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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungs­­­­­pressekonferenz vom 21.02.2024

21.02.2024 - Artikel

Mögliche weitere Lieferungen von Waffen und Rüstungsgütern in die Ukraine

Frage

Meine Frage geht wahrscheinlich an das Auswärtige Amt, aber auch an das BMVg. Heute wird im AStV II in Brüssel noch einmal über die Europäische Friedensfazilität gesprochen. Unseren Information zufolge ist Deutschland weiterhin ein Land, das einen Deal blockiert, weil wir ja fordern, dass die eigenen nationalen Leistungen dabei angerechnet werden.

Können Sie Ihre Position noch ein bisschen genauer erläutern?

Vor allem: Rechnen Sie damit, dass es dennoch zu einer Einigung kommen könnte?

Deschauer (AA)

Vielen Dank für Ihre Frage, die sich so, wie ich sie verstehe, im Grundsatz auf militärische Ukraineunterstützung bezieht. Sie wissen, dass Deutschland ein ganz maßgeblicher Unterstützer ist und seit Beginn des russischen Angriffskriegs bereits zivile wie militärische Unterstützung in Höhe von 28 Milliarden Euro getätigt hat. Sie wissen, dass die Bundesregierung, die Ministerin und verschiedene andere Stimmen aus der Bundesregierung, die eindeutige Unterstützung für die Ukraine mehrfach betont und allein in diesem Jahr ‑ das kann der Kollege aus dem BMVg vielleicht noch genauer ausführen, bereits militärische Unterstützung bilateraler Art in Höhe von über sieben Milliarden Euro angekündigt und vorgesehen hat. Ein sehr substanzielles Paket militärischer Unterstützung, mehr als 1,1 Milliarden Euro, wurde im Kontext der Münchner Sicherheitskonferenz von den zuständigen Stellen angekündigt. Sie können dem entnehmen, wie sehr Deutschland der militärischen und zivilen Unterstützung der Ukraine in ihrem Kampf im russischen Angriffskrieg verpflichtet ist.

In diesen gesamten Instrumentenkasten gehört natürlich auch das, was Sie jetzt ansprechen, ein Mittel, über das derzeit in laufender Sitzung in Brüssel im AStV beraten wird. Wir schauen als Bundesregierung immer sehr genau, wie wir bestmöglich unterstützen können. Es geht nicht um das Ob. Das ist auch Gegenstand aktueller Beratungen, in die ich jetzt, im Moment an dieser Stelle sitzend, natürlich nicht hineinschauen kann und denen ich auch nicht vorgreifen kann.

Collatz (BMVg)

Die jüngsten Pakete ‑ danke, Frau Deschauer ‑ sind genannt. Auch an dieser Stelle haben wir oft darüber gesprochen, wie sich auch die Bundeswehr in die Unterstützung der Ukraine einbringt. Gemeinsam finanzieren wir das über den Einzelplan 60. Sicherlich spielt dabei auch die Finanzierung auf europäischer Seite eine große Rolle. Wir vertrauen weiterhin darauf, dass die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union gut sein wird.

Zusatzfrage

Herr Collatz, nun kam aus Dänemark die Meldung, dass man alle Lagerbestände an Artilleriegeschossen komplett abgeben wolle. Wäre etwas Vergleichbares für Deutschland vorstellbar?

Collatz (BMVg)

Die identische Frage habe ich letztes Mal schon beantwortet. Sie können ins Protokoll schauen.

Frage

Herr Hebestreit, wie versteht der Bundeskanzler die Formulierung in dem Antrag der Fraktionen von SPD, Grünen und FDP, dass zusätzlich erforderliche weitreichende Waffensysteme an die Ukraine geliefert werden sollen? Ist aus seiner Sicht damit auch Taurus gemeint?

Hebestreit (BReg)

Der Bundeskanzler hat sich verschiedentlich zu seiner Position zu diesem einen besonderen Waffensystem eingelassen. Er unterstützt den gemeinsamen Antrag der Koalitionsfraktionen aus vollem Herzen.

