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EU-Erweiterung: Türkei
Stadtansicht von Istanbul, © picture alliance / imageBROKER
Seit 1963 bestehen Vertragsbeziehungen zwischen EU und Türkei, 1995 wurde eine Zollunion errichtet und 2005 Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union aufgenommen. Seit 2018 sind diese v.a. aufgrund gravierender Rückschritte bei Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten faktisch eingefroren.
In ihrem Länderbericht vom 28. November 2023 würdigt die EU-Kommission die Türkei als wichtigen Partner und erkennt Erfolge in der Zusammenarbeit im Migrationsbereich an, stellt jedoch zugleich Verschlechterungen in den Schlüsselbereichen Rechtstaatlichkeit, Grundrechte und Demokratie fest.
Meilensteine der Beziehungen zwischen EU und Türkei
Die vertraglichen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei gehen auf das Jahr 1963 zurück. Mit der Unterzeichnung des Abkommens von Ankara war die Türkei nach Griechenland der zweite Staat, mit dem die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, bestehend aus Deutschland, Frankreich, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Italien) ein Assoziierungsabkommen schloss. Über eine enge wirtschaftliche Verbindung hinaus bot das Abkommen der Türkei bereits eine erste Beitrittsperspektive. Im Rahmen des Abkommens errichteten die EU und die Türkei 1995 eine Zollunion, die am 1. Januar 1996 in Kraft trat.
Nach dem offiziellen Beitrittsgesuch der Türkei im Jahr 1987 verlieh der Europäische Rat der Türkei im Jahr 1999 den Status eines Beitrittskandidaten. Nachdem der Europäische Rat 2004 feststellte, dass die Türkei die sogenannten Kopenhagener Beitrittskriterien „hinreichend erfüllt“, wurden am 03.10.2005 Beitrittsverhandlungen eröffnet.
Beitrittsverhandlungen: Verlauf und Herausforderungen
Um Mitglied zu werden, muss ein Beitrittskandidat die Gesamtheit des EU-Rechts (den sogenannten Besitzstand oder „Acquis“ der EU) vollständig übernehmen. Dies wird in insgesamt 35 Kapiteln ausgehandelt. Im Falle der Türkei beinhaltet der Verhandlungsrahmen auch eine „Einbeziehungsklausel“, die eine weitgehende Verankerung der Türkei in Europäischen Strukturen vorsieht, falls die Türkei langfristig nicht in der Lage ist, den Verpflichtungen einer EU-Mitgliedschaft vollständig nachzukommen. Eine „Suspendierungsklausel“ sieht die Aussetzung der Beitrittsverhandlungen für den Fall vor, dass die Türkei Grundwerte der Europäischen Union wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ernsthaft und dauerhaft bricht. Seit 2005 sind 29 der 35 Verhandlungskapitel geöffnet worden. Bislang konnte nur das Kapitel Wissenschaft und Forschung abgeschlossen werden.
Am 29. Juli 2005 wurde das Ankara-Protokoll unterzeichnet, ein Zusatzprotokoll zum Abkommen von Ankara, um die 2004 der EU beigetretenen Staaten in Mittel- und Osteuropa, sowie Malta und Zypern, in die bestehende Zollunion der EU mit der Türkei einzubinden. Die Türkei erklärte, dass ihre Nicht-Anerkennung der Republik Zypern fortbestehe und sich die Zollunion daher aus ihrer Sicht nicht auf Zypern erstrecke. Die EU wies diese Interpretation in einer Gegenerklärung zurück und bestätigte die Pflicht zur ausnahmslosen Einbeziehung der Republik Zypern in die Zollunion. Trotzdem weigert sich die Türkei weiterhin, die in der Zollunion geschaffene Warenverkehrsfreiheit in Form eines freien Zugangs zyprischer Schiffe, Flugzeuge und LKWs auf türkisches Hoheitsgebiet zu gewährleisten.
Der Rat der Europäischen Union hat diese Vertragsverletzung wiederholt kritisiert und im Dezember 2006 die teilweise Aussetzung der Beitrittsverhandlungen beschlossen. Bis zur Lösung des Zypernkonfliktes und der nicht-diskriminierenden Umsetzung des Ankara-Protokolls durch die Türkei, bleiben weitere Verhandlungskapitel ungeöffnet und offene Kapitel können nicht geschlossen werden. Der Rat hat diesen Beschluss wegen ausbleibender Fortschritte bei der Umsetzung des Ankara-Protokolls seit 2006 mehrfach erneuert. Trotz weitgehend blockierter Beitrittsverhandlungen entwickeln die EU und die Türkei ihre Beziehungen in anderen Bereichen fort. So schloss die EU 2013 ein Rückübernahmeabkommen mit der Türkei, das Rückführungen ausreisepflichtiger Personen in die Türkei regelt. Gleichzeitig wurden Verhandlungen über eine Visaliberalisierung aufgenommen und der Türkei ein Fahrplan übermittelt, der insgesamt 72 Kriterien beinhaltet. 2015 tagten nach längerer Unterbrechung erstmals wieder Arbeitsgruppen im Rahmen des Assoziierungsabkommens und der Europäische Rat sprach sich für eine Redynamisierung der Beitrittsverhandlungen aus. Diese Entwicklungen hatten die Öffnung von drei neuen Verhandlungskapiteln (2013: Regionalpolitik; 2015: Wirtschafts- und Währungspolitik; 2016: Finanz- und Haushaltsvorschriften) zur Folge.
