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Grußwort von Staatsministerin Müntefering anlässlich des deutsch-russischen Forums für universitäre Forschung

02.12.2019 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort --

In Moskau ist man ja Kälte im Winter gewöhnt. Davon durfte ich mir gestern einen Eindruck verschaffen. Aber ich habe mich gefragt, wie das wohl ist, ein ganzes Jahr eingefroren zu sein? Temperaturen von bis zu minus 45 Grad und 150-mal auch am Tage Dunkelheit. Die nächste menschliche Siedlung mehr als 1000 Kilometer entfernt.

Genau so geht es zurzeit der „Polarstern“. Das deutsche Forschungsschiff ist seit September im Packeis der Arktis unterwegs, um eine der wichtigsten Fragen unserer Zeit, den Klimawandel, zu erforschen. In der größten Polarexpedition aller Zeiten wechseln sich 600 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 17 Nationen an Bord ab.

Unter solchen Umständen muss man sich aufeinander verlassen können. Ein so aufwändiges Unternehmen kann nur gemeinsam gelingen, nur durch internationale wissenschaftliche Kooperation.

Die Zukunft unseres Planeten hängt mit davon ab, ob wir in der Lage sind, uns miteinander zu verständigen, darüber, in welcher Welt wir eigentlich leben wollen. Und es macht deutlich: Vertrauen ist da besonders wichtig, wo viel auf dem Spiel steht.

Bei der Arktis-Expedition MOSAiC arbeiten das deutsche Alfred Wegener-Institut, das Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung und das russische Arctic and Antarctic Research Institute eng zusammen. Das, meine ich, illustriert gut, warum gerade unser „Deutsch-Russisches Jahr der Hochschulkooperation und Wissenschaft 2018-2020“ eine so wichtige Initiative ist.

Russland und Deutschland zeigen mit diesem Themenjahr, dass die tiefgreifenden Veränderungen, wie Klimawandel oder Digitalisierung, nicht nur ein einzelnes Land, sondern die gesamte Menschheit betreffen. Wandel ist immer auch eine Chance. Davon bin ich überzeugt. Was sich verändert, das kann gut werden. Aber jede Generation muss sich aufs Neue dieser Herausforderung stellen und sie begreifen.

Dabei kommt es darauf an, unsere Kräfte zu bündeln, um über Grenzen hinweg Lösungen zu finden. Hinwendung zueinander ist dabei unerlässlich: Eine lebendige Zivilgesellschaft muss dafür ein Ankerpunkt sein. Zum Beispiel hat das die Städtepartnerschaftskonferenz in diesem Jahr gerade erst deutlich gemacht. Wir wollen ein Deutschlandjahr anschließen mit zahlreichen Aktivitäten auch in Kunst und Kultur. Darüber habe ich bereits mit Herrn Schwydkoi gesprochen. Und das wird für uns auch im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft 2020 wichtig sein.

Unsere Länder sind gut gerüstet, denn wir können aufbauen auf die enge und sehr vielfältige deutsch-russische Zusammenarbeit der Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen. Unsere Zusammenarbeit reicht von der Meeres- und Polarforschung, der Bioökonomie, dem Bergbau und der Raumfahrt bis hin zum Teilchenbeschleuniger. Und sie reicht weit zurück: Wussten Sie, dass sich bereits Ende des 15. Jahrhunderts die ersten russischen Studenten in Deutschland immatrikuliert haben?

Sie hießen – ich hoffe meine rudimentären Russischkenntnisse lassen mich nicht im Stich – Sil’vestr Maloj und Georgius Polman und kamen von Pskow und Nowgorod nach Rostock.

Umgekehrt ist bezeugt, dass der große deutsche Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz Ende des 17./Anfang des 18. Jahrhunderts dem russischen Zar Peter der Große nachgereist ist, um sich mit ihm auszutauschen. Und beide sollen sich gegenseitig sehr beeindruckt haben.

Diese Reihe lässt sich fortsetzen: Ich nenne nur Alexander von Humboldt, dessen 250. Geburtstag in diesem Jahr auch in Russland gewürdigt wird, und den seine Russlandexpedition 1829 bis an die Grenze zu China führte.

Was wären wir also und was wüssten wir eigentlich voneinander und miteinander, wenn es nicht die Wissenschaftler gegeben hätte, die Grenzgänger und Freidenker?

Sehr geehrte Damen und Herren,
was damals auf der Initiative bedeutender Persönlichkeiten beruhte, ist heute ein fest geknüpftes Netzwerk mit etwa 1000 Hochschulkooperationen und bilateralen Forschungsprojekten in bedeutendem Umfang.

Es umfasst Leuchttürme wie das Deutsch-Russische Institut für Hochtechnologien in Kazan, das vom DAAD unterstützt wird und das hochqualifizierte Fachkräfte ausbildet.

Ich denke auch an langjährige Partnerschaften wie die zwischen der Moskauer Staatlichen Universität und der TU Berlin, die bereits ihr 50jähriges Jubiläum feiert - oder an das deutsche Wissenschafts- und Innovationshaus hier in Moskau.

