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Anruf aus Chengdu (Ann, KSA 10)

24.06.2011 - Artikel

„RIIIING!“ Ein durchdringendes Klingeln reißt mich aus dem Studium eines mehr oder weniger spannenden Aktenberges. Bevor ich zum Hörer greife, ein verstohlener Blick auf die Anzeige. „Cheng-RK-Visa-100“. Das Generalkonsulat in Chengdu. Was um alles in der Welt wollen die von mir?

„RIIIING!“ Ein durchdringendes Klingeln reißt mich aus dem Studium eines mehr oder weniger spannenden Aktenberges. Meine Verabredung zum Mittagessen? Bevor ich zum Hörer greife, werfe ich einen verstohlenen Blick auf die Telefonanzeige. „Cheng-RK-Visa-100“. Das Generalkonsulat in Chengdu. Was um alles in der Welt wollen die von mir?

Anruf aus Chengdu
Anruf aus Chengdu© picture-alliance / Godong

Sicher nicht zu Mittag essen. Habe ich was vergessen? Hilfesuchend werfe ich einen Blick auf den leeren Bürostuhl neben mir. Von meinem Kollegen, der vor seinem Urlaubsantritt nichts als einen Zettel, auf dem in knallpinken Buchstaben „Sonnencreme“ steht, zurückgelassen hat, ist heute definitiv keine Hilfe zu erwarten. Mein Kopf ist wie leergefegt. Chengdu?

Angeblich läuft ja, bevor ein Mensch stirbt, das ganze Leben vor den Augen dieses Menschen ab. Reflexartig schaltet mein Gehirn auf den selben Modus, um die notwendigen Chengdu-Informationen wiederzubeschaffen und spult zum ersten Tag des Inlandspraktikums zurück.

24. Februar 2011: unschlüssig tigere ich (stilvoll in schwarzem Nadelstreifenanzug und Stöckelschuhen) vor Büro Nr. 5.11.33 herum – dem Büro der mir zugeteilten Ausbilderin für die Zeit meines Inlandspraktikums. Mich hat es in mein Wunschreferat 506, zuständig für Strafrecht und internationale Strafgerichtshöfe, verschlagen.

Nach einer knappen Minute Bedenkzeit klopfe ich an und werde auch sofort herein gebeten. Erster Gedanke „Schluck. Ich bin overdressed“. Das scheint meine Ausbilderin jedoch nicht weiter zu stören. Gut gelaunt erklärt sie mir zunächst den Verlauf des Praktikums, die Arbeit von Referat 506 (Betreuung inhaftierter Deutscher im Ausland, Rechtshilfe, Fahndungen, Auslieferungen, Überstellungen) und ihr Arbeitsgebiet (Südasien einschl. Afghanistan, Pakistan, Indien, Ost- und Südostasien, Arabische Halbinsel, Israel, Libanon, Syrien, Jordanien, Irak, Iran). Im Anschluss schleift sie mich durch diverse Büros, um mich den Kollegen vorzustellen, schlägt ein gemeinsames Mittagessen vor und parkt mich schlussendlich mit einigen Akten zum Einlesen in meinem fast eigenen Büro. Erste gemeinsame Amtshandlung mit Kollege 505: Ausdruck und Anbringung eines eigenen Namensschildes an der Bürotür, anschließend stolze und ausgiebige Beschauung desselben.

Altstadt von Chengdu
Altstadt von Chengdu© picture-alliance / Lonely Planet Images

Am darauffolgenden Montag habe ich mich schon soweit eingelesen, dass ich eigene kleine Fälle bearbeiten darf. Das heißt in meinem Fall, dass ich Kontakt mit unseren Botschaften und Generalkonsulaten im Ausland aufnehmen darf, um Informationen über Haftfälle einzuholen. Stolz beobachte ich, wie die E-Mails in meinem Postausgang anwachsen und freue mich über jede neue Mail, die aus allen Ländern der Welt eingeht. Schon kurze Zeit später darf ich Schreiben an andere Ministerien und Verbalnoten an Botschaften anderer Länder verfassen, um dann neidvoll zuzusehen, wie diese von meiner Ausbilderin unterschrieben und gesiegelt werden. Außerdem habe ich mich als würdig genug erwiesen, Vertreter anderer Botschaften im Foyer abzuholen und in die richtigen Büros zu lotsen. Einige Male darf ich sogar an den Gesprächen teilnehmen und anschließend Gesprächsvermerke verfassen.

Die Bewährungsprobe steht an, als sich meine Ausbilderin für zwei Wochen in den Urlaub verabschiedet. Hoch erhobenen Hauptes nehme ich auf ihrem Stuhl Platz, nur um regelmäßig bei ihrem Vertreter vorbeizuschauen und um Hilfe zu bitten. Gemeinsam arbeiten wir uns durch die eingehenden Vorgänge und als meine Ausbilderin wiederkommt, sehen die Aktenberge eher wie kleine gemütliche Hügel aus. Zur Belohnung darf ich jetzt durch das Referat rotieren und mir anschauen, wie die anderen Kollegen arbeiten. Nur unser Referatsleiter macht sich aus dem Staub, bevor ich bei ihm vorbeischauen kann. Man munkelt, die Planer und nicht ich würden die Schuld an seinem überstürzten Abgang tragen und er wird im Kollegenkreis gebührend verabschiedet. Als ich schließlich aus meinem eigenen Urlaub zurückkomme, bekomme ich meinen eigenen Länderbereich übertragen und darf alles, was in diesem Bereich eingeht, nach Rücksprache eigenständig bearbeiten.

Manchmal bin ich selbst überrascht, wieviel ich in der kurzen Zeit von vier Monaten gelernt habe. Von allgemeinen Dingen (was man in der Kantine besser nicht essen sollte; was tun, wenn der Schlüssel im abgeschlossenen Büro liegt?) über organisatorische Fragen (was ist eine Akte und was tut man damit?) und fachspezifische Angelegenheiten steht eine Erfahrung ganz klar im Vordergrund: Ohne Teamwork geht es nicht. Die Zentrale und die Auslandsvertretungen bilden ein faszinierendes Netzwerk, welches nur funktioniert, wenn alle zusammenarbeiten. Apropos arbeiten: bei „Cheng-RK-Visa-100“ scheint es sich um eine sehr beharrliche Person zu handeln. Das Telefon klingelt immer noch. Höchste Zeit für 506-KSA mal abzuheben.

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