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In diesem Moment entscheidet sich die Zukunft unserer Kinder – Namensbeitrag von Außenministerin Annalena Baerbock, dem polnischen Außenminister Radosław Sikorski und dem französischen Außenminister Stéphane Séjourné

03.04.2024 - Interview

(Übersetzt aus dem Englischen)

Vor 75 Jahren wurde in Washington der Gründungsvertrag der NATO unterzeichnet, mit dem Ziel, die Sicherheit unseres Territoriums und unserer Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten und unsere gemeinsamen Werte zu bewahren: Freiheit, Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Seitdem hat sich die NATO zur erfolgreichsten Verteidigungsallianz der Geschichte entwickelt. Sie ist Garant für die Freiheit von 32 Mitgliedstaaten – in Europa und Nordamerika.

Heute sind diese Werte bedroht wie nie zuvor. Seit mehr als zwei Jahren führt Russland nicht nur einen ungerechtfertigten und illegalen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Putin hat auch immer wieder deutlich gemacht, dass seine imperialen Ansprüche weit über die Ukraine hinausreichen, und hat damit Jahrzehnten voller Ansätze zur Kooperation den Rücken gekehrt. Er macht deutlich, dass er die europäische Friedensordnung selbst angreift.

Wenn wir also heute das Jubiläum der NATO feiern, ist es kein Moment für Selbstzufriedenheit. Vielmehr müssen wir der Tatsache gerecht werden, dass jetzt der Moment ist, in dem sich möglicherweise entscheidet, in welcher Zukunft unsere Kinder leben werden.

Seit mehr als zwei Jahren stehen Europa und Nordamerika geeint und standhaft gegen die russische Aggression. Gemeinsam haben wir die Selbstverteidigung der Ukraine mit über 200 Milliarden Euro unterstützt. Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben rund zwei Drittel der bisher zugesagten gesamten Unterstützung für Kyjiw bereitgestellt. Wir werden unsere Unterstützung fortsetzen, so lange wie nötig und so intensiv wie notwendig.

Wir unterstützen die Ukraine, um unsere Freiheit und Sicherheit zu verteidigen. Doch wir investieren auch in unsere eigene Stärke in Europa. Wir dürfen uns keinen Illusionen hingeben: Heute ist es die Ukraine, die angegriffen wird – morgen kann es ein anderer Teil Europas sein. Russland wird seine aggressive und imperialistische Politik in absehbarer Zukunft nicht aufgeben. Deshalb bekräftigen wir heute, am 75. Jahrestag seines Bestehens, das Grundprinzip unseres Bündnisses: dass ein Angriff gegen einen von uns als ein Angriff gegen alle betrachtet wird. Einer für alle und alle für einen. Gemeinsam werden wir jeden Quadratzentimeter des NATO-Gebiets verteidigen und vereint gegen jede zukünftige Aggression Russlands stehen.

Seit Jahren verbreitet Putin Lügen und falsche Narrative, um diesen Krieg zu rechtfertigen. Dazu gehört die Behauptung, dass die NATO eine Bedrohung für Russland sei. Das Gegenteil ist wahr: Heute treten wieder Nationen der NATO bei, weil sie sich von Russland bedroht fühlen. Finnland und Schweden hatten lange Zeit eine stolze Tradition der Neutralität. Nach Putins Invasion eines friedlichen Nachbarlandes übten sie ihr souveränes Recht auf freie Bündniswahl aus – und stärken jetzt unsere Reihen.

Damit Frieden in Europa herrscht, muss Russlands Imperialismus gestoppt werden. Wir können keinerlei „Grauzonen“ zulassen. Denn Putin betrachtet solche „Grauzonen“ als Einladung, territoriale Unversehrtheit und Souveränität zu untergraben, frei erfundene Linien auf der Landkarte zu ziehen und schließlich militärische Gewalt einzusetzen. Seine groß angelegte Invasion der Ukraine hat gezeigt, dass eine Politik der Zugeständnisse gegenüber Russland in der Hoffnung, damit würde wieder Frieden oder Stabilität auf dem europäischen Kontinent einkehren, naiv ist.

