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„Rassismus tötet nicht nur in den USA

07.06.2020 - Interview

Außenminister Heiko Maas im Interview mit der Bild am Sonntag.

Herr Minister, Sie haben Donald Trump vorgeworfen, Öl ins Feuer zu gießen. Wie hat er auf Ihre Kritik reagiert?

Ich halte es für den falschen Weg, in einer sehr angespannten Lage mit weiterer Gewalt zu drohen. Demokraten sollten immer versöhnen und nicht spalten. Reaktionen gab es noch keine. Ich bin mir aber – unabhängig davon, wer gerade im Weißen Haus sitzt – ganz sicher, dass unsere Partnerschaft mit den USA so eng und unverwüstlich ist, dass sie Kritik aushält. Im Übrigen sollten wir mal nicht so tun, als sei Rassismus nur ein Problem der USA. In Deutschland leben 30.000 Rechtsextremisten. Auch bei uns gibt es rassistische Übergriffe, schwarze Menschen werden diskriminiert, Juden wird die Kippa vom Kopf gerissen. Wir müssen zuerst mal vor der eigenen Haustür kehren. Rassismus tötet nicht nur in den USA.

In den USA wurden zahlreiche Journalisten während ihrer Berichterstattung über die Proteste bedrängt und angegriffen. Trump bezeichnet Journalisten als Feinde des Volkes und niedrigste Lebensform.

Dieses Verhalten kennen wir von Populisten auf der ganzen Welt: Sie polarisieren gegen einzelne Gruppen und versuchen so, die eigene Anhängerschaft zu mobilisieren. Das ist brandgefährlich.

Welche Folgen hat das alles für den US-Wahlkampf?

Wir müssen befürchten, dass der Wahlkampf die USA noch stärker polarisiert. Das lässt nichts Gutes ahnen. Denn es kommt immer der Tag nach der Wahl. Egal, wer gewinnt: Ein Präsident muss die Spaltung Stück für Stück beenden. Eine Gesellschaft braucht, damit sie funktioniert, ein Mindestmaß an Zusammenhalt. Populisten aber spalten die Gesellschaft für ihre eigenen Zwecke. Dann wird nicht nur das Zusammenleben im Land schwieriger, auch auf der internationalen Ebene werden die Konflikte befeuert. Das ist das Letzte, was wir brauchen. Es gibt schon jetzt zu viele außenpolitische Krisen und Konflikte.

Wie nehmen Sie Trumps demokratischen Herausforderer Joe Biden wahr?

Es gibt ganz viele in den Vereinigten Staaten, die sich in den letzten Tagen sehr klug eingelassen haben. Dazu gehört sicher Joe Biden, aber auch der ehemalige republikanische Präsident George W. Bush. Das macht mir Hoffnung, dass es aus beiden politischen Lagern verantwortungsbewusste Stimmen gibt. Ich hoffe sehr, dass die Vernünftigen sich durchsetzen werden.

Mit welchem Wort beschreiben Sie den Beziehungsstatus zwischen uns und den USA?

Wir sind enge Partner im transatlantischen Bündnis. Aber: Es ist kompliziert.

Das wird durch die Corona-Pandemie noch verschärft. Die Bundesregierung hält die Reisewarnung für Amerika aufrecht.

Wir verbieten den Menschen nicht, in die USA zu reisen. Aktuell lassen die Amerikaner keine Europäer ins Land. Bei der Aufhebung der weltweiten Reisewarnung beschränken wir uns im Kern erst mal auf die Europäische Union. Wir wollen uns darauf verlassen können, dass unsere Bürger, wenn sie reisen, die größtmögliche Sicherheit haben mit Blick auf die Ausbreitung des Virus.

Geht es bei den Reisewarnungen immer nur um den Gesundheitsschutz der Bürger oder machen Sie damit auch Politik?

Bei den Warnungen geht es grundsätzlich um das Wohl und die Gesundheit der Reisenden. Also: Wie ist das Pandemiegeschehen in dem Land, wie sicher können Reisende zurückkommen, falls es doch zu einem Ausbruch kommt.

Und warum halten Sie dann die Reisewarnung für Montenegro mit null Corona-Infektionen aufrecht?

Natürlich spielt es eine Rolle, ob man in der EU ist oder nicht. Innerhalb der EU haben wir gemeinsame Regeln und Mechanismen, auf die wir uns verlassen können und mit denen wir das Infektionsgeschehen überprüfen können. Es gibt eine gemeinsame Datenbasis und Transparenz, die wir uns wechselseitig zusichern.

