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Zehn Jahre Konflikt in Syrien – Sieben Fragen an die deutsche Außenpolitik

Kleiner Junge in rotem T-Shirt sitzt vor einem zerstörten Haus

Nach zehn Jahren Konflikt ist die Bilanz verheerend: Über 500.000 Menschen sind gestorben, mehr als die Hälfte der syrischen Bevölkerung musste ihre Heimat verlassen., © WFP/Abeer Etefa

15.03.2021 - Artikel

Seit zehn Jahren tobt der Konflikt in Syrien. Was mit Demonstrationen gegen den syrischen Machthaber Assad begann, ist heute ein Konflikt mit internationaler Dimension. Wir beantworten die sieben wichtigsten Fragen.

1. Wie ist die Lage nach zehn Jahren Konflikt?

Nach zehn Jahren Konflikt ist die Bilanz verheerend: Über 500.000 Menschen sind gestorben, mehr als die Hälfte der syrischen Bevölkerung musste ihre Heimat verlassen. Die syrische Wirtschaft liegt aufgrund von Korruption und Missmanagement am Boden. Was 2011 zunächst als friedliche Demonstration gegen den syrischen Machthaber Assad begann, mündete rasch in einem bewaffneten Konflikt mit internationaler Dimension. Eine politische Lösung zeichnet sich trotz anhaltender Bemühungen der Vereinten Nationen nicht ab. Denn das syrische Regime setzt weiterhin darauf, mit Unterdrückung und militärischen Mitteln den Konflikt für sich zu entscheiden und verschleppt den von den Vereinten Nationen geführten politischen Prozess. Der eigene Machterhalt steht an erster Stelle – und zwar auf Kosten der syrischen Bevölkerung.

Die humanitäre Lage in Syrien ist indessen katastrophal. Nach Angaben der Vereinten Nationen hat sich die Zahl der auf humanitäre Hilfe angewiesenen Menschen 2021 von 11 auf über 13 Millionen erhöht. Erschwerend kommen die desolate wirtschaftliche Situation und die Corona-Pandemie hinzu. Besonders dramatisch ist die Lage für die knapp drei Millionen Binnenvertriebenen in Nordwest-Syrien.

Zelt- bzw. Containerstadt, im Hintergrund ein Sonnenuntergang
Viele Familien leben weiterhin unter völlig unzureichenden Bedingungen in Zeltlagern und anderen Behelfsunterkünften.© WFP/Rein Skullerud

Dort leben viele Familien weiterhin unter völlig unzureichenden Bedingungen in Zeltlagern und anderen Behelfsunterkünften. Oft fehlt der Zugang zu grundlegender Infrastruktur wie fließendem Wasser und Strom. Humanitäre Hilfe erreicht diese Menschen nur über die Türkei – auf Grundlage der sogenannten Crossborder-Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Diese Resolution wird im Juli 2021 auslaufen. Sollte sie nicht verlängert werden, könnten Hunderttausende gänzlich von humanitärer Hilfe abgeschnitten sein.

Auch die Schreckensherrschaft des sogenannten Islamischen Staates (IS) hat insbesondere in Nordost-Syrien ein Bild der Verwüstung hinterlassen. Zwar gilt der IS als territorial besiegt, die Herausforderungen bleiben jedoch enorm: Die Terrororganisation verübt weiterhin in nahezu allen Landesteilen Anschläge, zuletzt insbesondere in Zentral- und Nordostsyrien und versucht so weiterhin, die Lage zu destabilisieren.

2. Wofür setzt sich Deutschland außenpolitisch ein?

Aus Sicht der Bundesregierung ist ein dauerhafter, echter Frieden in Syrien nur durch eine politische Lösung möglich, die die Interessen aller Syrerinnen und Syrer gleichermaßen berücksichtigt. Ohne einen solchen glaubwürdigen politischen Wandel wird es von Seiten Deutschlands und seiner europäischen Partner keine Unterstützung für den Wiederaufbau des Landes und keine Normalisierung der Beziehungen mit Syrien geben. Wiederaufbaubemühungen bedürfen genau dieses politischen Wandels, wenn sie zukunftsweisend und nachhaltig sein sollen.

