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Rede von Staatssekretär Stephan Steinlein zur Eröffnung der Ausstellung „50 Jahre Deutschland – Israel: Momente einer einzigartigen Beziehung“

07.05.2015 - Rede

Sehr geehrter Herr Botschafter Hadas-Handelsman,
sehr geehrter Herr Dr. Simon,
verehrte Gäste und Freunde Israels,

Fast auf den Tag genau vor fünfzig Jahren, am 12. Mai 1965, nahmen Deutschland und Israel offiziell diplomatische Beziehungen auf. Seit der Befreiung von Auschwitz und den Verbrechen des Holocaust waren da gerade einmal zwanzig Jahre vergangen.

Als am 19. August 1965 Rolf Pauls, ehemaliger Weltkriegsoffizier und nun der erste deutsche Botschafter in Israel, sein Beglaubigungsschreiben an Staatspräsident Salman Shasar überreichte, endete in Frankfurt am Main gerade die Beweisaufnahme im ersten Auschwitz-Prozess. Während Shasar, Pauls und Israels Außenministerin Golda Meir mit großer Vorsicht die gemeinsame Gestaltung der Zukunft begannen, rief die aufgebrachte Menge vor dem Präsidentenpalast in Jerusalem „Nazi“, „Pauls raus“ und „Sechs Millionen mal nein“. Demonstranten, darunter viele ehemalige KZ-Insassen, durchbrachen schließlich die Absperrung und kesselten den Wagen von Pauls ein. Die israelische Polizei musste einschreiten, um den Feind von einst zu schützen.

Seitdem haben wir gemeinsam mit Israel einen langen Weg zurückgelegt – viele dieser historischen Etappen sind Teil der Ausstellung.

Heute, 70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz und 50 Jahre nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen sind Deutschland und Israel enge Partner und Freunde.

Die Kabinette beider Länder tagen gemeinsam, jährlich besuchen über 200.000 Deutsche Israel, leben ungefähr 20.000 Israelis in der deutschen Hauptstadt und diskutiert ganz Israel über die Bedeutung dieses Phänomens.

Deutschland und Israel im Jahre 2015 – eine ganz normale Beziehung?

Im Gegenteil – der Titel der heutigen Ausstellung, die das Auswärtige Amt gemeinsam mit dem Centrum Judaicum zeigt, macht es deutlich: Unsere gegenseitigen Beziehungen sind einzigartig und werden es immer bleiben.

Denn unsere beiden Länder sind durch das Menschheitsverbrechen der Shoa untrennbar miteinander verwoben. Deutschland und Israel lassen sich nicht denken ohne den rassistischen Vernichtungswahn der Nationalsozialisten, ohne die Ermordung von über sechs Millionen europäischen Juden, ohne die verlorene und die neu gefundene Heimat derjenigen, die nur überlebt haben, weil sie Deutschland verlassen haben, ohne Zeitzeugen wie Inge Deutschkron, die sich jahrelang in einem Schöneberger Keller verstecken musste. Wie Margot Friedlaender, die ihre gesamte Familie im Holocaust verlor. Oder wie Saul Oren, der das KZ Sachsenhausen überlebte und dort vor wenigen Tagen gemeinsam mit Außenminister Steinmeier der Befreiung vor 70 Jahren gedachte.

Und auch nicht ohne Zeugnisse wie jenes von Marie Jalowicz Simon – Ihrer Mutter, Herr Dr. Simon –, die sich jahrelang in Berlin vor der Verfolgung versteckt hielt, nachzulesen in dem unvergesslichen Buch „Untergetaucht“, das Sie, Herr Simon, herausgegeben haben.

Dass wir heute auf fünf erfolgreiche Jahrzehnte deutsch-israelische Beziehungen zurückblicken können, gleicht einem Wunder.

Dieses Wunder wurde möglich, weil Israel, das Volk der Opfer, nach heftigen Diskussionen Deutschland, dem Volk der Täter, die Hand reichte. Die Arbeit von Kultur- und Wissenschaftsorganisationen hatte in den 50er Jahren den Weg für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen gebahnt, weise Staatsmänner wie David Ben Gurion und Konrad Adenauer taten die entscheidenden Schritte.