Zusatz

Das ist keine Antwort auf die Frage, ob damit aus Sicht des Kanzlers auch Taurus gemeint sei und inwiefern der Kanzler für eine Taurus-Lieferung ist.

Hebestreit (BReg)

Ich finde, schon.

Frage

Herr Hebestreit, dann versuche ich es noch einmal, weil ich auch nicht finde, dass die Frage beantwortet wurde. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, was mit der Formulierung „weitreichenden Waffen“ gemeint sein könnte. Ein System wäre Taurus, aber es gibt auch andere. Deswegen ist die Frage berechtigt, was denn der Kanzler unter diesen weitreichenden Waffen versteht.

Hebestreit (BReg)

Ich finde das gar nicht so schwierig. Das ist doch eher Niveau neunte Klasse, Deutschunterricht. Wenn man sagt, es sei weiterhin bei seiner Position, was die Lieferung eines besonderen Waffensystems angehe, dann bleibt er bei seiner Position. Wenn man den zweiten Satz sagt, dass er den Koalitionsfraktionsantrag aus vollem Herzen unterstütze, haben Sie, denke ich, Ihre Antwort.

Zusatz

Ich habe zwar mehr als die neunte Klasse hinter mir, aber verstanden habe ich Sie, ehrlich gesagt, immer noch nicht. Es gibt, wie gesagt, verschiedene Möglichkeiten, und die Frage des Kollegen bezog sich darauf, ob der Kanzler mit diesem Antrag ein anderes Waffensystem meint als Taurus.

Hebestreit (BReg)

Der Antrag ist ja nicht vom Kanzler, sondern es ist der Antrag der Koalitionsfraktionen.

Zusatz

Nein, aber er wird ja wahrscheinlich als Abgeordneter mit abstimmen.

Hebestreit (BReg)

Wenn ich die Debatte der letzten 24 Stunden, auch die Debatte zwischen einzelnen Vertretern der Koalitionsfraktionen betrachte, dann sehe ich, dass sich eigentlich alle einig sind, was das zu bedeuten hat. Denn es gibt ja sogar einzelne Stimmen, die sagen, deswegen würden sie einem anderen Antrag zustimmen. Insofern sehe ich das doch sehr gelassen und würde sagen, dass das, was darunter zu verstehen ist, das ist, was der Bundeskanzler darunter versteht, und das ist kohärent mit seiner Positionierung.

[…]

Frage

Herr Hebestreit, ich versuche auch, Ihren Satz zu verstehen. Sie haben gesagt, was die Lieferung eines bestimmten Waffensystems angehe, bleibe der Kanzler bei seiner Meinung. Das heißt: Taurus, nein, aber er unterstützt den Antrag, was weitführende Waffen angeht. ‑ Was unterstützt er denn dann?

Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, dann steht im Antrag auch, dass man die Ukraine in die Lage versetzen solle, sogar weit hinter den Frontlinien Angriffe durchzuführen. Heißt das womöglich, dass man beim Ringtausch mit Großbritannien etwas machen könnte, um die Ukraine in diese Lage zu versetzen, oder wie soll sie in diese Lage versetzt werden?

Hebestreit (BReg)

Vielleicht muss ich mich bei allen Neuntklässlerinnen und Neuntklässlern an dieser Stelle entschuldigen. Vielleicht ist es doch komplizierter, wenn so viele Fragen nach der aus meiner Sicht doch sehr klaren Positionierung kommen.

Der Bundeskanzler hat sich zu diesem einen Waffensystem wiederholt und, wie ich meine, zuletzt in der vergangenen Woche in einer großen süddeutschen Zeitung klar geäußert. Wenn er heute diesen Antrag unterstützt und man gleichzeitig sieht, dass seine Haltung die ist, die er in der vergangenen Woche geäußert hat, ist doch zwangslogisch, was er unter dem Begriff, der in diesem Koalitionsantrag klug formuliert aufgeführt worden ist, versteht. So geht es auch den allermeisten, die diesen Antrag formuliert und gelesen haben und ihn interpretieren.