Aus diesem Grund sollten die europäischen Verbündeten ihren gerechten Anteil an den kollektiven Lasten der NATO übernehmen und die Bereitschaft demonstrieren, mehr Verantwortung für die Verteidigung Europas zu tragen. Der fortwährende transatlantische Bund bleibt das Fundament unserer Sicherheit. Doch wir Europäer müssen einige der drängendsten Schwächen angehen, die in den letzten Monaten und Jahren schmerzhaft offenbar wurden: Fähigkeitslücken, Reaktionsfähigkeit unserer Streitkräfte, Produktionskapazitäten, Logistik, Standardisierung und Interoperabilität.

Die Vereinigten Staaten haben über lange Zeit hinweg einen größeren Teil der Lasten getragen als der Rest unseres Bündnisses. Aber gemeinsame Verteidigung ist unsere gemeinsame Anstrengung. In dieser Hinsicht bekräftigen wir die Bedeutung einer stärkeren und leistungsfähigeren europäischen Verteidigung, die einen positiven Beitrag zur weltweiten und transatlantischen Sicherheit leistet, die NATO ergänzt und mit ihr interoperabel ist.

Um eine größere Verantwortung für unsere gemeinsame Sicherheit zu übernehmen, sollten wir, die europäischen Verbündeten, die folgenden Maßnahmen ergreifen:

Erstens müssen wir mindestens zwei Prozent des BIP für Verteidigung ausgeben, denn dies ist die notwendige Voraussetzung und Grundlage für den Aufbau unserer gemeinsamen Verteidigung. Unsere drei Länder werden dieses Ziel dieses Jahr erreichen. Zahlen können jedoch nur der Ausgangspunkt sein. Wir müssen auch sicherstellen, dass wir unsere Mittel strategisch einsetzen, und zwar vorrangig für die Entwicklung von Streitkräften und Fähigkeiten, die wir für die Bündnisverteidigung benötigen.

Zweitens müssen wir das gesamte industrielle Potenzial unseres Kontinents ausschöpfen, um unsere militärischen Fähigkeiten zu stärken, die Produktion zu steigern und Skaleneffekte zu nutzen. Unsere nationalen Rüstungsindustrien sind hierfür von entscheidender Bedeutung. Sie brauchen verbindliche, langfristige Verträge mit klaren Zeitplänen, einem gewissen Maß an Ambition, festen finanziellen Zusagen sowie Abnahmegarantien vonseiten unserer Regierungen.

Drittens müssen wir, um unseren technologischen Vorsprung beizubehalten und Fähigkeitslücken zu schließen, in Zukunftstechnologien investieren. Unsere Innovationsbemühungen werden dazu beitragen, dass das Bündnis auch weiterhin über einen technologischen Vorsprung gegenüber möglichen Gegnern verfügt und Abschreckung und Verteidigung der NATO gestärkt werden.

Viele der hierfür notwendigen Werkzeuge stehen uns bereits zur Verfügung – vom Europäischen Verteidigungsfonds über die Europäische Friedensfazilität bis hin zur Europäischen Investitionsbank. Andere werden gerade entwickelt, um die technologische und industrielle Basis der europäischen Verteidigung zu stärken. Auf ihnen müssen wir aufbauen und ihr volles Potenzial ausschöpfen, um den europäischen Pfeiler als Beitrag zur NATO zu stärken. Im Kontext zunehmender Bedrohungen und sicherheitspolitischer Herausforderungen bekräftigen wir die Zusage der Europäischen Union, ihre Verteidigungsbereitschaft und -fähigkeit insgesamt zu stärken, um ihren Anforderungen und Zielen gerecht zu werden.

Zwei Jahre nach Beginn seines Angriffskriegs basiert Putins Strategie auf der Fehleinschätzung, dass er die Ukraine zermürben und unsere Unterstützung aussitzen kann. Er zielt auch darauf ab, unsere Einigkeit und Entschlossenheit als Verbündete auf die Probe zu stellen. Aus diesem Grund muss unsere Reaktion von Stärke, Einigkeit und Zusammenarbeit geleitet sein. Wir müssen sicherstellen, dass sich seine Aggression nicht auszahlt – weder jetzt noch in der Zukunft. Zum 75. Jubiläum der NATO sind wir überzeugt: Freiheit und Sicherheit in den kommenden Jahren erfordern ein modernes und starkes transatlantisches Bündnis. Wir Europäer sind bereit, unseren Beitrag zu leisten.

Erstveröffentlichung durch POLITICO​​​​​​​

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