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Tischrede von Staatsminister für Europa Michael Roth bei einem Mittagessen für eine Delegation aus Maillé / Frankreich (Loire)

30.01.2018 - Rede

-- Es gilt das gesprochene Wort --

Sehr geehrter Herr Martin,
sehr geehrter Herr Bürgermeister und Frau Eliaume,
sehr geehrter Herr Professor Boll,
liebe Gäste,

es ist mir eine große Ehre, Sie heute als Beauftragter für die deutsch-französische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt zu empfangen. Nicht nur die deutsch-französische Partnerschaft, sondern auch das Gedenken an die Gräueltaten des Naziregimes sind mir seit vielen Jahren ein besonderes Herzensanliegen.

In der vergangenen Woche haben wir im Bundestag und in der Assemblée Nationale an den 55. Jahrestag des Elysee-Vertrags erinnert – ein Vertrag der wie kein zweiter für Versöhnung und Verständigung zwischen zwei ehemaligen Erzfeinden steht. In der Debatte im Bundestag berichtete nahezu jeder deutsche Abgeordnete von seiner ersten Begegnung mit Frankreich. Tief eingeprägt hatten sich bei ihnen die Zusammentreffen mit Französinnen und Franzosen, die die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg persönlich erlebt hatten. Jeder, der einmal einem Überlebenden zugehört hat – fassungslos, erschrocken, berührt – wird mir sicher zustimmen: Das vermag kein Buch, kein Film, kein Theaterstück zu vermitteln. Wir können so dankbar sein, dass sie uns, solange sie es noch können, ihre ganz persönlichen Geschichten erzählen und uns mit der grausamen Wirklichkeit des Holocaust konfrontieren.

Sie, lieber Herr Martin, sind einer dieser Franzosen, die grausamste Verbrechen der Wehrmacht und der Waffen-SS erlebt und überlebt haben. Ihre Eltern und drei jüngere Geschwister fielen dem Blutbad am 25. August 1944 in Maillé zum Opfer, bei dem 124 Menschen – über die Hälfte davon Frauen und Kinder – ermordet wurden.

Und Sie besitzen die Größe, sich seit mehr als zwei Jahrzehnten für die Erinnerung an das Massaker in ihrer Heimatgemeinde einzusetzen und dieses unschätzbare Engagement international auszurichten. Mit Ihrer Erfahrung als ehemaliger Berufschullehrer bringen Sie vor allem deutsche und französische Jugendliche zusammen und begreifen damit die Erinnerungskultur als Teil einer Erziehung zu Frieden und Völkerverständigung.

Danke, dass es Menschen wie Sie gibt, die uns Deutschen die Hand zur Versöhnung reichen. Ich weiß: Versöhnung kostet Überwindung und Kraft. Versöhnung ist eine Geste, die man nicht erbitten, die man nur geschenkt bekommen kann. Und ich bin dankbar für dieses Geschenk. Das für uns Deutsche so wunderbare Geschenk der Freundschaft mit Frankreich ist ganz sicher eines der bedeutsamsten außenpolitischen Fundamente, auf denen sich Frieden, Freiheit und Solidarität in Europa gründen.

„Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft“, sagte einmal Wilhelm von Humboldt. Wir werden Maillé, Oradour, Tulle und andere europäischen Orte des NS-Grauens und der Barbarei niemals vergessen. Denn Zukunft braucht Erinnerung.

Seit der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags vor 55 Jahren haben sich Millionen junger Franzosen und Deutscher dank des Deutsch-Französischen Jugendwerks wunderbare Erfahrungen mit dem Nachbarland gesammelt. Sie haben gelernt, sich gegenseitig zu respektieren, viele sind – oft lebenslang – Freunde geworden, einige haben sogar geheiratet.

1963 war ein Neuanfang. Aus Versöhnung sind Freundschaften geboren. Und Sie, lieber Herr Martin, lieber Herr Bürgermeister, haben diesen Neuanfang mit ihrem herausragenden Engagement mit Leben gefüllt. Dafür danke ich Ihnen.

Wir wollen heute auch von der Zukunft sprechen. Wir haben gemeinsam einen langen deutsch-französischen Weg bestritten. Unsere Freundschaft müssen wir aber immer wieder erneuern, sonst erlahmt sie.

Seit Emmanuel Macron in seiner Rede an der Pariser Sorbonne die Idee eines neuen Elysee-Vertrags präsentiert hat, haben sich ihr viele Unterstützerinnen und Unterstützer angeschlossen: der Bundestag, die Assemblée Nationale und auch im Rahmen der Koalitionsverhandlungen spielt dieses Thema eine wichtige Rolle.

Wenn 1963 die Aussöhnung im Vordergrund stand, so ist es in der Welt von heute die Verantwortung Deutschlands und Frankreichs für Europa. Denn ohne Frankreich und Deutschland läuft es in der EU nicht rund, das ist ganz klar. In Zeiten von Populismus und Nationalismus wollen wir die neue deutsch-französische Dynamik für einen beherzten Neuanfang in Europa nutzen. Denn wir müssen die Bürgerinnen und Bürger vom Mehrwert eines vereinten, besseren Europas überzeugen. Oder wie sagte es Francois Mitterand einmal: „Le nationalisme, c’est la guerre“.

Ich will eine noch stärkere europapolitische Koordinierung zwischen unseren Ländern. Die Themenbereiche sind vielfältig: Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion, Migration, Sozialpolitik, Digitales oder die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.

Aber das ist nicht alleine ein Projekt für Regierungen. Wir brauchen auch Brückenbauer und Brückenbauerinnen in der Zivilgesellschaft. Die über 2000 Städtepartnerschaften sind unverzichtbar. Sie haben sich hier ganz besonders verdient gemacht. Seien Sie uns herzlich in Berlin willkommen.

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