Dann habe ich sogar noch darauf hingewiesen, dass es einzelne Koalitionspolitikerinnen und Koalitionspolitiker gibt, die, weil sie ihn genauso interpretieren, wie ihn der Bundeskanzler interpretiert, gesagt haben, dass sie sich mit dem Gedanken tragen, auch einem anderen Antrag zuzustimmen, der dieses eine Waffensystem sehr klar nennt.

Ich denke, wenn man sich all diese Teile zusammenlegt ‑ okay, ich sage mal: Oberstufe, 11. Klasse, Deutsch ‑, dann hat man das.

Zusatzfrage

Aber wenn es so klar ist, dann sagen Sie doch einmal ganz klar: Was versteht er darunter? ‑ Denn das ist mir nicht klar.

Hebestreit (BReg)

Ich sage das so unklar, wie ich es sage.

Frage

Es freut mich, dass wir mittlerweile bei der 11. Klasse sind. Es geht dann noch weiter.

Hebestreit (BReg)

Sie haben bei REUTERS hoffentlich meine Entschuldigung bei allen Neuntklässlerinnen und Neuntklässlern verbreitet!

Frage

Akzeptiert für die Neuntklässler! Wir machen dann mit den Elftklässlern weiter.

Hat der Kanzler eigentlich ein Problem damit, dass einzelne Koalitionsabgeordnete den ungewöhnlichen Schritt gehen und für einen Oppositionsantrag stimmen wollen, oder finden Sie, dass das eine Frage ist, in der man den Fraktionen auch einen Gewissensentscheid zumessen kann?

Hebestreit (BReg)

Über die Frage, ob etwas eine Gewissensentscheidung im Sinne der Fraktionsdisziplin ist oder nicht, entscheiden die Fraktionsspitzen. Darüber entscheidet niemand sonst. Meines Erachtens hat niemand entschieden, dass das eine Gewissensfrage in diesem Sinne ist.

Ansonsten muss jeder Abgeordnete und jede Abgeordnete Verantwortung für sein Handeln übernehmen. Dazu hat der Bundeskanzler vielleicht eine Meinung, aber die behält er für sich.

Frage

Ich hatte auch noch nach dem Ringtausch gefragt. Es gab das Angebot aus Großbritannien. Können Sie darüber etwas Neues vermelden?

Hebestreit (BReg)

Ich glaube, ich habe schon an anderer Stelle gesagt, dass ich nie von einem Angebot aus Großbritannien gesprochen und auch nie etwas davon gehört habe. Insofern kann ich dazu auch nichts Neues vermelden.

Zusatzfrage

Wird also auch von deutscher Seite aus nicht erwogen, so etwas zu tun?

Hebestreit (BReg)

Ich glaube, das ist im Moment nicht akut. Ich könnte jetzt wieder denjenigen, die hier regelmäßig sind, meine drei Prinzipien aufführen. Das heißt: Wir unterstützen die Ukraine so stark, wie es irgend geht. Wir sorgen dafür, dass weder Deutschland noch die NATO Kriegspartei in dieser Auseinandersetzung wird. Wir stimmen uns eng und vertrauensvoll mit unseren Partnern und Verbündeten ab, allen voran mit den Vereinigten Staaten.

Frage

Vielleicht kann der Fachmann ein bisschen erhellende Informationen beisteuern. Herr Collatz, welche weitreichenden Waffensysteme, wenn man den Taurus, der ja ausdrücklich nicht gemeint ist, ausnimmt, hat die Bundeswehr denn dann eigentlich anzubieten, oder richtet sich dieser Antrag am Ende an unsere europäischen und weiteren Verbündeten, sodass diese dann diese Waffensysteme liefern sollen?

Collatz (BMVg)

Nun bin ich ja mehr Fachmann für Flugabwehrangelegenheiten, und da sind die Reichweiten deutlich geringere. Nein, ich habe dazu keine ergänzenden Angaben zu machen. Sie können sich auf unserer Technikseite online umschauen. Dort sind sämtliche Waffensysteme aufgeführt. Da stehen auch Angaben zu Reichweiten. Es tut mir leid.

