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„Ein Aufbruch tut Not“: Staatsminister Werner Hoyer in der 'Financial Times Deutschland'

07.02.2011 - Interview

Erschienen in der Financial Times Deutschland vom 07.02.20111

Gut zehn Jahre nach dem Einstieg in die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ist das Krisenmanagement der Europäischen Union noch längst nicht da, wo es hingehört. Ohne Zweifel leistet es bereits Beträchtliches, im zivilen wie im militärischen Bereich. EUMM, die Grenzüberwachungsmission in Georgien, die einen neuen Konflikt mit Russland verhindern soll, zählt hierzu, ebenso die erste maritime Operation der EU, ATALANTA, die mit großem Aufwand Piraten vor der Küste Somalias bekämpft.

Mit diesen Konflikten, die europäische und auch deutsche Sicherheitsinteressen bedrohen, werden wir uns auf absehbare Zeit beschäftigen müssen. Neue Krisen sind nicht auszuschließen. Wenn uns an Sicherheit und Stabilität liegt, wenn wir die Art, wie wir leben, erhalten wollen, dann werden wir uns diesen Bedrohungen stellen müssen.

Illegale Migration, Waffen- und Menschenhandel, Terrorismus, zerfallende Staaten, Angriffe auf internationale Seehandelswege sind Herausforderungen, die uns in Europa alle angehen und auf die wir deshalb auch gemeinsam eine Antwort finden müssen. Am Rande Europas, aber auch in entfernten Regionen. Wer glaubt, hier allein handeln zu können, irrt. Und wer sich weigert, gemeinsam zu handeln, schadet allen.

Die Außen- und Verteidigungsminister aus Polen, Frankreich und Deutschland haben der neuen Außenministerin der EU, Catherine Ashton, auf Initiative von Bundesaußenminister Guido Westerwelle weit reichende Vorschläge zu einer Weiterentwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in diese Richtung gemacht. Wir müssen im Verhältnis von zivilem und militärischem Krisenmanagement umdenken. Ohne einen vernetzten Ansatz kann ein militärisches Eingreifen in Zukunft nicht mehr erfolgreich sein.

Das Weimarer Dreieck fordert in seinem Brief an Frau Ashton hierzu dreierlei:

1. den Einstieg in die Schaffung eines stehenden operativen Hauptquartiers in Brüssel, mit dem zivile, zivil-militärische und notfalls auch rein militärische Operationen aus Brüssel heraus geplant und geführt werden können. Bislang ist das nur für zivile Missionen möglich. Diese Einbuße an Effektivität und Effizienz sollten wir nicht mehr länger hinnehmen.

2. die Verbesserung der Planungs- und Führungsfähigkeit auf taktischer Ebene. Hier ist die Absicht, die in einer ganzen Reihe von EU-Mitgliedstaaten vorgehaltenen Fähigkeiten in diesem Bereich als stehende, multinationale Einheiten weiter zu entwickeln und ihre Zahl auf das operativ notwendige und kosteneffiziente Maß zurückzuführen .

3. die Intensivierung der Zusammenarbeit der Streitkräfte der EU-Mitgliedstaaten untereinander. Sie arbeiten im Rahmen von schnellen Eingreifverbänden („EU-battlegroups“) schon heute zusammen. Es gibt aber nur zwei dieser ohnehin kleinen Verbände, und ihr Auftrag ist eng definiert. Die Standzeit dieser Verbände sollte verlängert und die Zusammenarbeit untereinander intensiviert werden. Auch sollen die im Wesentlichen infanteriegestützten Verbände auf die anderen Teilstreitkräfte ausgedehnt und mit den notwendigen zivilen Elementen versehen werden. Durch das Zusammenlegen und Teilen von Fähigkeiten soll Schritt für Schritt der kritische Kern einer europäischen Streitkraft entstehen. Der Vorschlag ist militärisch und sicherheitspolitisch sinnvoll. Er ist es auch wirtschaftlich. Er baut aber vor allem auf die Einsicht zu europäischem Handeln und braucht diese Überzeugung auch, um das verbreitete Denken in Kategorien nationaler Souveränität in der Europäischen Union zu überwinden.

Das Entscheidungsrecht des Bundestags über Auslandseinsätze deutscher Soldatinnen und Soldaten wird durch den Vorschlag in keiner Weise berührt. In Fragen Europäischer Sicherheit handlungsfähig und verlässlich zu sein, liegt auch im Interesse des deutschen Parlaments.

Europa in Fragen der Sicherheit zu stärken ist ein Gebot der Stunde. Wenn wir warten, werden die Entwicklungen über Europa hinweg gehen. Die aufstrebenden Mächte jedenfalls warten nicht. Hinzu kommt, dass Amerika auch in Sicherheitsfragen immer stärker nach Asien blickt. Es ist gut, dass der Gipfel in Lissabon die NATO gestärkt hat. Der Prozess der sicherheitspolitischen Modernisierung muss dennoch weiter fortgesetzt werden.

Europa muss seine Sicherheitsinteressen heute mehr denn je selber in die Hand nehmen. Die EU muss auf Russland zugehen und den strategischen Dialog mit der Türkei suchen, dafür aber selber strategisches Gewicht besitzen. Es ist an der Zeit, dass die Europäische Union auch ihren politischen Willen schärft, sicherheits- und verteidigungspolitisch handeln zu können. Die Zeit von 27 voll ausgerüsteten nationalen Armeen in der Europäischen Union geht vorüber. Sie sind unzeitgemäß, in Auftrag und Umfang. Wir brauchen eine Debatte über die Schaffung einer europäischen Streitkraft, unter europäischer Führung. Die Initiative des Weimarer Dreiecks sollte der Anstoß dafür sein.

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