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Lebensperspektiven für Flüchtlinge!

20.06.2015 - Interview

Gemeinsamer Beitrag von Bundesministerin für Arbeit und Soziales Andrea Nahles und Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Erschienen am 20.06.2015 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Gemeinsamer Beitrag von Bundesministerin für Arbeit und Soziales Andrea Nahles und Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Erschienen am 20.06.2015 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Weltweit sind 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Mehr, als die Vereinten Nationen jemals gezählt haben. Sie sind auf der Flucht vor Krieg, Gewalt und Elend, vor schweren Konflikten, die sich noch weiter verschärfen, insbesondere in jenem Krisenbogen im Mittleren Osten und Afrika, von wo aus Abertausende den lebensgefährlichen Weg übers Mittelmeer nach Europa wagen. Der Krisentaumel erreicht uns Europäer nicht nur über schockierende Bilder in den Abendnachrichten. Nirgendwo wird uns die Katastrophe in all ihren menschlichen Konsequenzen so unmittelbar deutlich wie in den Geschichten und Gesichtern derer, die Zuflucht bei uns in Deutschland
suchen.

Was können, was sollten wir Deutschen tun angesichts der Flüchtlingskatastrophe? Unser Handeln muss umfassend ansetzen – nach innen und nach außen. Zum einen müssen wir das Übel an der Wurzel packen. Ursache für die meisten dieser Katastrophen sind politische Konflikte, die auch politisch gelöst werden müssen. Letztlich ist es genau das, was sich die Flüchtlinge ersehnen: dass sie in ihre Heimat zurückkehren können, die ihnen wieder Sicherheit und Perspektiven bietet. Deutschland engagiert sich für politische Lösungen in Libyen, in Syrien, im Jemen. Zwar gibt es Fortschritte aber wir müssen realistisch sein: Politische Lösungsansätze brauchen Zeit. Für komplexe Konflikte gibt es keine einfachen Antworten. Im Gegenteil: Vermeintlich einfache Antworten können sogar Brandbeschleuniger sein – das zeigen die militärischen Interventionen im Irak 2003 und in Libyen 2011.

Und deshalb tragen wir eine zweite, unmittelbare Verantwortung: für das Leben und die Lebensbedingungen der Menschen, die jetzt auf der Flucht sind. Diese Verantwortung tragen wir bei uns in Europa genauso wie in den Krisenregionen. Den Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, müssen wir hier eine Perspektive eröffnen. Entscheidend ist, dass ein Glied der Kette ins nächste greift. Dass die Kommunen es schaffen, die Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen, traumatisierte und kranke Menschen zu versorgen, einen Kita-Platz, eine Schule für die Kinder zur Verfügung zu stellen. Dafür brauchen sie auch vom Bund zügig zusätzliche finanzielle Unterstützung. Wir müssen ihnen den Zugang zu Arbeit schneller öffnen, unterstützt durch Deutschkurse und Unterstützung bei der Vermittlung. Auch dafür ist zusätzliches Geld nötig. Jungen Menschen, die hier eine Ausbildung machen, müssen wir Bleiberecht geben - über die Ausbildung hinaus, damit der Einstieg in den Beruf gelingt. Wir müssen die Fähigkeiten dieser Menschen, nutzbar machen - für ihre, aber auch für unsere Zukunft. Denn wir stehen in Deutschland vor der riesigen Herausforderung der Fachkräftesicherung. Und daher sollten wir in den Flüchtlingen auch die Fachkräfte sehen, die wir immer dringender brauchen. Natürlich ist auch der Familiennachzug ein Glied der Kette. Wir haben bereits die Anlaufstellen in den Botschaften und Konsulaten vor Ort aufgestockt, und wollen nun beim Familiennachzug schon vor einem Eintreffen bei uns Unterstützung für eine möglichst schnelle Eingliederung leisten. Nicht alle, die kommen, sind bereits Fachkräfte, aber sie sind meist hochmotiviert. Auch wenn bei manchen der Aufwand für die Integration in Arbeit höher ist, ist das eine gute Investition. Denn wer am Ende in Deutschland merkt: Wenn ich mich anstrenge, kann ich mir hier mit meiner Familie ein neues Leben aufbauen, der kommt wirklich an. Das ist die beste Basis für das künftige Zusammenleben hier in Deutschland.

Aber die Verantwortung für die Lebenswirklichkeit der Flüchtlinge macht nicht Halt an unseren Grenzen. Die größte Not herrscht in den Krisenherden und ihren unmittelbaren Nachbarregionen, noch weit vor der gefährlichen Fahrt übers Mittelmeer. 11 Millionen Menschen haben allein durch den Bürgerkrieg in Syrien ihr Zuhause verloren. Für sie hat Deutschland bereits eine Milliarde Euro an Hilfen bereitgestellt. Den kleinen Nachbarländern Jordanien und Libanon helfen wir, ihren gesellschaftlichen Zusammenhalt und ihre soziale Infrastruktur unter dem riesigen Flüchtlingsansturm zu erhalten. Im Libanon können 60% aller Flüchtlingskinder, die zur Schule gehen, dies dank deutscher Hilfe tun. Wir nehmen Flüchtlingsrouten von Ostafrika über die Sahelzone bis ans Mittelmeer in den Blick und wollen Projekte einsetzen, die Flüchtlingen die Integration in die Gesellschaften vor Ort ermöglichen. In Mali und im Niger arbeiten wir mit unseren europäischen Partnern daran, mit zivilen Mitteln mehr Sicherheit und Stabilität zu schaffen.

Die Flüchtlingskatastrophe vor den Toren Europas betrifft uns Europäer gemeinsam. Und gemeinsam müssen wir Verantwortung tragen. Wir brauchen eine solidarische Flüchtlingspolitik nach innen und nach außen, hier sind wir noch nicht am Ziel: in der Verteilung von Flüchtlingen innerhalb Europas, in der Chance auf Ausbildung und Arbeit für die Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, und in unserem Engagement für bessere Lebensbedingungen in den Herkunfts- und Transitländern.

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