EU-Türkei Beziehungen seit 2016
Den Putschversuch in der Türkei am 15. Juli 2016 verurteilte die Bundesregierung und begrüßte dessen Niederschlagung. Die Lage der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei hat sich jedoch seit dem gescheiterten Putschversuch weiter verschlechtert. Diese Entwicklungen betrachten die Bundesregierung und die EU mit großer Sorge. Angesichts nachhaltig gravierender Rückschritte in Schlüsselbereichen wie der Achtung der Grund- und Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit liegen die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei derzeit faktisch auf Eis. Entsprechend den Ratsschlussfolgerungen des Rates für Allgemeine Angelegenheiten der EU vom 16. Juni 2018 können keine weiteren Verhandlungskapitel geöffnet oder abgeschlossen werden.
Im März und Juni 2021 beschloss der Europäische Rat nach Provokationen im östlichen Mittelmeer einen ausgewogenen Ansatz im Rahmen einer EU-Türkei Dialogagenda: Der Rat bekräftigte das strategische Interesse der EU an einem stabilen und sicheren Umfeld im östlichen Mittelmeerraum und an der Entwicklung einer kooperativen und für beide Seiten vorteilhaften Beziehung zur Türkei. Im Fall fortgesetzter Deeskalation im östlichen Mittelmeer soll die Zusammenarbeit in einer Reihe von Bereichen von gemeinsamem Interesse intensiviert werden. Dazu gehören u.a. die Modernisierung der Zollunion, die Wiederaufnahme hochrangiger Dialogformate und die Stärkung (zivil-)gesellschaftlicher Kontakte zwischen der EU und der Türkei. Im Falle erneuter türkischer Provokationen im östlichen Mittelmeer sei die EU aber auch bereit, die ihr zur Verfügung stehenden Instrumente zu nutzen, um ihre Interessen und die Interessen ihrer Mitgliedstaaten zu verteidigen und die Stabilität in der Region zu wahren.
Weitere EU-Kooperation mit der Türkei
Die Türkei ist eines der größten Aufnahmeländer für Flüchtlinge weltweit und ein wichtiger Partner der EU im Bereich Flucht und Migration. Mit Blick auf die Aufnahme von ca. vier Millionen Flüchtlingen in der Türkei beschloss die EU die Fortsetzung ihrer finanziellen Unterstützung für die Versorgung von Flüchtlingen in der Türkei und in der Region.
Im Rahmen der EU-Türkei-Erklärung vom 18. März 2016 hat die EU bereits 6 Mrd. Euro für die Unterstützung von Flüchtlingen über die Fazilität für Flüchtlinge in der Türkei mobilisiert. Für den Zeitraum von 2021 bis 2023 wurden zudem weitere 3 Milliarden Euro an Hilfen zur Weiterführung der Fazilität zur Verfügung gestellt. Für 2024 hält die Kommission im Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) 500 Mio. EUR für die Unterstützung von Flüchtlingen in der Türkei bereit. Der Europäischen Rat vom 01.02.24 hat eine Öffnung des MFR mit zusätzlichen 2 Mrd. EUR für die Unterstützung syrischer Flüchtlinge und Aufnahmegemeinden in der Türkei bis 2027 beschlossen.
Als Beitrittskandidat erhält die Türkei zudem finanzielle Unterstützung der EU durch das Instrument für Heranführungshilfe IPA (“Instrument for Pre-Accession Assistance”). Dabei standen im Mehrjährigen Finanzrahmen 2014-2020 der EU ca. 3,2 Mrd. Euro für die Türkei zur Verfügung. Angesichts der nicht genehmigten Bohraktivitäten der Türkei im östlichen Mittelmeer sowie der fortdauernden Defizite im Rechtsstaatsbereich und bei der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, wurden die für die Türkei vorgesehenen Mittel mehrfach gekürzt. Auch unter dem Nachfolgeinstrument IPA III leistet die EU im Mehrjährigen Finanzrahmen 2021-2027 Unterstützung für die Türkei.
Nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien am 6. Februar 2023 richtete die EU eine internationale Geberkonferenz am 20. März 2023 aus und sagte der Türkei in diesem Rahmen über 3,6 Milliarden Euro an finanziellen Hilfen zu humanitären Zwecken und Wiederaufbaumaßnahmen zu.
Zum Weiterlesen:
Länderbericht der EU-Kommission zur Türkei, 08.11.2023 (Englisch)
Länderinformationen zur Türkei
Mehr zur Heranführung der Türkei an die EU auf der Webseite der EU-Kommission (Englisch)