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Außenministerin Annalena Baerbock bei der Einbringung des Bundeshaushalts 2022 zum Einzelplan 05, Auswärtiges Amt, im Deutschen Bundestag

23.03.2022 - Rede

Ich zitiere: „Natürlich kann (Putin) einen Menschen töten. Natürlich kann er ein Land überfallen. Aber wenn die ganze Welt zusammenarbeitet, dann ist er verloren. Dann gewinnen wir.“

Zitat Ende.

So hat es die ukrainische Schriftstellerin Tanja Maljartschuk vor kurzem ausgedrückt und hinzugefügt:

„Die einzige Möglichkeit, zu widerstehen, ist, keine Angst zu haben.“

Das muss Maßstab sein, und das ist der Maßstab unseres außen- und sicherheitspolitischen Handelns.

Das ist unser Auftrag: zusammenzustehen, zu handeln, mit Mut und mit einer klaren Haltung. Darauf kommt es jetzt in der Außen- und Sicherheitspolitik an, im Lichte des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges von Russland, aber auch darüber hinaus.

Dafür brauchen wir einen doppelten strategischen Ansatz.

Zum einen müssen wir in der Lage sein, kurzfristig und pragmatisch jetzt zu handeln, und zweitens müssen wir zugleich unsere langfristigen Ziele entschlossen verfolgen. Dafür dient unsere nationale Sicherheitsstrategie, wobei ich mich sehr darauf freue, sie gemeinsam mit Ihnen zu erarbeiten.

Auf diesem doppelten strategischen Ansatz - ja, das ist eine Herausforderung - fußt auch unser gemeinsamer Haushalt.

Akut müssen wir jetzt alles dafür tun, dieses furchtbare Leid der Ukrainerinnen und Ukrainer irgendwie abzumildern. Der Brutalität dieses Krieges setzen wir Menschlichkeit entgegen, mit humanitärer Hilfe, mit medizinischer Versorgung, mit Schlafsäcken, mit Lebensmitteln, mit allem, was jetzt so dringend gebraucht wird und nötig ist.

Es ist sehr gut und wichtig, dass wir für die Ukraine einen Sondermittelposten von 1 Milliarde Euro in diesem Haushalt geschaffen haben. Ein Drittel davon geht jetzt direkt in die humanitäre Hilfe. Es ist auch klar - es kann leider niemand vorhersehen, wie viel wir noch brauchen werden -, dass wir weitere Mittel mobilisieren werden, falls wir mehr als diese Milliarde Euro brauchen.

Akut müssen wir jetzt zusätzlich an der Seite unserer Partnerinnen und Partner in Mittel- und Osteuropa stehen. Deswegen arbeiten wir mit Hochdruck - ich habe das jetzt „humanitäre Hubs“ genannt - an Drehscheiben, von wo aus wir aus den unterschiedlichen Ländern Menschen in Sicherheit bringen können, und zwar solidarisch.

Ich habe das vor einer Woche hier schon mal gesagt, ich habe es am Montag im Rat der Außenminister gesagt - Sie hatten gefragt: was machen wir eigentlich bei G 7? -: Ich tue alles dafür, dass wir bei unseren G-7-Treffen dafür sorgen, dass Menschen nicht nur in Europa, sondern auch über den Atlantik verteilt werden; denn diese Menschen können sich nicht freiwillig verteilen. Jeder, der Verwandte oder Freunde irgendwo in Europa hat, kann da hingehen - das ist ja das Gute, dass sie jetzt visumfrei bei uns einreisen können -; aber Stand heute können sie nicht visumfrei in die USA, nach Kanada oder nach Großbritannien. Das ist jetzt unsere gemeinsame Aufgabe.

Diese Millionen Kinder brauchen Schulplätze, Kitaplätze, und es werden weitere kommen.

Die Vereinten Nationen schätzen die Zahl auf 8 Millionen, und das ist nur die Schätzung für die nächsten Wochen. Das bedeutet: Wenn wir - und das ist unsere humanitäre Verantwortung - nicht nur dafür sorgen wollen, sondern sorgen müssen, dass Familien nicht auf der Straße schlafen, dann müssen wir jetzt europaweit und über den Atlantik gemeinsam verteilen.