Frage

Herr Hebestreit, Sie haben das Interview in der „Süddeutschen Zeitung“ angesprochen. Darin wird der Bundeskanzler gefragt, ob Deutschland doch Taurus an die Ukraine liefern werde. Die Antwort darauf: Deutschland liefert die Waffen, auf die es jetzt ankommt.

Auf welche Waffen genau kommt es aus Sicht des Kanzlers denn jetzt an? Das sagt er da ja auch nicht.

Hebestreit (BReg)

Doch! Aber offenbar ist das ‑ ‑ ‑ Deutschland liefert die Waffen, auf die es jetzt ankommt. Auf welche Waffen kommt es an? ‑ Auf die, die Deutschland liefert.

(Zuruf: Das ist jetzt schon 13. Klasse!)

‑ Nein! Ich habe Hessenabitur; das war 10. Klasse!

Aber bevor ich Sie jetzt alle in die Verzweiflung stürze: Auf der Seite des Bundespresseamtes auf bundesregierung.de gibt es eine ganze Auflistung von Waffen, die wir der Ukraine zur Verfügung stellen.

Vielleicht noch einmal den Disclaimer vor die Klammer: Vielleicht haben einige von Ihnen am vergangenen Freitag der Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten beigewohnt, auf der er wie auch immer bei den vergangenen Begegnungen doch auch viele lobende Worte für das Engagement und auch die militärischen Waffenlieferungen der Bundesrepublik Deutschland gefunden hat. Wir sind nach den USA nicht nur finanziell, sondern auch, was das Volumen unserer Militärhilfen angeht, die stärksten Unterstützer der Ukraine, und zwar kontinuierlich. Wir sind auch kontinuierlich dabei, immer wieder zu versuchen ‑ so schwer das ist ‑, weitere Munitionen, weitere Waffensysteme, weitere Waffenträger zu organisieren, die dann in die Ukraine gebracht werden können. Sie sehen auch immer wieder, was da an Steigerungen auf der Liste nachzuvollziehen ist, was Flugabwehr angeht, was die Artilleriemunition angeht, was die Lieferung von Panzern angeht, von Leopard 1, Leopard 2. Wir haben in Europa eine ganze Koalition an Unterstützung organisiert, auch die Maintenance, also die Wartung und Wiederinstandsetzung von Militärgerät, das in der Ukraine ist.

Also, bei aller Liebe für dieses eine Waffensystem: Die Debatte im Augenblick ist doch etwas sehr fokussiert, wenn man sie in der Gesamtschau anblickt. Das heißt nicht, dass sie deswegen absurd wäre oder so, aber es ist ein bisschen absurd, uns darauf zu kaprizieren und all das, was diese Regierung tut, und zwar so stark wie nach den Amerikanern, die den größten Wehretat der Welt haben ‑ ‑ ‑ Ich glaube, alle anderen, die nächsten 20 zusammen, haben den gleich großen Wehretat wie die Amerikaner. Wenn man sich das alles betrachtet, sollte man doch mit geradem Rücken und auch sehr selbstbewusst das deutsche Engagement sehen und würdigen.

Frage

Nur um das zu klären, ungeachtet der großen deutschen Waffenlieferungen: Der Grund für die Frage nach Taurus ist ja, dass es aus der Ukraine durchaus den Wunsch danach gab. Wenn Sie jetzt „Wir liefern alles, was nötig ist“ sagen, heißt das, dass der Kanzler vom ukrainischen Präsidenten den Wunsch nach einer Taurus-Lieferung gar nicht erhalten hat? Denn der müsste ja eigentlich entscheiden können, was notwendig ist.

