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Außenminister Westerwelle im Interview mit der Süddeutschen Zeitung zur Situation in Irland, Korea, Afghanistan und zur Abrüstung

27.11.2010 - Interview

Am 27. 11. erschien das folgende Interview mit Außenminister Westerwelle. Die Fragen stellten Peter Blechschmidt, Daniel Brössler und Nico Fried.


Frage: Herr Minister, lassen Sie uns mit einem Zitat beginnen. „Es gibt Staaten, die haben ihr Wohlstandsniveau ganz beeindruckend verbessert. Irland hat mit seinem Steuersystem und seiner Wirtschaftspolitik die Chancen der Globalisierung ergriffen und für sich zunutze gemacht, übrigens auch mit Hilfe der EU.“ Kommt Ihnen das bekannt vor?

Ich vermute, dass ich das gesagt habe, und das ist ja auch richtig.

Frage: Sie haben das 2008 im Aufsatz „Richtung Freiheit“ geschrieben. Wieso stimmt das heute noch?

Es gibt den Reflex zu sagen, Irland ist in Schwierigkeiten, also war alles falsch. Es muss anerkannt werden, welchen Fortschritt Irland beim Wohlstand in den letzten 20 Jahren gemacht hat. Die Tatsache, dass Irland jetzt in diesen Schwierigkeiten steckt, hängt wesentlich damit zusammen, dass die irische Regierung das eigene Bankenwesen stabilisieren muss. Das ist auch anderen Ländern passiert, den USA und Deutschland zum Beispiel. Nur sind wir größer und stärker.

Frage: Irland ist nicht in der Lage, seine Probleme aus eigener Kraft zu lösen. Zeigt das nicht, dass liberale Träume geplatzt sind?

Im Gegenteil. Es ist ein Zeichen, wie notwendig es ist, die liberalen Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft zu verfolgen. Wer Gewinnchancen durch seine Investments haben will, oft genug hoch spekulativ, darf sich seiner eigenen Verantwortung nicht entziehen, indem er das Risiko permanent auf den Steuerzahler abwälzt.

Frage : In Irland kommen doch zwei Dinge zusammen: ein, wie sich nun zeigt, zu wenig reguliertes Finanzsystem und ein Staatshaushalt mit sehr geringen Steuereinnahmen. Deshalb braucht Irland jetzt Hilfe. Teilen Sie die Analyse?

Eine bessere Bankenaufsicht wurde von der FDP schon Anfang des letzten Jahrzehnts angemahnt. Anfang des nächsten Jahres wird in Europa die weltweit erste länderübergreifende Bankenaufsicht eingeführt. Wir handeln also. Die weitgehende Deregulierung dagegen ist unter Rot-Grün beschlossen worden. Im Übrigen haben die Probleme jetzt auch mit einer historischen Fehlentscheidung zu tun, nämlich der Aufweichung des Stabilitätspaktes durch Rot-Grün 2004 und 2005. Und in der Steuerpolitik handelt Irland.

Frage: Wurde der Fehler nicht schon früher gemacht mit einer Währungsunion ohne Wirtschaftsunion?

Wir sind doch längst dabei, die Wirtschaftspolitiken immer enger abzusprechen. Außerdem ist der Euro mehr als Papier und Münzen. Er ist eine Friedenswährung.

Frage: Treffen Sie die Vorwürfe von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso gegen die Bundesregierung wegen der Forderung nach der Beteiligung privater Gläubiger?

Ich weise diese Kritik zurück. Man muss das Richtige tun und die strukturellen Konsequenzen aus der Krise ziehen, sonst bringt man die EU in substanzielle Schwierigkeiten. Es geht erstens darum, dass alle Staaten in Europa zu solider Haushaltspolitik zurückkehren. Mit diesem Drängen war die Bundesregierung erfolgreich, wie man in immer mehr Ländern sieht. Wenn sich Länder der gemeinsamen Verantwortung dauerhaft verweigern, dann sollte es Sanktionsmöglichkeiten geben, die sich weitestgehend der politischen Opportunität entziehen. Zweitens müssen für die Zeit nach 2013 die privaten Gläubiger an den Folgen von Krisen beteiligt werden können. Gewinne beim Investor, Verluste beim Steuerzahler - das legte die Axt an die Wurzel Europas.

Frage:
Zu einer ganz anderen Krise: Droht ein neuer Korea-Krieg?