Deutschland setzt sich vor diesem Hintergrund nachdrücklich für eine politische Lösung des Syrien-Konflikts auf Grundlage der Sicherheitsrats-Resolution 2254 ein. Besonders die wichtige Arbeit des Sondergesandten der Vereinten Nationen, Geir Pedersen, wird dabei unterstützt - sowohl politisch als auch finanziell. Ein Beispiel dafür sind die finanziellen Mittel zur Organisation und Umsetzung der Verhandlungen in Genf. An den bislang fünf Runden des syrischen Verfassungskomitees, haben das syrische Regime, die syrische Opposition und die syrische Zivilgesellschaft teilgenommen. Bislang konnte jedoch kein neuer Verfassungsentwurf erarbeitet werden, vor allem wegen der anhaltenden Blockadehaltung des syrischen Regimes. Deutschland ist bemüht, dem Verhandlungsprozess neue Impulse zu verleihen –einerseits durch die Förderung von Mediationsvorhaben und die Stärkung konstruktiver Akteure im Rahmen der sogenannten „Syria Peace Initiative“. Andererseits aber auch über das Einwirken auf die Partner und Verbündeten des Regimes, um es dazu zu bewegen, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

3. Wie unterstützt Deutschland die Menschen in Syrien?

LKW-Konvoi mit WFP-Bannern
Syrien und die Unterstützung bei der Bewältigung der Folgen des Konflikts sind ein Schwerpunkt der deutschen humanitären Hilfe.© WFP/Hani Al Homsh

Syrien und die Unterstützung bei der Bewältigung der Folgen des Konflikts sind ein Schwerpunkt der deutschen humanitären Hilfe. Deutschland hat im letzten Jahr rund 672 Millionen Euro für humanitäre Hilfsmaßnahmen in Syrien und seinen Nachbarländern bereitgestellt, mehr als die Hälfte davon für Maßnahmen innerhalb Syriens. Seit Beginn des Konflikts sind es bereits über 10 Milliarden Euro. Die Umsetzung der humanitären Mittel erfolgt über die Vereinten Nationen, die internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung sowie verschiedene humanitäre Nichtregierungsorganisationen. Ziel ist es, die Nahrungsmittel-, Gesundheits- und Sanitärversorgung der Menschen zu verbessern sowie für Unterkünfte, Sicherheit und Schutz vor sexueller Gewalt, Verfolgung oder Ähnlichem zu sorgen. Die Hilfe erfolgt bedarfsorientiert und auf Grundlage der humanitären Prinzipien, sie erreicht die Menschen in allen 14 syrischen Provinzen.

Hinzu kommt das weitreichende Stabilisierungsengagement des Auswärtigen Amts. Für die Unterstützung des politischen Prozesses, die Stabilisierung der vom IS befreiten Gebiete in Nordostsyrien und die Stärkung zivilgesellschaftlicher Akteure und Strukturen wurden seit Beginn des Konflikts circa 250 Millionen Euro bereit gestellt, davon 45 Millionen Euro im letzten Jahr.

Bei der bevorstehenden Geberkonferenz in Brüssel plant die Bundesregierung, weitere substanzielle Hilfe zuzusagen, aber auch für humanitäres Engagement anderer zu werben.

4. Wie unterstützt Deutschland die Nachbarstaaten Syriens bei der Aufnahme der Flüchtlinge?

Deutschland steht im engen Austausch mit den Nachbarstaaten Syriens, die seit Ausbruch des Konflikts schier Unglaubliches geleistet haben: so hat zum Beispiel Libanon über 1,2 Millionen Syrerinnen und Syrer aufgenommen – obwohl das Land selbst nur rund sechs Millionen Einwohner hat. Und auch Jordanien und die Türkei haben viele syrische Flüchtlinge aufgenommen. Deutschland leistet auch in diesen Ländern umfangreiche humanitäre Hilfe. So unterstützt die Bundesregierung beispielsweise die Maßnahmen des Welternährungsprogramms zur Nahrungssicherung und das Programm des VN-Flüchtlingshilfswerks, welches den Menschen Hilfsgüter und Unterkünfte bereitstellt und Hilfe bei rechtlichen Fragen leistet. Außerdem werden im Libanon und in Jordanien über das Stabilisierungsengagement des Auswärtigen Amts Vorhaben zur Verbesserung des Miteinanders und der Verständigung zwischen Gastgemeinden und syrischen Flüchtlingen gefördert.