Hebestreit (BReg)

Dann langweile ich Sie noch einmal mit meinen drei Prinzipien, die zu betonen wir seit zwei Jahren nicht müde werden. Das Prinzip zwei heißt: Wir liefern alles, aber sorgen dafür, dass weder Deutschland noch die NATO Kriegspartei wird. Prinzip drei heißt: Wir stimmen uns eng mit unseren internationalen Partnern und Verbündeten ab, allen voran mit den Vereinigten Staaten. Den ersten Satz, den wir gesagt haben, lautet: Wir unterstützen die Ukraine so stark, wie es nötig ist. – Aus dieser immer wieder vorgenommenen Abwägung heraus liefern wir das, was wir für verantwortbar und auch abkömmlich halten. Sie haben es gehört: Die dänische Regierung hat jetzt gerade beschlossen, ihre gesamte Artilleriemunition zu liefern. Das tun wir nicht, sondern wir liefern das, was wir für verantwortbar halten. Auch wir sind weiterhin für die Bündnis- und Landesverteidigung zuständig und müssen diese Aufgabe auch erfüllen können. Das ist immer wieder die Abwägung, die wir zu treffen haben.

[…]

Präsidentschaftswahl in der Ukraine

Frage

Die Frage geht an Frau Deschauer, denke ich. Im März dieses Jahres wären eigentlich turnusmäßig Präsidentschaftswahlen in der Ukraine fällig. Präsident Selensky lehnt die Durchführung dieser Wahlen jetzt ab. Die Bundesregierung hat sich immer sehr dafür eingesetzt, dass Wahlen als demokratischer Prozess überall durchgeführt werden, wo sie anstehen.

Wie bewerten Sie die Absage dieser Wahlen durch Selensky?

Hebestreit (BReg)

Ich kann das vielleicht für die Bundesregierung erklären. Ich weiß nicht, ob Sie es mitbekommen haben, aber im Augenblick läuft ein russischer Überfall, ein harter Angriffskrieg in der Ukraine mit mehreren Hunderttausend Toten und Verletzten. In dieser Situation ist die Durchführung demokratischer Wahlen, die ja landesweit geschehen müssten, doch nur sehr schwierig vorstellbar ist. Insofern wundere ich mich ein bisschen über Ihre Frage.

Sie wissen, dass die Ukraine, auch von uns unterstützt, eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union zum Ziel hat. Dafür gilt es auch, klare demokratische Prozesse einzuhalten. Die Ukraine ist auch willens. Aber die Situation im Augenblick in der Ukraine lässt die Durchführung von Wahlen doch nicht ernsthaft möglich erscheinen.

Zusatzfrage

Sie wundern sich über meine Frage. Ich wundere mich eigentlich darüber, dass Sie denken, ich hätte den Überfall und Angriffskrieg nicht mitbekommen.

Legitimieren also die Verhältnisse in der Ukraine es aus Ihrer Sicht, zu sagen: „Diese Wahlen finden jetzt nicht statt“?

Hebestreit (BReg)

Ich dachte, ich hätte das schon in meinem ersten Beitrag gesagt. Aufgrund der aktuellen Kriegssituation in der Ukraine wäre die Durchführung landesweiter demokratischer Wahlen massiv eingeschränkt und ist dadurch gar nicht möglich. Insofern haben wir Verständnis für die Verschiebung der Wahlen.

Anhörung vor dem Londoner High Court zur möglichen Auslieferung von Julian Assange an die USA

Frage

Frau Deschauer, heute wird in Großbritannien die mögliche Auslieferung von Julian Assange verhandelt. Die Bundesaußenministerin hat sich zu einem früheren Zeitpunkt, als sie noch nicht Außenministerin war, sehr stark für die sofortige Freilassung von Herrn Assange eingesetzt. Was sagt sie heute zu dem Verfahren? Werden sie oder auch die Beauftragte für Menschenrechtspolitik, von der ich meine, auch noch nichts gehört zu haben, sich irgendwie zu Wort melden?

Deschauer (AA)

Vielen Dank für Ihre Frage. Sie nehmen Bezug auf ein laufendes Verfahren, das gerade seit gestern und heute vor dem High Court in London stattfindet und das wir als Bundesregierung wie aber natürlich auch die Außenministerin und die Menschenrechtsbeauftragte genau verfolgen. Die Menschenrechtsbeauftragte hat sich in der vergangenen Woche auf X dazu eingelassen. Darauf verweise ich einfach. Das können Sie vielleicht noch einmal nachlesen.