Klar geht es auch immer darum: „Wer macht was?“; aber auf andere mit dem Finger zu zeigen, ist in solchen Situationen immer das Einfachste. Ich glaube, das Wichtigste ist, sich selber zu fragen: Was tun wir pragmatisch, zügig, und zwar ohne lange Koordinierungsrunden, sondern ganz anpackend in diesen Tagen? Deswegen startet jetzt am Freitag oder Samstag der erste Flug von Moldau direkt nach Deutschland - Rheinland-Pfalz hat als erstes Bundesland zugesagt -, um Geflüchtete aus Moldau herauszubringen. Ich freue mich, dass sich viele, viele andere Länder dieser Initiative angeschlossen haben.

Verantwortung zeigen wollen wir als größte europäische Volkswirtschaft aber auch in der EU, in der NATO und in der G 7.

Wir hatten hier ja auch die Debatte über die Waffenlieferungen. Ich sage da mal ganz ehrlich Danke. Danke, dass Sie auch nachbohren und sagen: Was ist bei den Lieferungen gewesen? Warum hat es gehapert? - Mir geht das auch bis an die Nieren, wenn ich den Anruf von meinem ukrainischen Außenministerkollegen bekomme, der fragt: Wo sind die Waffen? - Natürlich telefonieren wir hinterher und schauen: Wo hat es gehakt? Aber ich kann klar und deutlich sagen: Die weiteren Strela-Lieferungen sind auf dem Weg.

Ich möchte an dieser Stelle auch einmal sagen - und es ist nichts, worauf ich stolz bin; denn ich glaube, wir alle hätten uns gewünscht, dass es keinen Krieg gibt und keine Waffenlieferungen; aber ich sage es hier laut und deutlich, weil es offensichtlich ja immer untergeht: Wir sind einer der größten Waffenlieferer in dieser Situation. Das ist nichts, was uns stolz macht; sondern das ist das, was wir jetzt tun müssen, um der Ukraine zu helfen.

Wir tun alles, dass - weil wir eben nicht viele Waffen haben, die wir selber liefern können - wir mit den Unternehmen in Kontakt sind, um darauf zu drängen, dass weitere Lieferungen möglich werden.

Ja, wir bringen ein Sondervermögen auf den Weg. Und ich hoffe wirklich sehr, dass wir darüber keinen parteipolitischen Streit entfachen. Wir haben eine Zeitenwende eingeleitet.

Ich weiß, Regierungs- und Oppositionsrollen, ich muss mich manchmal auch noch an meine neue Rolle gewöhnen; aber in diesem Moment geht es doch nicht darum, dass man sagt: „Wer hat was zuerst oder zuletzt oder als Zweiter oder als Dritter vorgeschlagen?“; sondern in diesem Moment geht es darum, das, was offensichtlich in der Vergangenheit nicht gut gelaufen ist, besser zu machen.

Und ja, wir Grünen haben gesagt: Vor ein paar Jahren hätten wir vielleicht kein Sondervermögen auf den Weg gebracht. - Aber ist das eine Schwäche?

Ich finde, das ist eine absolute Stärke, zu sagen: Jetzt müssen wir unsere Politik ändern. - Lassen Sie sie uns gemeinsam ändern, auf der Höhe der Zeit, auf der Höhe der Verantwortung! Unsere Verantwortung ist doch, dass wir nicht die Debatten von vor 20 Jahren führen.

Das war auch meine Botschaft auf dem westlichen Balkan. Wir können Ewigkeiten darüber reden, was in der Vergangenheit war; wir müssen die Geschichte kennen, Fehler anerkennen, um es in Zukunft besser zu machen.

Aber die Höhe der Zeit sagt doch: Sicherheit, Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit bedeuten, gerade in der NATO zusammenzustehen. Deswegen haben wir in der NATO die Gespräche darüber geführt: Wie können wir unsere Fähigkeiten einbringen, und zwar nicht nur auf dem Papier?

