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Rede von Staatsministerin Michelle Müntefering in der Bundestagsdebatte zu kolonialem Unrecht

19.11.2020 - Rede

Es ist schon erstaunlich, was wir uns hier anhören müssen.

Niemand kann sagen, das Unrecht des Kolonialismus sei nicht von Anfang an bekannt gewesen.

1889 sprach August Bebel hier im deutschen Parlament aus, was jeder sehen konnte - ich zitiere ihn -:

„Im Grunde genommen ist das Wesen aller Kolonialpolitik die Ausbeutung einer fremden Bevölkerung in der höchsten Potenz. …

Und das treibende Motiv ist immer, Gold, Gold und wieder nur Gold zu erwerben.“

Bebel hatte Recht.

Fünf Jahre zuvor, fast auf den Tag vor 136 Jahren, teilten die europäischen Mächte auf der Kongo-Konferenz in Berlin die Welt unter sich auf. Auch hier war allen klar, worum es ging: Macht und Geld. In Karikaturen von damals sieht man, wie Bismarck einen Kuchen mit der Aufschrift „Afrika“ in viele handliche Stücke schneidet.

Lange haben wir uns in Deutschland der Illusion hingegeben, wir seien aus der Kolonialzeit mit einem blauen Auge davongekommen, die deutsche Kolonialzeit sei zu kurz gewesen, um wirklich großes Unheil anzurichten. Diese alte Leier hört man bis heute. Das Problem ist: Die Platte hat einen Sprung.

Die koloniale Herrschaft hat in vielen Ländern, gerade in Afrika, tiefe Wunden hinterlassen, auch in den ehemaligen deutschen Kolonien. Die Verbrechen, die deutsche Kolonialtruppen zwischen 1904 und 1908 an Hereros und Namas begangen haben, würde man nach heute geltender Rechtslage als Völkermord bezeichnen; das habe ich 2018 bei meiner Reise nach Namibia auch gesagt.

Deshalb bin ich dankbar, dass die Gespräche, die wir derzeit mit Namibia führen, von beiden Seiten in einem Geist des Respekts und der Zusammenarbeit geführt werden. Eines der wichtigsten Ziele dieser Gespräche ist ein gemeinsames Verständnis dafür, was war und was aus der Geschichte folgen wird.

Die Beratungen - das wissen Sie - werden vertraulich geführt, aber man kann sagen: Wir sind bereits weit gekommen. Es geht dabei auch um die Frage, wie und in welchem Umfang Deutschland helfen kann, die Wunden der Vergangenheit zu lindern. Lassen Sie mich dazu unterstreichen, was der Verband der an den Verhandlungen beteiligten Nama und Herero im August klargestellt hat - denn zuvor hatte es eine Reihe falscher Berichte gegeben -: Zu keinem Zeitpunkt der Verhandlung hat Deutschland Namibia Wiedergutmachung in Höhe von nur 10 Millionen Euro angeboten. Ein solcher Betrag würde der historisch-moralischen Verantwortung Deutschlands in keiner Weise gerecht. - Ich sage von hier aus noch einmal: Danke an Ruprecht Polenz, der die Verhandlungen führt, und ich hoffe, dass wir es bald schaffen, sie abzuschließen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir wollen aufbrechen in eine neue Zukunft. Wir wollen dazu beitragen, dass sich Ungleichheit auf der Welt verringert, die auch eine Folge der Kolonialzeit ist. Wir wollen Rassismus bekämpfen, auch bei uns in Deutschland. Es ist höchste Zeit, dass wir unseren Nachbarkontinent jenseits von Klischees und Stereotypen besser kennenlernen und Partnerschaften für die Zukunft aufbauen. Dazu gehört auch, uns den blinden Flecken der Geschichte zu stellen.

Wir sind in dieser Legislaturperiode gut vorangekommen. Wir haben gemeinsam mit den Ländern und Kommunen Eckpunkte zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten verabschiedet und stehen in engem Austausch mit den Museen. Die gemeinsame Kontaktstelle von Bund, Ländern und Kommunen hat im August ihre Arbeit aufgenommen, und dabei geht es eben nicht um ein Leerräumen deutscher Museen. Es geht um etwas ganz anderes, nämlich darum, festzustellen, welche Objekte es überhaupt gibt. Wir brauchen Transparenz. Es muss erforscht werden, unter welchen Bedingungen Objekte nach Deutschland gekommen sind, und dort, wo sich herausstellt, dass sie unrechtmäßig erworben oder geraubt wurden, müssen sie natürlich zurückgegeben werden. Hier geht es besonders um menschliche Gebeine, wie wir sie beispielsweise 2018 nach Namibia zurückbringen konnten.

Die Frage nach unseren Beständen überwiegt derzeit übrigens deutlich gegenüber Rückgabeforderungen. Deshalb hat die digitale Erfassung Priorität. Darüber hinaus - wir haben es schon gehört - unterstützen wir als Auswärtiges Amt viele Kooperationsprojekte deutscher Museen und Wissenschaftseinrichtungen mit Institutionen in den Herkunftsländern, die darauf abzielen, Wissen und Transparenz zu schaffen.

Wenn die AfD heute in ihrem Antrag fordert, Restitution zu stoppen - und damit will sie nichts weiter, als einen Stopp bei diesem Thema zu setzen -, dann kann ich dem nur entgegnen: Wir sind bereits mitten im Prozess. Und so machen wir auch weiter.

Das ist der klare Auftrag des Koalitionsvertrages von CDU, CSU und SPD.

Mein Dank geht auch an die Grünen für den Antrag heute und für die Gelegenheit, dieses Thema zu diskutieren. Es ist gut, dass wir inzwischen offen über die Kolonialzeit diskutieren; denn viele Menschen wissen noch viel zu wenig darüber. Und es gibt genug zu diskutieren: über Schulbildung, die Namen von Straßen und Plätzen in unseren Städten, die Arbeit von Museen und Universitäten. Aber es darf eben kein Selbstgespräch im nationalen Elfenbeinturm sein. Wir brauchen die Beteiligung der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft, Kultur und natürlich auch der Länder mit Kolonialvergangenheit. Das war genau der Ansatz der Konferenz, die das Auswärtige Amt letzten Monat organisiert hat.

Sehr verehrte Damen und Herren,
wir sollten auch die Rolle der deutschen Behörden während der Kolonialzeit erforschen, und zwar insbesondere gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem globalen Süden. Warum nicht auch mit einem der Länder, das unter der deutschen Kolonialherrschaft gelitten hat, ein gemeinsames Schulbuch erarbeiten oder Austauschprogramme, Freiwilligenprogramme und digitale Begegnungen, moderne Brieffreundschaften sozusagen, zwischen Schulklassen unterstützen?

Der Kolonialismus war keine Fußnote der Geschichte. Wir stehen noch ziemlich am Anfang eines langen Weges. Klar ist aber: Der afrikanische Kontinent hat Zukunft in der Welt, und diese Zukunft können wir gemeinsam meistern. Der beste Weg für unsere demokratische und offene Gesellschaft - da bin ich sicher - sind Wissen und Zusammenarbeit. Und wenn ich das noch sagen darf: Das gilt auch für die Bundesregierung. Frau Flachsbarth, Frau Grütters, ganz herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit der letzten Jahre und auf eine gute weitere Debatte, liebe Kolleginnen und Kollegen!

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