Was ist mit dem beliebten Urlaubsland Türkei?

Es gibt Gespräche mit der türkischen Regierung. Wir werden die Reisewarnung nicht auf Dauer aufrechterhalten. Wann es so weit ist, hängt aber vom Verlauf der Pandemie ab.

Empfehlen Sie bald Reisen in die Türkei?

Meine Aufgabe ist es nicht, Reisen zu empfehlen. Wir geben grundsätzliche Hinweise und Warnungen dazu, wie wir die Lage in den jeweiligen Ländern einschätzen. Die Menschen sind klug genug, daraus die richtigen Rückschlüsse für sich zu ziehen und selbst zu entscheiden, wo sie hinfliegen. Wer sich im Urlaub infiziert, kann jedenfalls nicht davon ausgehen, dass wir ihn nach Deutschland zurückbringen. Natürlich stehen in akuten Notfällen unsere Auslandsvertretungen immer bereit, konsularisch zu unterstützen. Aber: Die Bundesregierung wird im Sommer nicht noch einmal Flieger schicken können, um deutsche Urlauber heimzuholen.

Wo machen Sie Urlaub?

Noch weiß ich das nicht. Ich werde auf jeden Fall nicht dort Ferien machen, wo es voll ist. Und das sei ganz klar gesagt: Die Abstands- und Hygieneregeln gelten auch für die Hotspots. Wenn sie nicht eingehalten werden, kann aus Reisehinweisen auch wieder eine Reisewarnung werden.

Deutschland übernimmt ab 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft. Was ist Ihr Ziel?

Gelebte Solidarität soll das Motto sein, das uns durch diese sechs Monate leitet. Corona muss uns noch enger zusammenrücken lassen. Eine Einigung auf den Aufbaufonds und den mehrjährigen EU-Haushalt muss zu Beginn der Ratspräsidentschaft stehen. Und: Wir müssen den von der Corona-Krise am stärksten gebeutelten Ländern helfen. Geht es einem unserer europäischen Partner heute schlecht, leiden wir als Exportnation morgen ebenfalls.

Unter deutscher Ratspräsidentschaft soll es eine Annäherung der EU an China geben.

China ist kommende Supermacht. China ist Deutschlands größter Handelspartner. Dennoch dürfen wir den Dialog mit Peking nicht allein auf Wirtschafts- und Handelsfragen reduzieren. Wir brauchen eine gemeinsame europäische Strategie, um unsere freiheitlichen Werte gegenüber China zu vertreten.

China will sich gerade Hongkong einverleiben und die Demokratiebewegung mit einem Sicherheitsgesetz zermalmen. Wo bleibt der europäische Aufschrei?

Die EU hat deutlich reagiert. Zu Hongkong haben die Außenminister bereits zwei klare Statements abgegeben. Wir erwarten, dass die demokratischen Rechte in Hongkong eingehalten werden.

Der geplante EU-China-Gipfel im September in Leipzig wurde wegen Corona abgesagt. Ist das der einzige Grund?

Ja. So ein Gipfel funktioniert nur, wenn man sich persönlich trifft, was aber wegen der Pandemie nicht geht. Ich hoffe noch, dass der Gipfel bis zum Jahresende stattfinden kann.

China hat mindestens vier Wochen lang die Corona-Gefahr vertuscht, notwendige Informationen zurückgehalten.

Es gibt viele Länder, die in den ersten Wochen im Umgang mit dem Virus Fehler gemacht haben – überall auf der Welt. Wir brauchen allerdings volle Transparenz, damit der Ursprung des Virus geklärt werden kann. Das ist nicht zuletzt auch für die Erforschung und damit die Bekämpfung des Virus wichtig. Ich bin mir sicher, dass das am Ende ja auch in Chinas Interesse liegt.

US-Präsident Donald Trump will knapp 10.000 amerikanische Soldaten abziehen. War die Bundesregierung im Vorfeld informiert und was bedeutet der Abzug für unser Verhältnis?

Sollte es zum Abzug eines Teils der US-Truppen kommen, nehmen wir dies zur Kenntnis. Wir schätzen die seit Jahrzehnten gewachsene Zusammenarbeit mit den US-Streitkräften. Sie ist im Interesse unserer beiden Länder.

Interview: Roman Eichinger und Angelika Hellemann

www.bild.de


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