Es ist eine ernste Situation, von der wir hoffen, dass sie nicht weiter eskaliert. Wir begrüßen die besonnene Reaktion des südkoreanischen Präsidenten auf die aggressive Gewaltanwendung Nordkoreas. Eine Schlüsselrolle spielt China. Es zeigt sich, wie wichtig eine intensive, faire und partnerschaftliche Zusammenarbeit mit China und Russland ist. Wir haben das gesehen bei der gemeinsamen Haltung in Sachen Sanktionen gegen den Iran. Wir setzen nun auch im Falle Koreas auf eine konstruktive Rolle Chinas. Aber wir müssen in Deutschland und Europa anerkennen, dass wir bei der Lösung mancher regionaler Konflikte nicht auf dem Fahrersitz sitzen, sondern einfach hilfreich sein müssen.

Frage: Im Streit über das iranische Atomprogramm scheinen die Sanktionen des UN-Sicherheitsrates bisher kaum zu fruchten, oder?

Die UN-Sanktionen wurden ja noch einmal erweitert durch ein geschlossenes Handeln der 27 EU-Staaten. Auch wenn die iranische Führung immer wieder betont, dass sie das nicht beeindruckt, habe ich doch das Gefühl, dass genau dies der Fall ist. Die Tatsache, dass mutmaßlich am 5. Dezember der Gesprächsfaden wieder aufgenommen wird, bietet eine Chance. Wenn sich der Iran nuklear bewaffnen würde, bestünde die Gefahr, dass sich in wenigen Jahren eine Handvoll weiterer Staaten nuklear bewaffnet - und irgendwann auch Terrorgruppen Zugang zu Atomwaffen bekommen. Abrüstung und nukleare Nichtverbreitung sind deshalb eine Menschheitsaufgabe, nicht weniger wichtig als der Klimaschutz.

Frage: So lange es Atomwaffen gibt, bleibt die Nato ein nukleares Bündnis. Das steht in der neuen Nato-Strategie. Sieht so ein Bekenntnis zu nuklearer Abrüstung aus?

Den Satz sage ich doch auch. Solange es Nuklearwaffen gibt, braucht die Nato für unsere Sicherheit Nuklearwaffen. Der Vision einer atomwaffenfreien Welt werden wir nur Schritt für Schritt und manchmal nur millimeterweise näherkommen. In jedem Fall setzt das voraus, dass wir uns aktiv um Abrüstung und Rüstungskontrolle bemühen - so wie es die neue Nato-Strategie auch dank unseres Drängens nun vorsieht.

Frage: Bereuen Sie es, so konkret geworden zu sein mit Ihrer Forderung nach einem Abzug der US-Atomwaffen aus der Eifel?

Nein, und es sind doch auch hier erste Erfolge zu erkennen, nämlich, dass endlich eine Diskussion über die Reduktion der substrategischen Atomwaffen begonnen hat, die im letzten Nato- Konzept noch als unverzichtbar beschrieben wurden. Ich habe nie gesagt, dass wir im Falle einer Regierungsbeteiligung einen Lkw in die Eifel schicken, die letzten Atomwaffen verladen und außer Landes bringen. Ich habe immer gesagt: Das ist eine Angelegenheit, die wir im Bündnis machen. Alleingänge gibt es mit mir nicht. Selbstverständlich wollen wir, dass Russland, das mutmaßlich hundert Mal mehr taktische Atomwaffen besitzt, in diesen Abrüstungsprozess mit einbezogen wird.

Frage: Sie haben diese Woche mit dem Isaf-Kommandeur General Petraeus gesprochen. Was hält der von Ihrer Ankündigung, im Jahr 2012 mit der Reduzierung der deutschen Truppen in Afghanistan zu beginnen?

Ich habe sehr viel Übereinstimmung vernehmen können. Auch US-Präsident Barack Obama hat sich ähnlich geäußert. Natürlich muss man immer den Vorbehalt machen, dass die Bedingungen stimmen müssen.

Frage: Diese Terminankündigungen sind doch sehr stark innenpolitisch begründet. Sie alle haben es mit Bevölkerungen zu tun, die den Afghanistan-Einsatz mehrheitlich ablehnen.

Dem widerspreche ich ganz energisch. Hier geht es um Verantwortung für den Erfolg des Afghanistan-Einsatzes und nicht um innenpolitische Überlegungen. Wir brauchen diesen Zeitplan, um ausreichenden Handlungsdruck zu schaffen, damit die Aufgaben erfüllt werden, die die Voraussetzungen für den Abzug schaffen, also insbesondere die Übergabe der Sicherheitsverantwortung und die dafür notwendige Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte. Im Jahr 2014 soll Afghanistan vollständig die Sicherheitsverantwortung übernehmen.

(...)

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