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Beitrag von Staatsministerin Müntefering für die Konferenz “ground check 2020 - Cultural Heritage and Climate Change”

29.10.2020 - Rede

(Video-Aufzeichnung)

Kennen Sie das Buch Fatum von Kyle Harper? Es beschreibt den Untergang des Römischen Reichs. Die These: Der entscheidende Faktor, der eines der größten Weltreiche der Geschichte nach 500 Jahren zum Einsturz brachte, waren nicht strukturelle Probleme oder die Völkerwanderung. Es war eine Veränderung des Klimas; und zwar in Verbindung mit einer Pandemie, die sich von China bis nach Portugal erstreckte. Klingt erschreckend aktuell? Ist es auch.

Der menschengemachte Klimawandel verändert unsere Welt irreversibel. Als Anfang des Monats das Forschungsschiff Polarstern nach einem Jahr in der Arktis wieder in Bremerhaven einfuhr, waren die Ergebnisse, die sie mitbrachte, ziemlich erschütternd. Die Temperaturen in der Arktis sind heute fast zehn Grad höher als noch vor hundert Jahren. Wo sich früher das ewige Eis ausdehnte, ist heute offenes Meer.

Und es schmilzt nicht nur die Spitze des Eisbergs. Welche Auswirkungen der Klimawandel auf all das hat, was unter dem Eisberg liegt, ist vielfach noch gar nicht erforscht.

Das alles hat gravierende Auswirkungen auf unser Leben, auf unsere Wirtschaft, auf die Natur; aber eben auch: auf unser Kulturerbe.

Es stellen sich heute ganz neue Fragen: Wie kann man Kulturerbe vor Überflutung schützen, wenn der Meeresspiegel ansteigt? Welche Auswirkungen haben höhere Temperaturen auf die Substanz historischer Gebäude? Welche Chancen bietet die Digitalisierung, um Kulturerbe zu dokumentieren?

Diese Fragen gehen uns alle etwas an. Die Kulturstätten sind das gemeinsame Erbe der Menschheit. Der Schutz und Erhalt dieses Kulturerbes ist unsere gemeinsame Verantwortung als globale Gemeinschaft. Und: Er ist auch in unserem gemeinsamen Interesse. Denn bei Kulturerhalt geht es nicht zuletzt um Fragen der Stabilität von Staaten und ganzen Regionen. Kulturgut schafft politische Identität. Daher ist Kulturerhalt integraler Bestandteil unserer Außenpolitik; und er wird immer wichtiger.

Die Frage, welche Auswirkungen der Klimawandel auf das Kulturerbe hat, ist daher hochpolitisch. Und sie fügt sich nahtlos ein in unsere außenpolitischen Prioritäten. Klimawandel ist heute ein zentrales Thema in fast allen Bereichen der internationalen Beziehungen. Es geht hier um Fragen des Friedens und der globalen Gerechtigkeit. Nicht zuletzt geht es auch um Fragen von Ressourcen, Wohlstand, aber auch Fortschritt und Innovation.

Genau deshalb spielt Nachhaltigkeit auch eine zentrale Rolle bei der Neuausrichtung unserer Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, die wir im Rahmen eines Strategieprozesses gerade vorantreiben.

Wir sind überzeugt: Internationale Kulturpolitik im 21. Jahrhundert muss einen Beitrag leisten, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu erreichen. Und das kann sie, indem sie einen kulturellen und wissenschaftlichen Austausch über Grenzen hinweg anstößt.

Es ist daher ein zentraler Pfeiler unseres Strategieprozesses, unsere Wissenschaftsdiplomatie auszubauen. Unser Ziel: Internationale wissenschaftliche Kooperation zu Zukunftsfragen fördern, damit wissenschaftliche Erkenntnisse Grundlage politischer Entscheidungen werden können.

Genau darum geht es auch heute bei der Konferenz „Ground Check 2020“. Welche Auswirkungen haben klimatische Veränderungen auf das kulturelle Erbe? Wie hat Klimawandel in der Vergangenheit Kultur und Kulturerbe beeinflusst? Welche Lösungen und politischen Vorgaben braucht es heute zum Schutz des Kulturerbes? Und wie lässt sich das Wissen zu Klimawandel und ihren Folgen in die Gesellschaft tragen.

Diese Fragen sind keine Nischenthemen. Sie sind zu Recht zu einem wichtigen Forschungsfeld für das Deutsche Archäologische Institut geworden; sogar mit einem eigenen Forschungsbereich.