5. Wie steht es um die Rückkehr von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen nach Syrien?

Die Bundesregierung teilt die Einschätzung des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen, dass eine freiwillige Rückkehr der Millionen Flüchtlinge und Binnenvertriebenen in ihre Heimatorte weiterhin nicht in Sicherheit und Würde denkbar ist. Obwohl die große Mehrheit der syrischen Flüchtlinge grundsätzlich nach Syrien zurückkehren möchte, halten dies nur sehr wenige in absehbarer Zeit für möglich, vor allem aus Sicherheitsbedenken. Denn ihre Wohnhäuser und ihr Besitz wurden oftmals enteignet. Auch drohen ihnen Zwangsrekrutierung, willkürliche Verhaftung oder Folter, vor allem durch das syrische Regime, sowie physische und sexuelle Gewalt. Fehlende wirtschaftliche Perspektiven und der Zusammenbruch des Bildungs- und Gesundheitssystems sind weitere Hindernisse für eine baldige Rückkehr. Das syrische Regime verwehrt humanitären Akteuren wie dem UNHCR regelmäßigen und dauerhaften Zugang zu Rückkehrern. An der derzeitigen Situation kann nur das syrische Regime durch politischen Wandel etwas ändern.

6. Wie setzt sich Deutschland gegen Straflosigkeit bei Menschenrechtsverbrechen in Syrien ein?

Aus Sicht der Bundesregierung ist dauerhafter Frieden in Syrien nur dann möglich, wenn die Kriegsverbrechen und Gräueltaten des Konflikts strafrechtlich aufgearbeitet und die Täter zur Verantwortung gezogen werden.

Darum unterstützt Deutschland ganz konkret internationale Initiativen und Mechanismen gegen Straflosigkeit im Syrien-Konflikt. Zentral ist dabei die bereits im Jahr 2011 - auch auf deutsche Initiative hin - eingesetzte, unabhängige internationale Untersuchungskommission zur Menschenrechtslage in Syrien. Und auch der sogenannte internationale, unabhängige und unparteiische Mechanismus der Vereinten Nationen zur Unterstützung der Strafverfolgung von Verbrechen in Syrien spielt dabei eine wichtige Rolle. Die Bundesregierung förderte die Einrichtung und den Aufbau des Mechanismus von 2017 bis 2019 mit einer Million Euro jährlich und gehörte damit zu den größten Unterstützern. Im vergangenen Jahr wurde die Finanzierung schließlich in das reguläre Budget der Vereinten Nationen übernommen.

Zudem ist Deutschland Vorreiter für die strafrechtliche Verfolgung von in Syrien begangenen schwersten Verbrechen nach dem sogenannten Weltrechtsprinzip. So wurde im Februar 2021 erstmals ein syrischer Angeklagter vom Oberlandesgericht Koblenz wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt.

Deutschland fördert darüber hinaus mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen und Initiativen zur Dokumentation und zur juristischen wie gesellschaftlichen Aufarbeitung von im Rahmen des Konflikts begangener Menschenrechtsverbrechen. Dazu gehören die Commission for International Justice and Accountability, die International Commission on Missing Persons und das Syria Justice and Accountability Center.

Mehr zum deutschen Engagement gegen Straflosigkeit.

7. Sanktionen: Was soll das EU-Sanktionsregime bewirken?

Seit 2011 gibt es ein von der Europäischen Union erlassenes Sanktionsregime gegen Syrien. Die Sanktionen richten sich gegen Personen und Entitäten, die sich in Syrien schwerer Verbrechen schuldig gemacht haben, das Regime unterstützen oder von den kriegerischen Handlungen profitieren. Gleichzeitig verbieten sie die Ausfuhr bestimmter Güter nach Syrien, die zum Beispiel zur Unterdrückung gegen die Bevölkerung benutzt werden können oder Luxusgüter von denen das Regime profitiert.

Ziel der EU-Sanktionen ist es, das Assad-Regime zu einer Abkehr von seinem gewaltsamen und brutalen Vorgehen gegen die syrische Zivilbevölkerung zu bewegen und sich konstruktiv in den politischen Prozess unter Leitung der Vereinten Nationen einzubringen. Oberste Priorität hat dabei, dass die Menschen in Syrien nicht unter den Sanktionen leiden. Daher fallen humanitäre Güter oder medizinische Ausrüstung ausdrücklich nicht unter die EU-Sanktionen.

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