigen US-Regierung viele Male gesagt, dass in einer vernetzten Welt Abkoppelung nicht funktioniert, da wir alle vor den gleichen globalen Herausforderungen stehen.

Diplomatie bedeutet, sich auch mit schwierigen Akteuren auseinanderzusetzen, besonders wenn dies in unserem Interesse liegt.

Rüstungskontrolle und die Verlängerung des New START-Vertrags sind hierfür ein Beispiel, andere sind Handelspolitik, Klimawandel und saubere Energie.

Natürlich überschneiden sich europäische und amerikanische Interessen nicht immer. Ein Grund dafür ist alleine schon die geographische Lage. Aber wir sollten es nie wieder zulassen, dass solche Unterschiede unsere Partnerschaft in Frage stellen.

Meine Damen und Herren, hiermit komme ich zu meinem dritten und letzten Punkt: Deutschlands Verantwortung.

Vor ein paar Tagen schrieb eine große amerikanische Zeitung: „Amerika ist zurück, aber Europa hat sich verändert.“

Ja, Europa verändert sich. Aber das bedeutet nur, dass Europa mehr Verantwortung übernimmt, dass wir unseren Anteil bei der Lastenteilung übernehmen.

  • Wir tun mehr, um unsere Nachbarschaft zu stabilisieren. Im Westbalkan ist EU-Integration die Hauptantriebskraft für Reformen und Versöhnung. Und diese Integration bleibt auf der Tagesordnung.
  • Mit dem Berlin-Prozess haben wir in Diplomatie investiert, um den Krieg in Libyen zu beenden. Ein dauerhafter Frieden ist noch in weiter Ferne. Aber die neue Übergangsregierung und die Pläne für nationale Wahlen dieses Jahr sind ermutigende Ergebnisse.
  • Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich haben keine Mühe gescheut, um das Atomabkommen mit Iran (JCPoA) aufrechtzuerhalten. Und wir sind froh, dass Präsident Biden und Tony Blinken ihre Bereitschaft erklärt haben, zu Diplomatie und dem gesamten JCPoA zurückzukehren, sofern Iran bereit ist, das Gleiche zu tun. Die Bewahrung des Abkommens ist entscheidend, nicht nur, um zu verhindern, dass Iran in den Besitz von Kernwaffen gelangt. Sie wäre auch eine Grundlage für den Umgang mit anderen drängenden Fragen, wie Irans Raketenprogramm oder sein destabilisierendes Verhalten in der Region.
  • Und nicht zuletzt stehen deutsche Soldaten in Afghanistan Schulter an Schulter mit ihren amerikanischen Partnern. „Zusammen rein, zusammen raus“, das war immer unser Leitprinzip. Ich bin wie Tony Blinken der Ansicht, dass bestimmte Bedingungen erfüllt sein müssen, bevor wir Afghanistan verlassen. Denn wir haben nicht über Jahre all diese großen Opfer erbracht, um erleben zu müssen, wie das Land erneut im Chaos versinkt.

Meine Damen und Herren, „Amerika ist zurück“ – so lautete Präsident Bidens Botschaft vor zwei Wochen in München. „Und Deutschland ist an Ihrer Seite“, lautet unsere Antwort heute.

In seinem Buch über die „Fünf Deutschland“, die er im Laufe seines Lebens kennengelernte, kommt Fritz Stern zu dem Schluss, dass „deutsch-amerikanische Verständigung ein Gebot der Geschichte, der Politik und meines eigenen Lebens war.“

Lassen Sie mich nur hinzufügen, dass dieses Deutschland einen transatlantischen „New Deal“ mit Ihnen schließen möchte:

  • Als eine Stimme der Vernunft in unserem gemeinsamen Kampf für Demokratie.
  • Als ein verlässlicher Partner in Europa und der Welt.
  • Und als ein verantwortungsvoller Verbündeter und Freund, der mit Ihnen zusammenarbeitet, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Vielen Dank noch einmal, dass ich heute hier sein durfte.

Und alles Gute für den neuen Fritz-Stern-Lehrstuhl und für Sie alle!

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