Und dieses Wunder wurde möglich, weil Deutschland sich zu seiner historischen Schuld ebenso wie zu seiner Verantwortung für das Existenzrecht Israels bekannt hat und weiter bekennt.

Unsere Beziehungen werden immer in der Verantwortung für die Vergangenheit verwurzelt bleiben. Gleichzeitig sind sie so eng, vielfältig und zukunftsorientiert wie nie zuvor und gehen dabei weit über die klassische Politik und Diplomatie hinaus:

Deutschland ist größter Handelspartner Israels in der EU und weltweit der drittwichtigste Partner nach den USA und China.

Der kulturelle und wissenschaftliche Austausch, der die schrittweise Annäherung beider Länder in den 50er Jahren möglich machte, ist heute intensiver denn je. Drei Beispiele:

Das Auswärtige Amt und das Berliner Künstlerprogramm des DAAD würdigen das Jubiläumsjahr mit einer deutsch-israelischen Lese- und Gesprächsreihe - Außenminister Steinmeier diskutiert dabei mit prominenten Künstlern wie Meir Shalev, Edgar Reitz oder Svetlana Alexijewitsch über für das deutsch-israelische Verhältnis so zentrale Fragen wie Heimat, Aufarbeitung und Erinnerung oder Krieg und Gewalt.

Israel war im März Partnerland auf der Leipziger Buchmesse.

Erst vor kurzem wurden zwei neue Minerva-Zentren am Weizmann-Institut und an der Bar Ilan Universität eröffnet.

Uns verbinden zudem mehr als hundert Städtepartnerschaften, nahezu 80 Flugverbindungen pro Woche, zahllose zwischenmenschliche Begegnungen und ein neuer Umgang miteinander im Bewusstsein der gemeinsamen Vergangenheit - Norbert Kron und Amichai Shalev haben dies jüngst mit ihrer wunderbaren, vom Auswärtigen Amt geförderten Anthologie „Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen“ auf den Punkt gebracht, ebenso Außenminister Steinmeier bei seiner Rede zu 50 Jahren deutsch-israelische Beziehungen heute im Bundestag: „Deutsche und Israelis sind einander im wahrsten Wortsinn ans Herz gewachsen!“

Am Ende dieses Jubiläumsjahres werden deshalb hoffentlich viele Israelis mehr über das heutige Deutschland wissen, und viele Deutsche ihr Wissen über Israel und die Israelis erweitert haben.

Die gemeinsame Zukunft schafft Chancen für die jungen Menschen aus unseren beiden Ländern.

Aber sie fordert auch – heute mehr denn je. Dass die Beziehungen zwischen Israel und Deutschland kein Selbstläufer sind, zeigen jüngste Zahlen der Bertelsmann-Stiftung und der Konrad-Adenauer-Stiftung: Das Deutschland-Bild der Israelis ist positiver als das Israel-Bild der Deutschen. Hier herrscht eine Diskrepanz, der wir auf den Grund gehen müssen. Deshalb dürfen wir in unserem Engagement für die deutsch-israelischen Beziehungen nicht nachlassen.

Dazu gehört auch der gemeinsame Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus. Wir sind froh und dankbar über das erneute Aufblühen jüdischen Lebens in Deutschland. Deshalb müssen wir uns mit aller Macht jeder Form von Antisemitismus aktiv entgegenstellen und denjenigen, die antisemitische Parolen rufen, jüdische Friedhöfe schänden oder jüdische Mitbürger angreifen, mit aller Härte des Rechtsstaats deutlich machen: Antisemitismus und Rassismus haben in Deutschland keinen Platz!

50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen – das ist eine einzigartige Beziehung, deren wichtigste Momente in dieser Ausstellung zusammengefasst werden.

Ich danke vor allem dem Centrum Judaicum und stellvertretend Ihnen, Herr Dr. Simon, sowie der Kuratorin, Dr. Chana Schütz, für die exzellente Zusammenarbeit.

Und ich wünsche Ihnen allen interessante Einblicke in fünf Jahrzehnte deutsch-israelischer Geschichte, Gegenwart und Zukunft.

Lieber Botschafter Hadas-Handelsman, Sie haben das Wort.

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