Inhaltlich kann ich die Position der Bundesregierung und der Außenministerin noch einmal darstellen. Sie hat sich auch in der Vergangenheit dazu geäußert. Es ist so, dass wir Diskrepanzen zwischen unserem Rechtsverständnis und dem Rechtsverständnis der Vereinigten Staaten von Amerika sehen, was die Bedeutung von Pressefreiheit in diesem konkreten Fall angeht. Es gibt ein Bundesverfassungsgerichtsurteil ‑ ich meine, aus dem Jahr 2007 ‑, das deutlich gemacht hat, dass bei Tatbeständen wie etwa Geheimnisverrat der Bedeutung der Pressefreiheit Rechnung getragen werden muss. Die unterschiedliche Rechtsposition in diesem sehr konkreten Fall bringt die Bundesregierung auch gegenüber den Ansprechpartnern ‑ das heißt, den Ansprechpartnern in den Vereinigten Staaten und im Vereinigten Königreich ‑ sehr deutlich und sehr klar zum Ausdruck, in der Vergangenheit, aber auch in laufenden Gesprächen. Wir haben den Fortgang natürlich gestern beobachtet und beobachten ihn heute. Die Haltung der Bundesregierung und der Außenministerin ist sehr klar in dieser Hinsicht.

Frage

Frau Deschauer, sind denn Vertreter oder Vertreterinnen der Bundesregierung im Gerichtssaal vertreten? Das war ja in früheren Fällen schon einmal der Fall.

Herr Hebestreit, wie wirkt der Kanzler bei diesem Verfahren mit? Hat er den US-Präsidenten auf die Diskrepanzen, auf die Frau Deschauer gerade in Sachen Rechtsverständnis hingewiesen hat, denn bei seinem Besuch im Weißen Haus vor ein paar Tagen hingewiesen?

Deschauer (AA)

Ich kann vielleicht auf die erste Frage antworten: Ja, ein Vertreter der Botschaft wird dabei sein.

Hebestreit (BReg)

Das Thema Julian Assange hat beim Besuch des Bundeskanzlers im Weißen Haus vor knapp zwei Wochen keine Rolle gespielt.

Zusatzfrage

Obwohl das so ein elementares Verfahren ist, obwohl dabei europäisches und US-amerikanisches Verständnis über Recht und Menschenrechte und Presserechte so weit auseinanderliegen, ist das ausgerechnet, wenn man im Weißen Haus ist, kein Thema?

Hebestreit (BReg)

Nein. Der Bundeskanzler hat sich bei seinem Besuch beim amerikanischen Präsidenten auf die Lage in der Ukraine konzentriert, die militärische Unterstützung, die für die Ukraine nötig ist, und mit dem amerikanischen Präsidenten über verschiedene andere, sehr zentrale weltpolitische Fragen gesprochen. Ich glaube, man kann eine ganz lange Liste von Themen aufstellen, die wichtig sind und die man gerne miteinander besprechen würde, aber man muss da Prioritäten setzen, und das ist auch in diesem Fall geschehen.

Frage

Die Kollegin von der ARD hat ja schon darauf hingewiesen, dass Annalena Baerbock kurz vor Amtsantritt öffentlich die sofortige Freilassung von Julian Assange gefordert hat. Begründet hatte sie das damals, wenn ich kurz zitieren darf, mit schwerwiegenden Verstößen gegen das Verbot von Folter und gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Da würde mich interessieren: Sieht denn die Außenministerin nach wie vor diese schweren Verstöße gegen das Folterverbot und gegen ein faires Verfahren im Falle von Julian Assange als gegeben an?