Alle Ökonomen hier wissen es. Was sind denn das für Fähigkeiten, wenn wir dann, wenn das BIP runtergeht, weniger für Sicherheit machen, und wenn es hochgeht, mehr machen? Es geht um die Fähigkeiten, und deswegen wollen wir gemeinsam mit Ihnen dafür sorgen, dass wir unsere Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit stärken.

Ich sage an dieser Stelle vielleicht auch einmal - ich habe lange überlegt, ob ich darauf reagiere; aber weil es dann zweimal kam, gestern bei Herrn Dobrindt und dann heute bei Ihnen, Herr Merz, mache ich es: Die Bundeswehr hier herauszustellen und dann im gleichen Satz zu sagen: „Okay, Bundeswehr und nicht mehr diese feministische Außenpolitik“. Das bricht mir das Herz.

Und wissen Sie, warum? Weil ich vor einer Woche bei den Müttern von Srebrenica war und die mir beschrieben haben, wie die Spuren dieses Krieges in ihnen drin sind, und gesagt haben: „Frau Baerbock, damals wurde nicht gehandelt, Anfang der 90er-Jahre“, als sie, als ihre Töchter, als ihre Freundinnen vergewaltigt worden sind, Vergewaltigung als Kriegswaffe nicht anerkannt war, nicht vom Internationalen Strafgerichtshof verfolgt wurde.

Deswegen gehört zu einer Sicherheitspolitik des 21. Jahrhunderts auch eine feministische Sichtweise.

Das ist kein Gedöns! Das ist kein Gedöns, sondern das ist auf der Höhe dieser Zeit. Und das hat nichts damit zu tun, dass ich nicht in die Bundeswehr investieren will, sondern das hat damit zu tun, dass ich meinen Blick weite für alle Opfer in Kriegen.

Daher ist auch unsere nationale Sicherheitsstrategie darauf angelegt, dass wir neben den dringenden militärischen Ausgaben eben unser Verständnis von einem erweiterten Sicherheitsbegriff, von einem Human-Security-Ansatz weiter fortschreiben.

Denn wir wissen ganz genau: Dort, wo sich Krisen weiter verschärfen, liegt das auch daran - und das sehen wir ja, dass Russland schon einen Kornkrieg vorbereitet -, dass auch die Frage der Lebensmittelsicherheit etwas mit Sicherheit zu tun hat. Die große Gefahr ist, dass sich jetzt die Situation in der Sahelzone weiter verschärft. Deswegen ist es so gut und wichtig, da wir ja zum Haushalt sprechen, dass wir auch die Fragen der humanitären Hilfe, der Lebensmittelsicherheit und der Unterstützung auch von Kleinbauern in diesem Haushalt gemeinsam mit verankert haben.

Danken möchte ich an dieser Stelle auch dafür, dass wir die Kulturmilliarde - auch da kann man sagen: was hat die Kulturmilliarde jetzt mit Außen- und Sicherheitspolitik zu tun? - wieder in diesem Haushalt verankert haben. Wir fördern damit Wissenschaftlerinnen, Künstlerinnen, Journalistinnen und Journalisten, gerade auch aus Russland, die jetzt verfolgt werden, die jetzt hier zu uns nach Deutschland kommen können, genauso wie aus Afghanistan oder aus anderen Ländern dieser Welt.

All das ist Teil einer umfassenden wertegeleiteten Außenpolitik, die schnell und pragmatisch in akuten Krisen handelt und nicht lange herumdiskutiert und die auf der anderen Seite einen strategischen Ansatz hat, über den eigenen Tellerrand und auch in die nächsten Jahrzehnte zu schauen.

Denn die einzige Möglichkeit, zu widerstehen, ist, keine Angst zu haben - so hat Tanja Maljartschuk es gesagt.

Jetzt ist es an uns, mutig und entschlossen. Für die Freiheit und den Frieden in Europa.

Herzlichen Dank.

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