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„Wer gestalten will, braucht starke Partner“

02.07.2012 - Interview

Das folgende Interview mit Außenminister Guido Westerwelle über Wirtschaft, die Konferenz Rio 20+ und das Deutschlandjahr in Brasilien 2013 erschien am 2. Juli 2012 in der Tageszeitung „Die Welt“ sowie in ihrer Online-Version:
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Frage: Herr Westerwelle, welche Bedeutung hat Brasilien für die deutsche Außenpolitik?

Brasilien zählt zu den neuen Kraftzentren der Welt. Es liegt im deutschen Interesse, mit diesen neuen Gestaltungsmächten frühzeitig strategische Beziehungen einzugehen, und zwar weit über die wirtschaftliche Zusammenarbeit hinaus. Diese strategischen Partnerschaften sind im gegenseitigen Interesse. Brasilien ist für uns ein Schlüsselpartner bei der Gestaltung der Globalisierung. Wir sind verbunden durch gemeinsame Vorstellungen von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat. Brasilien und Deutschland kooperieren in vielen multilateralen und globalen Fragen eng, etwa beim Klima- und Tropenwaldschutz. Wir bemühen uns gemeinsam um Fortschritte bei der dringend gebotenen Reform des VN-Sicherheitsrates und arbeiten in der G20 an einer Reform des globalen Finanzsystems. Wer Globalisierung gestalten will, braucht starke Partner. Daher werden wir unseren politischen Dialog mit Brasilien weiter intensivieren.

Welche Perspektiven sehen Sie für die deutsche Wirtschaft in Brasilien - gerade vor dem Hintergrund der finanzpolitischen und wirtschaftlichen Turbulenzen der letzten Jahre?

Die wirtschaftlichen Beziehungen unserer Länder sind besonders intensiv. Allein im Großraum São Paulo, dem größten industriellen Ballungsraum Lateinamerikas, haben mehr als 900 deutsche Unternehmen ihren Sitz. Deutsche Unternehmen erwirtschaften in Brasilien etwa ein Achtel des industriellen Bruttoinlandsproduktes. Sie beschäftigen ca. 250.000 Menschen vor Ort. Deutschland exportiert nicht nur Güter und Dienstleistungen, sondern bringt mit seinen Investitionen auch soziale und ökologische Standards mit. Unseren Unternehmen geht es nicht um den schnellen Gewinn, sondern um echte Partnerschaften. Dafür wird die deutsche Wirtschaft weltweit geschätzt und deswegen hat sie natürlich auch in Brasilien hervorragende Chancen. Brasilien interessiert sich für die Zusammenarbeit mit deutschen Firmen, gerade auch mit kleineren und mittleren Unternehmen. Und es hat einen hohen Bedarf an Gütern und Technologien, in denen die deutsche Wirtschaft sehr leistungsfähig ist, zum Beispiel beim Ausbau seiner Infrastruktur und in vielen anderen Bereichen.

Im nächsten Jahr soll in Brasilien ein Deutschlandjahr stattfinden. Was ist darunter zu verstehen?

Das Deutschlandjahr soll ein umfassendes, aktuelles und authentisches Bild Deutschlands präsentieren und damit in Brasilien noch stärkeres Interesse an Deutschland wecken. „Wo Ideen sich verbinden“ ist das treffende Motto, denn wir wünschen uns, dass die Menschen beider Länder mit noch mehr Vertrauen aufeinander zugehen. Anlässlich der Wirtschaftstage werden den Unternehmen Projekte vorgestellt, mit denen sie sich am Deutschlandjahr beteiligen können. Neben wirtschaftlicher Kooperation geht es aber um die ganze Vielfalt unserer Beziehungen: Kultur, Bildung, Politik, Gesellschaft, Wissenschaft, Technologie, Lifestyle werden Thema sein bei den Veranstaltungen in allen Teilen des Landes. Und natürlich Sport! Brasilien und Deutschland sind sportbegeisterte Nationen. Die bevorstehende Fußball-WM wie auch die Olympischen Spiele werden den Deutschen in den kommenden Jahren beste Gelegenheiten bieten, Brasilien noch besser kennenzulernen.

Wie sehen Sie das brasilianische Engagement im Rahmen des globalen Nachhaltigkeitsprozesses Rio+20?

Im 21. Jahrhundert müssen wir uns gemeinsam fragen: Können wir die wachsende Weltbevölkerung ausreichend mit Wasser und Nahrung versorgen, ohne unseren Planeten zu plündern? Schaffen wir es, unsere Volkswirtschaften aus der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu lösen und den Klimawandel zu begrenzen? Bei all diesen Fragen spielt Brasilien eine herausragende Rolle. Man denke nur an dessen immensen natürlichen Reichtum. Aus der beachtlichen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Brasiliens in den vergangenen Jahren erwächst auch eine größere Verantwortung für den Umgang mit den Umwelt- und Entwicklungsfragen. Brasilien war Gastgeber des Nachhaltigkeitsgipfels 2012 in Rio. Zwar gelang dort noch kein Durchbruch, doch die Anstöße in Richtung nachhaltigerer Entwicklung werden wir gemeinsam mit Schlüsselpartnern wie Brasilien weiter verfolgen.

Das Gespräch führte die Diplomatische Korrespondentin der „Welt“-Gruppe,Hildegard Stausberg. Übernahme mit freundlicher Genehmigung „Der Welt“.

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