Und das ist auch gut so. Denn das Ziel, die Mensch-Umweltbeziehungen aus einer langfristigen Perspektive zu untersuchen, ist nicht nur von historischem Interesse. Es schafft auch die Grundlage dafür, historische Daten für globale Zukunftsprognosen, für umweltpolitische Entscheidungen und für präventive Maßnahmen zu nutzen.

Nur ein Beispiel: Wenn in bestimmten Regionen der Welt immer häufiger plötzliche Starkregen oder Waldbrände auftreten, stellt das eine unmittelbare Gefahr auch für das Kulturerbe dar. Umso wichtiger wird es daher, im Fall der Fälle schnelle Unterstützung leisten zu können. Jedes Mal erst einmal Strukturen aufzubauen und Expertinnen und Experten zusammenzutrommeln, dauert schlicht und ergreifend zu lange. Wie sehr es bei akuten Bedrohungen auf Schnelligkeit ankommt, haben wir beim Brand des Nationalmuseums in Rio, aber auch vor kurzem in Beirut gesehen.

Ich bin daher überzeugt: Unsere Idee eines KulturGutRettungs-Mechanismus – ich nenne ihn gerne Kultur-THW – wird durch den Klimawandel noch wichtiger. Ich werde mich daher auch im parlamentarischen Raum weiter dafür einsetzen, dass dieses Projekt unter der Ägide des DAI schnell vorankommt.

Und ich werde mich auch dafür einsetzen, dass das Thema Kulturerbe und Klimawandel, das bisher weder im deutschen Klimaschutzgesetz noch im Klimaschutzprogramm 2030 erwähnt wird, zukünftig bei der Gesetzgebung mitgedacht wird. Klimapolitik ist eben längst nicht mehr nur Umweltpolitik.

Sehr verehrte Damen und Herren,

Niemand kann sagen, der Klimawandel sei nicht sichtbar. Der Klimawandel ist eine Realität, die wir immer stärker zu spüren bekommen.

Auch die Römer der Spätantike wussten übrigens, dass sich das Klima veränderte. Immer häufiger fielen Ernten aus, immer öfter kam es zu Hungersnöten. Die Grundlage ihrer Zivilisation rann ihnen unter den Händen hinweg.

Der Unterschied zu heute: Wir sind selbst für den Klimawandel verantwortlich. Aber wir können auch selbst etwas dagegen tun.

Es braucht eine gemeinsame Kraftanstrengung der globalen Gemeinschaft, um die Erderwärmung zu begrenzen. Gleichzeitig müssen wir Strategien entwickeln, wie wir die Folgen des Klimawandels abmildern können. Denn wenn sich die Durchschnittstemperatur erst einmal um zwei Grad oder mehr erhöht hat, ist es dafür zu spät.

Die Zeit drängt. Das Wasser steht uns bis zum Hals. In Venedig ganz buchstäblich. Man hat dort ein gigantisches Sturmflutsperrwerk errichtet, um die historische Altstadt vor dem Hochwasser zu schützen.

Venedig ist aber nicht nur ein Symbol dafür, wie Kulturerbe durch Klimawandel gefährdet ist. Es ist auch ein Symbol für die Kraft internationaler Kooperation.

1964 wurde in Venedig eine international anerkannte Charta der Denkmalpflege beschlossen. In dieser Charta wurden internationale Leitlinien für die Konservierung und Restaurierung von Denkmälern entwickelt. Der Erhalt des Kulturerbes wurde als gemeinsame Menschheitsaufgabe verstanden.

Ich bin überzeugt: Wir brauchen heute einen ähnlichen Schulterschluss. Wir brauchen eine gemeinsame Strategie, wie wir das Kulturerbe unter den Bedingungen des Klimawandels schützen können. Gewissermaßen: eine Charta von Venedig 2.0.

In unserer globalisierten Welt erfordert der Klimawandel starke multilaterale Antworten und internationale Solidarität. Deshalb lädt Deutschland in wenigen Wochen im Rahmen seiner EU-Ratspräsidentschaft auch zu der Konferenz „Kulturerbe und Multilateralismus: regionale und internationale Strategien zum Schutz des Kulturerbes“ ein.

Sehr verehrte Damen und Herren,

es braucht internationale Kooperation, den fundierten wissenschaftlichen Austausch, und: das Engagement von Menschen wie Ihnen!

Dafür: Herzlichen Dank und Ihnen eine gute Konferenz!

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