Deschauer (AA)

Ich glaube, ich habe eben sehr deutlich gemacht, was die Haltung der Bundesregierung und der Außenministerin ist und wie sie in ihren Gesprächen wirkt und sich einlässt. Detaillierter berichten wir nicht aus Gesprächen, die mit Partnern geführt werden; das wissen Sie auch. Es gibt ein divergierendes Rechtsverständnis. Aus gutem Grunde wären entsprechende Handlungen in unserem Rechtssystem nicht strafbewehrt, so nennt sich das. Diese Haltung hat sich nicht geändert, und die vertritt die Außenministerin klar, auch in entsprechenden Austauschen mit ihren britischen und amerikanischen Kollegen.

Vielleicht ergänzend, weil Sie gerade eine Frage stellten, möchte ich noch eine Präzisierung anführen. Es ist so, aber dafür müssten Sie sich vielleicht im Detail an die britischen Behörden bzw. den High Court selbst wenden, dass es von der logistischen Organisation her so ist, dass aufgrund des großen Interesses natürlich nur ein begrenzter Anteil von Menschen direkt in dem Saal beiwohnen kann. Die Behörden stellen dann die Möglichkeit zur Verfügung, dass die gestern und heute stattfindenden Anhörungen für einen erweiterten Kreis in Nebensälen verfolgt werden können. Insofern eine Präzisierung, um das noch einmal präziser klarzustellen: Ja, wir sind über einen Kollegen der deutschen Botschaft vertreten.

Zusatzfrage

Frau Deschauer, ich hatte ja auch darauf verwiesen, dass Frau Baerbock damals von schwerwiegenden Verstößen gegen das Folterverbot gesprochen hat. Sieht die Außenministerin denn nach wie vor schwere Verstöße gegen das Folterverbot im Falle von Julian Assange als gegeben an?

Deschauer (AA)

Ich kann Ihnen sagen, dass wir als Bundesregierung und Außenministerin keine Zweifel an einem im Vereinigten Königreich jetzt laufenden rechtsstaatlichen Verfahren haben und im Moment keinen Anlass haben, diesen Zweifel zu äußern. Die Position der Bundesregierung und der Außenministerin, dass es eine inhaltlich unterschiedliche Bewertung in der Sachfrage gibt, habe ich klargemacht.

Frage

Unterstützt die Außenministerin die Forderung des australischen Parlaments, also aus Assanges Heimatland, Assange zu entlassen und nach Australien ausreisen zu lassen?

Deschauer (AA)

Die Außenministerin macht deutlich, dass aus gutem Grunde in unserem Rechtssystem die entsprechenden Handlungen nicht strafbewehrt wären, und kommuniziert das in aller Deutlichkeit gegenüber ihren Partnern in Gesprächen, und zwar den britischen und den amerikanischen Partnern.

Zusatzfrage

Das war eine deutliche Nichtbeantwortung der Frage, “sorry to say”. Es gibt offenbar ‑ das wird jedenfalls berichtet ‑ Aussagen der US-amerikanischen Regierung, dass Assange im Falle einer Verurteilung in den USA die Verbüßung der Strafe in Australien ermöglicht werde, und dann könne die australische Regierung ihn ja begnadigen. Das würde also sozusagen für Assange eine Freilassung innerhalb absehbarer Zeit bedeuten. Kennt die Außenministerin solche Zusagen bzw. fordert oder erwartet sie, dass die US-amerikanische Regierung die Zusage einer solchen Möglichkeit oder Absicht öffentlich macht?

Deschauer (AA)

Ich habe jetzt von dieser Stelle aus ein laufendes rechtsstaatliches Verfahren und entsprechende mögliche Entscheidungen, die wir sicherlich in den kommenden Tagen erfahren werden, nicht weiter zu kommentieren. Deswegen bitte ich um Verständnis. Die Position der Bundesregierung und der Außenministerin ist sehr klar. Die habe ich hier vorgetragen. Sie ist übrigens auch nicht anders, als wir sie in der Vergangenheit vorgetragen haben. Ich würde es dabei bewenden lassen.

Frage

Entschuldigen Sie, Frau Deschauer, ich habe es noch nicht ganz erfasst. Frau Baerbock sagte also im Herbst 2021, sie sehe schwerwiegende Verstöße gegen das Folterverbot und gegen ein Recht auf ein faires Verfahren. Wenn ich es jetzt richtig verstanden habe, sieht Frau Baerbock mittlerweile, Februar 2024, keine Verstöße mehr, weder gegen das Folterverbot noch gegen ein Recht auf ein faires Verfahren.