Unser Themenjahr der Hochschulkooperation und Wissenschaft soll dazu beitragen, diese Vielfalt der bilateralen Wissenschaftsbeziehungen auch noch breiter in die Öffentlichkeit zu tragen - und vor allem wollen wir neue Impulse setzen für unsere Zusammenarbeit.

Deshalb haben auch beide Außenminister die Schirmherrschaft übernommen. Gleichzeitig ist es unsere Absicht, diese Kooperation auch ganz konkret auszubauen.

Das betrifft die Anzahl der Studierenden im jeweils anderen Land, die Ausweitung von Forschungskooperationen auf weitere Disziplinen genauso wie mehr internationale Projekte an Hochschulen.

Deshalb freut es mich, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung mit dem Russischen Ministerium für Bildung und Wissenschaft eine Forschungs-Roadmap als neuen strategischen Rahmen für 10 Jahre unterzeichnet hat. Dieses einzigartige Großprojekt wird die Wissenschaftler noch enger zusammenbringen.

Deswegen kommt es umso mehr darauf an, unseren Wissenschaftlern auch die Zuversicht geben zu können, dass die bilateralen Wissenschaftsbeziehungen gemeinsam erhalten und nicht eingeschränkt werden. Sorgen und Hinweise von Wissenschaftlern müssen wir ernst nehmen und alles dafür tun, ihre Arbeit zu unterstützen. Und diese Konferenz sollte auch gleichzeitig ein politisches Signal, ein Bekenntnis dazu sein. Für uns steht außer Zweifel: Die Freiheit der Wissenschaft ist ihr Motor, sie ist essentiell. Education is an engine of equality.

Und nicht zuletzt: Die Freiheit der Wissenschaft bedeutet auch Vertrauen in die internationale Kooperation. Diese Kooperation brauchen wir, wenn wir die vor uns liegenden Aufgaben mit den Möglichkeiten von Innovation und Fortschritt bewältigen wollen. Wissenschaftskooperation geht weit über den gemeinsamen Erkenntnisgewinn hinaus. Sie trägt dazu bei, dass sich Menschen begegnen und Gesellschaften miteinander ins Gespräch kommen. Die Forscher haben sich auf ihren Reisen weitergebildet und dabei von den Besten gelernt.

Auch Alexander von Humboldt, der bei seiner Russland-Reise auch die Abholzung von Wäldern untersuchte und schon damals den menschengemachten Klimawandel belegte, war ein großer Briefeschreiber und hat sich mit Kollegen aus aller Welt ausgetauscht. An seinem Netzwerk können wir uns auch heute noch ein Beispiel nehmen.

Unsere deutsch-russischen Netzwerke und auch die Hochschulkooperationen weiter zu festigen - auch dazu leistet das Themenjahr einen Beitrag. Ich bin überzeugt: Gerade in unserer heutigen globalisierten Welt mit ihren grenzübergreifenden Herausforderungen braucht es den freien wissenschaftlichen Austausch. Die Freiheit der Wissenschaft ist unabdingbar für Fortschritt, Entwicklung und Wohlstand.

Und: Wo Vertrauen ist, da kann aus gemeinsamen Interessen gemeinsames Handeln entstehen. Kooperation wird zu Koproduktion.

Die „Polarstern“ hat übrigens inzwischen die geeignete Eisscholle gefunden, um daran wie geplant festzufrieren. Der Weg dorthin - vom norwegischen Tromsø durch die sibirische See - war nicht ganz einfach. Aber Dank des russischen Eisbrechers „Akademik Fedorow“ hat sie es geschafft. Auf der Brücke der „Polarstern“, so habe ich gehört, hängt ein Bild mit einem Autogramm und einem Gruß des deutschen Astronauten Alexander Gerst auf der Internationalen Raumstation ISS.

Alexander Gerst, den ich bereits treffen konnte, hat darauf geschrieben: „Wer immer weitersucht, den wird es an Orte verschlagen, die er sich in seinen wildesten Träumen nicht vorgestellt hat.“

Verehrte Damen und Herren,
ob das Weltall oder die Arktis, beide sind Sinnbilder für das, was manchmal im Leben unüberwindbar scheint. In jedem Leben steckt ein Stück von dieser Herausforderung, aufzubrechen und uns einzulassen. Das ist die Expedition des Lebens.

Unser diesjähriges Themenjahr zeigt, wir müssen dabei nicht alleine sein - und wir sind nicht allein auf dieser Erde.

Allen, die diesen Geist lebendig machen, denen will ich heute Danke sagen und ich darf sie schon heute nach Berlin einladen, zum Abschluss am 15. September. Dann werden auch der Außenminister der Russischen Föderation, Sergej Lawrow und Bundesaußenminister Heiko Maas dabei sein und besonders engagierte Kooperationspartner beider Seiten ehren. Ab Januar erfahren sie dazu mehr auf der Webseite des Themenjahres! Dahin kommen Sie hoffentlich auch ohne Eisbrecher.

Vielen Dank!

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