Deschauer (AA)

Ich habe auch darauf verwiesen, wie sich die Außenministerin geäußert hat. Insofern habe ich dem nichts mehr hinzuzufügen.

Zusatz

Das ist ja eine einfache Ja-Nein-Frage!

Deschauer (AA)

Ich habe Ihre Frage beantwortet, und im Übrigen beantworte ich die so, wie ich sie beantworten möchte.

Nahostkonflikt

Frage

An Frau Deschauer zum Thema Gaza: Wie bewerten Sie das gestrige Veto der Amerikaner gegen die UN-Resolution?

Deschauer (AA)

Ich habe das Veto bzw. die Positionierung eines Sicherheitsratsmitglieds nicht zu bewerten. Wie Sie wissen, sind wir derzeit selbst nicht im Sicherheitsrat; das hatten wir hier schon am Montag besprochen, als wir über den Resolutionsentwurf der algerischen Vertretung in New York sprachen. Sie kennen ja auch die Möglichkeit, dass nach einer abgelehnten Sicherheitsratsresolution aufgrund eines Vetos oder aufgrund dessen, dass nicht die für eine Annahme notwendige Mehrheit zustande gekommen ist, die Gespräche weitergehen und es gegebenenfalls auch Initiativen in der Generalversammlung geben können. Dem will ich nicht vorgreifen, aber diese Möglichkeit besteht. Die Positionierung der amerikanischen Kolleginnen und Kollegen habe ich nicht zu bewerten.

Zusatzfrage

Der Hintergrund meiner Frage ist, dass 26 EU-Außenminister eine sofortige humanitäre Feuerpause gefordert hatten und das ja im Sinne der UN-Resolution gewesen wäre. Dementsprechend hätte es ja sein können, dass Sie dieses US-Veto kritisch sehen.

Noch zu dieser Forderung der EU-Staaten, die Herr Borrell am Montagabend verkündet hatte: Derselbe Herr Borrell hatte in der Woche vorher zum Thema US-Unterstützung für Israel und den Waffenlieferungen gesagt: Wenn man der Meinung ist, dass zu viele Menschen getötet werden, sollte man vielleicht weniger Waffen liefern, um zu verhindern, dass so viele Menschen getötet werden. Da sich Deutschland der Forderung nach einer sofortigen humanitären Feuerpause im Gazastreifen angeschlossen hat: Heißt das, dass Sie dieser Logik von Herrn Borrell nachkommen und jetzt erst einmal keine Waffen an Israel liefern? Denn man kann ja nicht beides machen: Waffen liefern und gleichzeitig sagen „Hört auf“.

Deschauer (AA)

Sie fügen in Ihrer Frage verschiedene Elemente oder Aspekte zusammen. Ich versuche es kurz zu sortieren. Die Position wird Sie nicht überraschen: Genauso wenig, wie ich die US-Positionierung kommentiere, werde ich von dieser Stelle aus die Aussage von Herrn Borrell kommentieren.

Was ich sagen kann, ist, dass die Ministerin sich am Montag am Rande des Außenrates öffentlich geäußert hat und dass ‑ Sie sagen es ‑ 26 EU-Mitgliedstaaten sich in einem Statement, in einer gemeinsamen Erklärung geäußert haben und die Dramatik der humanitären Lage vor Ort sowie ihre Sorge zum Ausdruck gebracht haben. Sie haben auch zum Ausdruck gebracht, dass eine humanitäre Feuerpause dringend notwendig ist, um die Lage der Menschen zu verbessern. Das ist eine Position, die die Außenministerin schon seit Langem vorbringt und für die sie in ihren Gesprächen in der Region wirbt, zuletzt in der vergangenen Woche auch in Israel. Das ist auch die Position, die dann gemeinsam im EU-Rahmen zum Ausdruck gekommen ist.

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